Musikalisches (Die Gartenlaube 1854/43)
[520] Musikalisches. Von Johannes Brahms, dem jungen Tonkünstler, welcher von Robert Schumann Ende vorigen Jahren so bedeutungsvoll in die musikalische Welt eingeführt wurde, sind kürzlich in Leipzig die ersten sechs Werke im Druck erschienen; Op. 1–4 bei Breitkopf und Härtel, Op. 5 und 6 bei Bartholf Senff. Es sind drei „Sonaten“ und ein „Scherzo“ für Pianoforte und zwei Hefte „Lieder“ mit Clavierbegleitung. Alle diese Werke enthalten viel des Schönen und zeigen Brahms als eine hochbegabte, vielversprechende Künstlernatur, die aber selbstverständlich noch ihren Abklärungsprozeß durchmachen muß. Brahms Töne sind eigenartig, sie reißen oft voll schöner Gewalt unwiderstehlich mit sich fort, aber sie beanspruchen, daß man sich ihnen mit ganzer Liebe hingebe. Seine Fmoll Sonate Op. 6 dürfte unzweifelhaft eines der imposantesten Musikstücke der Neuzeit sein, es offenbart sich in ihr eine wuchernde Kraft in Erfindung und Gestaltung; das Andante derselben ist ein besonders reizendes Stück, durchweg von zartester Mondscheinnatur, bietet es ein bezauberndes harmonisches Gewebe. In dem ersten Liederheft Op. 3 sind die verschiedenartigen Empfindungen mit wunderbarer Genialität aus der Tiefe der ausgewählten Dichtungen heraufgeholt und oft zauberisch schön musikalisch ausgedrückt. Aber diese Gesänge verlangen Gesangesseelen zu Sängern und gewappnete Accompagnateurfinger. Schnelleren Eingang wird sich das zweite Liederheft Op. 6 verschaffen, da es sich mehr dem anzubequemen scheint, was man von ansprechenden Liedern verlangt, doch ist dies bei Brahms in einem höheren Sinne zu verstehen. Zu einer durchweg edlen Art der Auffassung der Gedichte, zu dem innern Zuge im Ausdruck, kommen hier noch freundliche frische Melodien, nette knappe Formen und leichte Ausführbarkeit. Der Zuhörer empfindet das Gefühl, wie wenn die ersten Frühlingslüfte auf ihn einströmen. – Und so sei denn auf diese sechs erstsn Werke des Künstlers hiermit angelegentlichst aufmerksam gemacht.