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Nach Spandau fahren!

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Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Nach Spandau fahren!
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 283–287
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[283]
96. Nach Spandau fahren!
(1631.)

Gustav Adolf, König von Schweden, der Held des Nordens, der zur Rettung des evangelischen Glaubens nach Deutschland gekommen war, weilte im kurfürstlichen Schlosse zu Spandau. Dies vernahmen einige ehrsame Hamburgische Kaufleute, die mit 34 beladenen Wagen von Magdeburg (kurz vor dessen gräulicher Zerstörung) nach Hamburg heimkehrten. Nun ist’s bekannt: Hamburger mögen gern etwas Neues sehen, und wenn sie auch ihrer freien Stadt mit Leib und Seele angehören, so hindert das doch nicht, daß sie rennen und laufen, um ein gekröntes Haupt zu Gesicht zu bekommen, weil’s zu Haus kein solches giebt und königliche Pracht etwas [284] Rares ist. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn gedachte Hamburger unterwegs die Neugier plagte, den großen König Gustav Adolf von Angesicht zu sehen, der so viel von sich reden machte; doch kam wohl auch eine edlere Wißbegier und der Wunsch hinzu, dem Helden, der des bedrängten Lutherthums Hort war, ihre Verehrung zu bezeugen. Genug, da sie nun auch gute Geschäfte gemacht, ihre Säckel gefüllt hatten, und es ihnen also auf einige Tage Umweg und vermehrte Kosten nicht ankam, so resolvirten sie sich dazu, erst nach Spandau zu fahren, um den König zu sehen. Als sie nun daselbst anlangten, fand ihr Gesuch um Audienz sogleich Gewährung. Der König empfing die Hamburger mit aller Civilität und Freundlichkeit, sagte: er sei äußerst gerührt über der Herren angenehmen Besuch, forschte nach der Einzelnen Namen, Stand und Würden daheim, erkundigte sich nach dem Befinden der Frau Liebsten u. dgl. m.

Nun war der König der Zeit grade sehr knapp bei Cassa, und noch Morgens hatte er seinen Großkanzler gefragt: Oxenstjerna, woher nehmen wir das Geld für die Soldateska, der wir schon etliche Monate schuldig sind? Und just, ehe der antwortet, kommt die Botschaft, daß 34 reiche Hamburger Wagen angelangt seien und daß deren Eigner königliche Majestät zu sehen wünschten. Da hat der Oxenstjerna seinen Herrn bedeutungsvoll angeblickt, und nur gesagt: der Himmel thut ein Wunder und schickt als helfende Engel der Hamburger Kaufleute. Und der König hat ihn verstanden, etwas geseufzt, aber gesagt: wohlan, weil’s sein muß!

Darum als er nun mitten in der Audienz die Hamburger wohl vergnügt sieht, da rückt er ihnen traulich näher und sagt: liebe Herren, so und so steht’s bei mir, Geld brauch’ ich zu Euer Aller Heil, Geld hab’ ich keins, darum, leiht mir auf königliche Parole, Brief und Siegel, was ihr an Baarschaft [285] bei Euch führt, aus Liebe zu mir, zur Ehre Gottes und zur Rettung des evangelischen Glaubens.

Solch königliches Wort und Ansinnen hat nun die Hamburger gewaltig verschnupft und aus ihren Himmeln unsanft herabgestürzt, daß sie erstarrt dastanden und sich schwer verwirrt anblickten. Denn „in Geldsachen hört alle Gemüthlichkeit auf“ und „Borgen macht Sorgen.“ Gleichwohl war’s eine verlegene Parthie, dem Helden des Nordens solch freundlich Gesuch abzuschlagen, jetziger und späterer Folgen wegen. Entschuldigten sich also die Hamburger nach manchem Räuspern gar höflich, wie daß es ihnen unendlich Leid thue, königlicher Majestät absolut nicht dienen zu können, sintemal sie nichts Sonderliches an Baarschaft bei sich führten, was der Ehre werth sei, Se. Majestät zu vergnügen. Hierauf aber erwiederte der gute König ganz freundlich, er wüßte schon Bescheid, daß es ein Erkleckliches betrüge, und wenn’s etwa nicht langte, so könnten sie ja auch mit den 34 Wagen in die Bucht springen, in denen würden seine Leute vielleicht das Glück haben, etwas zu finden. Da war’s freilich den Hamburgern zum Verzweifeln, aber sie waren in des Königs Gewalt, mußten darum gute Miene zum bösen Spiel machen, und die Säckel auskehren, darinnen sich denn noch 80,000 Thaler baar befanden, die des Königs Großkanzler einstrich und jedem Kaufmann für sein Theil einen königlichen Schuldschein über empfangenes Darlehen überlieferte.

Nun war unter den Hamburger Kaufleuten auch Herr Dr. Johannes Moller, Pastor zu St. Perti allhier, der seine Vaterstadt Breslau besucht und von Magdeburg aus mit jenen heimreisete. Den ließ der gute König in der Schloßkirche zu Spandau vor ihm und seinen betrübten Hamburger Gästen, zu deren geistlicher Stärkung im weltlichen Ungemach, predigen. Aber obgleich Herr Pastor Moller über den ihm aufgegebenen [286] Text: Ev. Matth. 19, 21: „gehe hin, verkaufe, was du hast, und gieb’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben,“ (und Vers 23) „denn ein Reicher wird schwerlich ins Himmelreich kommen,“ einen gar beschaulichen und erbaulichen Sermon hielt, dennoch wollt’ es bei den Unsrigen nicht verfangen, und sie blieben, was man damals hieß, „verstörzt.“ Und selbst die Ehren und Freuden der königlichen Tafel, bei welcher sie auf Sr. Majestät freundliche Einladung als seine lieben Gäste erschienen, konnte ihren melancholischen Tiefsinn nicht zerstreuen; und einigermaaßen froh waren sie erst, als sie mit gutem Urlaub und Geleitsbrief vom Könige entlassen, sich wieder mit ihren glücklich geretteten 34 Wagen etliche Meilen von Spandau auf dem Wege nach Hamburg befanden. Herr Pastor Moller hatte gut trösten, der hatte natürlich kein Geld gehabt, also auch keins verborgen müssen, sondern noch obendrein für seine Predigt ein ansehnliches Douceur als königliche Verehrung bekommen, war also der Einzige, der bei dieser unglücklichen Fahrt nicht übel gefahren war.

Und daheim in Hamburg, als die Geschichte ruchtbar wurde, ist viel Redens davon gewesen, viel Bedauerns und Wehklagens über die ausgezogenen Vettern und Gevattern, auch viel Zürnens und Scheltens gegen den König, von dem man sich Besseres vermuthet hatte, als solch ungastliches Benehmen gegen redliche Hamburger Bürger. Und darunter war der alte Rathmann Hermann Rentzel, der vergaß es dem König nicht, und wenn er später von irgend einer übeln Vergeltung eines ehrlichen Vertrauens hörte, so pflegte er die Stirn zu runzeln, heftig auszuspucken und zu sagen: „Pfui Deubel, dat heet ick na Spandau fahren, um den König to sehn!“ Welche Redensart in diesem Sinne sprüchwörtlich geworden ist. Bei Andern aber war viel Lachens und Spottens über die Geschichte, denn es liegt einmal in der Menschen [287] Natur: wenn Einer ehrbar einherschreitet und stolpert plötzlich und fällt, so lachen die Umstehenden. Und diese meinten: was brauchten Jene von grader Straße abzulenken, um einen Potentaten zu sehen? es geschieht ihnen schon recht, und hatten sie wirklich so viel warme Verehrung für den Helden des Nordens, so müssen sie auch mit Vergnügen seiner Sache und dem Evangelio mit einigen 1000 [M.][1] von ihrem Mammon ein Opfer bringen können. War’s aber nicht das, so war’s eitel Neugier und Fürwitz. – Und bei diesen Leuten wurde es auch gebräuchlich, von einem fürwitzigen Menschen, der bald übel anlaufen wird, sprüchwörtlich zu sagen: „de fahrt ook hen na Spandau, um den König to sehn!“ – Und so wurde das „na Spandau fahren“ eine Hamburger Redensart, die jetzt freilich, wie ihre Entstehungsgeschichte, verschollen ist.

Es muß aber zu Ehren des großen Königs Gustav Adolf noch erzählt werden, daß die von ihm mit so unwiderstehlicher Freundlichkeit jenen Hamburgern abgeliehenen 80,000 Thaler zwar erst nach seinem Tode (denn er starb leider schon im nächsten Jahr darauf), doch bei Heller und Pfennig von der Krone Schwedens, nach dem Westphälischen Frieden, Ao. 1650, gegen Einlieferung der königlichen Schuldverschreibungen, den Gläubigern oder ihren Erben zurückgezahlt worden sind.

Anmerkungen

[386] In fast allen Chroniken und Geschichtsbüchern als Thatsache erzählt, z. B. Steltzner III. 258 ff. Zimmermann S. 515.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mark