Mutter und Tochter
Thiers hat in einer seiner jüngsten Parlamentsreden den „westphälischen Frieden“ als eine der „bewunderungswürdigsten“ Thaten der Politik Frankreichs gepriesen. Vom französisch-chauvinistischen Standpunkt mit vollem Recht. Mit demselben Rechte beklagen wir jenen Frieden als die Quelle all der Uebel, welche Deutschland bis zu den Befreiungskriegen auf die unterste Stufe nationaler Würde und Macht niedergedrückt hatten und deren Einfluß aus den höheren Regionen erst durch unsern letzten Krieg gegen Frankreich völlig verbannt worden ist – wie wir im neuen deutschen Reich wenigstens erwarten.
Der schlimmste Artikel jenes Friedens ist derjenige, welcher auf Frankreichs Betreiben den Reichsfürsten fortan uneingeschränkte Landeshoheit verlieh. Dafür waren die Fürsten dem Franzosenkönige auch dankbarer, als sie sich für die größten deutschen Kaisergnaden je bezeigt hatten: sie wurden größtentheils selbst sammt ihrem ganzen Gefolge Zöglinge und Lehrjungen in der Schule des Franzosenthums, und es gab Manche, die es darin bis zur Meisterschaft gebracht haben.
Französisch wurde die Sprache, die Sitte, die Kleidung, die Erziehung, kurz Haus und – Herz der gesammten „höheren und höchsten“ Gesellschaft, die über dem ungeheuren „Pöbelhaufen“ des deutschen Volks im Olymp der „Schlösser“ schwebte; so ziemlich jedes Schloß ward eine Heimstätte des Franzosenthums. Die Ausnahmen waren so selten, daß sie zu den Auffälligkeiten gehörten, welche die Geschichte besonders vermerkt hat.
Diese völlige Loslösung der „höhern Gesellschaft“ vom Volke führte dieselbe, soweit sie nicht in der sclavischen Nachahmung französischen Wesens aufging, zu kosmopolitischen Anschauungen hin, mit welchen ihre Vaterlandslosigkeit leidlich aufgeputzt wurde. Gewonnen hatten diese Kreise allerdings an feineren Lebensformen, und wer die Rohheit, die an den meisten deutschen Fürstenhöfen in den Zeiten vor dem dreißigjährigen Krieg und während desselben herrschte, betrachtet, giebt gern zu, daß sie etwas Schliff sehr nothwendig hatten. Wenn nun mit diesen veredelten Lebensformen sich zugleich ein der Pflege der schönen Künste und Wissenschaften huldigender Geist vereinigte, so konnten dadurch wohl auch Erscheinungen gedeihen, auf die wir heute, nachdem so Vieles überwunden ist, mit ruhigerer Theilnahme zurückblicken können. Bedingung dafür ist aber freilich, daß wir nicht die Förderung politischer oder gar patriotischer Bestrebungen bei ihnen suchen. Selbst wo wir Männern, deren Namen jetzt im populärsten Glanze strahlen, in jenen exclusiven Cirkeln begegnen, ist an keine nationale und liberale Anschauung in unserem Geiste zu denken. Wer in den höheren Kreis hinaufgehoben wurde oder hinaufstieg, fand sich in dem kosmopolitischen Dunstkreis daheim; die wenigen Männer von deutschem Charakter vor den Befreiungskriegen waren zu eckige Gestalten für diese Welt ungestörter Anmuth.
Ein Muster solch feingeistigen Hofhalts war der der zwei merkwürdigen Frauen, deren Andenken wir diesen Artikel widmen – der Mutter, die als letzte Herzogin von Kurland, und der Tochter, die als Herzogin von Sagan in den Geschichten der gefeiertsten Schriftsteller und Diplomaten ihrer Zeiten eine große Rolle spielen.
Ueber die Herzogin Dorothea von Kurland und ihre schön-geistige Hofhaltung zu Löbichau, ihrem Landschlosse zwischen Ronneburg und Gera, hat bereits ein ausführlicher Artikel, mit einer Abbildung des Löbichauer Schlosses und Parks, im Jahrgang 1859 der Gartenlaube gehandelt. Ueber sie selbst haben wir hier noch Manches zum ersten Artikel nachzutragen; unsere besondere Aufmerksamkeit gilt aber der schönen gleichnamigen Tochter derselben, deren Bildniß diesen Artikel schmückt, welches der mittleren Epoche ihrer Schönheit angehört und dessen Mittheilung wir der A. Leesenberg’schen historischen Portraitsammlung in Berlin verdanken.
Man hat die beiden Dorotheen von Kurland und Sagan sehr oft verwechselt, obwohl sie Mutter und Tochter waren; ihre Jugend lag zwar weit auseinander, aber in ihren Charakteren und in ihren Schicksalen fand allerdings so viel Aehnlichkeit statt, daß eine Verwechslung begreiflich ist.
Der Vater der Ersteren, der Reichsgraf von Medem, gehörte zu den ältesten und geachtetsten Adelsgeschlechtern in Kurland, aber er dachte doch nicht daran, daß seine jüngste Tochter einmal seine Landesherrin werden könnte. Es war dies ein Werk seiner dritten Frau, einer Wittwe, Freifrau von der Recke, die eine kluge, freundliche, aber sehr ehrgeizige und herrschsüchtige Dame war. Mit den Kindern aus der ersten Ehe des Grafen entzweite sie sich sehr bald, der Sohn Friedrich trat in offene Feindschaft mit ihr und seine Klagebriefe über ihr Benehmen gegen ihn sind seltsamerweise von einem seiner Universitätsfreunde 1792 in Straßburg dem Druck übergeben worden, wodurch der neugierigen Mitwelt ein tiefer Einblick in die Zustände einer der vornehmsten Familien gestattet wurde.
Die schöne Dorothea wurde sehr bald der Liebling der Stiefmutter, die in ihr die Erfüllung ihrer ehrgeizige Pläne voraussehen mochte und ihr eine frühzeitige Anleitung gab, um in der Welt und vor Allem am Hofe zu Mitau zu glänzen.
Zu dieser Zeit verweilte der Abenteurer Cagliostro in Kurland und machte seinen Einfluß auch am Hofe des Grafen Medem geltend. Namentlich war Dorothea’s Stiefmutter, wie alle alternde Frauen, von Cagliostro beherrscht, denn er verhieß ihnen ein jugendlichmachendes Geheimmittel; sie vergaß darüber das junge Mädchen hinreichend zu bewachen, und da dessen Herz ebenso frühreif war als ihr Geist, so konnte es nicht ausbleiben, daß sie einige Liebesregungen empfand. Zweimal verlobte Dorothea sich heimlich, aber sie wagte nie die Einwilligung der Eltern zu erbitten, deren Ehrgeiz ihr nicht unbekannt war.
Mittlerweile war Herzog Peter von Kurland aufmerksam auf sie geworden; er sondirte erst, ob Graf Medem geneigt sein würde, ihm eine geheime Ehe mit seiner Tochter zu gestatten. Der Graf Medem lehnte diesen Antrag stolz ab; die kluge Gattin aber bearbeitete die Stieftochter dahin, daß sie eine geheime Verlobung mit dem Herzoge einging, und richtete dann eine sehr öffentliche pomphafte Trauung in’s Werk. Der ganze Adel Kurlands wurde zu einem Hoffeste in’s Schloß geladen, und als man sich untereinander neugierig fragte, was die Veranlassung sein könnte, wurden die Flügelthüren zur Schloßcapelle aufgerissen, in der wie ein lebendes Bild die reizende Braut neben dem alternden Herzog vor dem Traualtar stand. Sie war erst eben neunzehn Jahr alt geworden, fand sich aber so rasch in ihre Rolle als Landesmutter, daß sie ohne alle Verlegenheit den Ständen eine Rede hielt, als sie zur Beglückwünschung vor ihr erschienen.
Trotz aller freundlichen Beziehung zur Kaiserin Katharina gelang es indessen der jungen Herzogin nicht, ihrem Gemahl die Krone von Kurland zu erhalten, er mußte 1795 derselben feierlich entsagen und sein Land dem russischen Scepter überlassen. Er zog sich nach seiner Besitzung Nachod in Böhmen zurück, lebte auch öfter auf der von ihm erkauften Herrschaft Sagan und starb 1800.
Fünf Töchter und ein Sohn waren dieser Ehe entsprossen; der letztere hatte einen Augenblick die Hoffnungen auf die Fortdauer Kurlands belebt und wurde mit mehr Wichtigkeit behandelt als der Erbe des größten Reichs; indessen starb er in zarter Kindheit, die Krisis seines Erbländchens nur noch beschleunigend. Von den Töchtern war Dorothea von Sagan die jüngste, sie wurde am 21. August 1793 geboren.
Die Mutter Dorothea war in ihrem Enthusiasmus für große Männer zuletzt bis zu Napoleon emporgestiegen. Es sei hier noch eingeschaltet, daß auch Friedrich der Große, trotz seines Greisenalters [557] und seiner Gicht, so bezaubert von den ihm dargebrachten Huldigungen der schönen Herzogin gewesen ist, daß er ihr noch eigenhändige Zettelchen schrieb und ihr die herrlichsten Blumen und Früchte aus Sanssouci senden ließ.
Auf das Schicksal ihrer Tochter sollte diese Napoleon-Verehrung der Herzogin den nachhaltigsten Einfluß ausüben, denn die erblühende Jungfrau lernte von der Mutter sehr bald, sich ebenfalls für Napoleon zu begeistern. Die persönliche Bekanntschaft derselben mit dem Kaiser Alexander, der ja ebenfalls eine unbegreifliche Bewunderung für Napoleon hegte, steigerte nur noch die ihrige und der hohe Herr bekam durchaus keinen Korb, als er als Gast nach Löbichau kam und der Herzogin-Mutter den Antrag Talleyrand’s mittheilte, der für seinen Neffen, den damaligen Grafen Perigord, um Dorothea’s Hand werben ließ; schon im April 1809 fand die Trauung des Paars in Frankfurt am Main statt. Der Fürstbischof Dalberg vollzog dieselbe. Es war keine glückverheißende, und wie oft mögen Mutter und Tochter diese kosmopolitische Ehe bereut haben!
Napoleon’s Kriege in Spanien und Rußland stürzten ihn doch endlich vom Herzensaltar der alten Dame; sie kehrte wenigstens aus Paris nach ihren Besitzungen in Deutschland zurück. Als jedoch die Verbündeten in Paris einzogen, forderte der kluge Fürst Talleyrand sie dringend auf, dorthin zu kommen, um die fremden Souveräne durch ihre milde Vermittlung nachsichtiger zu stimmen. Kaiser Alexander und König Friedrich Wilhelm der Dritte ließen sich gern von ihr die Honneurs in Paris machen.[1] – Seit dieser Zeit lebte sie abwechselnd in Deutschland oder in Frankreich. Das Hin- und Herreisen war ihr so zur Gewohnheit geworden, daß sie die weitesten Entfernungen nicht scheute, sie reiste auch mehrmals nach Petersburg und nach Mitau, ihrer einstigen Residenz, wo sie stets wie eine wirkliche Herrscherin empfangen und gefeiert wurde. Am liebsten verweilte sie aber in Löbichau, wo am 20. August 1821 ein Nervenschlag unerwartet ihrem Leben ein Ende machte.
Ihre Tochter Dorothea wurde durch ihren Tod veranlaßt, öfter nach Deutschland zu kommen, weil die große Erbschaft ihre Anwesenheit nöthig machte; sie gefiel sich dort so gut, namentlich in Berlin, daß sie mehr dort, als in Paris lebte. Ihre Beziehungen zum Hof gestalteten sich ganz besonders angenehm, der geistreiche Friedrich Wilhelm der Vierte, damals noch Kronprinz, und seine reichbegabten Brüder huldigten der jungen Herzogin in [558] ritterlicher Weise. Konnte doch eine so glänzende Erscheinung, wie die Herzogin von Dino – damals führte sie noch diesen Titel und nannte sich erst später nach der von den beiden älteren Schwestern erworbenen Besitzung Sagan – nicht ohne großes Aufsehen durch die Welt der Gesellschaft gehen; sie stand in der Blüthe der Schönheit, war voll Geist und Phantasie und besaß Rang und Reichthum. Man betrachtete sie wie ein Meteor, und die Bewunderung war anfangs noch größer als der Neid. In Paris wurde sie ebenso gefeiert, als in Berlin, der Hof der Bourbonen hatte ihr die Sympathien ihrer Mutter für Napoleon vergeben, obwohl sie selbst dieselben getheilt und sogar ihren Erstgeborenen Napoleon Ludwig taufen ließ. Der berühmte schlaue Oheim ihres Gemahls, Fürst Talleyrand, verstand meisterhaft die Kunst, alle politischen Systeme zu seinem Nutzen zu beherrschen, was ihr zu Gute kam. Er liebte diese Nichte überhaupt sehr und ernannte sie zur Universalerbin seines kolossalen Vermögens, seinen eigenen Neffen, ihren Gemahl, dabei übergehend. Es ist bekannt, wie groß seine Schwärmerei für den Zauber der Weiblichkeit war. Frau von Staël und Julie Recamier sind von ihm glühend bewundert worden, doch hat er, wie Goethe, vorgezogen, eine Haushälterin zu heirathen, wobei er das brutale Wort gesagt hat: „Man muß einen Geist wie Frau von Staël geliebt haben, um das Vergnügen zu begreifen, eine Gans lieben zu können.“ Man erzählte sich die lächerlichsten Verlegenheiten, die ihm letztere in geselliger Hinsicht bereitete. Es ist deshalb sehr erklärlich, daß er sich doch wieder nach einem Geist sehnte und seine schöne geistreiche Nichte zum Ideal seines alten Herzens machte.
Im Jahre 1844 wurde Dorothea Herzogin von Sagan; sie vergaß jedoch nie, ihren Titeln auch den herzoglichen von Kurland beizufügen. Der glänzendste Hofstaat wurde in Sagan errichtet, und das Schloß wurde nie leer von hohen und berühmten Gästen. Das merkwürdige Gebäude ist theilweise noch von Wallenstein erbaut worden, theilweise vom Fürsten Lobkowitz. Der Herzog Peter von Kurland hat den Bau vollendet und seine Töchter haben ihn so prachtvoll und kunstsinnig ausgeschmückt, daß er eine Monographie verdiente.
Obwohl schon im fünfzigsten Jahre um diese Zeit stehend, war Dorothea von Sagan noch eine berühmte Schönheit; ein boshafter Schriftsteller nannte sie zwar ein schönes „Kunstwerk“ und verglich sie bald mit einem weiblichen Ulysses, bald mit einer Circe. Es war A. von Sternberg, dessen Urtheil in diesem Falle jedoch nicht ganz glaubhaft ist, weil er die Herzogin persönlich haßte in Folge einer Abweisung, die sie ihm allerdings sehr rücksichtslos hatte zugehen lassen. Was das „Kunstwerk“ betrifft, so war der Glaube freilich allgemein verbreitet, daß die wohlerhaltene seltene Schönheit der Herzogin auf künstlichen Mitteln beruhe. Man erzählte sich die unglaublichsten Fabeln davon; es sollte ein Mechanismus existiren, womit sie die Stirnhaut glatt ziehen lasse, und der Hals nebst Büste sollte aus einer Pariser Fabrik weiblicher Reize verschrieben sein, unter einem kostbaren Perlenhalsband sei der Ansatz verborgen hieß es. Die Herzogin hatte davon gehört und machte sich den Scherz, einmal bei einer großen Festlichkeit, wo viele Zuschauer versammelt waren, das besagte Perlenhalsband zu lösen, so daß es mit Geräusch zu Boden fiel. Das Publicum blickte mit der sichtbarsten Spannung nach ihr hin und war fest überzeugt, der künstliche Halsapparat würde nun auch abfallen. Man wartete jedoch vergeblich darauf, denn die Herzogin besaß diese Reize in natürlicher Fülle, sie bedurfte durchaus keiner künstlichen Nachhülfe. Ihre Gestalt war wie aus fleischgewordenem Marmor gemeißelt, blendend weiß und fest rundeten sich ihre Formen. Die Magerkeit ihrer Jugend hatte sich gänzlich verloren, ohne in die Fettleibigkeit überzugehen, die allerdings bei älteren Frauen häufig ist. Ihr Haar war noch glänzend schwarz und ihre Zähne glänzend weiß, weil sie die Pflege der Schönheit verstanden hatte, nicht weil sie künstliche Mittel anwendete. Ihr regelmäßiger Gesichtsschnitt, der bezaubernde wechselvolle Ausdruck ihres Mienenspiels und ihre herrliche Haltung machten ihre Erscheinung zu einer wahrhaft überraschenden. Als wir sie bei einer Hoffestlichkeit erblickten, trug sie einen weißen Hermelinmantel über Purpursammet geworfen und sah vollkommen aus wie ein stolzes Frauenbild von Paul Veronese gemalt.
Ziemlich um dieselbe Zeit wurde zuerst sehr viel über ihr Verhältniß zu dem Fürsten Felix Lichnowsky gesprochen. Sie war fast zwanzig Jahre älter als er und bereits Großmutter, als sie ihn kennen lernte. Darum schien der Traum des Frauenherzens, eine ideale Männerfreundschaft, für den sich Georges Sand einst begeisterte, auch der Herzogin Dorothea durch den Fürsten Felix in Erfüllung gegangen zu sein. Er erschien ihr zuerst im Lichte der Romantik durch seine Abenteuer in Portugal und in Spanien, zu denen ihn sein Jugendmuth und Thatendrang getrieben hatte. Er glich einem fahrenden Ritter des Mittelalters; Kreuzzüge und Turnier, Frauendienst und Minnegesang würden ihn glücklich und berühmt gemacht haben. Wie wenig ahnte er, daß er, der nach Kränzen von Lorbeeren und Myrthen sich sehnte, dereinst eine Märtyrerkrone auf seiner schönen jungen Stirn tragen würde! Er hatte dem Tode oft genug in’s Auge gesehen auf seinen kriegerischen Streifzügen, sogar einst einem ähnlichen schrecklichen, wie er ihn später wirklich erleiden mußte.
Die Anziehungskraft seiner Persönlichkeit wurde durch große körperliche Schönheit und ein lebhaftes keckes Benehmen unterstützt; er sprudelte von Geist und Witz, liebte es aber auch, Paradoxen zu vertheidigen und seine Gegner zu erbittern durch scharfe verletzende Worte. So hat er sich ebenfalls die Feindschaft Sternberg’s zugezogen, obwohl derselbe eigentlich ein Gesinnungsgenosse von ihm war und auch sonst manche Aehnlichkeit mit ihm besaß. Sternberg galt auch für einen schönen Mann und hatte ebensoviel Anlage zum Abenteurer als der Fürst Felix. Es ist also wohl wahrscheinlich, daß eine Art von neidischer Nebenbuhlerschaft Sternberg’s Urtheil über denselben dictirt hat. Er sagt ziemlich derb:
„Wenn man zur Gräfin Hahn-Hahn kam, fand man immer den unerträglichen Flegel, den Fürsten Lichnowsky dort, der der wahre Gegensatz zu dem Freunde der Gräfin, dem stillen bescheidenen anspruchlosen Bistram war. Dieser herumtreibende Fürst strebte danach, in die Mäuler der Leute zu kommen, und wußte dazu kein geeigneteres Mittel, als auf eine Weise unverschämt und tolldreist zu sein, daß Männer kaum anders mit ihm zu verkehren wußten als mit der Degenspitze oder dem Pistolenlauf, Frauen kein anderes Mittel hatten ihn fern zu halten, als ewig verschlossene Thüren und abweisende Diener, die er jedoch oft über den Haufen warf und doch eindrang. Dabei hatte er kein übles Aussehen, man konnte ihn sogar, wenn er sich ruhig verhielt und nicht sprach, für einen sanften Jüngling halten, der eine kokette Toilette gemacht hatte. Aber sowie er die Lippen öffnete, verschwand dieser Reiz und die personificirte Unverschämtheit kam zu Tage. Frech und zügellos in jedem seiner Worte, war er es ebenso in jeder Miene und Bewegung. Alles, was nur vornehme und nicht vornehme Laster heißt, hatte er seinem jungen Körper zugemuthet und war dennoch leidlich davongekommen. Nicht so gut war es seinem Beutel ergangen, der bis auf das letzte Goldstück geleert war. Er wurde für seine Gläubiger eine sehr anziehende Person, bis die bekannte befreiende Gottheit für ihn auftrat.“
Mit diesen Worten haben wir so ziemlich die Quintessenz der Verurtheilungen gegeben, die Fürst Felix damals von vielen Seiten zu erfahren gewohnt war.
Daß die Herzogin von Sagan die „befreiende Gottheit“ für den Fürsten Felix geworden war, soll übrigens nicht in Abrede gestellt werden. Seine Schulden hat sie allerdings bezahlt; er gab ihr jedoch dafür sein herrliches Allodialbesitzthum Schloß Grätz bei Troppau in Oberschlesien. Es war sein Lieblingsaufenthalt und er kehrte nach allen Vergnügungsreisen immer wieder dahin zurück; auch als es der Herzogin gehörte, liebte er es, dort alle Schätze aufzuhäufen, die er mit großem Kunstfleiß sammelte. Er hatte ein vollständiges Museum in den Schloßräumen angelegt; der merkwürdigste Inhalt desselben ist jetzt aber die Sammlung von Reliquien seines Todes!
Wir hatten einstmals in Baden-Baden den Fürsten Felix in einer heitern Gesellschaft getroffen; ihm schien das Glück sein sonnigstes Lächeln zu spenden; er überstrahlte alle Cavaliere an Schönheit, Kraft und Liebenswürdigkeit; sie und alle Damen, die aus dem altfranzösischen Ritterroman der Rose entnommen zu sein schienen, schwärmten für ihn. Trotzdem seines Herzens sicher, ruhten die schönen Augen der Herzogin von Sagan, mit Befriedigung auf seinem Antlitze, das sobald im Todeskampfe zucken sollte. Es wird uns ein unvergeßlicher Abend sein; der Mondschein lag wie geschmolzenes Silber über der alten Schloßruine [559] von Baden-Baden, Windlichter flackerten auf der Tafel der lustigen Gesellschaft und spiegelten sich in goldenem Rheinwein und rosigem Champagner. Alles lachte und scherzte, Niemand sah das Gespenst des Jahrhunderts, den Bürgerkrieg, obwohl sein Leichentuch in Frankreich schon ausgebreitet war – man schlug dort soeben die Junischlacht von 1848. Damals stand das unbefreite Deutschland aber noch unter dem französischen Geistesjoch und war nur zu geneigt, in allen Wahnsinnsausbrüchen dem Franzmanne zu folgen. Kaum acht Wochen später wurden Fürst Lichnowsky und General Auerswald vom Volke zerrissen. Die Einzelheiten dieses Mordes zu erzählen ist hier nicht der Ort.
Ein Jahr später kamen wir nach Schloß Grätz, wo wir schon einmal als Gast der Herzogin geweilt hatten; sie war nicht mehr dort und hatte das einst so geliebte Besitzthum verschenkt. Der jüngere Bruder des Fürsten, Graf Robert, ihm körperlich und geistig sehr ähnlich, hatte es von ihr erhalten mit der Bedingung, die Erinnerungen an den gemordeten Fürsten darin aufzubewahren. Der Schloßwart führte uns auf vieles Bitten in die dazu bestimmten Räume, denn eigentlich war es nicht erlaubt, dieselben zu besichtigen.
Mit Schauder betrachteten wir die blutigen Kleider, die in Glaskästen aufbewahrt werden. Das blutige Battisthemd mit halb abgerissener Manschette – wir sahen noch die schöne feine Hand, die den vollen Lebensbecher gehalten hatte und nun zerschmettert war – machte einen ganz besonders furchtbaren Eindruck auf uns. Ebenso der feine graue Sommerhut, unter dem wir noch die dichten schwarzen Locken flattern gesehen hatten, zertreten, mit Fäusten eingedrückt. Neben der Todtenmaske von Gyps lag auch eine Abbildung der linken Hand, die unversehrt geblieben war. Auch ein Stückchen Holz aus der Pappel, an die sich der unglückliche Felix lehnte, als die Cannibalen ihm den Leib aufgeschlitzt hatten, lag da, sowie einige Steine aus der Kellerwand, die ihm anfangs einigen Schutz gewährte. Der welken Todtenkränze waren so viele gewesen, daß von jedem nur ein Blatt aufgehoben werden konnte. Die Briefe und Tagebücher, schwarzversiegelt, füllte einen besondern Schrank. In diese melancholische Erinnerungswelt voll Schmerz und Erdenstaub schaute das lebensgroße Bild des einst so glücklichen Fürsten von den Wänden herab, sowie eine große Anzahl von Portraits aus seiner Kindheit, die Liebe beweisend, die seine Eltern für den schönen Knaben hegten.
Die Hand aber, die alle seine Erinnerungszeichen gesammelt und geweiht hatte, war die der Herzogin Dorothea. Wir sahen sie später und öfter wieder, aber niemals wagten wir von dem gemordeten Liebling mit ihr zu reden. Wenn sie nur annähernd an ihn erinnert wurde, flog ein Schatten unheilbaren Schmerzes über ihr immer noch schönes Gesicht. „Sie mußte weiter leben ohne Klagen, fühlt auch ihr Herz sie tief zerschlagen,“ wie eine englische Dichterin sagte. Beinahe vierzehn Jahre überlebte sie dieses Ereigniß; wir sahen sie zuletzt in Schlangenbad, wo sie mit der schmerzhaftesten Todeskrankheit rang. Sie starb am 13. September 1862.
Wunderbarer Weise lebt ihr Gemahl, von dem man so selten etwas hörte, noch als hochbetagter Greis in Florenz; er vermählte sich zwei Jahre nach dem Tode Dorothea’s mit der Wittwe eines Engländers, einer gebornen Fräulein von Ulrich aus Dänemark.
Der jetzige Besitzer von Sagan ist Dorothea’s ältester Sohn, Napoleon Ludwig, Herzog von Talleyrand-Périgord; er ist 1811 geboren und vermählte sich mit der Wittwe des preußischen Gesandten in Paris, Grafen Hatzfeld, die eine geborne Gräfin Castellane ist. Der zweite Sohn Dorothea’s hatte von Kaiser Napoleon dem Dritten den Herzogstitel und Namen der alten Familie von Montmorency erhalten, eine ihrer Töchter ist an den Grafen Castellane verheirathet, eine ihrer Enkelinnen mit dem Fürsten Radziwil, demselben, der die historisch denkwürdige Abweisung Benedetti’s in Ems zu besorgen hatte, da er gerade Dienst als Flügeladjutant des Königs Wilhelm in Abwesenheit des Grafen Lehndorff hatte.
Die Sympathien mit Frankreich können in der herzogliche Familie von Sagan noch nicht völlig ausgestorben sein; doch hat sie so viel Loyalität bewiesen, daß dieselben nicht zu fürchten sind, wenn es sich um das Wohl ihres Adoptivvaterlandes, Deutschland, handelt.
- ↑ Wie geistvoll auch die junge Herzogin von Sagan war, geht aus einem Berichte Villemain’s hervor über die Briefe, welche sie für den Fürsten Talleyrand schrieb. „Man erkannte in ihnen die lebhaften und zarten Wendungen, die geschickten und scharfsinnigen Argumente eines weiblichen Diplomaten; ihr Styl war dabei einfach und edel, ihr Geist zeigte so frühreife Universalität, daß Niemand sich wunderte, wenn die Wirksamkeit unfehlbar war.“ Die Souveräne, welche sich von diesen Briefen leiten ließen, ahnten nicht, weshalb sie so schnell überzeugt davon waren. Hätten sie gewußt, daß eine junge schöne Frau die Concepte geschrieben und Talleyrand sie nur copirte, würden sie sich eines Lächelns nicht haben erwehren können.