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Naseweisheit

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Titel: Naseweisheit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 376–379
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[376]

Naseweisheit.

„Sagen Sie mir, wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, so ein Werk zu schreiben?“ So fragte Kaiser Joseph den berühmten frommen Geistlichen und gesichtskundigen Schriftsteller Lavater vor beinahe hundert Jahren, als dieser seine physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe veröffentlicht hatte. Lavater antwortete: „Ich zeichnete Portraits, bemerkte besondere treffende Ähnlichkeiten zwischen Gesichtstheilen und Gesichtszügen von verschiedenen Freunden, z. B. ähnliche Nasen. Ich richtete meine Beobachtungen auch auf andere Theile, einzelne Züge, Endungen, Umrisse der Stirn, des Schädels, der Knochen, und damit auf die Anlage, auf die Grundfähigkeit des Menschen, auf das Maß seiner Activität und Passivität, überhaupt seiner Empfänglichkeit und Kraft, welche ich in dem Gesichtsbaue ausgedrückt finde. Schwerer zu erkennen, aber viel sicherer sind die auch im ruhigen Gesicht sich zeichnenden Ausdrücke von Geistesfähigkeiten, von wirklicher und möglicher Wirksamkeit und Leidsamkeit eines Menschen.“

Lavater hatte es in dieser Erkenntniß bis zu einer wahren Meisterschaft gebracht. „Seine Einsicht,“ sagt Goethe, „in die einzelnen Menschen ging über alle Begriffe; man erstaunte, ihn zu hören, wenn man über Diesen oder Jenen vertraulich sprach, ja, es war furchtbar, in der Nähe des Mannes zu leben, dem jede Grenze deutlich erschien, in welche die Natur uns Menschen einzuschränken beliebt hat. So erkannte er z. B. in einem Fremden, der ihn eines Tages besuchte, auf der Stelle einen Mörder, obgleich er ein Mann von Bildung und gewandtem Benehmen war.“ Diese Erkenntniß wollte er auch zur Beförderung der Menschenliebe als Wissenschaft begründen und verbreiten und deutete damit schon auf eine später sich entwickelnde Menschenkunde hin, welche von wohlmeinenden Socialisten dazu benutzt ward, in dem Verbrecher theils des Staates eigenstes Verbrechen, wie Bettina sagt, theils von der Natur mißgebildete Kranke nachzuweisen, die man nicht bestrafen, sondern zu heilen versuchen müsse. Jedenfalls werden einst Physiognomik, Kranioskopie oder rationellere Phrenologie als die jetzige und sonstige richtige Erkenntniß und Beurtheilung der einzelnen Gestaltungsformen des Menschen, zur wahren Wissenschaft vereinigt, viel dazu beitragen, in Beurtheilung unserer Mitmenschen klarer und humaner zu verfahren und auch Verbrecher je nach ihrer Natur und deren Schuld richtiger und milder zu behandeln. Jedenfalls aber gehört dazu mehr, als das Gesicht, der Schädel und die Nase. Man darf auch die Hände und selbst die Füße bei einer solchen Wissenschaft nicht unbeachtet lassen. Die sogenannte Chiromantie oder das zigeunerische Wahrsagen aus den Linien der inneren Handfläche deutet schon seit undenklichen Zeiten darauf hin, daß auch die Hand zur Physiognomik gehöre. Carus in Dresden gab eine sehr interessante Abhandlung über die Form der Hand heraus, und ein Engländer hat neuerdings sogar ein dickes Buch über den Daumen geschrieben und nachzuweisen gesucht, daß aus den drei Gliedern desselben und deren Verhältnissen zu einander alle Charaktereigenthümlichkeiten eines Menschen zu erkennen seien. Ja, wir müssen vielleicht sogar bis zu den Füßen und Zehen herabsteigen. Haben doch bereits Ethnologen die Plattfüße der Neger zu einem Grunde für deren Bildungsunfähigkeit erhoben. Auch schrieb Burmeister eine lesenswerthe Physiognomik des Fußes. – Da nun diese Wissenschaft vom Kopfe bis zum Fuße geht und bereits Hand und Fuß hat, dürfen wir dabei wahrscheinlich auch nicht übersehen, ob ein Mensch kurz oder lang, dünn oder dick etc. sei. Kurz, wir müssen alle die Weisheit, die wir Jemandem schon an der Nase ansehen, durch alle Gesichts- und Körpertheile verfolgen, um ein richtiges Urtheil zu gewinnen, und uns nicht blos mit Naseweisheit lächerlich und unangenehm zu machen. Aber gut wird es doch sein, zunächst einigermaßen zu lernen, was und wie viel man dem Menschen gleich an der Nase ansehen kann. Lavater, die berühmteste Autorität in dieser Wissenschaft, fing ja auch damit an und gab viel darauf. Sicherlich verräth auch dieser Gesichtsvorsprung, den man nicht so leicht verstecken, und mit welchem auch der beste Verstellungskünstler nicht heucheln kann, mehr von den inneren Eigenthümlichkeiten des Menschen, als die Meisten vermuthen, und viele leichtsinnige Menschen, besonders auch Damen, sollen sich gern mit der Nase begnügen, um daraus naseweis ein Urtheil über den Träger derselben hervorzuziehen.

Die auf den ersten Anblick in ihren merkwürdigen Verschiedenheiten auffallenden Nasen fordern auch gar zu verführerisch dazu auf. Es gibt römische, griechische, jüdische, Neger-, Frosch-, Rams-, Adler- oder Habichts-, Stumpf-, Stülp- und Plattnasen, furchtbare Schnüffelzinken und unförmliche Knuppen, die theils zwergenhaft über der Oberlippe kleben, theils riesig wie Samengurken hervorstarren oder schippenartig wie die Schnäbel gewisser Sumpfvögel sich oft so weit aufwärts krümmen, daß es bei nassem Wetter hineinregnet. Andere Nasen erinnern an Meißel oder Stemmeisen, und manche Säufer verwandeln dieselbe in ein Kupferbergwerk. Da man nun auch Nasen machen, Anderen Nasen drehen oder sie ihnen wenigstens geben und sie mit langer Nase abziehen lassen kann, wir sie auch gelegentlich rümpfen oder blähen oder gar in eine Menge Dinge hineinstecken können, die uns nichts angehen, finden wir schon in dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und der alltäglichen Anschauungsweise einen großen Reichthum von Naseweisheit, die sich ohne große Schwierigkeiten zu einer besondern [377] Wissenschaft, der Rhinologie (von dem griechischen „Rhin“ die Nase) zusammenschmelzen und läutern lassen mag. Wir wollen für diesen edlen Zweck wenigstens einige Hauptnasen zum Besten geben und zwar ohne heimtückische Absicht, den Lesern eine damit machen zu wollen.

Figur 1.

Um uns nicht bei allgemeinen Betrachtungen aufzuhalten oder in die komische Seite des Themas zu verlieren, z. B. daß wir Menschen von dem Schöpfer überhaupt als Vorzug vor den Thieren (wovon Nasenaffen und das Rhinoceros nur eine scheinbare Ausnahme machen) eine Nase gekriegt haben oder daß nach Abraham a Santa Clara die Nase im Alter zum Kalender wird und feuchtkaltes Wetter andeutet, wollen wir zunächst den Finger an die Nase legen, um dadurch unsern Scharfsinn für Untersuchung folgender Fragen zu wetzen: mit welchen Eigenthümlichkeiten des Charakters steht die Nase in ihren verschiedenartigen Formen in Verbindung? Sie ist bekanntlich das eigentliche Vorgebirge der

Figur 2.

Gesichtslandschaft und läßt sich mit der Spitze eines abgestumpften Keiles vergleichen, zu welchem der Kopf den Schaft bildet. Ihr Amt als Riechwerkzeug und Lungenschornstein kommt hierbei nicht in Betracht; sie gilt uns hier nur als ein vorgestrecktes Ausdrucksorgan für den sich äußernden inneren Charakter des Menschen und die Art und Weise dieser Offenbarung, also für sein Benehmen und Auftreten in Gesellschaft. Man kann dem Menschen Vieles, aber durchaus nicht Alles an der Nase ansehen. Zur wahren Menschenkenntniß gehört eben mehr. Aber die Neigungen, die Grade der Energie für sein Handeln und der Reizbarkeit oder Geduld und Selbstbeherrschung prägen sich vielfach in der Bildung der Nase aus. Wie nämlich die mittlere Partie des Kopfes mit den Wangen unseren: Gefühl, unserem eigentlichen Ich mit all’ seinem inneren Leben entspricht,

Figur 3.

so verräth die daraus hervortretende Nase je nach ihrer Gestaltung die verschiedenen Neigungen zum Heraustreten unseres Ich, unserer Persönlichkeit gegen unsere Umgebung, und zwar für den Kenner um so deutlicher, als wir auch bei der ausgebildetem Gesichtsschneidekunst die Nase wenig oder gar nicht nach unserem Willen bewegen können. Man kann wohl durch verschiedene Mittel Anderen eine Nase drehen, aber am allerwenigsten durch die eigene. Bei der soliden Naseweisheit kommt es zunächst auf die Größe dieses Ausrufungszeichens im Gesicht an. Sie deutet die Stärke des Triebes zur Bethätigung nach Außen im Allgemeinen an, sodann auch der Sprache und den Grad der Neigung des Gemüthes, in Rede und Handlung auf die Außenwelt einzuwirken.

Figur 6.

Die Sprache ist schon aus akustischen Gründen bei einem größeren Resonanzboden der Nase stärker, wobei wir nur beiläufig bemerken wollen, daß das sogenannte Sprechen durch die Nase seltener ein Naturfehler, als Folge von Vernachlässigung und einer egoistisch-spöttischen Ueberhebung ist, weshalb auch fast alle Amerikaner und eingebildete Aristokraten häßlich näseln.

Als Regel hat das männliche Geschlecht mit mehr Energie auch eine größere Nase, als das weibliche, und wehe dem Manne, welcher der Amazonen- oder Feldherrnnase seiner zarteren Hälfte nicht einen bedeutend größeren Zinken entgegenstrecken kann! Zwar nicht ein Damoklesschwert, wohl aber ein mächtiger Pantoffel schwebt immer drohend über seinem untergeordneten Riecher, wenn nicht etwa ein stark hervortretender Unterkiefer ihn für die stiefmütterliche Ausbildung seiner Nase entschädigt. Männer, welche sich hierbei an die Nase fassen und sie vergleichungsweise groß finden, mögen darüber nicht zu früh triumphiren, denn die große Nase allein schützt durchaus nicht vor dem Pantoffel, um so weniger, je stärker die Nase nach vorn und je mehr das Kinn

Figur 7.

zurücktretend erscheint, wie an dem Profile,

das wir mit Fig. 1 bezeichnet finden.

Wie in unseren Militärstaaten sich der Kriegerstand durch entschiedenes und freies Benehmen auszeichnet, finden wir auch unter ihnen die größten und ausgebildetsten Nasen, und selbst der platt- oder stumpfnasige Bauernjunge kehrt aus seiner zwei- oder dreijährigen Dienstzeit mit einer besser formirten Nase zurück. Die Juden concurriren mit den Officieren nur scheinbar, da bei ihnen der obere Theil der Nasenwurzel, aus welchem der persönliche Muth spricht, nur sehr schwach ausgebildet ist. Die große Nase ohne dieses Muthzeichen verkündet nur den sich in Alles mischenden Schwätzer, wie wir es dem Profile Figur 7 ansehen, während die eigentliche Heldennase des unternehmenden

Figur 8.

und energisch handelnden Menschen, sich dadurch auszeichnet, daß die Wurzel sich im Profile hoch aus dem Grunde des Gesichts hervorhebt. Man vergleiche für diesen Zweck die Nasen Napoleon’s, Cäsar’s, Apollo’s, Diomed’s (Fig. 6), die Hercules-, Menelaos (Fig. 3) und Achillesnase (Fig. 2) mit der des geschwätzigen und muthlosen Paris (Fig. 7). Um es kurz zu fassen, werden Menschen mit überhaupt großen Nasen immer verhältnißmäßig energischer, ruhiger und kaltblütiger in allen ihren Lebensthätigkeiten und Aeußerungen erscheinen, als kleinnasige. Freilich ist Größe noch ein sehr allgemeiner Begriff, mit dem allein sich wenig anfangen läßt, da Alles wesentlich auf die Art und Form der Größe und die Verhältnisse zu anderen Gesichtstheilen ankommt. Um die Größe selbst genauer zu messen, kommt es

Figur 9.

auf die Höhe, d. h. die senkrechte Entfernung der Linien vom Anfange bis zum Ende der Nase (a – b in Figur 1), auf die Breite und die Tiefe, d. h. die Länge der Linie von der äußeren Grenze bis zur Backe (e – d in Figur 4) an. Die Höhe steht ziemlich sicher in gleichem Verhältniß mit dem Grade der Kraft in Ertragung von Gemüthseindrücken und in der Geduld, sich Alles gefallen zu lassen. Da nun eine bloß hohe Nase ohne Tiefe und Breite weiter nichts ist, als eine lange Nase, können wir uns nicht wundern, daß viele Menschen mit einer solchen abziehen müssen. Der Michel, der sich Alles gefallen läßt, hat bloß die Nase von Fig. 8, wogegen Menschen mit reizbarem ungeduldigem Wesen sowohl eine kürze als meist concave, d. h. nach innen abfallende Nase haben, wie die Profile 9 und 10. Doch kann ein solcher Nasenbesitzer auch viel Energie, Lebhaftigkeit und heiteren Sinn entwickeln, besonders wenn sich Fig. 9 noch mehr zum naiven. „Guck in die Welt“ und Stumpfnäschen gestaltet.

Figur 10.

Die ewig Unzufriedenen, besonders die gewerbsmäßigen politischen Weltverbesserer haben weder feine noch hohe Nasen, sondern wohl immer entschieden niedrige. Ueberhaupt hängt Zufriedenheit mit der Höhe der Nase zusammen und zwar meist zugleich mit dem Unterkiefer. So fehlt z. B. allen Personen mit einem Gesicht wie Fig. 8 das Wesen der eigentlichen Leidenschaften, ohne welche nach Hegel nichts Großes geschehen kann.

Die breite Nase deutet fast immer auf bedeutende Körperkraft und Mangel an Eleganz und Feinheit in der Bewegung, so daß der Besitzer einer solchen eher in den Kampf und zu Herculesarbeiten paßt, während der Feinnasige sich durch geistige, namentlich Verstandesarbeit und auch im Salon leicht auszeichnen wird. Gehört die feine und kleine Nase einem Mörderangesicht, so wählt er als Werkzeug den Dolch, der Verbrecher mit breiter Nase dagegen die Axt oder Keule.

[378] Die Nasen an antiken Kunstwerken sind fast immer breit, besonders der Rücken, der nicht selten eine förmliche Fläche bildet, während moderne Nasen, die sich in höheres Culturleben stecken müssen, mehr oder weniger zugespitzt erscheinen. Ein Hercules würde mit seiner starken, breiten Nase sich weder als Tänzer im Cotillon noch als Mitarbeiter der Gartenlaube auszeichnen.

Aber auch die Tiefe der Nase, d. h. die Ausdehnung von der Wangenfläche bis zur vorderen Profil-Linie (also e–d in Figur 4) hat etwas zu bedeuten. Sie bildet als solche das wahre Vorgebirge der Energie und Muskelthätigkeit und besonders auch der Stimmbildung, worüber wir in der berühmten Gesangschule des unlängst in Berlin verstorbenen größten Meisters der Gesangsbildung, des Directors und Professors C. G. Nehrlich, überraschende Aufschlüsse finden.[1] Die Nase tritt im Durchschnitt bei allen Geschöpfen desto mehr aus der allgemeinen Masse des Oberkiefers,

Figur 5.

also der Wange, hervor, je vollkommner ihre sonstige Organisation sich gestaltet und der menschlichen sich nähert. Bei den Thieren erstreckt sich der Oberkiefer mit unausgebildeter Nase mehr oder weniger nach vorn, so daß die Profillinie der letzteren nicht, wie beim Menschen, beinahe senkrecht, sondern ziemlich horizontal gerichtet erscheint. Ohne uns hier auf noch unsichere Einzelnheiten einzulassen, wollen wir nur bemerken, daß die Nase desto mehr hervortritt, je ausgebildeter die Triebe zur Bewegung, zur Handlung und Leidenschaft sich geltend machen, und umgekehrt. So können wir menschlichen Wesen gegenüber immer ziemlich sicher darauf rechnen, daß wir einer stark hervortretenden Nasenspitze und Oberlippe nicht ungestraft etwas Aergerliches oder nur Verdrießliches zeigen oder sagen dürfen (Fig. 5). Der unverständige und anmaßende Mensch besitzt immer eine stark vorspringende Nase und Oberlippe und spricht sich gewöhnlich ohne nähere Prüfung über Alles aus, mag dazu noch so viel Kenntniß und Wissenschaft gehören. Es ist so recht eigentlich der naseweise Mensch. Vorsichtige Prüfung, auf Erkenntniß gegründete Bescheidenheit und überhaupt geistige Durchbildung trägt in der Regel eine mehr senkrecht verlaufende Nase (Fig. 4). Auch die stärkere Ueberwölbung

Figur 4.

des oberen Nasentheiles durch das Gehirn und dessen Umhüllung bildet als physiognomische Eigenthümlichkeit in ihrer verschiedenen Gestaltung einen bedeutenden Theil für Beurtheilung der mehr oder weniger gebildeten Willens- oder Geisteskräfte. Diese Wölbung ist nach Vogt die eigentliche Sprachhalle. Personen ohne diese Wölbung sprechen schlecht und ernstliche Verletzung dieses Theils kann sogar alle Fähigkeit zu sprechen vernichten. Die Einzelnheiten darüber gehören theils in das Gebiet der Phrenologie, an welche viele Menschen überhaupt nicht mehr glauben wollen, theils in das Bereich der eigentlichen Physiognomik, worüber neuerdings Dr. Piderit ein glänzend ausgestattetes und verständigeres Buch geschrieben hat, als vor hundert Jahren Lavater. Jedenfalls gewinnt bei dieser Wissenschaft auch die Nase sehr viel, so daß ein guter Physiognomiker diesem Gesichtsvorsprunge viel mehr ansehen kann, als wir uns hier zutrauen. Wir begnügen uns in Bezug auf die Tiefe oder Höhe der Nase mit der Bemerkung, daß sie durch ihre Art des Hervortretend aus dem Grunde, d. h. der Wange, und durch die Gestaltung der Profillinie die verschiedenen Grade freier Beweglichkeit und Energie im Auftreten und Benehmen in sehr feinen Unterschieden bekundet und menschliche und verständige Bildung in desto höherem Grade vermuthet werden kann, je mehr die Wange zurücktritt und die Nase sich ohne Verstärkung nach vorn durch anständiges Hervortreten physiognomisch geltend zu machen weiß. Das Hervortreten unten als knorpelige Knuppe oder fleischiger Fletsch läßt mindestens immer auf einen ungebildeten, von Vorurtheilen, Sinnlichkeit und Leidenschaft beherrschten Geist schließen, letzteres besonders wenn die Nüstern sich ungewöhnlich ausdehnen und blähen.

Außerdem kommt viel auf die Schärfe oder Stumpfheit der Nase an. Wie nämlich das Heraustreten unseres Ichs aus seiner Innerlichkeit vor unserem Mitmenschen in seiner Art und Weise das Benehmen ausmacht, so kündigt sich dies am hervortretendsten durch den Gesichtsvorsprung, die Nase, an. Man fragt: wie benimmt sich Jemand? Mit welchem Grade von Anstand, Sicherheit und Bestimmtheit tritt er in Gesellschaft auf? Die offenste und ehrlichste Antwort darauf giebt immer die Nase. Das Thier hat im Vergleich zu uns so gut wie gar keine oder nur eine stumpfe Andeutung. Es hat deshalb auch keine Gemessenheit, keine Bildung in seinem Benehmen; es fragt nichts danach, wie es seine Triebe befriedigt, und frißt und säuft namentlich ziemlich unästhetisch. Nicht viel besser machen es die Neger, die stumpfnasigen Bauern und kleine, ungezogene Kinder, welche sich sämmtlich durch ungeschliffene stumpfe Nasen auszeichnen. Auch haben Stadtbewohner, die mehr geistig leben, fast immer bestimmtere Nasen, als Landleute und kleinstädtische Ackerbürger, und die Aristokraten,

Figur 11.

besonders höhere Officiere, welche vom Cadettenhaufe an sehr streng gehalten wurden und sich durch ein gemessenes Benehmen auszeichnen, werden durch diese Schule in der Regel eine gebildete, mehr oder weniger scharf geschnittene Nase bekommen haben. Die Südländer, Italiener, Spanier und Franzosen, zeichnen sich durchweg oft bis in die niedrigsten Stände durch feines Benehmen und äußeren Anstand vor den meisten anderen Völkern aus und haben deshalb meist viel feiner gebildete Nasen, als die plumpen Niederländer und die meisten Völker germanischen Stammes, die, Gott sei Dank, durch inneren Werth und Gemüthlichkeit ersetzen, was ihnen an feinen Linien der Nasenumrisse und des Benehmens fehlt. Wir können übrigens Allen, welche mit ihrer Nase nicht zufrieden sind, zum Troste mittheilen, daß sie selbst zu deren feinerer Ausbildung wesentlich beitragen können. Gute Erziehung, Selbstbeherrschung, Geistesthätigkeit, Achtung und Anstand gegen unsere Nebenmenschen ziert und ehrt nicht nur den Menschen überhaupt, sondern verschönert auch die Nase, und zwar so sicher und bestimmt, daß einige Rhinologen schon behaupten wollen, man könne die verschiedenen Geistesthätigkeiten schon an der Gestaltung

Figur 12.

der Nase erkennen. So sprechen sie von theologischen, Philosophen- und Künstlernasen. Stumpfnasige Bauerjungen sollen fast immer mit einem schärfer ausgebildeten Gesichtsvorsprunge aus ihrer militärischen Dienstzeit zurückkehren. Wer diese Zwangsexercitien für gemesseneres Benehmen mit sich selbst vornimmt, kann also ebenfalls zur Veredelung seiner Nase viel beitragen. Schon die Uebung im klaren Denken und deutlicher, klarer Aussprache wirkt vortheilhaft auf die Umrisse, Linien und Kanten dieses Gesichtstheiles! Deshalb haben auch gutbenaste Menschen immer eine bessere Aussprache, Stimmbildung und Accentuation, als Kinder und kindische Menschen mit ihren stumpfen Stülpen oder Knuppen. Doch wollen wir damit durchaus nicht die Stumpfnasen verurtheilen. Wenn sie nicht zugleich gar zu entstellt und klumpig zwischen den beiden Backen liegen, geben sie nicht selten den Ausdruck der Gutmüthigkeit, die sich denn auch dahinter mitten in einem mehr oder weniger großen Reichthum von Gefühl und Gemüthlichkeit geltend macht. Deshalb findet man auch unter den Deutschen die meisten und besten Stumpfnasen. Freilich wird dieses Gefühl oft zur Schwäche und unmännlichen Weichheit, welche von der habichts- und spitznasigen, schnöden Welt gar zu oft mißbraucht wird. Deshalb thun diese Nasenbesitzer gut, wenn sie sich möglichst zu männlicher Thatkraft zwingen und durch heroische Entschlüsse ihren Witz spitzen und schleifen, wodurch mit der Zeit auch ihre Nasen etwas Schliff bekommen. Doch hüte man sich bei dieser Schleiferarbeit, die Nase concav auszuhöhlen und nach vorn zuzuspitzen, denn das giebt eine Gestalt, wie wir sie in dem Profil Fig. 11 sehen, die küchenschnüffelnde, topfguckerische Spionirnase, welche wie die Schnabel mancher Sumpfvögel nicht blos zum Riechen, sondern auch zum Eindringen und Aufschaufeln aller möglichen müllhaften und sumpfigen Abflüsse und Abfälle des [379] Lebens gebraucht wird. Mit diesen Nasen riecht man Vieles, was andere Leute mit den Augen und dem Gehör nur deshalb wahrnehmen, um ihre Nase davon abzuwenden. Sie wittern und erschnüffeln eine ganze Menge geheimnißvolle Dinge, die besser im Sumpfe und in den Müllhaufen des Lebens stecken bleiben, und auf welche diese Art von Nasenbesitzern mit ihrer klatschigen Neugier gerade stolz sind. Aber auch der zu sehr in umgekehrter Form ausgebildete Gesichtsvorsprung, wie der in Figur 12, kann anderen Leuten unbequem werden, da dieses Zeichen zu großer Energie in unseren bürgerlichen Verhältnissen leicht dazu führt, anderen Menschen zu viel Gehorsam und Abhängigkeit von diesem Haken zuzumuthen. Personen mit dieser Nase treten gar zu entschieden in der Gesellschaft auf, und wenn letztere zugleich noch ziemlich kurz ist, lassen sie andere Leute kaum zum Worte kommen. Solche Helden passen deshalb mir gut vor die stummgehorchende Compagnie oder auf das Schlachtfeld. Da wir aber Alle auf dauernden Frieden hoffen, wollen wir diesen Herren oder Damen für ihren Thätigkeitstrieb einen möglichst großen Wirkungskreis wünschen, in welchem die Leute ihrer Herrschaft schon an der Nase ansehen können, daß es nicht gerathen sei, faul oder unredlich zu sein.

„Nase: gewöhnlich,“ heißt es oft auf Passen, in Dienstbotenbüchern und sogar Steckbriefen. Personen, welche ihrer Nase ein ähnliches Zeugniß geben müssen, brauchen sich darum nicht zu grämen, denn sie können viele Vorzüge und Tugenden besitzen, welche zu gut sind, als daß sie sich auf die Nase binden ließen. Nach dem Ausspruche eines Bildhauers darf fast Niemand seiner Nase nachgehen, um einen geraden Weg einzuschlagen, denn die meisten stehen etwas schief, d. h. nach links oder rechts im Gesicht. Ob dies etwas Besonderes zu bedeuten habe und vielleicht mit politischen Richtungen in Verbindung stehe, wollen wir mit größerer Naseweisheit begabten Gelehrten zur Entscheidung überlassen.



  1. Nehrlich war auch Stimmbildungslehrer des Kronprinzen von Preußen, dessen wohllautende Sprache berühmt geworden ist, und Lehrer des einst großen Sängers Pischel, der in seiner Selbstbiographie offen bekennt, daß er seine Stimme nur ihm verdanke. Seine „Gesangschule“ war vergriffen. Noch vorgefundene Exemplare sind von der Hanke’schen Antiqurienhandlung in Berlin angekauft worden.