Naturbeobachtungen aus einer Gartenlaube
In unserer Heimath befindet sich ein Park, einst von einer für die Natur und ihre Gebilde begeisterten adeligen Gutsbesitzerin verschönert und erweitert. Von dichten reichen Busch- und Baumgruppen durchzogen, von einem größeren Bache und dessen Nebenarm umspült und durchrieselt, war er von jeher eine gesuchte Ansiedelung unserer beliebtesten einheimischen Sänger. Wir Brüder verdanken diesem Eldorado der Vögel neben dem Garten der Burg Friedberg ein gutes Stück Erfahrung in der heimischen Ornithologie[WS 1], und noch heute verlieren wir uns gern in die grünen Verstecke jenes Gartens an der Nidda, wenn wir bei dem Vater, fern von „Büchern und Papier“, zuweilen ungestört uns der Beobachtung in der Natur hingeben können. Eine Laube am Ausgange eines Buschganges und gegenüber einem freien Rasenplatze mit einzelnen Baumgruppen verbirgt uns dann den mißtrauischen Blicken der scheuen befiederten Schaar um uns her, und ein Fernrohr bringt uns auch die entfernteren Scenen des Thierlebens klar vor Augen.
Von unserem Versteck aus finden wir sofort interessanten Stoff für unsere Forschungen. Schon verräth sich unseren Blicken ein Kukuk, der mit etwas gesträubtem Gefieder in einem Fliederbusche sitzt. Sein bräunlich gesperbertes Kleid läßt einen weiblichen Vogel vermuthen. Eben fußt er geräuschlos wie ein Schatten vor einem mit niedrigem Gestrüppe bewachsenen Raine der Grasfläche. Unter Nicken des Kopfes und Wippen des Schwanzes trippelt der Vogel auf einer Stelle herum; es überkommt ihn ein leises Zittern, wobei er die Flügel etwas ausbreitet und eine Weile in gebückter Stellung verharrt. Jetzt hebt er sich empor, und erstaunt sehen wir durch das Fernrohr ein Ei unter dem Vogel im Grase, das derselbe mit seitlich geneigtem Kopfe in den weitgeöffneten Schnabel nimmt und unter seinem eigentümlich papageiartigen Gange den Rain hinauf unter einen Rasenvorsprung bringt. Gleich darauf fliegt er wieder zum Fliederbusche zurück, schüttelt sich daselbst und verschwindet flüchtig und geheimnisvoll, wie er gekommen; bei seinem Rückzuge jedoch von einem Weidenzeisigpaare und einigen wachen Meisen in ein nahes Feldgehölz lärmend verfolgt. Erwartungsvoll eilen wir zu dem Raine und finden daselbst unter einer ausgehöhlten Stelle das von Grasüberhang verborgene zugewölbte Nest des kleinen Weidenzeisigs. Unter sechs niedlichen weißen Eiern, spärlich aber deutlich mit großen dunkelrothen Punkten versehen, liegt das viel größere Kukuksei fast auf der Spitze. Nicht viel kleiner aber schlanker als ein Singdrosselei, zeigt es auf tief bläulichem Grunde dunkelbraunrothe und graue Punkte und Striche, also auch in der Färbung und Zeichnung auffallende Abweichung von dem hellen freundlichen Nestgelege.
Rasch ziehen wir uns zurück, um das Gebahren der zum Neste zurückkehrenden Weidenzeisige zu beobachten. Dieselben lassen nicht lange auf sich warten. Vor dem Neste sträuben die Gatten die Kopffedern; das Weibchen beschaut sich stutzend den fremden Gegenstand in seiner Behausung und hüpft unruhig um das Nestchen, endlich zögernd sich auf das Gelege begebend. Wir lassen das Leben der kleinen Familie ruhig bis auf Weiteres sich entfalten und bemühen uns nunmehr, den Garten nach anderen Nestern in der Nähe aufmerksam zu durchspüren, auf Grund unserer Erfahrung in der lebhaften Erwartung, wohl von demselben Kukuksweibchen noch ein oder das andere Ei bei Gelegen zu finden. Das Glück will, daß wir ein ganz ähnliches, zugleich mit einem zweiten grünlichen, schwarzbraun und olivenfarben punktirten und gestrichelten Ei derselben Art in dem Neste eines Rothkehlchens bei fünf Eiern des Vögelchens entdecken. Auch hier stechen die größeren Kukukseier von den auf gelbweißem Grunde rostgelb punktirten kleineren Eiern des Rothkehlchens bedeutend ab.
Wir gewahren, daß der Brutvogel die eingeschobenen fremden Eier angenommen und mit seinem Gelege schon bebrütet. Um zu erfahren, ob das Kukuksei oder überhaupt fremde Eier in gleicher Weise von kleineren friedlichen Sängerarten angenommen werden, stellen wir Versuche bei verschiedenen anderen Nestern mit Gelegen an, wozu uns der Park und seine Umgebung reiche Gelegenheit bietet. In das bodenständige Nest eines brütenden Goldammers bringen wir zuerst ein anderwärts aufgefundenes Kukuksei und vertheilen zwei Eier des Rothkehlchens in ein aufgefundenes Nest einer fahlen Grasmücke und eines grauen Fliegenfängers, von beiden letzteren Vögelarten je ein Ei in die Nester einer Braunelle und eines Rohrsängers versetzend. Mit der Eiervertheilung fertig, besichtigen wir sogleich die Niststelle des Goldammers, finden zu unserm Erstaunen aber das Kukuksei vor dem Neste des Brutvogels, diesen selbst ruhig auf seinem Gelege brütend. Wir scheuchen den Vogel von den Eiern und gesellen vorsichtig das Kukuksei wiederholt zu dem Goldammergelege. In ein nahes Gebüsch zurückgezogen, beobachten wir nun das Betragen des Brutvogels. Derselbe, alsbald zum Neste zurückgekehrt, fußt auf den Rand desselben, blickt mit hohem Halse hinein und pickt dann in dessen Tiefe mehrmals mit dem Schnabel, um kurz darauf das Kukuksei über den Rand zu werfen und sich sofort auf sein Gelege zu begeben. Wir finden das Kukuksei an einer Stelle eingedrückt.
Ein Rundgang zu den übrigen Nestern überzeugt uns, daß die untergeschobenen Eier von den Nistvögeln angenommen worden sind bis auf das der fahlen Grasmücke übergebene Rothkehlchenei, welches zerbrochen unter dem Strauche, worin das Nest steht, aufgefunden wird. Schließlich erprobt sich noch die Duldung einiger Nistvögel bis zu der Grenze hin, daß runde Kieselsteine von der Größe der fraglichen Eier, zu diesen gethan, von den Brutvögeln nicht allein angenommen, sondern auch auf denselben weiter gebrütet wird.
Wir notiren diese Thatsachen zu unzähligen anderen gleicher Art als derjenigen Behauptung stracks zuwider, welche in der Vogelkunde nun schon eine gewisse Zeit auffallendermaßen wie eine krankhafte Erscheinung aufgetaucht ist und in dem abenteuerlichen Satze sich breit gemacht hat: jeder weibliche Kukuk habe von der Vorsehung das „Vermögen“ ererbt, denjenigen Nestgelegen täuschend ähnlich oder gleich gefärbte Eier hervorzubringen, zu welchen er die seinigen in der Regel lege; mit anderen Worten: jedes Kukuksweibchen bringe besonders gefärbte, gleichsam „typische“ Eier hervor, um diese regelmäßig solchen Nistvögeln [408] unterzuschieben, welche gleich oder ähnlich aussehende Eier legten. Diese Behauptung wird von ihren Erfindern und Vertretern mit dem wohlfeilen Grunde der Teleologie unterstützt, es müsse die Natur einen weisen Zweck mit dieser Einrichtung verfolgen, den nämlich, daß die mit dem täuschenden Kukuksei beschenkten Pflegeeltern das Unterschieben nicht merken und so die sonst gefährdete Art unsers Kukuks erhalten helfen sollten. Dieses erbauliche Dogma paßt für einen gläubigen Spießbürger, aber nimmer in die nach Wahrheit und Klarheit strebende Naturkunde. Es verschwindet vor dem sprechenden Beweise der lebendigen Thatsachen in das Reich der Fabeln, dem es ursprünglich auch nur gedankenmäßig entnommen worden.
Da wir gerade am Ei sind, so gestattet man uns wohl, eine kurze Erläuterung über die Entwicklung des Kukukseies zu geben.
Der traubenförmige, ziemlich umfangreiche Eierstock des weiblichen Kukuks sitzt an der linken Seite der engen Bauchhöhle, deren Raum durch den umfangreichen und bei der Gefräßigkeit des Vogels meist angeschwollenen Magen noch weiter beschränkt wird. Dieser kleine Raum verursacht die verhältnißmäßig geringe Größe des Kukukseies. Die Entwickelung desselben geht nun vermöge der geringen Eiweiß- und Kalkausscheidungen im Eileiter sehr langsam von statten und verursacht einmal, daß der Vogel nur in größeren Zwischenräumen seine Eier ablegen und in Folge dessen keine so hohe Brutwärme wie die Selbstbrüter entwickeln kann, zum Andern, daß das Ei sehr dünnschalig erscheint.
Diese Dünnschaligkeit, sowie der vorwiegende Umfang des Kukukseies vor den Eiern, bei denen es liegt, begründen die Thatsache, daß dasselbe in der Regel vor dem eigentlichen Nestgelege gezeitigt wird. Der junge Kukuk schlüpft also regelmäßig früher aus als seine Stiefgeschwister, wenn diese einmal neben ihm zur Ausbrütung gelangen. Die Brutzeit unserer meisten kleineren Vögel währt vierzehn Tage; das Kukuksei bedarf zur Zeitigung meist nur deren dreizehn.
Es findet sich Gelegenheit, dies an dem Gelege in dem Neste des Weidenzeisigs zu beobachten. Den dreizehnten Tag gewahren wir, daß der junge Kukuk ausgekrochen ist, aber noch keines der Eier des Weidenzeisigs zum Aufbruche reif erscheint. Erst des andern Tages frühe liegen zwei junge Weidenzeisige unter den vier Eiern. Der junge Kukuk verhält sich vollkommen friedlich und ruhig den Stiefgeschwistern und Eiern gegenüber. Während dessen fällt uns das wiederholte Erscheinen zweier alter Kukuke in der Nähe auf, in Folge dessen wir uns rasch in die Laube zurückziehen. Gleich darauf kommen die Kukuke durch’s Gebüsch tief an der Erde hergeflogen, fußen in der Nähe des Nestes, und wir sehen sofort, wie der eine derselben – ob ein Weibchen oder Männchen, kann leider bei der übereinstimmenden Färbung beider Vögel nicht festgestellt werden – zwei Eier aus dem Neste holt und heißhungrig verschluckt, die übrigen aber sodann sammt einem jungen Weidenzeisige aus der Nestmulde wirft. Der andere Kukuk kommt nun herzu und verspeist rasch hintereinander den eben herausgeworfenen Nestvogel, sowie eines der noch übrigen Eier, wie vorher sein Begleiter, jedes Mal nach dem Verschlingen eines Gegenstandes das Gefieder schüttelnd, worauf beide auf einem nahen Baume fußen. Nach einer Weile fliegen dieselben, umflattert von dem klagenden Weidenzeisigpaare, wieder vor das Nest und zerren abwechselnd dessen Inhalt heraus, um auch diesen zu verschlingen.
Indem wir diese merkwürdige Thatsache in unser Tagebuch verzeichnen, beschäftigt uns natürlicherweise lebhaft die naheliegende Erwägung, ob die beiden Räuber die Eltern des jungen Kukuks seien. Da uns hierzu aber unmittelbare, greifbare Anzeichen und Beweise fehlen, so lassen wir den einzigen Fall vorerst blos als die Thatsache gelten: daß Kukuke als Nestplünderer auftreten und dabei selbst junge Vögel ihrer eigenen Art verzehren.
An einem Morgen kurz darauf erblicken wir merkwürdigerweise vor dem bereits uns bekannten Rothkehlchenneste zwei junge Kukuke in einer Vertiefung des Bodens liegen, woselbst das von uns aufgescheuchte Rothkehlchen sie erwärmt. Die jungen Vögel sind noch blind und aus ihrer nackten Haut schimmern nur schwach an Flügelarmen und Rücken die Kiele durch, so daß wegen dieser Anzeichen und der vorgeschrittenen Größe ein Alter von einigen Tagen angenommen werden kann. An beiden gewahren wir hingegen noch deutlich die später verschwindende muldenförmige oder verbreiterte Bildung des Rückgrates etwas unter der Einsenkung der Flügeloberarme; der eine, viel dunkler gefärbte ist dem andern helleren an Größe sichtlich voraus. Vor dem Neste liegen sämmtliche Eier des Rotkehlchens. Eines davon, geöffnet, enthüllt ein vollständig entwickeltes Rothkehlchen, das mit den beiden jungen Kukuken und den Eiern in das Nest gethan wird. Beide Vögel verrathen viel Unruhe, der größere jedoch nur aus Veranlassung des kleineren Nestbruders, an welchem sich öfters ein zitterndes Emporheben der Flügelarme, verbunden mit einem plötzlichen Emporschnellen des Halses und Vorderkörpers nach hinten, bemerklich macht, in Folge dessen das Thierchen zuweilen förmlich umstülpt. Endlich arbeitet sich der Kleinere mit seinem Hinterteile unter den Körper des Größeren, so daß dieser förmlich auf jenen zu liegen kommt, worauf dessen beide unverhältnißmäßig starkbändrigen und langen Flügelarme sich wagrecht, gleichsam als Gegenwehr, nach oben heben, gegen die vorwärts drängenden Flügel und das vorgestreckte Vordertheil des oben aufliegenden Vogels. Gleichzeitig spreizt der Träger seine langen, die ganze Nestmulde ausfüllenden Kletterbeine sägebockartig nach vorn auseinander, um sich dann, sich in das Geflechte des Nestes festklammernd, allmählich hinterrücks mit seiner Bürde unter zurückgebogenem Halse zum Nestrande hinauszuschieben, indem er, auf die Fersen gestützt, abwechselnd mit den Beinen krötenartig nach oben oder rückwärts greift. Am Nestrande angelangt, hält er keuchend mit geöffnetem Schnabel eine Weile an und läßt ermattet Kopf und Hals nach vorn sinken, reckt diese aber bei der geringsten Bewegung seiner Bürde sogleich wieder empor und schiebt sich mit dem Gegner mehrere Zoll weit auf dem Vorraume des Nestes bis an das nächste Hinderniß der Umgebung, um hier durch ein Schnellen nach hinten den Gegner abzuwerfen.
Solcher Kampf wiederholt sich vor unseren Augen, indem beide Kämpen sich trotz ihrer Blindheit, auf den vorgehaltenen Flügelarmen und Beinen kriechend, so schnell als möglich wieder die Nestmulde zu erreichen bestreben. Stets aber zeigt sich der kleine, flüchtigere Vogel als der angreifende, niemals der größere, der ungleich öfter aus dem Neste gedrängt wird, als er den kleineren Gegner hinausschaffen kann. Bei diesen Scenen schiebt sich nur einmal eines der im Neste liegenden Eier mechanisch mit den Kämpfenden heraus; übrigens wird an keinem der Vögel das Bestreben sichtlich, die Eier aus dem Neste zu entfernen, selbst dann nicht, als beiden abwechselnd ein Ei auf den Rücken und zwischen die Flügelarme gebracht ist. Der aus dem einen Ei genommene Embryo wird nach kurzer Zeit, in der wir uns zurückziehen, von einem der Rotkehlchen im Schnabel eine größere Strecke vom Neste in der Luft davon getragen.
Wir entfernen uns endlich, die beiden jungen Kukuke der weiteren Pflege des Rothkehlchenpaares überlassend. Des andern Morgens liegt der größere Kukuk erstarrt vor dem Neste, während die Pflegemutter in demselben über dem anderen jungen Vogel sitzt. Alle Eier sind noch an ihrem Platz im Neste. Nun wird zu dem Kukuk ein mehrere Tage alter Sperling gebracht, welcher Tags darauf an derselben Stelle, wie vorher der Kukuk, erstarrt ist. Da die Eier selbst jetzt noch im Neste sich befinden, so schließen wir, daß in dem vorliegenden Falle der Kukuk nicht geneigt oder fähig ist, dieselben zu entfernen. Am folgenden Morgen erblicken wir aber den jungen Kukuk fast unkenntlich verstümmelt und ohne Kopf im Neste. Das letztere Vorkommnis könnte einigermaßen zur Vermutung führen, daß der junge Kukuk die Beute eines Nestraubes von Seiten alter Kukuke gewesen.
Vieljährige eingehende Beschäftigung mit diesem Gegenstande hat uns zu der unumstößlichen Thatsache geführt, daß die Eltern ihre eigene Brut stets dem Kukuke vorziehen. Die gegentheiligen Behauptungen mancher Schriftsteller sind blos in oberflächlichen, aller Thatsächlichkeit entbehrenden Annahmen begründet. Die Natur bleibt sich in ihren Grundzügen immer gleich, und die Elternliebe folgt über alle Sätze verkehrter Zweckmäßigkeitslehren hinaus eben ihrem gewaltigen natürlichen Triebe. In der Pflege des Adoptivkindes Kukuk von Seiten der Pflegeeltern ist nichts anderes zu erblicken, als der allen Nistvögeln mehr oder minder innewohnende Trieb, unselbstständigen Vögelchen Hülfe angedeihen zu lassen. Aber nicht allein dem Kukuk kommt [409] dieser natürliche Hang der allen Vögel zu gut, nein! auch der Pfleglinge anderer Arten erbarmen sich die Paarvögel, um so mehr, wenn sie solche mit ihren wahren Kindern ausgebrütet haben. Dutzende von jungen Vögeln, welche in fremden Nestern aus untergeschobenen Eiern entstanden und getreulich von den Pflegern großgezogen wurden, haben uns von dem mächtigen Zuge der barmherzigen Samariterschaft überzeugt, welcher auch durch die Thierwelt geht.
In allen Fällen ferner, in welchen der junge Kukuk das Schicksal hat, von Stiefeltern erzogen zu werden, von welchen er vermöge ihrer geringen Größe nicht hinreichend Futter erlangt, oder zufolge deren Lebensweise ihm nicht zusagende Nahrung gereicht wird, wie zum Beispiel bei Körnerfressern, bleibt er klein und verkümmert, was wir ebenfalls durch eine Reihe von Vorkommnissen in der Natur begründet gefunden haben.
An unsere eigenen Beobachtungen möge sich nun die ebenso interessante als zum ersten Male vollkommen bestätigte Entdeckung in der Vogelkunde knüpfen, daß unser Kukuk auch zuweilen selbst brütet. Ein bewährter Vogelkenner, Herr Kießel in St. Johann an der Saar, bereitete uns das Vergnügen, den merkwürdigen Vorfall uns im Sommer 1868 brieflich mitzutheilen.
Hiernach ist durch drei Augenzeugen und Kießel selbst unumstößlich bewiesen, daß in einem Walde bei St. Johann Ende Mai 1868 von den dortigen Holzhauern ein weiblicher Kukuk auf zwei Eiern im Haidekraut ohne alle Nestbereitung brütend aufgefunden und außerdem von den vier Zeugen brütend gesehen wurde. Es ist weiter von Kießel und den andern Zeugen beobachtet worden, daß der Kukuk beide Eier gezeitigt und die Jungen großgezogen, überhaupt eine auffallende Mutterliebe zu denselben kundgegeben hat. Durch dieses Vorkommniß ist ein ganz neuer Zug in der Fortpflanzungsgeschichte unseres Kukuks aufgedeckt, wodurch er sich seinen beiden nordamerikanischen Verwandten, dem gelbschnäbligen oder Regenkukuk und dem schwarzschnäbligen oder rothäugigen Kukuk, in seiner ausnahmsweisen Nistweise nähert.
Lassen wir alle Scenen und Thatsachen unserer Beobachtungen und Untersuchungen nochmals vor unserem geistigen Auge vorüberziehen, so ergiebt sich folgende Gruppe von Wahrnehmungen über unseren Vogel:
- Der Kukuk übergiebt sein Ei vielen Arten unserer kleinsten und kleineren Sänger. Kann er über das Nest zum Eiablegen nicht gelangen, so legt er in der Nähe des erwähnten Nestes sein Ei auf den Boden, um es sodann im Schnabel zu den fremden Eiern zu tragen.
- Das Ei des Kukuks ist im Farbenton sehr veränderlich, stets aber gezeichnet, und im Allgemeinen auf zwei Grundfärbungen zurückzuführen: auf den bräunlich- oder röthlichgelben und grauen.
- In der Regel unterscheidet sich das Kukuksei in Größe, Farbe, Zeichnung und Korn auffallend von den Nestgelegen; entfernte Aehnlichkeit mit andern Nestgelegen ist bei dem grauen oder gelblichen Grundtone vieler Sängereier wohl hin und wieder möglich, jedoch nichts mehr als – natürlich.
- Der weibliche Kukuk sucht und findet gewöhnlich hinlänglich Nester mit Gelegen, denn seine Legzeit erstreckt sich im Allgemeinen von Mitte Mai bis Mitte Juni, in welcher Zeit die meisten einheimischen Sommervögel nisten. Er schiebt sein Ei aber nicht selten Pflegern zu, bei deren Nahrung der ausgebrütete Vogel nur schlecht oder gar nicht gedeiht, oder bei deren geringer Größe der vielbedürftige Stiefsohn bei dem geringen Maße von Futter verkümmert oder verhungert.
- Die nicht selten unpassende Nesterwahl des Kukuks begründet einmal seine mäßige Vermehrung, zum Andern die abweichende Größe und Färbung der Art.
- Völlig haltlos ist die Annahme, die Natur verfolge einen besonderen Zweck oder Plan zur Erhaltung der Kukuksart; ebenso grundlos als überflüssig das Dogma von der Fähigkeit des Kukukweibchens, nach welcher dasselbe Eier bestimmter Ausprägung zu andern ganz gleichen oder ähnlichen lege; grundlos, weil nach 3 thatsächlich das Kukuksei von dem Nestgelege regelmäßig entschieden abweicht; überflüssig, weil fast alle friedlichen Brutvögel fremde, untergeschobene Eier, welche sie zu bedecken vermögen, zeitigen und die ausgebrüteten Jungen pflegen und großziehen.
- Der weibliche Kukuk besucht von Zeit zu Zeit die Orte, woselbst er seine Eier abgelegt hat, und es scheint, als wenn er hin und wieder zur Zeit der Ausschlüpfung des jungen Kukuks das Nestgelege des Brutvogels theilweise oder ganz aus dem Neste herauswerfe. Alte Kukuke verzehren jedoch zuweilen die ganze Brut sammt dem jungen Kukuk.
- Sobald zwei Kukuke in einem und demselben Neste ausgebrütet werden, entsteht in den ersten Tagen ein Kampf zwischen beiden, welcher mit dem Tode des schwächeren endet, der von dem andern aus dem Neste geschoben wird.
- Der noch kahle und blinde Kukuk ist befähigt, zuweilen auch sehr geneigt, Stiefgeschwister aus dem Neste hinauszuschieben oder hinauszuwerfen. – Ob er Eier aus dem Neste zu bringen vermag, bleibt zweifelhaft, kann aber möglich sein.
- Es kommt vor, daß der Kukuk ausnahmsweise seine Eier ohne besondere Nestbereitung selbst ausbrütet, die ausgebrüteten Jungen pflegt und großzieht.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Ornothologie