Nachbarskinder (Gartenlaube 5/1896)
[84] Nachbarskinder. (Zu dem Bilde S. 81.) Sie waren Spielgenossen in der goldenen Kindheit; wie Bruder und Schwester wuchsen sie zusammen in dem holländischen Fischerdorf auf, und Freunde sind sie geblieben, da die Jugend mit ihren Träumen und ahnungsvollem Sehnen an sie herantrat. Da lehnte am schönen Frühlingsmorgen die erblühende Jungfrau am Fenster der Stube, unberührt stand vor ihr die Theekanne und das Stricken wollte nicht flecken. Wie wunderbar duftete heute der Flieder, wie seltsam drang der Finkenschlag in ihr Herz! Etwas Unbekanntes, eine heiße Sehnsucht drohte ihr die Brust zu sprengen – und da kommt er, ihr Jugendgespiele! Er reicht ihr die Hand zum Morgengruße und lehnt sich ins Fenster. Auch seine Stimme tönt heute so wundersam und sie versteht kaum die Worte, die er flüstert – und wie aus einem Traum erwacht sie, da er flehend zum drittenmal fragt: „Liebst Du mich?“ Daran – an die Liebe hatte sie nicht gedacht, und aus Träumen erwacht, versinkt das holde Kind wieder ins Träumen. – Wie lange wird er wohl auf die Antwort warten? Lassen wir Zeit den Nachbarskindern …
ein Strohfeuer scheint’s nicht zu sein, das der Frühling in den jungen Herzen entfacht hat! *