Nachwort zu den Sagen aus der Provinz Sachsen
Die fünfzig Sagen aus der Provinz Sachsen, welche die Hefte 1–10 bieten, sind alle mit Ausnahme von No. 4 und 5 in Heft 4 und 5 von mir selbst in meinem Heimatsdorfe Vehlitz bei Magdeburg gesammelt worden, ebenso wie die 170 Nummern des Aberglaubens. (Schluss Heft 11.) Von den Sagen wurde mir die grösste Anzahl daselbst im Jahre 1876 mitgeteilt, wogegen ich den Aberglauben eben dort vor etwa dreissig Jahren zu sammeln begonnen, besonders aber in den Jahren 1875–76 zusammengetragen habe. Den Aberglauben verdanke ich Frau Adler sen. und ihrer Schwiegertochter sowie Frau Ulrich und den Herren Brandt, Eberth, Schirmer, Richter.
Von den Sagen war früher nur diejenige bekannt von dem Riesenstein (Heft 1, S. 22), und zwar durch eine Veröffentlichung von Kuhn und Schwartz in den „Norddeutschen Sagen“ u. s. w., wo dieselbe in unwahrscheinlicher Fassung und nicht richtiger Ortsbestimmung geboten ist, sowie der Name der Drachenbäume, welche noch vor kurzem der Wissenschaft [387] überhaupt unbekannt waren, von mir zuerst in meinen Vorträgen in der Berliner anthropologischen Gesellschaft in den Jahren 1877 und 1878 derselben überwiesen sind (wie gleichzeitig die Namen einer Anzahl von wendischen mythologischen Gestalten, Dämonen und Unholdinnen, welche von mir zuerst gefunden waren).
Der Unterzeichnete erlaubt sich deshalb diese Bemerkung, weil die berührte Thatsache den Beweis liefert, wie ausgiebig ein einziges Dorf an Überlieferungen zu sein vermag, sodann welche wichtigen Ergebnisse eingehende Nachforschungen bieten, wie solches nach seiner Ansicht die Drachenbäume erweisen mit der an ihnen haftenden Sage, die Sage von der Beschützerin der Kühe, dem Johannisopfer mit den sprechenden Fischen, dem Verschwören am Hexentopfe, der Klage – und ich denke wohl auch die Fassung der Pumputüberlieferung – sowie solche Nummern von dem Aberglauben wie die Purken, der Sonnenschuss, der Donner, welcher die Steine in der Erde emporsteigen lässt, und manche andere.
Mögen diejenigen von den jüngeren Forschern, welche ihre Neigung der Sammlung von Volksüberlieferungen zugewandt haben, daraus ersehen, dass noch heute in jedem deutschen Dorfe für die Wissenschaft der Volkskunde gar vieles zu gewinnen ist, aber auch zu der Überzeugung gelangen, dass ein angehender Sammler nirgends sich besser schulen lernt als in seiner Heimat, wo er mit allen Verhältnissen auf das genaueste vertraut ist; so hat der Unterzeichnete zuerst die Überlieferungen und Bräuche seines Heimatdorfes gesammelt, – veröffentlicht erst jetzt – um dann bei den Wenden, darauf aber bei den Žamaiten in Russland seine Erfahrungen in bezug auf das Sammeln von Volksüberlieferungen zu verwerten.
Im übrigen kann von einer Volkskunde, welche sich auf die Bräuche und Überlieferungen des Volkes gründet, in unserem deutschen Vaterlande erst dann geredet werden, wenn das Durchstreifen einer Gegend und zufällige Auffinden der Sagen vermieden, nach fester Ordnung eingehende zielbewusste Nachforschung in jedem Bezirk, in jedem Dorf angestellt wird.