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Nach großem Leid

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Clemens Brentano
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Titel: Nach großem Leid
Untertitel:
aus: Gesammelte Schriften. Band 1: Geistliche Lieder. Viertes Buch: Vermischte Gedichte. S. 429–432
Herausgeber: Christian Brentano
Auflage:
Entstehungsdatum: 1835
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: J. D. Sauerländer
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Erscheinungsort: Frankfurt am Main
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google = Commons
Kurzbeschreibung:
Auch als 20. Jenner [1835] nach großem Leid bekannt
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[429]

Nach großem Leid.

Ich darf wohl von den Sternen singen,
Mich hat die Blume angeblickt,
Und wird mein armes Lied gelingen,
Dann wird vom Stern mir zugenickt.

5
„O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb’, Leid und Zeit und Ewigkeit!“

Im Garten stand die arme Waise
Und senkt den Blick zum Blumenfeld,
Die Sonne sank im Purpurgleise,

10
Die Sterne spannen aus ihr Zelt.

„O Stern etc.“

Mit euch wag’ ich mich auszusprechen,
Ihr kennet mich, und bin ich stumm,
Weil mir das kranke Herz will brechen,

15
Bringt ihr mich nicht mit Fragen um.

„O Stern etc.“

[430]
Ihr lieben Blumen still und innig,

Ein Tröpfchen Thau, ein Licht, ein Hauch,
Ihr lieben Sterne klar und sinnig,

20
Ein Strahl, ein Blick, ein Blitz, ein Aug’.

„O Stern etc.“

Und wie die Sterne heller blinken
Beugt Schatten sich auf’s Blumenfeld,
Und auch des Kindes Augen sinken,

25
Der Traum sie in den Armen hält.

„O Stern etc.“

Ihr Engel steiget auf und nieder,
Bringt Sternenlust, bringt Blumenschmerz,
Und küßt die unerschaffnen Lieder,

30
Und legt sie schlafen auf ihr Herz.

„O Stern etc.“

Und wiegt die Thau berauschte Rose
Im Dornenbettchen bald zur Ruh’,
Und schließt dem Veilchen in dem Moose

35
Die frommen Augen segnend zu.

„O Stern etc.“

Die Blumen all, die farbig prangen,
Sind bald, ach bald nicht mehr zu sehn,
Die Nacht nahm ihre Pracht gefangen,

40
Nur eine Schaar blieb betend stehn.

„O Stern etc.“

[431]
Sieh dorten um die süße Linde

Steht eine reine Lilienschaar,
Der Engel zeigte sie dem Kinde,

45
Sie leuchteten ganz wunderbar.

„O Stern etc.“

Der Engel sprach: „Mein Kind, o sehe
Die Lilie unter Dornen dort,
Das Licht wird Fleisch, horch: „Es geschehe

50
Der Magd des Herrn nach deinem Wort!“

„O Stern etc.“

„Die Lilie spinnt nicht, doch es webet
Aus ihr das Wort sich einen Leib,
Zur Jungfrau ist das Licht geschwebet

55
Und Mutter Gottes ward das Weib.“

„O Stern etc.“

„Und als der Geist sie überschattet,
Deckt rings die Nacht das Blumenfeld,
Der Lilie nur das Licht sich gattet,

60
Das auf den Leuchter wird gestellt.“

„O Stern etc.“

„Die Lilie, die nicht zieht, nicht schweifet,
Nicht fallen läßt und wieder sucht,
Die sehnend still zum Lichte greifet,

65
Sie fand das Licht und trug die Frucht.“

„O Stern etc.“

[432]
So sprach der Engel zu dem Kinde,

Und führt es zu der Lilie Licht,
Da kniet es nieder an der Linde

70
Und fand im Traum die Worte nicht.

„O Stern etc.“

Da sprach zum Kind die reine Lilie,
Die nie vorher gesprochen hat:
„Wach auf, wach auf zu mir, Cäcilie,

75
Sing mit mir das Magnificat.“

„O Stern etc.“

Ob sie es sang, ich kann’s nicht sagen,
Sie hat mich träumend angeblickt,
Es hat ihr Herz bewegt geschlagen,

80
Es hat ihr Haupt mir zugenickt.

„O Stern etc.“

Das kalte Wissen ist ermattet,
Das milde Fühlen war erwacht,
Die Blumen waren überschattet,

85
Die Liebe hat mich angelacht.

„O Stern etc.“

Geh’, armes Lied, und sag’ der Lieben:
„Es hat ein Herz zum Tode krank
Mich unter Thränen aufgeschrieben,

90
Und zagt, ich sei dir nicht zu Dank!“

„O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb’, Leid und Zeit und Ewigkeit!“