Momente aus dem Schiffsleben
[87] Momente aus dem Schiffsleben. Die Parthie Domino – erzählte uns der junge A., der erst neulich aus Panama zurückgekehrt war, unsere regelmäßige Unterhaltung nach dem Abendthee – war beendigt, und wir zogen uns zurück auf das Sopha, um bei einer Cigarre ungestört der Unterhaltung nachgehen zu können. Der Wind, welcher sehr heftig blies, und das am Kap Horn so leicht erregbare und sehr hoch und kurz gehende Meer gewaltig aufwühlte, behielt noch immer dieselbe Richtung, welcher er bereits vier Tage gefolgt war, und die uns zwang, anstatt das Kap in zwei Tagen zu doubliren, bis zum 60. Grad südl. Br. hinabzugehen, um dann durch Laviren um die Falklandsinseln zu gelangen. Die See hatten wir von vorn und das Schiff bäumte sich auf und nieder, bald versinkend in den Wellenthälern, bald schwebend auf dem Wellenberge. Die Nacht war rauh [88] und kalt, so daß das Oel in den Lampen erstarrte, und nur höchst schwache Erleuchtung des Kajütensaales zuließ. Der Nebel lag dicht und schwer, Alles mit fast undurchdringlicher Finsterniß einhüllend. Rauschend rollten die Wogen über das Deck, wenn das Schiff, ein neuer französischer Klipper, mit seinem scharfen Vordertheile in den sich ihm entgegenstürzenden Wellenberg eindrang (wir gingen 10 Knoten). Es hatte sich unsrer eine weniger heitere Stimmung, als gewöhnlich, bemächtigt, ein Widerschein der trüben, kalten Natur, welche uns umgab; bald kam das Gespräch in’s Stocken und ruhig saßen wir da, Jeder mit sich selbst beschäftigt oder den Rauchwolken nachschauend. Plötzlich stürzte der Obersteuermann herab, und rief dem Kapitain einige Worte zu. Obgleich dies nur das Werk eines Augenblicks war, hatten wir doch den Sinn dieser Worte aufgefaßt, deren schreckliche Bedeutung uns sofort der Gedankenträumerei entriß. „Ein Schiff abordirt uns!“ Im Nu hatten wir den Kajütensaal durcheilt, waren die Treppe hinauf geflogen und starrten hinaus in die Nacht, unsern Feind suchend. Wir waren im Wellenthale und auf dem Gipfel der nächsten Welle sahen wir die dunkle Masse eines großen Dreimasters, der mit vollen Segeln und günstigem Winde auf uns herabstürzte. Der Kapitain sagte trocken: „Wir sind verloren – bereitet Euch vor!“ und still stand er am Mast, erwartend des Schicksals Wille; denn in seiner Macht stand nichts, der Gefahr zu entgehen, das Schiff konnte nicht gewendet werden wegen des ungünstigen Windes, und uns blieben nur wenige zwischen Leben und Tod entscheidende Augenblicke. Die Matrosen schrieen, beteten, sandten noch Abschiedsgrüße an die Heimath und die Lieben, Allen schien der Tod unvermeidlich und Jeder bereitete sich vor auf das kalte, nasse Grab. Der Gedanke, hier von diesen schwarzen, unheimlichen Wogen verschlungen zu werden, mochte Jedem fürchterlich sein, und veranlaßte einen Matrosen zu dem Ausrufe: „Hier zu sterben, heißt zweimal sterben!“ Gewiß, wäre er in dem blauen Meere und der linden Luft der Tropen gewesen, der Tod hätte leichter geschienen. Von dem andern Schiffe tönte lautes Fluchen und Schreien zu uns herüber, ohne daß wir die Personen selbst hätten erkennen können. Dumpf klangen die Glocken der beiden Schiffe durch den pfeifenden Wind und erhöhten das Unheimliche des Eindruckes. Und doch war Alles dies in nur wenige Augenblicke eingeschlossen, nur auf einen kurzen Zeitraum drängte sich diese Fülle von Gefühlen, kreuzten sich die Gedanken und flog der Geist in die Ferne zu dem, wovon Jeder für sich im Stillen Abschied nahm. Mein Entschluß zur Rettung, wenn solche möglich, war gefaßt. Das fremde Schiff, als das abordirende, war weniger gefährdet, als das unsrige, welches dem Stoße seine lange Seite darbot. Konnte ich ein Seil erfassen, so hatte ich Hoffnung, davon zu kommen. In der angstvollen Erwartung standen wir regungslos. Näher kam die drohende Masse, lauter wurden die Ausbrüche der Angst, jetzt war es noch wenige Ellen und ein Schrei des Entsetzens rang sich aus mancher Brust. Doch der Himmel war uns gnädig, das Meer selbst trat als Vermittler auf, eine herbeirollende Woge erhob uns und schleuderte den Feind hinter uns vorbei, uns nur die Seile des Gig fortreißend und den Bord des Hintertheils beschädigend. Lange noch standen wir, sprachlos dem sich bald im Nebel verlierenden Schiffe nachschauend, bis der fröhliche Ausruf der Matrosen uns zurückrief. Schnell waren die Gedanken an Gefahr verschwunden, und lachend gestand ein Jeder, daß er zwar den Tod nicht gefürchtet hatte, aber ein wärmeres Wassergrab diesem kalten am Kap vorgezogen haben würde.