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Mitteilungen aus den Memoiren des Satan/Zweiter Teil/II

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I. Vorspiel Mitteilungen aus den Memoiren des Satan von Wilhelm Hauff
II. Der Fluch (Fortsetzung)
III. Mein Besuch in Frankfurt
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[343]
II.
Der Fluch.
Novelle.
(Fortsetzung.)




Man kann sich denken, daß ich in Rom immer viele Geschäfte habe. Die heilige Stadt hatte immer einen Überfluß von Leuten, die in der ersten, zweiten oder dritten Abstufung mein waren.

Man wird sich wundern, daß ich eine Klassifikation der guten Leute (von anderen Sünder genannt) mache; aber wer je mit der Erde zu thun hatte, hat den Menschen bald abgelernt, daß nur das Systematische mit Nutzen bei ihnen betrieben werden könne. Es ist dies besonders in Städten wie Rom unumgänglich notwendig; wo so vielerlei Nüancen guter Leute vom roten Hut bis auf die Kapuze, vom Fürsten, der die Macht hat, Orden zu verleihen, bis auf den Armen, dem solche um dreißig Thaler angeboten werden, vorfinden, da muß man Klassen haben. Ich werde in der Bibel und von den heutigen Philosophen als das negierende Prinzip vorgestellt, daher teilte ich meine guten Leute ein in: erste Klasse, mit dem Prädikat „recht gut“, solche, die geradehin verneinen; als da sind: Freigeister, Gottesleugner, etc. Zweite Klasse, „gut“. Sie sagen mit einigem Umschweif nein; gelten unter sich für Heiden, bei Vernünftigen für liberale Männer, bei der Menge für fromme Menschen. In dieser Klasse befinden sich viele Türken und Pfaffen. Die dritte Klasse mit dem Prädikat „mittelmäßig“ sind jene, die ihr „Nein“ nur durch ein Kopfschütteln andeuten. Es sind jene, die sich selbst für eine Art [344] von Gott halten, mögen sie nun Ablaß verkaufen, oder als evangelisch-mystisch-pietistische Seelen einen Seperatfrieden mit dem Himmel abschließen; der letzteren gibt es übrigens in Rom wenige.

Es läßt sich annehmen, daß das Innere dieses Systems, die verschiedenen Übergänge der Klassen beinahe mit jedem Jahr sich ändern. Geld, Sitten, der Zeitgeist üben hier einen großen Einfluß aus, und machen beinahe alle zwei Jahre eine Reise an Ort und Stelle notwendig.

Als ich vor einiger Zeit auf einer solchen Visitationsreise in Rom verweilte, war ich Zeuge folgender Szenen, die ich aufzuzeichnen nicht unterlassen will, weil sie vielleicht für manchen Leser meiner Memoiren von Interesse sein möchten.

Ich ging eines Morgens unter den Säulengängen der Peterskirche spazieren, dachte nach über mein System und die Veränderungen, die ihm durch die Missionäre in Frankreich und das Überhandnehmen der Jesuiten drohte, da stieß mir ein Gesicht auf, das schon in irgend einer interessanten Beziehung zu mir gestanden sein mußte. Ich stand stille, ich betrachtete ihn von der Seite. Es war ein schlanker, schöner junger Mann; seine Züge trugen die Spuren von stillem Gram; dem Auge, der Form des Gesichtes nach war er kein Italiener – ein Deutscher, und jetzt fiel mir mit einem Male bei, daß ich ihn vor wenigen Monaten in Berlin, im Salon jener Dame gesehen hatte, die mir und dem ewigen Juden einen ästhetischen Thee zu trinken gegeben hatte. Es war jener junge Mann, dessen anziehende Unterhaltung, dessen angenehme Persönlichkeit mir damals ein so großes Interesse eingeflößt hatten. Er war es, der uns damals eine Aventüre aus seinem Leben erzählt hatte, die ich für würdig fand, bei der Beschreibung jenes Abends mit aufzuzeichnen.

Ob ihn wohl die Liebe zu jener jungen Dame noch einmal in die heilige Stadt gezogen hatte? Ob ihm, wie mir, der düstere Himmel seines Landes und die süße Langeweile der ästhetischen Thees im Hause seiner Tante so drückend wurde, daß er sich unter eine südlichere Zone flüchtete? Ich beschloß, seine Bekanntschaft zu erneuen, um über jenes interessante Begegnis, dessen Erzählung der Jude unterbrochen, um über ihn selbst, über seine Schicksale, [345] etwas Näheres zu vernehmen. Er stand an einer Säule des Portals, den Blick fest auf die Thüre gerichtet; fromme Seelen, schöne Frauen, junge Mädchen strömten aus und ein, ich sah, er blieb gleichgültig, wenigstens schien ihn keine dieser Gestalten zu interessieren. Endlich erscheint ein kleiner Florentiner Strohhut in der Thüre; war es die Form dieses Hutes, waren es die weißen wallenden Federn, war es die einfache Rose, aus welcher dieser Busch hervorwallte, was dem jungen Mann so reizend, so bekannt dünkte? Noch konnte man weder Gestalt noch Gesicht der Dame sehen, aber seine Augen glänzten, ein Lächeln der erfüllten Hoffnung flog um seinen Mund, seine Wangen röteten sich, er richtete sich höher auf und schaute unverwandt den Säulengang hin. Noch verdeckten zwei Pfaffen mit ihren Kapuzen die Nahende, jetzt bogen sie rechts ein, und ich sah ein holdes, süßes Wesen heranschweben.

Wer, wie ich, erhaben über jede Leidenschaft, die den Sterblichen auf der Erde quält, die Dinge betrachtet wie sie sind, nicht wie sie euch Liebe oder Haß, oder eure tausend befangenen Vorurteile schildern, dem ist eine solche seltene Erscheinung ein Fest, denn es ist etwas Neues, Originelles. Ich gedachte unwillkürlich jener Worte des jungen Mannes, wie er uns den Eindruck beschrieb, den der Anblick jener Dame zum erstenmal auf ihn machte, mit welchem Entzücken er uns ihr Auge beschrieb; – ich war keinen Augenblick im Zweifel, daß diese liebliche Erscheinung, die auf uns zukam, und jene rätselhafte Dame eine und dieselbe sei.

Ein glühendes Rot hatte die Züge des Jünglings übergossen. Er hatte den Hut gezogen, es war, als schwebte ihm ein Morgengruß, oder eine freundliche Rede auf den Lippen, und überrascht von der stillen Größe des Mädchens sei er verstummt. Auch sie errötete, sie schlug die Augen auf, als er sich verbeugte, sie warf einen fragenden Blick auf ihn, hielt einen kurzen Moment ihre Schritte an, als erwarte sie, von ihm angeredet zu werden; er schwieg, sie eilte bewegt weiter.

Der junge Mann sah ihr mit trüben Blicken nach, dann folgte er langsamen Schrittes; oft blieb er, wie in Gedanken verloren, stehen. Ich ging ihm einige Straßen nach, er trat endlich in ein [346] Kaffeehaus, wo sich die deutschen Künstler zu versammeln pflegen. Hatte schon früher dieser Mensch und seine Erzählung meine Teilnahme erregt, so war ich jetzt, da ich Zeuge eines flüchtigen, aber so bedeutungsvollen Zusammentreffens gewesen war, um so neugieriger, zu erfahren, in welchem Verhältnis der Berliner zu dieser Dame stehe; daß es kein glückliches Verhältnis, kein gewöhnliches Liebesverständnis war, glaubte ich in ihren Mienen, in ihrem sonderbaren Benehmen gelesen zu haben.

Man wird sich erinnern, daß ich als hoffnungsvoller Zögling des ewigen Juden, als Herr von Stobelberg die Bekanntschaft dieses Mannes machte. Daher trat ich in dieser Rolle in das Café. Der junge Herr saß in einem Fenster und las in einem Brief. Ich wartete eine Weile, ob er wohl bald ausgelesen haben werde, um ihn dann anzureden, aber er las immer. Ich trat von der Seite hinter ihn, um nach dem Schluß des riesengroßen Briefes zu blicken – es waren wenige Zeilen von einer Frauenhand, die er, wie es schien, gedankenlos anstarrte.

„Habe ich die Ehre, Herrn von S. vor mir zu sehen?“ fragte ich in deutscher Sprache, indem ich vor ihn trat.

„Der bin ich“, antwortete er, indem er den düsteren Blick von dem Brief auf mich schlug, und mein Kompliment durch ein leichtes Neigen des Hauptes erwiderte.

„Sie scheinen mich nicht mehr zu kennen; und doch war ich so glücklich, einmal einen Abend im Hause Ihrer Tante in Berlin zu genießen, den vorzüglich Ihre Unterhaltung, Ihre interessanten Mitteilungen mir unvergeßlich machen.“

„Im Hause meiner Tante?“ fragte er, aufmerksamer werdend. „Wie, war es nicht ein höchst ennuyanter Thee? Waren nicht einige männliche Weiber und einige zartweibliche Herren zugegen? Ich erinnere mich, ich mußte etwas erzählen. Doch Ihr Name, mein Lieber, ist mir leider entfallen.“

„Baron von Stobelberg; ich reiste damals mit –“

„Ah – mit einem ganz sonderbaren Kauz von Hofmeister, jetzt erinnere ich mich ganz, er war so unglücklich, allen Damen, ohne es zu wollen, Sottisen zu sagen, und überschnappte endlich, nämlich mit dem Stuhl?“

[347] „So ist’s; wollten Sie erlauben, meinen Kaffee hier zu trinken? Ich bin noch so fremd hier, ich kenne keine Seele. Sie sind wohl schon lange hier bekannt?“

Ein melancholisches Lächeln zog um seinen Mund. „O ja, bin schon lange hier bekannt“, antwortete er düster. „Ich war früher in Geschäften hier, jetzt zu – zu meiner Erholung.“

„Sie erinnern mich da auf einmal wieder an den Abend bei Ihrer Tante, mein Hofmeister brachte mich damals um einen köstlichen Genuß. Sie erzählten uns ein kleines Abenteuer, das Sie mit einer Deutschen in Rom gehabt. Ihre Erzählung war auf dem Punkte, eine Wendung zu nehmen, die uns über vieles, namentlich über Ihre sonderbare Verwechslung mit einem Ebenbilde aufgeklärt hätte, da zerstörte mein Mentor durch seinen Fall meine schöne Hoffnung, ich war genötigt, mit ihm den Salon zu verlassen und plage mich seitdem mit allerlei Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, wie es Ihnen möchte ergangen sein? Ob Sie sich mit Ihrem Ebenbilde geschlagen haben? Ob Sie auch ferner der schönen Luise sich nahen konnten, ob nicht endlich ein Liebesverhältnis zwischen Ihnen entstanden? Kurz, ich kann Sie versichern, es peinigte mich tagelang, die tollsten Konjekturen erfand ich, aber nie wollten sie passen.“

Der junge Mann war während meiner Reden nachdenklich geworden; es schien etwas darin zu liegen, das ihm nicht ganz recht war; vielleicht ahnete er meine unbezwingliche Neugierde nach seiner Aventüre, er blickte mich scharf an, aber er wich in seiner Antwort aus.

„Ich erinnere mich“, sagte er, „daß wir damals alle bedauerten, Ihre Gesellschaft entbehren zu müssen. Sie waren uns allen wert geworden, und die Damen behaupteten, Sie haben etwas Eigenes, Anziehendes, das man nicht recht bezeichnen könne, Sie haben einen höchst pikanten Charakter. Nun, Sie werden in der Zeit diese Damen entschädigt haben; wann waren Sie das letzte Mal bei meiner Tante?“

Ich sah ihn staunend an; „ich hatte nie die Ehre, bei Ihrer Tante gesehen zu werden, als an jenem Abend.“

[348] Er entgegnete hierauf nichts, sprach vom Papst und dergleichen, kam aber immer wieder darauf zurück, mich durch eine Zwischenfrage nach Berlin, ins Haus seiner Tante zu verlocken. „Was wollen Sie nur immer wieder mit Berlin?“ fragte ich endlich, „ich war seit jenem Abend nicht mehr dort und reiste in dieser Zeit in Frankreich und England. Sehen Sie einmal in meinem Paß, welch ungeheure Tour ich in dieser Zeit gemacht habe!“

Er warf einen flüchtigen Blick hinein und errötete; „verzeihen Sie, Baron!“ rief er, indem er meine Hand ungestüm drückte; „vergeben Sie, ich hielt Sie für einen Spion meiner Tante.“

„Ihrer Tante? für einen Spion, den man Ihnen bis Rom nachschickt?“

„Ach, die Menschen sind zu keiner Thorheit zu gut. Ich halte mich etwa seit zwei Monaten wieder hier auf. Meine Verwandten toben, weil ich meinen Posten im Büreau des Ministers plötzlich und ohne Urlaub verlassen habe; sie bestürmten mich mit Briefen, ich kam nicht; sie wandten sich an die preußische Gesandtschaft hier; sie fand aber nichts Verdächtiges an mir und ließ mich ungestört meinen Weg gehen. Vor einigen Tagen schrieb mir ein Freund, ich solle auf meiner Hut sein, man werde einen Spion in meine Nähe senden, um alle meine Schritte zu bewachen.“

„Ist’s möglich? und warum denn dies alles?“

„Ach, es ist eine dumme Geschichte, eine Anordnung meines verstorbenen Vaters legt mir Pflichten auf, die – ein andermal davon – die ich nicht erfüllen kann. Und Sie, lieber Stobelberg, hielt ich für den Spion. Vergeben Sie mir doch?“

„Unter zwei Bedingungen“, erwiderte ich ihm. „Einmal, daß Sie mir erlauben, Sie recht oft zu begleiten, um der Spion Ihres Spion zu sein. Halten Sie mich nicht für indiskret, es ist wahre Teilnahme für Sie und der Wunsch, Ihnen nützlich zu werden. Sodann – teilen Sie mir, wenn es Ihnen anders möglich ist, den Schluß Ihres Abenteuers mit.“

„Den Schluß?“ rief er und lachte bitter, „den Schluß? Ich wünschte, es schlösse sich, könnte es auch nur mit meinem Leben [349] schließen. Doch kommen Sie, wir wollen unter jene Arkaden gehen. Die Künstler kommen um diese Zeit hieher, wir könnten nicht ungestört reden: wer weiß, ob man nicht einen von ihnen zu meinem Wächter ersehen hat.“


*


Ich folgte Otto von S… – so hieß der junge Mann – unter die Arkaden. Er legte seinen Arm in den meinigen, wir gingen eine Weile schweigend auf und ab; er schien mehr nachdenklich als zerstreut.

„Es ist etwas, was mir Vertrauen zu Ihnen einflößt“, hub er lächelnd an; „ich habe über den Ausspruch jener Damen in Berlin nachgedacht und finde ihn, so komisch er mir damals vorkam, dennoch bestätigt. Es ist mir in den paar Viertelstunden, die wir beisammen sind, als seien Sie ein Wesen, das ich längst kannte, als seien Sie schon jahrelang mein Freund. Und doch haben Sie nicht jenes Gutmütige, Ehrliche, was an den Deutschen sogleich auffällt, was bewirkt, daß man ihnen gerne vertraut; Sie haben für Ihre Jahre viel Beobachtungsgeist in Ihrem Auge und um Ihren Mund in gewissen Augenblicken einen Zug, der nicht immer das bestätigt, was Sie sagen wollten. Und dennoch fühle ich, daß mir der Zufall viel geschenkt hat, der Sie in jenes Haus führte, ich fühle auch, daß man Ihnen trauen kann, mein Lieber.“

„Ich halte nichts auf Gesichter und habe durch Erfahrung gelernt, daß sie nicht immer der Spiegel der Seele sind. Es freut mich übrigens, wenn etwas an mir ist, das Ihnen Vertrauen einflößt. Es ist vielleicht der rege Wunsch, Ihnen dienen zu können, was Ihnen einiges Vertrauen gibt?“

„Möglich; doch ich bin Ihnen einige Aufschlüsse über mich und mein Abenteuer hier in Rom schuldig. Ich erzählte Ihnen, wie ich mit Luise von Palden bekannt wurde –“

„Erlauben Sie, nein! diesen Namen höre ich zum erstenmal. Sie erzählten uns, daß Sie eine junge Dame in den Lamentationen der Sixtinischen Kapelle kennen lernten, die Ihre ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie wurden von ihr mit einem andern [350] verwechselt, Sie gefielen sich in diesem Quiproquo und versetzten sich unwillkürlich so in die Stelle des Liebhabers, daß Sie das Mädchen sogar liebten –“

„Und wie liebe ich sie!“ rief er bewegt.

„Sie suchten die Dame lange vergeblich in Rom, der Zufall führte endlich das schöne Kind im Karneval als Maske an Ihre Seite. Es ist schon dunkel, sie glaubt in Ihnen den Freund zu finden; Sie, lieber Freund, benützen die Gelegenheit noch einmal, diesen Scherz, der Ihnen so angenehm ist, fortzuführen. Sie bringen die Dame auf eine Loge, um das Pferderennen anzusehen. Da erscheint auf einmal der rechte Liebhaber, und Sie – erblicken sich. Bis hieher hörte ich damals. Sie können sich denken, wie begierig ich bin, zu hören, wie es Ihnen erging.“

„Ich gestehe“, fuhr Herr v. S. fort, „mir selbst fiel die Ähnlichkeit dieses Mannes mit meinen Zügen, meiner Gestalt, selbst meiner Kleidung überraschend auf. Das letztere hatte wohl die Mode verschuldet, die damals alle junge Welt zwang, sich schwarz zu kleiden. Doch auch für die große Ähnlichkeit unserer Züge, so auffallend sie ist, hat man Beispiele. Sie erinnern sich vielleicht des Falles, der in Frankreich vorkam. Zwei Franzosen trafen in Amerika zusammen. Ihre Ähnlichkeit war so groß, daß man sie gewöhnlich miteinander verwechselte, der eine starb, der andere, ein armer Teufel, wußte sich seine Papiere zu verschaffen, reiste nach Frankreich zurück und lebte mit der Frau des Verstorbenen noch lange Jahre, bis der Betrug an den Tag kam.[AU 1]

Der Herr und die Dame schienen nicht weniger überrascht als ich; die letztere errötete, sie gedachte vielleicht jenes Kusses, und es wurde ihr wohl mit einemmal klar, daß es schon an jenem [351] Abend nicht ihr Otto gewesen sei, gegen den sie sich so zärtlich bewiesen. Der Herr mit meinen Gesichtszügen fragte mich in etwas barschem Ton in schlechtem Französisch, wie ich dazu komme, diese Komödie zu spielen. Ich nahm, nicht aus Furcht vor seinem rollenden Auge, sondern im Gefühl, ein Unrecht, vielleicht eine Unschicklichkeit wieder gutmachen zu müssen, alle Artigkeit, die ich in der Welt gelernt hatte, zusammen und bat die Dame, mir ‚einen Scherz zu vergeben, zu dem sie mich selbst verleitet habe‘. ‚Sie selbst?‘ rief bei diesen Worten jener Mann, und seine Züge verzogen sich immer mehr zum Zorn, ‚sie selbst? Es ist ein abgekartetes Spiel, ich sehe schon, ich bin der betrogene Teil. Doch ich will nicht stören‘ – Er sagte dies vor Wut zitternd, indem er sich von seinem Platz entfernen wollte. Luise, – o ich habe sie nie so süß, so wundervoll gesehen wie in jenem Augenblicke; sie schien mit aller Hingebung der Zärtlichkeit an diesem Manne zu hängen; sie ergriff bebend seine Hand, sie rief ihn mit den liebevollsten Tönen; sie beteuerte, sich unschuldig zu wissen, sie rief mich zürnend zum Zeugen auf. Ich war hingerissen von diesem Zauber der Liebe, der sich mir hier zum erstenmal in seiner ganzen Schönheit darstellte. Es ist etwas Schönes um ein Mädchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es ist etwas Heiliges, möchte ich sagen. Aber der Schmerz inniger Liebe, das Zittern zärtlicher Angst und diese Thränen in den blauen Augen, dieses Flüstern der süßesten Namen von den feinen Lippen und diese Röte der Angst und der Beschämung auf den zarten Wangen, es ist ein Bild, irdischer zwar als jenes, aber von einer hinreißenden Gewalt.“

„Ich kenne das“, unterbrach ich diese rednerischen Schilderungen des verliebten Berliners, dem die Dame seines Herzens in jeder neuen Form wieder lieblicher schien, „ich kenne das, so was Heiliges, so was Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Süßes, Bitterschmerzliches, kurz, so was Klagendes, Anziehendes, ich kenne das; aber wie war es denn mit dem zornigen Patron, der Euer Wohlgeboren so ähnlich?“

„Er glaubte ihren Versicherungen nicht, war es Eifersucht, war es sein leidenschaftlicher Zorn, den er nicht bemeistern konnte, er stieß sie zurück, er drohte, sie nie mehr zu sehen. Das Mädchen [352] setzte sich weinend auf ihren Stuhl. Die tobende Freude der Römer an dem Pferderennen, ihr Jauchzen, ihr Rufen stand in schneidendem Kontrast mit dem stillen Schmerz dieses Engels. Ich fühlte inniges Mitleid mit ihr, ich fühlte mich tief verletzt, daß ein Mann eine Dame, ein Liebender die Geliebte so schnöde beleidigen könne. ‚Mein Herr‘, sagte ich, ‚das Wort eines Mannes von Ehre kann Sie vielleicht überzeugen, daß die Schuld dieser Szene allein auf mir ruht.‘ – ‚Eines Mannes von Ehre?‘ rief er höhnisch lachend; ‚so kann sich jeder Tropf nennen.‘ Jetzt glaubte ich die Formen der gesellschaftlichen Höflichkeit nicht weiter beobachten zu müssen. Ich gab ihm ein wohlbekanntes Zeichen, flüsterte ihm meinen Namen, die Nummer meines Hauses und die Straße zu, in welcher ich wohnte, und verließ ihn.

Es waren widerstreitende Gefühle, die in meiner Brust erwachten, als ich zu Haus über diesen Vorfall nachdachte. Ich mußte mir gestehen, daß ich unbesonnen, thöricht gehandelt hatte, die Rolle eines andern bei diesem Mädchen zu übernehmen. Es ist wahr, der Zufall war so überraschend, die Gelegenheit so lockend, ihre Erscheinung so reizend, so anziehend, daß wohl keiner der Versuchung widerstanden hätte. Aber mußte mich nicht schon der Gedanke zurückschrecken, daß es ihr bei dem Geliebten schaden könnte, traf er uns beide zusammen? in welch ungünstigem Lichte mußte ich, mußte auch sie ihm erscheinen!

Und doch – wo ist der Mensch, der nicht in einem solchen Falle sich vor sich selbst zu entschuldigen wüßte; ich fühlte, daß ich dieses unbekannte, reizende Wesen liebe, und wie leicht entschuldigt Liebe! Und weil ich sie liebte, haßte ich den begünstigten Mann. Er war ein Barbar in meinen Augen; wie konnte er die Geliebte so grausam behandeln; wie durfte er, wenn er sie wahrhaft liebte, an ihrer Tugend zweifeln, und wer, der jemals in dieses treue, seelenvolle Auge gesehen, wer konnte an der Reinheit dieses Engels zweifeln?

Am Morgen nach dieser Begebenheit bekam ich einen italienischen, schlecht geschriebenen Brief, er enthielt die Bitte einer Signora Maria Campoco, dem Überbringer des Briefes in ihr Haus zu folgen, wo sie mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich kannte [353] keine Dame dieses Namens, ich fragte den Diener nach der Straße, er nannte mir eine, von welcher ich nie gehört hatte. Eine Ahnung sagte mir übrigens, dieser Brief könnte mit meinem Abenteuer von gestern zusammenhängen; ich entschloß mich zu folgen. Der Diener führte mich durch viele Straßen in eine Gegend der Stadt, die mir völlig unbekannt war. Er beugte endlich in eine kleine Seitenstraße, ein Brunnen, eine Madonna von Stein fiel mir ins Auge, es war kein Zweifel, ich befand mich an dem Haus, wohin ich Luisen aus den Lamentationen begleitet hatte.

Es war ein kleines, unscheinbares Haus, dessen Thüre der Diener aufschloß; über einen finstern Gang, eine noch dunklere Treppe brachte er mich in ein Zimmer, dessen Eleganz nicht mit dem übrigen Ansehen des Hauses übereinstimmte. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, erscholl das Klaffen vieler Hunde, die Thüre öffnete sich – aber nicht meine Schöne, sondern eine kleine, wohlbeleibte, ältliche Frau trat, umgeben von einer Schar kleiner Hunde, ins Zimmer.

Es dauerte ziemlich lange, bis Tasso, Ariosto, Dante, Alfieri, und wie die Kläffer alle hießen, über den Anblick eines fremden Mannes beruhigt waren und die kleine Dame endlich zum Wort kommen konnte. Sie sagte mir sehr höflich, sie habe mich rufen lassen, um wegen einer Angelegenheit ihrer Nichte, Luise von Palden, mit mir zu sprechen. – Das Verlangen, das schöne Kind wiederzusehen, mich bei ihr selbst zu entschuldigen, gab mir eine Notlüge ein: ich fragte sie in so miserablem Italienisch, als mir nur möglich war, ob sie Französisch oder Deutsch verstehe? Sie verneinte es, ich zuckte die Achsel und gab ihr mehr durch Zeichen als Worte zu verstehen, daß ich der italienischen Sprache durchaus nicht mächtig sei. Sie besann sich eine Weile, sagte dann, ich könne in ihrer Gegenwart mit ihrer Nichte sprechen, und entfernte sich.

Wie schlug mein Herz von Erwartung, von Liebe bewegt! Wie beschämt fühlte ich mich, in ihren Augen als ein Nichtswürdiger zu scheinen, der ihren Irrtum auf so indiskrete Art benützte! Die hündische Leibwache der Signora verkündete, daß sie nahe. Ich fühlte seit langer Zeit zum erstenmal eine Verlegenheit, [354] ein Beben; ich fühlte, wie ich errötete, jene Sicherheit des Benehmens, das mich jahrelang begleitet hatte, wollte mich in diesem Augenblicke verlassen.

Sie kam, sie dünkte mir in dem einfachen, reizenden Negligee lieblicher als je, und ihre Verwirrung, als sie mich sah, der Unmut, den ich in ihrem Auge zu lesen glaubte, vermochte ihre Anmut nicht zu schwächen. ‚Mein Herr! Es ist eine sehr sonderbare Begebenheit, die Sie in dieses Haus führt‘, sprach sie mit jenen klangvollen Tönen, die ich so gerne hörte; ‚Sie müssen selbst gestehen‘, setzte sie hinzu, aber sei es, daß die Erinnerung an jenen Abend sie zu unangenehm berührte, sei es, daß sie einem meiner Blicke begegnete, die vielleicht mehr als Ehrfurcht ausdrückten, sie schlug die Augen nieder, errötete aufs neue und schwieg.

Ich faßte mich, ich suchte mich zu entschuldigen so gut es ging; ich erzählte ihr, wie ich sie hilflos und in Ohnmacht in der Kirche gefunden, wie ich ihren Irrtum nicht habe berichtigen können, aus Furcht, sie möchte meine Begleitung ablehnen, die ihr in ihrem damaligen Zustande so notwendig war. Meine zweite Unbesonnenheit schob ich auf die Maskenfreiheit des Karnevals, ich suchte einen Scherz daraus zu machen, ich behauptete, es sei an diesem Abend erlaubt, jede Maske vorzunehmen, und so habe ich die ihres Freundes vorgenommen. Ich glaubte, sagte ich, in diesen Scherz um so eher eingehen zu dürfen, da wir Landsleute sind und die Deutschen in Rom als Kinder Einer Heimat nur Eine große Familie sein sollten.“

„Eine gefährliche Verwandtschaft!“ erwiderte ich dem jungen Berliner, indem ich mich im stillen über seine jesuitische Logik freute; „Wie? brachte die Dame nicht das Corpus juris und den – – – – gegen Sie in Anwendung? In Schwaben möchte zur Not ein solches Verwandtschaftssystem gelten oder bei den Juden, welche Herren und Knechte, Norden und Süden ‚unsere Leute‘ nennen; aber Deutschland? Bedenken Sie, daß es in zweiunddreißig Staaten geteilt ist, wo ist da ein Verwandtschaftsband möglich? Wenn Sie sich im Himmel oder in der Hölle treffen, so heißen sie nur Österreicher, Preußen, Hechinger und fürstlich reußische Landeskinder!“

[355] „Luise mochte auch so denken“, fuhr er fort. „Doch nötigte ihr meine Deduktion ein Lächeln ab; es schien ihr angenehm, über diese Punkte so leicht weggehen zu können. Sie klagte sich selbst an, diesen Irrtum veranlaßt zu haben, sie vergab, sie erlaubte mir, ihre schöne Hand zu küssen. Doch ihre Blicke wurden wieder düster. Sie sagte, wie sie nur zu deutlich bemerkt habe, daß ich tief beleidigt weggegangen sei, daß dieser Streit noch eine gefährliche Folge haben könne. Ihr Auge füllte sich mit Thränen, als sie dies sagte. Sie beschwor mich, ihrem Freund zu vergeben, sie suchte ihn zu entschuldigen, ihn, der sie selbst so tief beleidigt hatte, sie sprach mit so zärtlicher Wärme für den Mann, der so ganz vergessen hatte, daß die wahre Liebe glauben und vertrauen müsse, der so niedrig war, dieser reinen Seele gegenüber gemeine Eifersucht zu zeigen. Ich wäre glücklich, selig gewesen, hätte dieses Mädchen so von mir gesprochen!

Ich fragte sie, ob sie in seinem Auftrag mir dieses sage? Sie war betreten, sie antwortete, daß sie gewiß wisse, daß es ihm leid sei, mir jene Worte gesagt zu haben; ich versprach, wenn er mir dies selbst sagen werde, nicht mehr an die Sache zu denken. Wie heiter war sie jetzt, sie scherzte über ihren Irrtum, sie verglich meine Züge mit denen ihres Freundes, sie glaubte große Ähnlichkeit zu finden, und doch schien es ihr unbegreiflich, wie sie nicht an meinen Augen, meiner Stimme, an meinem ganzen Wesen ihren Mißgriff erkannt habe. Sie rief ihrer Tante zu, daß sie ihren Zweck vollkommen erreicht habe.

Signora Campoco, die während der ganzen Szene am Fenster gesessen und bald die Leute auf der Straße, bald ihre Hündchen, bald uns betrachtet hatte, kam freundlich zu mir, dankte für meine Gefälligkeit, ihr Haus besucht zu haben, und bemerkte: sie hätte nie geglaubt, daß unsere barbarische Sprache so wohltönend gesprochen werden könne. Sie sehen, ich hatte jetzt nichts mehr in diesem Hause zu thun; so gerne ich noch ein Stündchen mit Fräulein von Palden geplaudert hätte, so neugierig ich war, ihre Verhältnisse in Deutschland und ihre Lage in Rom zu erfahren – der Anstand forderte, daß ich Abschied nahm, mit dem unglücklichen Gefühle Abschied nahm, diese Schwelle nie mehr betreten [356] zu können. Signora, sie hätte sich vielleicht gekreuzt, hätte sie gewußt, daß ein Ketzer vor ihr stehe, Signora empfahl mich der Gnade der heiligen Jungfrau, und Luise reichte mir traulich die Hand zum Scheiden. Ich fragte sie noch, wie der Herr heiße, mit welchem ich das Glück gehabt habe, verwechselt zu werden. Sie errötete und sagte: ‚Er will zwar hier nicht bekannt sein und so zurückgezogen als möglich leben, doch warum sollte ich Ihnen seinen Namen verhehlen? Ich möchte so gerne, daß Sie Freunde würden. Er heißt – – – – und wohnt – – – –‘“

So, „etwas breit nach Art der lieben Jugend“, hatte mir der junge Mann den weiteren Verlauf seines Abenteuers erzählt, ich hörte ihm gerne zu, obgleich nichts peinlicher für mich ist, als eine lamentable Liebesgeschichte recht lang und gehörig breit erzählen zu hören; aber interessant war mir dabei die Art, wie er mir erzählte. Sein ausdrucksvolles Auge schien die Glut seiner Gefühle widerzustrahlen, seine Züge nahmen den Charakter düsterer Wehmut an, wenn er sich unglücklich fühlte, und ein angenehmes Lächeln erheiterte sie, wenn er mir die Reize der jungen Dame zu beschreiben suchte. Plötzlich, als er mir eben erzählte, wie er das Haus der Signora verlassen habe, drückte er meinen Arm fester und brach in einen kleinen Fluch aus. „So muß der Teufel diesen Pfaffen doch überall haben“, rief er und wandte sich unmutig um. Ich war erstaunt, welchen Pfaffen sollte ich denn überall haben? Ich fragte ihn, was ihn so aufbringen könne.

„Sehen Sie nicht hin, sonst müssen wir grüßen“, gab er mir zur Antwort, „ich kann ihn nicht ansehen, den Jesuiten.“

Ich stellte mich, als befolge ich treulich seinen Befehl, doch konnte ich nicht umhin, einen Seitenblick in die Straße zu werfen, und sah wirklich ein höchst ergötzliches Schauspiel. Die Straße herauf kam ein hoher Prälat der Kirche, der Kardinal Rocco, ein Mann, der schon längst als einer der zweiten Klasse mit dem Prädikat „gut“ auf meinen Tafeln verzeichnet ist. Eine große majestätische Gestalt voll stolzer Würde; sein weißes Haar, von einem einfachen roten Käppchen bedeckt, stach sonderbar ab gegen ein Gesicht, das man eigentlich reich nennen könnte. Gewölbte Brauen, große Augen, eine Adlernase, die Unterlippe [357] etwas übermütig gezogen, das Kinn und die Wangen voll und kräftig. Über das rollende Untergewand trug er einen Talar, dessen eines Ende er in malerischen Falten über den Arm gelegt hatte; das andere Ende hielt in einiger Entfernung hinter ihm herschleichend sein Diener, ebenfalls ein Mönch, ein dürres bleiches Geschöpf, dessen tückische Augen nach allen Seiten spähten, ob seine Eminenz von den Gläubigen ehrfurchtsvoll, wie es sich gebührt, begrüßt werden.

Der Gang des Kardinals war der Gang eines Siegers, und eine solche Erscheinung in diesen Straßen erinnerte nur zu leicht an die Senatoren der „ewigen Stadt.“

„Sehen Sie, wie er hingeht, dieser Pharisäer“, flüsterte der junge Mann mit den Zähnen knirschend. „Sehen Sie, wie der Pöbel sich zum Handkuß drängt, mit welcher Würde, mit welcher Grazie er seinen Segen erteilt.

Theaterpossen! wenn diese Leute wüßten, was ich von ihm weiß, sie würden diesem Pharisäer, diesem Verfälscher des Gesetzes die Insignien seiner Würde vom Leibe reißen, oder sie wären wert, von einem Türken beherrscht zu werden.“

„Was bringt Sie so auf! verehrter Freund? Wer ist dieser Ehrenmann? Was hat er Ihnen zu leid gethan? Hängt er mit Ihren Abenteuern zusammen?“ Ich mußte lange fragen, bis er mich hörte, denn er schaute mit durchbohrenden Blicken der Eminenz nach und murmelte Verwünschungen wie ein Zauberer.

„Ob ich ihn kenne? Ob er mir etwas zu leide gethan? O! dieser Mensch hat ein Leben vergiftet, ein Herz zu Boden getreten, das – doch Sie werden mehr von ihm hören; es ist der Kardinal Rocco, der Satan ist nicht schwärzer als er; mit seinem roten Hut deckt er alle Sünden zu, aber trotzdem, daß er geweiht ist, wird ihn dennoch der Teufel holen!“

„Da hat es gute Wege“, dachte ich; „Nr. 2, gute Sorte“; doch was konnte dieser Berliner gegen Rocco haben; unmöglich konnte ich glauben, daß sein Protestantismus so tief gehe, daß er jeden, der violette Strümpfe trug, in die Hölle wünschen mußte. Er hatte sich wieder gesammelt: „Vergeben Sie diese Hitze, Sie werden mir einst recht geben, so zu urteilen, wenn ich Sie erst [358] mit dem Treiben dieser Menschen bekannt mache. Doch jetzt noch einiges zum Verständnis meines Abenteuers. Die Geschichte mit – – – – war bald abgethan. Er schickte einen Franzosen zu mir, der mir erklärte, daß jener sich in mir geirrt habe und um Verzeihung bitte. Durch ihn erfuhr ich auch, daß Luisens Geliebter früher Offizier und zwar in …schen Diensten gewesen sei.

Um diese Zeit kam die Schwester des sächsischen Gesandten nach Rom, sich einige Zeit mit ihrer Familie bei ihrem Bruder aufzuhalten. Ich war am ersten Abend ihres Aufenthalts zufällig zugegen, und – stellen Sie sich einmal mein Erstaunen vor, als ich hörte, wie sie eine andere Dame fragte, ob nicht ein Fräulein von Palden hier lebe? Ich wandte mich unwillkürlich ab, um nicht dem ganzen Kreise mein Erröten, mein Entzücken zu zeigen; es war mir etwas so Neues, so Schönes, Luisens Namen aus einem fremden Munde zu hören. Jedoch keine der anwesenden Damen wollte von ihr wissen, und ich fühlte mich nicht berufen, unaufgefordert mein Geheimnis mitzuteilen.

Deutsche, besonders Frauen, pflegen immer großen Anteil an Landsleuten zu nehmen; es konnte daher nicht anders sein, als daß man seine Verwunderung laut darüber aussprach, daß ein deutsches Fräulein in Rom lebe, die auch keinem von allen bekannt sein sollte? ‚Wer ist sie? Ist sie schön? Wie kommt sie nach Rom?‘ fragte man einstimmig, und wie lauschte ich, wie pochte mein Herz, endlich über das interessante Wesen etwas zu hören.

Sie erzählte, wie sie in …th Luisen kennengelernt, die damals durch ihr schönes Äußere, durch ihre Liebenswürdigkeit, ihren Verstand die ganze Stadt beschäftigt, ihre näheren Bekannten bezaubert habe. Um so auffallender sei auf einmal ein Liebeshandel gewesen, der sich zwischen einem Offizier, einem bürgerlichen Subjekt, und der Tochter des Geheimen Rats Palden entspann. Dieser Mensch habe außer seiner schönen Figur und einem blühenden Gesicht keine Vorzüge, nicht einmal gute Sitten gehabt. Dem Vater sei diese Geschichte zu ernstlich geworden, er habe den Offizier zu einem Regiment zu versetzen gewußt, das mit einem Teil der französischen Armee nach Spanien bestimmt [359] war. Man habe sich in …th allgemein gefreut über die Art, wie sich Fräulein Palden in diese Wendung fügte; doch bald erfuhr man, daß die Verbindung mit dem Offizier nichts weniger als abgebrochen sei, sondern durch Armeekuriere und dergleichen Briefe gewechselt werden. Es vergingen so beinahe zwei Jahre. Die Armee kehrte zurück, doch nicht mit ihr jener Offizier. Man sagte in Gesellschaften und in Luisens Nähe, er sei wegen einer Ehrensache aus dem Dienst getreten. Seine Kameraden schwiegen hartnäckig hierüber, doch gab es einige Stimmen im Publikum, die von einer vorteilhaften Heirat, andere, die von einer Entführung oder von beiden sprachen, kurz, man bemerkte, daß Herr v. …, so hieß der Offizier, seiner Dame ungetreu geworden sei. Um diese Zeit starb der alte Herr von Palden. Seine erste Frau war eine Römerin, das Fräulein entschloß sich auf einmal, zu großer Verwunderung der Stadt …th, zu ihren Verwandten nach Rom zu ziehen.

So viel wußte die Schwester des Gesandten von Luisen. Es war mir genug, um ihr Verhältnis zu … ganz in der Ordnung zu finden, nur war es mir unbegreiflich, was ihn bewogen haben könnte, nach Rom zu gehen? Oder kam er erst nach ihr hieher? Und warum heiraten sie sich nicht, da doch ihre Hand jetzt frei und von niemand abhängig ist?

Ich quälte mich mit diesen Gedanken. Ich hätte so gerne mehr und immer mehr von dem holden Kind erfahren; ich fühlte lebhaft den Wunsch, sie wiederzusehen, zu sprechen; ich wollte ja nicht geliebt werden, nur sehen, nur lieben wollte ich sie. Da fiel mir bei, wie ich dies so leicht möglich machen könnte. Ich durfte ja nur der Schwester des Gesandten sagen, wo sich Luise aufhalte, und dann konnte ich gewiß sein, sie schon in den nächsten Tagen im Hotel des Gesandten zu sehen. Ich that dies, und mein Wunsch wurde erfüllt.“

Ein Bekannter des Herrn von S. gesellte sich hier zu uns und unterbrach zu meinem großen Ärger die Erzählung. Ich machte noch einige Gänge mit ihnen unter den Arkaden; als ich aber sah, daß der Bekannte sich nicht entfernen wolle, fragte ich den Berliner nach seiner Wohnung und ging mit dem Vorsatz, [360] ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Ich muß gestehen, ich fing an, die Geschichte des jungen Mannes weniger anziehend zu finden, weil sie mir in eine gewöhnliche Liebesgeschichte auszuarten schien. Doch zwei Umstände waren es, die mir von neuem wieder Interesse einflößten und mich bestimmten, seine Abenteuer zu hören. Ich erinnerte mich nämlich, wie überraschend sein Anblick, sein ganzes Wesen in Berlin auf mich gewirkt hatten. Es war nicht der gewöhnliche Kummer der Liebe, wie er sich bei jedem Amoroso vom Mühlendamm ausspricht, es war ein Gram, ein tieferes Leiden, das mir um so anziehender dünkte, als es nur ganz unmerklich und leise durch jene Hülle schimmerte, womit die gesellschaftlichen Formen die weinende Seele umgeben. Er schien ein Unglück zu kennen, zu teilen, das ihn unausgesetzt beschäftigte, zu welchem ihn die Erinnerung sogar mitten in einem ästhetischen Thee rettungsvoll zurückführte.

Das zweite, was mich zu dem jungen Mann und seinem Abenteuer zog, war die Szene, die ich morgens vor der Peterskirche beobachtet hatte. Ich hatte dort bemerkt, daß er sie mit Sehnsucht erwarte; sie war gekommen, aber es schien kein fröhliches Zusammentreffen. Sie schien ihn etwas mit ihren Blicken zu fragen, das er nicht beantworten, sie schien etwas zu verlangen, das er nicht erfüllen konnte; wie schwer mußte es ihm werden, in der Ferne zu stehen und dem holden Mädchen durch keine Silbe zu antworten, er ließ sie gehen wie sie gekommen: aber dann sandte er ihr Blicke voll zärtlicher Liebe nach. Warum sagte er ihr nicht auf der Stelle, wie er sie liebe? Welche Gewalt mußte sie über ihn ausüben, um ihn in diese engen Schranken einer beinahe blöden Bescheidenheit zurückzuweisen? Wieviel es sie koste, sah ich an ihrem Auge, in welchem eine Thräne perlte, als sie weiterging.

Diese Fragen drängten sich mir auf, als ich über den jungen Mann und die rätselhafte Dame nachdachte. Wo nicht ein blindes Fatum waltet und ein Uhrwerk die Gedanken der Sterblichen treibt, da lernt keiner aus, sei er Gott oder Teufel; wohl sagt der Mensch, der kleinlich nur auf die Resultate seiner Geschichte sieht: „Es wiederholt sich alles im Leben“. Aber wie es [361] sich wiederhole, wie der endliche Geist in seiner kurzen Spanne Zeit wächst und ringt und strebt und gegen die alte Notwendigkeit ankämpft, das ist ein Schauspiel, das sich täglich mit ewig neuem Reize wiederholt; und das Auge, das von Weltintrigen gesättigt, vom Anschauen der Kämpfe großer Massen ermüdet ist, senkt sich gerne abwärts zum kleineren Treiben des Einzelnen. Drum möge es keinem jener verehrlichen Leute, für die ich meine Memoiren niederschreibe, kleinlich dünken, daß ich in Rom, wo so unendlich viel Stoff zur Intrige, ein so großer Raum zu einem diabolischen Festtagsspiel ist, mit einer Liebeshistorie mich befasse – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !

Am Abend dieses Tages fuhr ich mit einigen griechischen Kaufleuten auf der Tiber. Wir hatten eine der größeren Barken bestiegen und die freien Sitze des Vorderteils eingenommen, weil das Zelt in der Mitte, wie uns die Schiffer sagten, schon besetzt war. Der Abend war schwül und wirkte selbst mitten im Fluß so drückend und ermattend auf diese Menschen, daß unser Gespräch nach und nach verstummte. Ich vernahm jetzt ein halblautes Reden und Streiten im Innern des Zeltes, ich setzte mich ganz nahe hin und lauschte. Es waren zwei Männer und eine Frau, soviel ich aus ihren Stimmen schließen konnte. Sie sprachen aber etwas verwirrt und gebrochen; der eine hatte gutes, wohltönendes Italienisch, er sprach langsam und mit vieler Salbung, die Dame mischte unter sechs italienische Worte immer zwei spanische und ein französisches; der andere Mann, der wenig, aber schnell und mit Leidenschaft sprach, hatte jene murmelnde, undeutliche Aussprache, an welcher man in Italien sogleich den Deutschen oder Engländer erkennt.

Ein kleiner Riß in der Gardine des Zeltes ließ mich die kleine Gesellschaft überschauen; und o Wunder! jene salbungsvolle Rede entströmte dem Kardinal Rocco! Ihm gegenüber saß eine Dame, schon über die erste Blüte hinaus, aber noch immer schön zu nennen. Ihre beweglichen schwarzen Augen, ihre vollen roten Lippen, ihr etwas nachlässiges Kostüm, dessen Schuld der schwüle [362] Abend tragen mußte, zeigten, daß sie mit den ersten Dreißig die Lust zum Leben noch nicht verloren habe. An ihrer Seite glaubte ich auf den ersten, flüchtigen Anblick Otto von S. zu erkennen. Doch die Züge des Mannes im Zelte waren düsterer, sein Auge blickte nicht so offen und frei wie das des Berliners, – ich war keinen Augenblick im Zweifel, es mußte sein verkörperter Doppelgänger, … sein. Aber wie! Die Dame war nicht Luise von Palden; durfte dieser Mann so traulich neben einer andern sitzen, ohne dieselbe Schuld wirklich zu tragen, die er der Geliebten aufbürden wollte?

„Gilt dir denn meine Liebe, meine Zärtlichkeit gar nichts?“ hörte ich die Dame sagen; „nichts meine Aufopferung, nichts meine Leiden, nichts meine Schande, der ich mich um deinetwillen aussetzte? Ein Wort, ein einziges Wort kann uns glücklich machen. Du sagst immer morgen, morgen! Es ist jetzt Abend, warum willst du morgen doch wieder nicht?“

„Mein Sohn!“ sprach der Kardinal; „ich will nichts davon sagen, daß Euer langes Zögern, Eure fortwährende Weigerung für unsere heilige Kirche Beleidigung ist. Ich weiß zwar wohl, nicht Ihr seid es, der diese Zögerungen verschuldet; der Teufel, der leibhaftige Satan spricht aus Euch; es ist das letzte Zucken Eurer ketzerischen Irrtümer, was Euch die Wahrheit nicht sehen läßt; aber beim heiligen Kreuz, den Nägeln und der heiligen Erde beschwöre ich Euch, folget mir; lasset Euch aufnehmen in den heiligen Schoß der Kirche, zur Verherrlichung Gottes.“

„Ha!“ dachte ich, „den haben sie gerade recht in den Krallen. Ein schönes Weib, ein Kardinal Rocco und ein paar Gewissensbisse, wie der Herr im Zelte zu haben schien. – Da kann es nicht fehlen!“ – Er seufzte, er blickte bald die Dame, bald den Priester mit unmutigen Blicken an. „Ich will ja alles thun, ins Teufels Namen, alles thun“, sagte er, „mein Leben ist ohnedies schon verschuldet und vergiftet, aber wozu diese sonderbare Prozedur? Warum soll ich vor der Welt zum Narren werden, um die Ehre von Donna Ines wiederherzustellen?“

„Mein Sohn, mein Sohn! wie frevelt Ihr! zum Narren werden, sagt Ihr? O! Ihr verstockter Ketzer, ihr alle seid von eurer [363] Taufe an, wo der Satan zu Gevatter steht, Renegaten, Abtrünnige! Es ist also nur eine Rückkehr; kein Übertritt, keine Ableugnung eines früheren Glaubens. Ihr hattet ja vorher keinen Glauben; Ihr werdet doch nicht die Ketzerei so nennen wollen, die der Erzketzer in Wittenberg aus den Fetzen, die er dem Heiligtum gestohlen, zusammenstückelte?“

„Lasset mich, Eminenz! es ist einmal gegen meine Überzeugung; ich müßte mich ja vor ganz Deutschland schämen.“

„O verstockter Ketzer! Schämen, sagt Ihr? hat sich der liebe Mann, der Herr von Haller[1], auch geschämt? Schämen! wie ein Heiliger würdet Ihr dastehen, braucht sich ein Heiliger zu schämen? Hat sich der treffliche Hohenlohe[2] geschämt, umgeben von Ketzern, seine Wunder zu verrichten? Es sei gegen Eure Überzeugung, saget Ihr? da sieht man wieder den Deutschen, nicht wahr Donna Ines, den ehrlichen Deutschen! Zu was denn immer Überzeugung? Das ist ja gerade das Wunderbare am Glauben, daß er von selbst wirkt ohne Überzeugung. Gesetzt, Ihr wäret krank, mein lieber Freund; man schickt Euch den ersten Arzt der Christenheit; Ihr seid nicht überzeugt, daß er der alleinige, wahre Arzt ist, aber Ihr laßt Euch gefallen, seine Arzneien einzunehmen, und siehe, sie wirken auf Euren Körper ohne Überzeugung gerade wie unser Glaube auf die Seele.“

„Otto!“ sprach Dame Ines mit schmelzenden Tönen, „teurer Otto! Siehe, wenn mich der heilige Mann hier nicht absolviert und beruhigt hätte, ich müßte ja schon längst verzweifelt sein, einen Ketzer so innig zu lieben! Wie leicht wird es dir gemacht, einer der Unsrigen zu sein, und dann ein Weib auf ewig glücklich zu machen, das dir alles opferte! Und bedenke die schöne [364] Villa an der Tiber und das köstliche Haus neben dem Palast Seiner Eminenz; dies alles will uns der heilige Vater zur Ausstattung schenken; bist du nicht gerührt von so vieler Liebe?“

„Nicht verhehlen kann ich es Euch, mein Sohn“, fuhr der beredte Mann mit dem roten Hute fort, „nicht verhehlen kann ich es Euch, daß man im Lateran noch heute von Euch sprach, daß es sogar Seiner Heiligkeit selbst auffällt, daß Ihr so lange zögert. Bis über acht Tage naht ein großes Fest heran, welch herrliche Gelegenheit, etwas zu Gottes Ehre zu thun, bietet sich Euch dar!“

„Wozu doch diese Öffentlichkeit?“ fragte …, „ich hasse dieses Rühmen und Ausschreien in alle Welt. Lasset mich still in einer Kapelle die Zeremonie verrichten; was nützt es Euch, ob ich laut und offen das Opfer bringe, o Luise, Luise. Es tötet sie, wenn sie es hört!“

„Elender!“ rief die Dame, indem sie in Thränen ausbrach; „sind das deine Schwüre? Du falsches Herz; ich habe dir alles, alles geopfert, und so kannst du vergelten? O Barbar! gehe hin zu ihr, lege dich nieder in ihre Fesseln, aber wisse, daß ich mich in die Tiber stürze, über meine armen Würmer, meine unglücklichen Kinder mag sich Gott erbarmen!“

„Kinder, Kinder! Meine fromme Tochter, mein lieber, aber verblendeter Sohn; wozu dieser Skandal, diese Szene auf dem Schiffe; stillet Eure Thränen, schöne Frau; es wird noch alles gut werden; kommet, ich will einen väterlichen Kuß auf Eure Augen drücken, so. Und Ihr, wisset Ihr nicht, daß Ihr Euch versündiget gegen Donna Ines? Was wollet Ihr nur immer wieder mit der Ketzerin, die einst Eure Sinnen zu bestricken wußte? Haben wir Euch nicht Beweise genug gegeben, daß sie in einem strafwürdigen Verhältnis zu dem Teufel ist, der Eure Gestalt und Sprache angenommen hat?“

„Welch einfältiges Märchen!“ rief der junge Mann; „was wollet Ihr auch den Teufel ins Spiel ziehen, ein ehrlicher Berliner ist er, ein Tropf, dem ich das Mädchen nicht gönnen mag, wenn sie mich auch zehnmal betrog?“

„Mein Sohn, die Heilige Jungfrau schütze uns, aber der Satan selbst ist es: hat es nicht letzthin meinem dienenden Frater [365] Piccolo geträumt, der Teufel gehe hier in der heiligen Stadt spazieren? Alle seine Träume sind noch eingetroffen; der deutsche Baron ist der höllische Geist selbst. Wer es aber auch sei; sie hat Euch betrogen. Hat nicht die fromme Frau Maria Campoco Euch selbst dieses Geständnis über ihre Nichte gemacht? Was wollet Ihr nur auf die treulose Ketzerin Rücksicht nehmen! – Und schaut, was ich Euch hier mitgebracht habe“; fuhr Seine Eminenz fort, indem sie ein großes Papier entfaltete; „sehet wie ich Wort halte; ich habe Euch versprochen, die Liste aller derer mitzubringen, welche in Eurem Deutschland öffentliche Ketzer, im geheim aber gute Christen der wahren Kirche sind; da, leset!“

Der junge Mann las und staunte; er sah den Kardinal fragend an, ob er denn wirklich dieser Schrift trauen dürfe? Donna Ines, welche bemerkte, welch günstigen Eindruck diese Liste mache, zog die Hand des heiligen Mannes an den Mund und bedeckte sie mit feurigen Küssen der Andacht.

„Nicht wahr“, fuhr Rocco fort, „da stehen wohlklingende Namen? Professoren, Grafen, Fürsten sogar; freilich diese Leute können nicht so öffentlich sich erklären, Freundchen, die Politik, die Rücksicht auf ihre ketzerischen Unterthanen erlaubt das nicht; aber im Herzen, im Herzen sind sie unser; da, dieser Nr. 8, ich kann eure barbarischen Namen nicht aussprechen, der wird sich sogar öffentlich erklären und seine Irrtümer abschwören. Der da oben wird auch einen wichtigen Schritt vorwärts thun. O! und bedenket, was erst in Frankreich, selbst in England für uns gethan wird, bald, vielleicht erlebe ich es noch, bald werdet ihr alle samt und sonders zu uns zurückgekehrt sein. Wie herrlich muß dann ein Name wie der Eurige leuchten, der nicht mit der Menge, sondern lang zuvor auf unsere heiligen Tafeln verzeichnet wurde!“

„Aber, o Himmel, Kardinal! ich bin ja schlechter als die ganze Liste dieser Heimlichen. Ihr selbst wisset, daß, wenn ich zu Eurer Kirche abfalle, es nur geschieht, um den ewigen Klagen der Donna Ines zu entgehen. Diese Heimlichen haben keinen Vorteil bei ihrer Heimlichkeit. Sie gelten von außen als echte Lutheraner, und was haben sie davon, daß sie von innen römisch sind?“

[366] „O Einfalt! Es ist gut, daß Ihr nicht die ketzerische Theologie studiert habt; Ihr wäret durch das Examen gefallen! Was ist denn das Schöne an unserer Kirche? He? Nicht nur, daß sie die Alleinseligmachende, daß sie gleichsam eine Brandversicherungsanstalt gegen die Hölle, eine Seelenassekuranz gegen den Tod ist; denn schon aus physischen Gründen kann man annehmen, daß keine Seele von den Unsrigen lange im Fegfeuer oder gar in der Hölle verweilt, wenn sie auch ohne Beichte abfährt. Antonio Montani hat berechnet, daß im Durchschnitt hundertundzwanzig Millionen Menschen in der Hölle und ebenso viele im Fegfeuer sind. Nun kann man annehmen, daß seit eurer verfluchten Reformation neunzig Millionen Ketzer, zwanzig Millionen Türken und zehn Millionen Juden hinabgefahren sind; das macht zusammen hundertundzwanzig.“

„O, wie gut haben wir es, hochwürdiger Herr!“ sagte Ines mit zauberischem Lächeln. „Ach, Otto! dich soll ich an jenem Ort wissen, in der Gesellschaft des Teufels und seiner Großmutter? O Gott! es ist nicht möglich!“

„Sodann weiter“, fuhr der Salbungsvolle fort, „Euer Erzketzer in Berlin, der Schleiermacher[3], nimmt selbst an, daß alle Menschen prädestiniert sind, und zwar so beiläufig die Hälfte zum Bösen. Diese müssen nun eine Art von Seelenwanderung in verschiedenen Stationen des Elends machen, bis sie selig werden, und fangen mit der Hölle an; der Mann hat vernünftige Gedanken, und wäre wert, einst nur ins Fegfeuer zu kommen; aber das weiß er doch nicht recht; wenn einer auch zehenmal prädestiniert, zur Hölle plombiert, zum Teufel rekommandiert ist, wir können ihn doch absolvieren und recta in den Himmel schicken. Nun, und wenn man annimmt, daß das Fegfeuer hundertundzwanzig Millionen faßt, und darunter hundert Millionen Türken, und zwanzig Millionen Ketzer, so ist, weiß Gott, auch dort wenig Raum für eine etwas lüderliche Seele.“

[367] „Ihr wisset, Eminenz, was ich von solchen Berechnungen halte, machet mir doch Eure Sache nicht noch lächerlicher. Eure Seelenassekuranz kann mich nicht locken; doch ist sie gut fürs Volk, und ich begreife nicht, warum Ihr nicht schon lange ganze Regimenter, Divisionen, ja Armeen, Kavallerie, Infanterie, Artillerie samt dem Generalstab öffentlich verassekuriert habt. Das wäre eine Anstalt à la Mahomed; die Kerls würden sich schlagen wie der Teufel, denn sie wüßten, wenn sie heute erschossen werden, wachen sie morgen im Paradiese auf. Lasset mich lieber noch einen Blick in die Liste werfen, sie ist mir tröstlicher, denn es stehen ganz vernünftige Männer dort.“

„O, daß Ihr nur ein Jahr auf einer deutschen Universität zugebracht hättet! Unsere Agenten geben uns herrliche Berichte, die ketzerische Jugend soll gegenwärtig ganz absonderlich fromm, heilig und mystisch sein; das Mittelalter, das gute, liebe Mittelalter versetzt sie in diesen liebenswürdigen Schwindel. Sie neigen sich schon ganz zu uns, und lasset nur erst die Jesuiten recht in Deutschland überhandnehmen, dann sollt Ihr erst Wunder sehen! Auch einige brave Männer, Professoren, nehmen sich unserer Sache an: seht, dieser da, Nr. 172, Signor Crusado, der umhüllt sie mit einem so tiefen symbolischen Dunkel, daß sie bald unser sind. Wahrlich, der Hofmechanikus Seiner Heiligkeit, der berühmte Sgn. Carlo Fiorini, hat vollkommen recht. Er hat berechnet, wenn Deutschland einige Grade südlicher läge, wenn ihr eine schönere Natur, ein wenig mehr Sinnlichkeit und Phantasie hättet – die Ketzerei hätte nie aufkommen können, oder ihr wäret wenigstens schon lange wieder zurückgekehrt.“

Die Barke stieß bei diesen Worten ans Land; wie gerne hätte ich diesem trefflichen Pfaffen noch länger zugehört, wie er diese deutsche Seele bearbeitete, es war ein schweres Stück Arbeit, ich gestehe es. Ein Mensch ohne Phantasie, der in den Zeremonien nur Zeremonien sieht, der die Tendenz dieser Römer durchschaut, der durch keinen weltlichen Vorteil zu blenden ist, wahrlich, ein solcher ist schwer zu gewinnen. Doch für diesen war mir nicht bange. Ein Kardinal Rocco und ein schönes Weib haben schon andere geangelt als diesen.

[368] Der heilige Mann stieg aus; mit Ehrfurcht empfingen die Schiffer seinen Segen, den er mit einer Würde, einem Anstand, würdig eines Fürsten der Kirche, erteilte. Donna Ines folgte. Ich bewunderte, während sie über das Brett ging, ihren feinen, zierlichen Wuchs, die Harmonien in ihren Bewegungen und die Glut, die aus ihren Augen strahlte und den Abend schwül zu machen schien. Sie reichte dem geliebten Ketzer ihre schöne Hand mit so besorgter Zärtlichkeit, mit einem so bedeutungsvollen Lächeln, daß ich im Zweifel war, ob ich mehr seine transmontanische Kälte belächeln oder den Mut bewundern sollte, mit welchem er den geistlichen Lockungen dieser in Liebe aufgelösten Circe widerstand. – Am Ufer hielt ein schöner Wagen; der dienende Bruder Piccolo, welchem ich im Traum, in Rom spazieren gehend, erschienen war, stand am Schlag und erwartete Seine Eminenz. Es kostete einige Zeit, bis dieser sein Gewand zu gehöriger Wirkung drapiert hatte, dann erst folgte der Frater Piccolo; der Ketzer und seine Dame schlugen einen Fußpfad ein und gingen der Stadt zu.

„Wer sind diese?“ fragte ich den Schiffer.

„Kennt Ihr den heiligen Mann, den Kardinal Rocco nicht? O, es ist einer der besten Füße des heiligen Stuhles! Alle Abende fährt er in meiner Barke auf dem Fluß.“

„Und die Dame?“

„Ha! das ist eine gute Christin“, antwortete er mit Feuer. „Sie fährt beinahe immer mit dem Kardinal, zuweilen allein mit ihm, zuweilen mit dem Mann, den Ihr gesehen. Dem traue ich nicht ganz, es ist entweder ein Deutscher oder ein Engländer, und die sind doch Kinder des Teufels.“

„So? da sagt Ihr mir etwas Neues, und dieser Mann, ist er ihr Gemahl?“

„Bewahre uns die heilige Jungfrau! Ihr Gemahl? Wo denkt Ihr hin? Da würde er nicht so zärtlich mit ihr spazieren fahren. Ich denke, es ist ihr Geliebter.“

„So ist es“, sagte einer der griechischen Kaufleute, „die Dame wohnt nicht weit von mir. Sie lebt allein mit ihren Kindern. Sie sieht niemand bei sich als einige fromme Geistliche und [369] diesen jungen Mann; es ist ihr Geliebter. Aber sie führen ein Hundeleben zusammen. Man hört sie oft beide weinen und zanken und schreien. Der junge Mann flucht und donnert und jammert mit schrecklicher Stimme, und die Donna weint und klagt, und die Kinder erheben ein Zetergeschrei, daß die Nachbarn zusammenlaufen. Dann stürzt oft der junge Mann verzweifelnd aus dem Haus und will fliehen, aber die Donna setzt ihm mit fliegenden Haaren nach, und die Kinder laufen heulend hintendrein; sie faßt ihn unter der Thüre am Gewand, sie achtet nicht auf die Menschen, die umherstehen; sie zieht ihn zurück ins Haus und besänftigt ihn, und dann ist es oft auf viele Tage stille, bis das Wetter von neuem losbricht.“

„Heilige Jungfrau“, rief der Schiffer, „und hat er sie noch nie totgestochen im Zorn?“

„Wie Ihr sehet, nein!“ erwiderte der Grieche; „aber krank ist sie schon oft geworden, wenn er so greulich raste; dann lief er schnell zu drei, vier Doktoren, um sie wieder ins Leben zurückzurufen. Es sind doch gute Seelen, diese Deutschen!“

So sprachen diese Männer, und ich ging von ihnen in tiefen Gedanken über das, was ich gehört und gesehen hatte. Jenes Wort des jungen Berliners fiel mir wieder bei, der den Kardinal Rocco beschuldigte, ein schönes, gutes Herz gebrochen zu haben. Welches andere Herz konnte dies sein, als Luisens? Ich glaubte deutlich zu sehen, daß der Priester den Kapitän der Geliebten entzogen, indem er sie verleumdet, daß er ihn in die Fesseln dieser Donna Ines geschmiedet habe, um ihn für die Kirche zu gewinnen. Aber wie war alles dies geschehen? Wie hatte er diesen Mann aus den Armen seines Mädchens ziehen, von einem Herzen hinwegreißen können, das ihn mit so heißer Glut umfing; sollten jene Beschuldigungen von Untreue wahr sein, die der Kardinal dem Kapitän einflüsterte? Hatte sie wirklich den jungen Mann, der ihm so ähnlich sah, vorgezogen? Doch ich wußte ja, wo ich mir Gewißheit verschaffen konnte; ich beschloß, bei guter Zeit am nächsten Morgen den Berliner wieder aufzusuchen.


*


[370] Herr von S… schien mich liebgewonnen zu haben, denn er empfing mich mit Herzlichkeit und einem Wohlwollen, das selbst den Teufel erfreut, wenn er auch schon an dergleichen gewöhnt ist. Ich hatte mir vorgenommen, von meiner gestrigen Fahrt und den Wunderdingen, die ich gehört hatte, noch nichts zu erwähnen, um den Verlauf seiner Geschichte zuvor desto ungestörter zu vernehmen.

„Von allem Unglück, das die Erde trägt“, fuhr er zu erzählen fort, „scheint mir keines größer, schmerzlicher und rührender als jener stille, tiefe Gram eines Mädchens, das unglücklich liebt, oder dessen zartes, glühendes Herz von einem Elenden zur Liebe hingerissen und dann betrogen wird. Der Mann hat Kraft, seinen Gram zu unterdrücken, den Verrat seiner Liebe zu rächen, die gepreßte Brust dem Freunde zu öffnen; das Leben bietet ihm tausend Wege, in Mühe und Arbeit, in weiter Ferne Vergessenheit zu erringen. Aber das Weib? – Der häusliche Kreis ist so enge, so leer. Jene täglich wiederkehrende Ordnung, jene stille Beschäftigung mit tausend kleinen Dingen, der sie sich in der Zeit glücklicher Liebe fröhlich, beinahe unbewußt hingab, wie drückend wird sie, wenn sich an jeden Gegenstand die Erinnerung an ein verlorenes Glück heftet. Wie träge schleicht der Kreislauf der Stunden, wenn nicht mehr die süßen Träume der Zukunft, nicht der Zauber der Hoffnung, nicht die Seligkeit der Erwartung den Minuten Flügel gibt, wenn nicht mehr das von glücklicher Liebe pochende Herz den Schlag der Glocke übertönt!

Doch, wozu Sie auf ein Unglück vorbereiten, das Sie nur zu bald erfahren werden? Hören Sie weiter: Mein Wunsch, Luise von Palden im Hause des Gesandten zu sehen, gelang. Schon nach einigen Tagen wurde sie durch seine Schwester dort eingeführt. Sie errötete, als sie mich zum erstenmal dort sah, doch sie schien mich wie einen alten Bekannten dort zu nehmen, es schien sie zu freuen, unter so vielen fremden Männern einen zu wissen, der ihr näher stand. Denn so war es; sei es, daß die Erinnerung an unser sonderbares Abenteuer mich aus einem Fremden zum Bekannten machte, sei es, daß sie gerne zu mir sprach, weil ich die Züge ihres Freundes trug, sie unterschied mich [371] auffallend von allen übrigen Männern, die dieser seltenen Erscheinung huldigten. Sie lächeln, Freund? Ich errate Ihre Gedanken –“

„Ich finde, Sie sind zu bescheiden; könnte es nicht auch Ihre eigene Persönlichkeit gewesen sein, was das Fräulein anzog?“

„Nein, denken Sie nicht so von diesem himmlischen Geschöpf; ich gestehe, ich war ein Thor, ich machte mir Hoffnung, sie für mich gewinnen zu können; ja, Freund, ich sagte ihr sogar, was ich fürchte –“

„Und Sie wurden nicht erhört? Das treue, ehrliche Kind! und ihr Kapitän lag vielleicht gerade in den Armen einer andern!“

Der Berliner stutzte. „Wie? was wissen Sie?“ fragte er betroffen; „wer hat Ihnen gesagt, daß West noch eine andere liebe?“

„Nun, Sie selbst haben mich genug darauf vorbereitet“, erwiderte ich; „sagten Sie nicht, daß jener das Mädchen betrog?“

„Sie haben recht; – nun, ich wurde lächelnd abgewiesen, abgewiesen auf eine Art, die mich dennoch glücklich, unaussprechlich glücklich machte. Sie war keinen Augenblick ungehalten, sie gestand mir, daß ich ihr als Freund willkommen sei, daß ihr Herz keinem andern mehr gehören könne. Sie sagte mir auch manches von ihren Verhältnissen, was ganz mit dem übereinstimmt, was uns die Schwester des Gesandten erzählte, sie gestand, daß sie nur darum nach Rom gezogen sei, weil den Kapitän seine Verhältnisse hieher riefen; sie gestand, daß er einen Rechtsstreit wegen einer Erbschaft hier habe, daß er, sobald die Sache entschieden sei, vielleicht schon in wenigen Wochen, sie zum Altar führen werde.

Etwa eine Woche nach diesem aufrichtigen Geständnis rief mich eines Abends der Gesandte aus dem Salon, in welchem die Gesellschaft versammelt war, zu sich. Es war nichts Seltenes, daß er sich mir in Geschäftssachen mitteilte, weil ich sein Vertrauen auf eine ehrenvolle Art besaß; doch die Zeit war mir auffallend, und es mußte etwas von Wichtigkeit sein, weswegen er mich aus dem Kreis der Damen aufstörte.

‚Kennen Sie einen gewissen Kapitän West?‘ fragte er, indem er mich mit forschenden Blicken ansah.

[372] ‚Ich habe einen Kapitän West flüchtig kennen gelernt‘, gab ich ihm zur Antwort.

Nun, so flüchtig müsse es doch nicht sein, entgegnete er mir, da ich ein Duell mit ihm gehabt.

Ich sagte ihm, daß ich Streit mit ihm gehabt wegen einer ziemlich gleichgültigen Sache; es sei aber alles gütlich beigelegt worden. Dennoch war es mir auffallend, woher der Gesandte diesen Streit erfahren hatte, den ich so geheim als möglich hielt, und von welchem Luise in seinem Hause gewiß nichts erwähnt hatte.

‚Wegen einer Dame haben Sie Streit gehabt‘; sagte er; ‚doch möchte ich Ihnen raten, solche Händel wegen einer so zweideutigen Person zu vermeiden. Sie wissen selbst, wenn man einmal einen öffentlichen, besonders einen diplomatischen Charakter hat, ist dergleichen in einem fremden Lande wegen der Folgen für beide Teile fatal.‘

Der Ton, worin dies gesagt wurde, fiel mir auf. Er war sehr ernst, sehr warnend; noch schmerzlicher berührte mich, was er über jene Dame sagte, ‚zweideutige Person!‘ Und doch saß gerade diese Person als Krone der Gesellschaft in seinem Salon, er selbst, ich hatte es deutlich gesehen, er selbst hatte noch vor einer halben Stunde mit ihr auf eine Art gesprochen, die mich in dem alten Herrn einen aufrichtigen Bewunderer ihrer Reize und ihres glänzenden Verstandes sehen ließ. Ich konnte eine Bemerkung hierüber nicht unterdrücken, ich bat ihn höflich, aber so fest als möglich, in meiner Gegenwart nicht mehr so von einer Dame zu sprechen, die ich achte und die einen so entschiedenen Rang in der Gesellschaft einnehme. Ich wolle davon gar nicht reden, daß er selbst sein Haus beschimpfe, wenn er in solchen Ausdrücken von seinen Gästen spreche.

Er sah mich verwundert an; er sagte mir, er könne meine Reden nicht begreifen, denn weder behaupte die Dame einen Rang in der Gesellschaft, die er sehe, noch habe sie je einen Fuß über seine Schwelle gesetzt. Die Reihe zu erstaunen war jetzt an mir; ich sah, daß hier ein Irrtum vorwalte, und belehrte ihn, daß Fräulein von Palden die Dame sei, um die wir uns schlagen [373] wollten. ‚Verzeihen Sie‘, rief er, ‚man sagt mir, Sie haben sich wegen der Geliebten dieses Kapitän West geschlagen, daher glaubte ich Ihnen dies sagen zu müssen.‘

‚Und wenn dies nun dennoch wäre?‘ fragte ich: ‚Kennen Sie denn die Geliebte des Kapitän?‘

‚Gott soll mich bewahren‘, entgegnete er. ‚Nein, ich glaube, er hat schon selbst genug an seiner Portugiesin.‘

Ich staunte von neuem. ‚Von einer Portugiesin sprechen Sie? Wie kommen Sie nur darauf? Ich weiß bestimmt, daß der Kapitän eine deutsche Dame liebt.‘

‚Um so schlimmer für das arme Kind in Deutschland‘, war seine Antwort; ‚wie die Sachen stehen, scheint man im Lateran ernstlich daran zu denken, den goldenen Quadrupeln der schönen Donna Gehör zu geben und ihre frühere Ehe, weil sie nicht ganz gültig vollzogen war, für nichtig zu erklären. Der Kapitän macht eine gute Partie, aber – jeder Mann von Ehre wird diesen Schritt mißbilligen.‘

Ich stand wie vom Donner gerührt vor dem alten Mann; entweder lag hier eine Verwechslung der Namen und Personen zu Grunde, oder es war ein schreckliches Geheimnis und der Kapitän ein Betrüger, der Luisens Glück vielleicht auf ewig zerstört hatte.

Ich sagte dem Gesandten geradezu, daß er mit mir über Dinge spreche, die mir völlig unbekannt seien. Er staunte, doch glaubte er, da er schon so viel gesagt hatte, mir die weitere Erklärung dieser Rätsel schuldig zu sein. ‚Dieser Kapitän West ist ein Sachse‘, erzählte er; ‚er diente früher im Generalstab, und wurde dann zu einer diplomatischen Sendung nach Spanien verwandt; er soll ein Mann von vielen Talenten, aber etwas zweideutigem Charakter sein. Warum die Wahl gerade auf ihn fiel, da noch ältere Leute und aus guten Häusern im Departement waren, ist mir unbekannt; nur so viel erfuhr ich zufällig, daß man ihn damals von Dresden habe entfernen wollen. Man erzählt sich, er habe in Madrid in einem Verhältnis zu einer schönen jungen Frau gelebt; sie war eine Spanierin, aber an einen alten Engländer verheiratet, der sie vielleicht nicht so strenge unter [374] Schloß und Riegel hielt, wie man sonst in Spanien zu thun pflegt.

Als aber endlich dieses Verhältnis zu den Ohren des Engländers kam, bewirkte dieser, daß der Kapitän von seinem Posten abgerufen und sogar aus dem Dienst entlassen wurde. Doch sagen andere, er selbst habe aus Ärger über seine schnelle Abrufung quittiert. Doch das Beste kommt noch; einige Wochen nach seiner Abreise war die Frau des Engländers mit ihren beiden Kindern plötzlich verschwunden, man kann sagen, spurlos verschwunden, denn so viele Mühe sich ihr Gatte gab, ihrer habhaft zu werden, alles war vergeblich. Vielleicht scheiterten auch seine Bemühungen an den Unruhen, die gerade in jener Zeit ausbrachen und die Kommunikation mit Frankreich sehr erschwerten.

Der Verdacht dieses Engländers fiel, wie natürlich, vor allem auf den Kapitän West. Er wußte es zu machen, daß dieser in Paris angehalten und verhört wurde. Man sagt, er solle sehr betreten gewesen sein, als er die Nachricht von der Flucht dieser Dame hörte; er wies sich aber aus, daß er die Reise bis nach Paris allein gemacht habe, und bekräftigte mit einem Eid, daß er von diesem Schritt der Donna nichts wisse.

Etwa ein Vierteljahr nachher kam er nach Rom und lebt seitdem hier sehr still und eingezogen, besucht keine Gesellschaft, hat keinen Freund, keinen Bekannten, vorzüglich vermeidet er es, mit Deutschen zusammenzutreffen.‘

Um diese Zeit, fuhr der Gesandte fort, sei von seinem Hofe die Anfrage an ihn ergangen, ob dieser West sich in Rom befinde; wie er lebe, und ob er nicht in Verhältnis mit einer Spanierin sei, die sich ebenfalls hier aufhalten müsse. Man habe ihm dabei die Geschichte dieses Kapitän West mitgeteilt und bemerkt, daß der Engländer von neuem Spuren von seiner Frau entdeckt habe, die beinahe mit Gewißheit annehmen lassen, daß sie in Rom sich aufhalte. Man habe deswegen von Spanien aus sich an die päpstliche Kurie gewandt, es scheine aber, man wolle sich hier der Dame annehmen, denn die Antwort sei sehr zweifelhaft und unbefriedigend ausgefallen. Der Gesandte machte die nötigen Schritte und erfuhr wenigstens so viel, daß jener Verdacht bestätigt schien. Er [375] wandte sich nun auch an Consalvi[4], um zu erfahren, ob der römische Hof in der That die Dame in seinen Schutz nehme, und erhielt die in eine sehr bestimmte Bitte gefaßte Antwort, man möchte diese Sachen beruhen lassen, da die Ehe der Donna Ines mit dem Engländer wahrscheinlich für ungültig erklärt werde.

Dies erzählte mir der Gesandte; er sagte noch hinzu, daß er aus besonderem Interesse an diesem Fall dem Kapitän immer nachgespürt habe, und so sei ihm auch der Streit zu Ohren gekommen, den ich im Karneval mit jenem ‚wegen einer Dame‘ gehabt habe.

Sie können sich denken, Freund, welche Qualen ich schon während seiner Erzählung empfand; und als ich das ganze Unglück erfahren hatte, stand ich wie vernichtet. Der Gesandte verließ mich, um zu der Gesellschaft zurückzukehren; ich hatte kaum noch so viel Fassung, ihn zu bitten, er möchte niemand etwas von diesen Verhältnissen wissen lassen, das Warum? versprach ich ihm auf ein andermal.

Ich konnte von dem Zimmer, wohin der Gesandte mich gerufen, den Salon übersehen, ich konnte Luisen sehen, und wie schmerzlich war mir ihr Anblick. Sie schien so ruhig, so glücklich. Der Friede ihrer schönen Seele lag wie der junge Tag freundlich auf ihrer Stirne; ihr sanftes blaues Auge glänzte, vielleicht von der Erwartung einer schönen Abendstunde, und das Lächeln, das ihren Mund umschwebte, schien der Nachklang einer freudigen Erinnerung hervorgelockt zu haben. Nein, es war mir nicht möglich, diesen Anblick länger zu ertragen, ich eilte ins Freie, um dieses Bild durch neue Bilder zu verdrängen; aber wie war es möglich? Der Gedanke an sie kehrte schmerzlicher als je zurück, denn der Friede der Natur, der zauberische Schmelz der Landschaft, die süße Ruhe, die diese Fluren atmeten, erinnerten sie mich nicht immer wieder an jenes holde Wesen? Und die Wolken, die sich am fernen Horizont schwärzlich auftürmten und ein nächtliches Gewitter verkündeten, hingen sie nicht über der friedlichen Landschaft wie das Unglück, das Luisen drohte?

[376] Ich ging nach Hause; ich dachte nach, ob nicht Rettung möglich sei, ob ich sie nicht losmachen könne von dieser schrecklichen Verbindung. Doch, war nicht zu befürchten, daß sie mir mißtrauen werde? Sie wußte, ich liebe sie, kannte sie mich hinlänglich, um nicht an der Reinheit meiner Absichten zu zweifeln? Ich konnte es nicht über mich gewinnen, ihr selbst ihr Unglück zu verkünden. Nur Einen Ausweg glaubte ich offen zu sehen; ich wollte ihn selbst zur Rede stellen, den Elenden, ich wollte ihn bewegen, einen entscheidenden Schritt auf die eine oder die andere Seite zu thun. Ja, darin glaubte ich einen glücklichen Weg gefunden zu haben; er selbst mußte ihr sagen, daß er nicht mehr verdiene, von ihr geliebt zu werden; und dann, dachte ich, dann wird sie zwar unglücklich sein, aber ich will versuchen, sie glücklich zu machen, durch ein langes Leben voll Treue und Liebe will ich ihr Unglück zu mildern suchen.“

„Aber wie konnten Sie glauben“, rief ich, über diese romantischen Ideen unwillkürlich lächelnd, „wie konnten Sie glauben, Freund, daß ein Kapitän West zu diesem sonderbaren Geständnisse sich hergeben werde? In Romanen mag dies der Fall sein, aber Herr! in der Wirklichkeit? Haben Sie je einen Narren der Art gekannt?“

„Ach, ich dachte zu gut von den Menschen“, antwortete er. „Ich dachte, wie ich muß jeder fühlen – Ich ging in die Wohnung des Kapitän West. Er wohnte schlecht, beinahe ärmlich. Ich traf ihn, wie er einen schönen Knaben von acht Jahren auf den Knien hatte, welchen er lesen lehrte. Errötend setzte er den Knaben nieder und stand auf, mich zu begrüßen. ‚Ei Papa!‘ rief der Kleine, ‚wie sieht dir dieser Herr so ähnlich.‘

Der Kapitän geriet in Verlegenheit und führte den Knaben aus dem Zimmer. ‚Wie‘, sagte ich zu ihm, ‚Sie haben schon einen Knaben von diesem Alter? Waren Sie früher verheiratet?‘

Er suchte zu lachen, und die Sache in einen Scherz zu drehen; er behauptete, der Knabe gehöre in die Nachbarschaft, besuche ihn zuweilen und nenne ihn Papa, weil er sich seiner annehme.

‚Er gehört wohl der Donna Ines?‘ fragte ich, indem ich ihn scharf ansah. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie schrecklich das [377] böse Gewissen sich kundthut; er erblaßte; seine Augen glänzten wie die einer Schlange, ich glaubte, er wolle mich durchbohren. Noch ehe er sich hinlänglich gesammelt hatte, um mir zu antworten, sagte ich ihm gerade ins Gesicht, was ich von ihm wisse, und was ich von ihm verlange, um das Fräulein nicht völlig unglücklich zu machen.

Er lief in Wut im Zimmer umher, er schimpfte auf Zwischenträger und Zudringliche; er behauptete, ich habe die ganze Geschichte aufgedeckt, um Luisen von ihm zu entfernen. Ich ließ ihn ausreden; dann sagte ich ihm mit kurzen Worten, wie ich sein Verhältnis zu der Spanierin erfahren habe, und bat ihn noch einmal mit den herzlichsten Tönen unserer Sprache, das Fräulein so schonend als möglich von sich zu entfernen.

Es gelang mir, ihn zu rühren; aber nun hatte ich eine andere unangenehme Szene durchzukämpfen; er klagte sich an, er weinte, er verfluchte sich, das holde Geschöpf so schändlich betrogen zu haben; er schwor, sich von der Spanierin zu trennen; er flehte mich an, ihn zu retten; er gestand mir, daß er sich von einem Netz umstrickt sehe, das er nicht gewaltsam durchbrechen könne, weil einige hohe Geistliche der Kirche kompromittiert würden. Er ging so weit, mich zu zwingen, seine Geschichte anzuhören, um vielleicht milder über ihn urteilen zu können. Es war die Geschichte eines – Leichtsinnigen. Dieses Wort möge entschuldigen, was vielleicht schlecht genannt werden könnte. Es lag in dem Wesen dieses Mannes ein Etwas, das ihn bei den Frauen sehr glücklich machen mußte. Es war der äußere Anschein von Kraft und Entschlossenheit, die ihm übrigens sein ganzes Leben hindurch gemangelt zu haben schienen. Er mußte eine für seinen Stand ausgezeichnete Bildung gehabt haben, denn er sprach sehr gut, seine Ausdrücke waren gewählt, seine Bilder oft wahrhaft poetisch, er konnte hinreißen, so daß ich oft glaubte, er spreche mit Eifer von einem Dritten während er mir seinen eigenen beklagenswerten Zustand schilderte. Ich habe dies oft an Menschen bemerkt, die sonst ihrem Triebe folgen, in den Tag hinein leben, ohne sich selbst zu prüfen, und erst in dem Moment der Erzählung über sich selbst flüchtig nachdenken. Sie werden dann durch die Sprache selbst [378] zu einem eigentümlichen Feuer gesteigert, sie sprechen mit Umsicht von sich selbst, doch eben weil diese ihnen sonst abging, ist man versucht, zu glauben, sie sprechen von einem Dritten.

Es war Luise, die ihn zuerst liebte; er erkannte ihre Neigung; Eitelkeit, die herrliche aufblühende Schönheit, die Tochter eines der ersten Häuser der Stadt für sich gewonnen zu haben, riß ihn zu einem Gefühl hin, das er für Liebe hielt. Der Vater sah dies Verhältnis ungerne. Ich konnte mir denken, daß es vielleicht weniger Stolz auf seine Ahnen als die Furcht vor dem schwankenden Charakter des Kapitäns war, was ihn zu einer Härte stimmte, die die Liebe eines Mädchens wie Luise immer mehr anfachen mußte. Er soll ihr, was ich jetzt erst erfuhr, auf seinem Sterbebette den Fluch gegeben haben, wenn sie je mit dem Kapitän sich verbinde.

West suchte die Geschichte mit der Frau des Engländers auf Verführung zu schieben. Ich habe eine solche bei einem Mann, der das Bild der Geliebten fest im Herzen trägt, nie für möglich gehalten. Doch die Strafe ereilte ihn bald. Er gestand mir, daß er froh gewesen sei, als er, vielleicht durch die Vermittlung des Engländers, von seinem Posten zurückberufen wurde. Donna Ines habe ihm allerlei sonderbare Vorschläge zur Flucht gemacht, in die er nicht eingehen können; er sei, ohne Abschied von ihr zu nehmen, abgereist. Was ihn eigentlich bestimmte, nach Rom zu gehen, sah ich nicht recht ein, und er suchte auch über diesen Punkt so schnell als möglich hinwegzukommen. Er erzählte ferner, wie er durch Luisens Ankunft erfreut worden sei, wie er sich vorgenommen, nur ihr, ihr allein zu leben. Doch da sei plötzlich Donna Ines in Rom erschienen, sie habe sich mit zwei Kindern geflüchtet, sei ihm nachgereist und habe jetzt verlangt, er solle sie heiraten.

Es entging mir nicht, daß der Kapitän mich hier belog. Ich hatte von dem Gesandten bestimmt erfahren, daß jener schon in Paris angehalten und über die Flucht der Donna zur Rede gestellt worden sei; er konnte sich also denken, daß sie ihm nachreisen werde, und dennoch knüpfte er die Liebe zu Luisen von neuem an. Ferner, wie hätte es Ines wagen können, ihm zu folgen, wenn [379] er ihr nicht versprochen hätte, sie zu heiraten, wenn er sie nicht durch tausend Vorspiegelungen aus ihrem ruhigen Leben herausgelockt und zur Abenteurerin gemacht hätte?

Er schilderte mir nun ein Gewebe von unglücklichen Verhältnissen, in welche ihn diese Frau, die mit allen Kardinälen, namentlich mit Pater Rocco, schnell bekannt geworden, geführt habe. Es wurde ernstlich an der Auflösung ihrer früheren Ehe gearbeitet, und es war als bekannt angenommen worden, daß er die Geschiedene heiraten werde.

‚Sie sagten mir hier nichts Neues‘, antwortete ich ihm; ‚dies alles beinahe wußte ich vorher. Aber ich hoffe, daß Sie als Mann von Ehre einsehen werden, daß das Verhältnis zu Fräulein von Palden nicht fortdauern kann, oder Sie müssen sich von der Spanierin lossagen.‘

Das letztere könne er nicht, sagte er, er habe von ihr und dem Kardinal Rocco Vorschüsse empfangen, die sein Vermögen übersteigen, er könne also wenigstens im Augenblick keinen entscheidenden Schritt thun.

‚Im Augenblick heißt hier nie‘, erwiderte ich ihm. ‚Sie werden sich aus diesen Banden, wenn sie so beschaffen sind, nie mit Anstand losmachen können. Ich halte es also für Ihre heiligste Pflicht, Luisen nicht noch unglücklicher zu machen; denn was kann endlich das Ziel Ihrer Bestrebungen sein?‘

Er errötete und meinte, ich halte ihn für schlechter, als er sei. Doch er fühle selbst, daß man einen Schritt thun müsse. Er glaube aber, es sei dies meine Sache. Er trete mir Luisen ab, ich solle mir auf jede Art ihre Gunst zu erwerben suchen und sie glücklich machen. Er hatte Thränen in den Augen, als er dies sagte, und ich sah mit beinahe zu mitleidigen Augen, wieweit ein Mensch durch Leichtsinn kommen könne.

Ich ging, um nichts weiser geworden, ohne daß ein wirklicher Entschluß gefaßt worden war, von dem Kapitän; mein Gefühl war eine Mischung von Verachtung und Bedauern. Auf der Treppe begegnete mir wieder der schöne Knabe und fragte, ob er wohl jetzt zu Papa kommen dürfte.“

[380] „Ha! und jetzt setzten Sie wohl alle Segel auf, Freundchen“, fragte ich; „jetzt machten Sie wohl Jagd auf die schöne Galeere Luise?“

„Ja und nein“, antwortete er trübe; „sie schien meine Liebe zu übersehen, nicht zu achten, aber bald bemerkte ich, daß sie ängstlicher wurde in meiner Nähe, es schmerzte sie, daß mir ihre Freundschaft nicht genügen wolle. Und jener Elende, sei es aus Bosheit oder Leichtsinn, zog sich nicht von ihr zurück, ich vermute es sogar, er hat sie vor mir gewarnt. So standen die Sachen, als die Zeit, die ich in Rom zubringen sollte, bald zu Ende ging. Im Kabinett des Gesandten arbeitete man schon an Memoiren, die man mir nach Berlin mitgeben wollte, man wunderte sich, daß ich noch keine Abschiedsbesuche mache, – und ich, ich lebte in dumpfem Hinbrüten, ich sah nicht ein, wie ich dieser Reise entfliehen konnte, und dennoch hielt ich es nicht für möglich, Luisen zu verlassen, jetzt, da ihr vielleicht bald der schrecklichste Schlag bevorstand. Oft war ich auf dem Punkt, ihr alles, alles zu entdecken, aber wie war es mir möglich, ihre himmlische Ruhe zu zerstören, das Herz zu brechen, das ich so gerne glücklich gewußt hätte?

Da stürzte eines Morgens der Kapitän West in mein Zimmer; er war bleich, verstört, es dauerte eine lange Zeit, bis er sich fassen und sprechen konnte. ‚Jetzt ist alles aus‘, rief er, ‚sie stirbt, sie muß sterben, dieser Kummer wird sie zerschmettern!‘ Er gestand, daß Donna Ines oder der Kardinal Rocco seine Liebe zu Luisen entdeckt hätten, ihr schrieben sie sein Zögern, sein Schwanken zu, und der Kardinal hatte geschworen, er wolle an diesem Tage zu dem deutschen Fräulein gehen, und sie zur Rede stellen, wie sie es wagen könne, einen Mann, der schon so gut als verehelicht sei, von seinen Pflichten zurückzuhalten.

Ich kannte diesen Priester und seine tückische Arglist; ich erkannte, daß die Geliebte verloren sei. Ich weiß Ihnen von dieser Stunde, von diesem Tag wenig mehr zu erzählen. Ich weiß nur, daß ich den Kapitän in kalter Wut zur Thüre hinaus schob, mich schnell in die Kleider warf und wie ein gejagtes Wild durch die Straßen dem Hause der Signora Campoco zulief. Als ich unten [381] an dieser Straße anlangte, sah ich einen Kardinal sich demselben Hause nähern. Er schritt stolz einher, Frater Piccolo trug ihm den Mantel, es war kein Zweifel, es war Rocco. Ich setzte meine letzten Kräfte daran, ich rannte wie ein Wahnsinniger auf ihn zu, doch – ich kam eben an, als mir Piccolo mit teuflischem Lächeln die Thüre vor der Nase zuwarf.

Eine Art von Instinkt trieb mich, all diesem Jammer zu entfliehen. Ich ging, wie ich war, zu dem Gesandten und sagte ihm, daß ich noch in dieser Stunde abreisen werde. Er war es zufrieden, gab mir seine Aufträge, und bald hatte ich die heilige, – unglückselige Stadt im Rücken. Erst als ich nach langer Fahrt zu mir selbst kam, als meine Vorstellungen sich wieder ordneten und deutlicher wurden, erst dann tadelte ich meine Feigheit, die mich zu dieser übereilten Flucht verführte. Ich tadelte meine ganze Handlungsweise, ich klagte mich an, die Unglückliche auf diesen Schlag nicht vorbereitet zu haben; – doch es war zu spät, und wenn ich mir meine Gefühle, meine ganze Lage zurückrief, ach, da schien es so verzeihlich, die Geliebte verschont zu haben! So kam ich nach Berlin, in dieser Stimmung trafen Sie mich dort, und ein Teil dieser Geschichte war es, den ich damals im Hause meiner Tante erzählt habe.“

Der junge Mann hatte geendet; seine Züge hatten nach und nach jene Trauer, jene Wehmut angenommen, die ich in seinem Wesen, als ich ihn in Berlin sah, zu bemerken glaubte; er war ganz derselbe, der er an jenem Abend war, und die Worte seiner Tante, er sehe seit seiner Zurückkunft so geheimnisvoll aus, kamen mir wieder in den Sinn und ließen mich den richtigen Blick dieser Dame bewundern. An seiner ganzen Historie schienen mir übrigens nur zwei Dinge auffallend. Unglückliche Mädchen wie das Fräulein, abenteuernde Damen wie Ines, intrigante Priester wie Kardinal Rocco hatte ich auf der Welt schon viele gesehen. Aber die beiden Männer waren mir als Menschenkenner etwas rätselhaft.

Der Kapitän hatte allerdings schon einen bedeutenden Grad in meinem Reglement erlangt, aber unbegreiflich war es mir, wie sich dieser Mann solange auf einer Stufe halten konnte, da [382] doch nach moralischen wie nach physischen Kräften ein Körper, welcher abwärts gleitet, immer schneller fällt. Er war falsch, denn er spielte zwei Rollen; er war leichtsinnig, denn er vergaß sich alle Augenblicke; er war eifersüchtig, obgleich er es selbst mit zwei Frauen hielt; er war schnell zum Zorn reizbar, als deutscher Kapitän liebte er wahrscheinlich auch das Est, Est, Est[5], Eigenschaften, die nicht lange auf einer Stufe lassen. Ein anderer an seiner Stelle wäre vielleicht aus Eifersucht und Zorn schon längst ein Totschläger geworden, ein zweiter wäre, leichtsinnig wie er, all diesem Jammer entflohen, hätte die Donna Ines hier und Fräulein Luise dort sitzen lassen und vielleicht an einem andern Ort eine andere gefreit; ein dritter hätte vielleicht der Donna Gift beigebracht, um die schöne Sächsin zu besitzen oder aus Verzweiflung die letztere erdolcht.

Aber wie langweilig dünkte es mir, daß das Fräulein noch in demselben Zustande war, daß die beiden Anbeter noch nicht in Streit geraten waren, daß das Ende von diesen Geschichten ein Übertritt zur römischen Kirche, eine Hochzeit der Donna Ines und vielleicht eine zweite, Luisens mit dem Berliner, werden sollte?

Denn eben dieser ehrliche Berliner! Er stand zwar in etwas entfernten Verhältnissen zu mir, doch wußte ich, wenn ich ihm das Ziel seines heimlichen Strebens, das Fräulein, recht lockend, recht reizend vorstellte, wenn ich ihren Besitz ihm von ferne möglich zeige, so machte er Riesenschritte abwärts, denn seine Anlagen waren gut. Ich beschloß daher, mir ein kleines Vergnügen zu machen und die Leutchen zu hetzen.

Während diese Gedanken flüchtig in mir aufstiegen, wurde dem Herrn von S. ein Brief gebracht. Er sah die Aufschrift an und errötete, er riß das Siegel auf, er las, und sein Auge wurde immer glänzender, seine Stimme heiterer. „Der Engel!“ rief er aus, „sie will mich dennoch sehen! Wie glücklich macht sie mich! Lesen Sie, Freund“, sagte er, indem er mir den Brief reichte; „müssen solche Zeilen nicht beglücken?“

[383] Ich las:

 „Mein treuer Freund!

Mein Herz verlangt darnach, Sie zu sprechen. Ich wollte Sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, bis Sie mir gute Nachrichten zu bringen hätten; Sie selbst sind es eigentlich, der diesen Bann aussprach. Doch heben Sie ihn auf, Sie wissen, wie tröstlich es mir ist, mit Ihnen sprechen zu können. Der Fromme ist wieder hier; er verspricht sich das Beste von West. Ach! daß er ihn zurückbrächte von seinem Abwege, nicht zu mir, meine Augen dürfen ihn nicht mehr sehen, nur zurück von dieser Schmach, die ich nicht ertragen kann.
L. v. P.

N. S. Wissen Sie in Rom keinen Deutschen, der in Mecklenburg bekannt wäre? West hat dort Verwandte, die vielleicht in der Sache etwas thun könnten.“

„Ich kann mir denken, daß dieses schöne Vertrauen Sie erfreuen muß“, sagte ich, „doch einiges ist mir nicht recht klar in diesem Brief, das Sie mir übrigens aufklären werden. Wegen der Verwandten in Mecklenburg kann sich übrigens das Fräulein an niemand besser wenden als an mich, denn ich war mehrere Jahre dort und bin beinahe in allen Familien genau bekannt.“

Der junge Mann war entzückt, dem Fräulein so schnell dienen zu können. „Das ist trefflich!“ rief er, „und Sie begleiten mich wohl jetzt eben zu ihr? Ich erzähle Ihnen unterwegs noch einiges, was Ihnen die Verhältnisse klarer machen wird.“

Ich sagte mit Freuden zu, wir gingen.

„In Berlin“, erzählte er, „hielt ich es nur zwei Monate aus; ich hatte niemand hier in Rom, der mir über das unglückliche Geschöpf hätte Nachricht geben können, und so lebte ich in einem Zustand, der beinahe an Verzweiflung grenzt; nur einmal schrieb mir der sächsische Gesandte: Der Papst habe sich jetzt öffentlich für den Kapitän West erklärt, man spreche davon, daß der Preis dieser Gnade, der Übertritt des Kapitäns zur römischen Kirche sein solle. In demselben Brief erwähnte er mit Bedauern, daß die junge Dame, die uns alle so sehr angezogen habe, die mich [384] immer besonders auszuzeichnen geschienen, sehr gefährlich krank sei, die Ärzte zweifeln an ihrer Rettung.

Wer konnte dies anders sein als die arme Luise. Diese letzte Nachricht entschied über mich. Zwar hätte ich mir denken können, daß das, was ihr der Kardinal mitteilte, Krankheit, vielleicht den Tod zur Folge haben werde, aber jetzt erst, als ich diese Nachricht gewiß wußte, jetzt erst kam sie mir schrecklich vor; ich reiste nach Rom zurück, und meine Bekannten hier haben sich nicht weniger darüber gewundert, mich so unverhofft zu sehen, als meine Verwandten in Berlin, mich so plötzlich wieder entlassen zu müssen. Besonders die Tante konnte es mir nicht verzeihen, denn sie hatte schon den Plan gemacht, mich mit einer der Fräulein, die Sie beim Thee versammelt fanden, zu verheiraten.

Erlassen Sie es mir, zu beschreiben, wie ich das Fräulein wiederfand! Nur eins schien diese schöne Seele zu betrüben, der Gedanke, daß West zu seiner großen Schuld noch einen Abfall von der Kirche fügen wolle. Ich lebe seitdem ein Leben voll Kummer. Ich sehe ihre Kräfte, ihre Jugend dahinschwinden, ich sehe, wie sie ein Herz voll Jammer unter einer lächelnden Miene verbirgt. Um mich zu noch thätigerem Eifer, ihr zu dienen, zu zwingen, gelobte ich, sie nicht mehr zu sprechen, bis ich von dem Kapitän erlangt hätte, daß er nicht zum Apostaten werde, oder – bis sie mich selbst rufen lasse. Das letztere ist heute geschehen. Es scheint, sie hat Hoffnung, ich habe keine; denn er ist zu allem fähig, und Rocco hat ihn so im Netze, daß an kein Entrinnen zu denken ist.“

„Aber der Fromme“, fragte ich; „soll wohl der seine Bekehrung übernehmen?“

„Auf diesen Menschen scheint sie ihre Hoffnung zu gründen. Es ist ein deutscher Kaufmann, ein sogenannter Pietist, er zieht umher, um zu bekehren; doch leider muß er jedem Vernünftigen zu lächerlich erscheinen, als daß ich glauben könnte, er sei zur Bekehrung des Kapitäns berufen. Eher setze ich einige Hoffnungen auf Sie, mein Freund, wenn Sie durch die Verwandten etwas bewirken könnten; doch auch dies kommt zu spät! Wie sie sich nur um diesen Elenden noch kümmern mag!“

[385] Viel versprach ich mir von diesem Besuch bei dem Fräulein von Palden. Was ich von ihr gesehen, von ihr gehört, hatte mir ein Interesse eingeflößt, das diese Stunde befriedigen mußte. Ich hatte mir schon lange zuvor, ehe ich sie sah, ein Bild von ihr entworfen, ich fand es, als sie mir damals im Portikus erschien, beinahe verwirklicht; nur eines schien noch zu fehlen, und auch das hatte sich jetzt bestätigt; ich dachte mir sie nämlich etwas fromm, etwas schwärmerisch, und sie mußte dies sein, wie konnte sie sonst einem deutschen Pietisten die Heilung des Kapitän West zutrauen?

Wir wurden von der Signora Campoco und ihren Hunden freundlich empfangen; den Berliner führte sie zu ihrer Nichte, mich bat sie, in ein Zimmer zu treten, wo ich einen Landsmann finden werde. Ich trat ein. Am Fenster stand ein kleiner, hagerer Mann von kaltem, finsterem Aussehen. Er heftete seine Augen immer zu Boden, und wenn er sie einmal aufschlug, so glühten sie von einem trüben, unsicheren Feuer. Ich machte ihm mein Kompliment, er erwiderte es mit einem leichten Neigen des Hauptes und antwortete: „Gegrüßet seist du mit dem Gruße des Friedens!“

Ha! dachte ich, das ist niemand anders als der Pietist! Solche Leute sind eine wahre Augenweide für den Teufel; er weiß, wie es in ihrem Innern aussieht, und diese herrliche Charaktermaske, lächerlicher als Polischinello[6], komischer als Passaglio[7], pathetischer als Truffaldin[8], und wahrer als sie alle, trifft man besonders in Deutschland und seit neuerer Zeit in Amerika, wohin sie die Deutschen verpflanzt haben. Diese Protestanten glauben im echten Sinne des Wortes zu handeln, wenn sie gegen alles protestieren. Der Glaube der katholischen Kirche ist ihnen ein Greuel; der Papst ist der Antichrist, gegen ihn und die Türken beten sie alle Tage ein absonderliches Gebet. Nicht zufrieden mit diesem, protestieren sie gegen ihren eigenen Staat, gegen ihre eigene Kirche. [386] Alles ist ihnen nicht orthodox, nicht fromm genug. Man glaubt vielleicht, sie selbst sind um so frömmer? O ja, wie man will. Sie gehen gesenkten Hauptes, wagen den Blick nicht zu erheben, wagen kein Weltkind anzuschauen. Ihre Rede ist „Ja ja, nein nein“. Auf weitere Schwüre und dergleichen lassen sie sich nicht ein. Sie sind die Stillen im Lande, denn sie leben einfach und ohne Lärm für sich; doch diese selige Ruhe in dem Herrn verhindert sie nicht, ihre Mitmenschen zu verleumden, zu bestehlen, zu betrügen. Daher kommt es, daß sie einander selbst nicht trauen. Sie vermeiden es, sich öffentlich zu vergnügen, und wer am Sonntag tanzt, ist in ihren Augen ein Ruchloser. Unter sich selbst aber feiern sie Orgien, von denen jeder andere sein Auge beschämt wegwenden würde.

Drum lacht mir das Herz, wenn ich einen Mystiker dieser Art sehe. Sie gehen still durchs Leben und wollen die Welt glauben machen, sie seien von Anbeginn der Welt als extrafeine Sorte erschaffen und plombiert worden, und der heilige Petrus, mein lieber Kousin, werde ihnen einen näheren Weg, ein Seitenpförtchen in den Himmel aufschließen. Aber alle kommen zu mir; Separatisten, Pietisten, Mystiker, wie sie sich heißen mögen, seien sie Kathedermänner oder Schuhmacher[9], alle sind Nr. 1 und 2, sie verneinen, wenn auch nicht im Äußern, denn sie sind Heuchler in ihrem Herzen von Anbeginn.

Ein solcher war nun der fromme Mann am Fenster. „Ihr seid ein Landsmann von mir“, fragte ich nach seinem Gruß, „Ihr seid ein Deutscher?“

„Alle Menschen sind Brüder und gleich vor Gott“, antwortete er; „aber die Frommen sind ihm ein angenehmer Geruch.“

„Da habt Ihr recht“, erwiderte ich, „besonders wenn sie in einer engen Stube Betstunde halten. Seid Ihr schon lange hier in dieser gotteslästerlichen Stadt?“

Er warf einen scheuen Blick auf mich und seufzte: „O welche Freude hat mir der Herr gegeben, daß er einen Erweckten zu mir sandte! Du bist der erste, der mir hier saget, daß dies die Stadt [387] der babylonischen H–, der Sitz des Antichrists ist. Da sprechen sie in ihrem weltlichen Sinne von dem Altertum der Heiden, laufen umher in diesen großen Götzentempeln und nennen alles ‚heiliges Land‘, selbst wenn sie Protestanten sind; aber diese sind oft die Ärgsten.“

„Wie freut es mich, Bruder, dich gefunden zu haben. Sind noch mehrere Brüder und Schwestern hier? Doch hier kann es nicht fehlen; in einer Gemeinde, die der Apostel Paulus selbst gestiftet hat, müssen fromme Seelen sein.“

„Bruder, geh’ mir weg mit dem Apostel Paulus, dem traue ich nur halb; man weiß allerlei von seinem früheren Leben, und nachher, da hat er so etwas Gelehrtes wie unsere Professoren und Pfarrer; ich glaube, durch ihn ist dieses Übel in die Welt gekommen. Zu was denn diese Gelehrtheit, diese Untersuchungen; sie führen zum Unglauben. Die Erleuchtung macht’s, und wenn einer nicht zum Durchbruch gekommen ist, bleibt er ein Sünder. Ein altes Weib, wenn sie erleuchtet ist, kann so gut predigen und lehren in Israel als der gelahrteste Doktor.“

„Du hast recht, Bruder“, erwiderte ich ihm; „und ich war in meinem Leben in der Seele nicht vergnügter, nie so heiter gestimmt, als wenn ich einen Bruder Schuster oder eine Schwester Spitälerin das Wort verkündigen hörte. War es auch lauterer Unsinn, was sie sprach, so hatte es ihr doch der Geist eingegeben, und wir alle waren zerknirscht. Doch sage mir, wie kommst du ins Haus dieser Gottlosen?“

„Bruder, in der Stadt Dresden im Sachsenland, wo es mehr Erleuchtete gibt als irgendwo, da wohnte ich neben ihrem Haus. Damals war sie ein Weltkind und lachte, wenn die Frommen am Sonntag abend in mein Haus wandelten, um eine Stunde bei mir zu halten. Als ich nun hieher kam in dieses Sodom und Gomorra, da gab mir der Geist ein, meine Nachbarin aufzusuchen. Ich fand sie von einem Unglück niedergedrückt. Es ist ihr ganz recht geschehen, denn so straft der Herr den Wandel der Sünder. Aber mich erbarmte doch ihre junge Seele, daß sie so sicherlich abfahren soll dorthin, wo Heulen und Zähnklappern. Ich sprach ihr zu, und sie ging ein in meine Lehren, und ich hoffe, es wird [388] bei ihr bald zum Durchbruch kommen. Und da erzählte sie mir von einem Mann, den der Satan und der Antichrist in ihren Schlingen gefangen haben, und bat mich, ob ich nicht lösen könne diese Bande kraft des Geistes, der in mir wohnet. Und darum bin ich hier.“

Während der fromme Mann die letzten Worte sprach, kam der Berliner mit dem Fräulein. Jener stellte mich vor, und sie fragte errötend, ob ich mit der Familie des Kapitäns West in Mecklenburg bekannt sei. Ich bejahte es; ich hatte mit mehreren dieser Leute zu thun gehabt und gab ihr einige Details an, die sie zu befriedigen schienen.

„Der Kapitän ist auf dem Sprung, einen sehr thörichten Schritt zu thun, der ihn gewiß nicht glücklich machen kann, S. hat Ihnen wohl schon davon gesagt, und es kömmt jetzt darauf an, ihm das Mißliche eines solchen Schrittes auch von seiten seiner Familie darzuthun.“

„Mit Vergnügen; dieser fromme Mann wird uns begleiten; er ist in geistlichen Kämpfen erfahrner als ich; ich hoffe, er wird sehr nützlich sein können.“

„Es ist mein Beruf“, antwortete der Pietist, die Augen greulich verdrehend, „es ist mein Beruf, zu kämpfen, solange es Tag ist. Ich will setzen meinen Fuß auf den Kopf der Schlange und will ihr den Kopf zertreten wie einer Kröte; soeben ist der Geist in mich gefahren. Ich fühle mich wacker wie ein gewappneter Streiter; lieben Brüder, lasset uns nicht lange zaudern, denn die Stunde ist gekommen; Sela!“[10]

„Gehen wir!“ sagte der Berliner; „sein Sie versichert, Luise, daß Freund Stobelberg und ich alles thun werden, was zu Ihrer Beruhigung dienen kann. Fassen Sie sich, sehen Sie mutig, heiter in die Zukunft, die Zeit bringt Rosen.“

Das schöne bleiche Mädchen antwortete durch ein Lächeln, das sie einem wunden Herzen mühsam abgezwungen hatte. Wir gingen, und als ich mich in der Thüre umwandte, sah ich sie heftig weinen.

[389] Wir drei gingen ziemlich einsilbig über die Straße, der Pietist, vom Geiste befallen, murmelte unverständliche Worte vor sich hin und verzog sein Gesicht, rollte seine Augen wie ein Hierophant[11]. Der Berliner schien an dem guten Erfolg unseres Beginnens zu zweifeln und ging sinnend neben mir her, ich selbst war von dem Anblick der stillen Trauer jenes Mädchens, ich möchte sagen, beinahe gerührt; ich dachte nach, wie man es möglich machen könnte, sie der Schwärmerei zu entreißen, sie dem Leben, der Freude wiederzugeben, denn so gerne ich ihr den Himmel und alles Gute wünschte, so schien sie mir doch zu jung und schön, als daß sie jetzt schon auf eine etwas langweilige Seligkeit spekulieren sollte. Durch den Berliner schien ich dies am besten erreichen zu können; besser vielleicht noch durch Kapitän West, der mir ohnedies verfallen war, doch zweifelte ich, ob man ihn noch von der Spanierin werde losmachen können.

Auf der Hausflur des Kapitäns ließ uns der Pietist vorangehen, weil er hier beten und unsern Ein- und Ausgang segnen wolle. Doch, o Wunder! als wir uns umsahen, nahm er nach jedem Stoßseufzer einen Schluck aus einem Fläschchen, das seiner Farbe nach einen guten italienischen Likör enthalten mußte. Ha! jetzt muß der Geist erst recht über ihn kommen, dachte ich, jetzt kann es nicht fehlen, er muß mit großer Begeisterung sprechen.

Der Kapitän empfing uns mit einer etwas finsteren Stirne. Der Berliner stellte uns ihm vor, und sogleich begann der Pietist, vom Geist getrieben, seinen Sermon.

Er stellte sich vor den Kapitän hin, schlug die Augen zum Himmel und sprach: „Bruder! was haben meine Ohren von dir vernommen? So ganz hat dich der Teufel in seinen Klauen, daß du dich dem Antichrist ergeben willst? Daß du absagen willst der heiligen, christlichen Kirche, der Gemeinschaft der Heiligen? Sela. Aber da sieht man es deutlich. Wie heißt es Sirach am neunten im dritten Vers? He? ‚Fliehe die Buhlerin, daß du nicht in ihre Stricke fallest.‘“

[390] „Zu was soll diese Komödie dienen, Herr von S.?“ sprach der Kapitän gereizt. „Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, mir in meinem Zimmer Sottisen zu sagen.“

„Ich wollte Sie mit Herrn von Stobelberg, der Ihre Familie kennt, besuchen; da ließ sich dieser fromme Mann, der gehört hat, daß Sie übertreten wollen, nicht abhalten, uns zu begleiten.“

„Große Ehre für mich, geben Sie sich aber weiter keine Mühe, denn –“

„Höret, höret, wie er den Herrn lästert, in dessen Namen ich komme“, schrie der Pietist; „der Antichrist krümmet sich in ihm wie ein Wurm, und der Teufel sitzt ihm auf der Zunge. O, warum habt Ihr Euch blenden lassen von Weltehre? Was sagt derselbe Sirach? ‚Laß dich nicht bewegen von dem Gottlosen in seinen großen Ehren; denn du weißt nicht, wie es ein Ende nehmen wird. – Wisse, daß du unter den Stricken wandelst und gehest auf eitel hohen Spitzen!‘“

„Sie kennen meine Familie, Herr von Stobelberg? Sind Sie vielleicht selbst ein Landsmann aus Mecklenburg?“

„Nein, aber ich kam viel in Berührung mit Ihrer Familie und bin mit einigen Gliedern derselben sehr nahe liiert. So zum Beispiel mit Ihrem Onkel F., mit Ihrer Tante W., mit Ihrem Schwager Z.“

„Wie? Der Satan hat ihm die Ohren zugeleimt“, rief der fromme Protestant, als sein abtrünniger Bruder ihn völlig ignorierte. „Auf, ihr Brüder, ihr Streiter des Herrn, lasset uns ein geistliches Lied singen, vielleicht hilft es.“ Er drückte die Augen zu und fing an, mit näselnder, zitternder Stimme zu singen:

„Herr, schütz’ uns vor dem Antichrist,
Und laß uns doch nicht fallen;
Es streckt der Papst mit Hinterlist
Nach uns die langen Krallen;
Und laß dich erbitten,
Vor den Jesuiten
Und den argen Missionaren
Wollest gnädig uns bewahren.

     [391] Sie sind des Teufels Knechte all’,
Nur wir sind fromme Seelen;
Wir kommen in des Himmels Stall,
Uns kann es gar nicht fehlen;
Denn nach kurzem Schlafe
Ziehn wir frommen Schafe
In den Pferch für uns bereitet,
Wo der Hirt die Schäflein weidet.

     Dort scheidet er die Böcke aus –“

Man kann eben nicht sagen, daß der Fromme wie eine Nachtigall sang, aber komisch genug war es anzusehen, wie er vom Geist getrieben dazu agierte; auf den Wangen des Kapitäns wechselte Scham und Zorn, und man war ungewiß, ob er mehr über die Unverschämtheit dieses Proselytenmachers[12] staunte, oder mehr über den Inhalt der frommen Hymne erbost sei. Als der Pietist nach einem tiefen Seufzer den dritten Vers anhub, ging die Thüre auf, und die hohe, majestätische Gestalt des Kardinals Rocco trat ein. Er war angethan mit einem weißen, faltenreichen Gewand, und der Purpur, der über seine Schultern herabfloß, gab ihm etwas Erhabenes, Fürstliches. Er übersah uns mit gebietendem Blick, und die Rechte, die er ausstreckte, mochte vielleicht den ehrwürdigen Kuß eines Gläubigen erwarten.

Der Kapitän war in sichtbarer Verlegenheit; er fühlte, daß der Kardinal uns den Protestantismus sogleich anriechen, daß es ihn erzürnen werde, seinen Katechumenen in so schlechter Gesellschaft zu sehen. Er nannte der Eminenz unsere Namen, doch als er Herrn v. S. erblickte, trat er erschrocken einen Schritt zurück und flüsterte dem Frater Piccolo in der violetten Kutte zu: „Das ist wohl der Teufel, den du im Traume gesehen?“

Piccolo antwortete mit drei Kreuzen, die er ängstlich auf seinen Leib zeichnete, und der Kardinal fing an, leise einige Stellen aus dem Exorzismus[13] zu beten. Während dieser Szene hatte sich der fromme Kaufmann, dem das Wort auf der Lippe stehen geblieben [392] war, wieder erholt; er betrachtete die imponierende Gestalt dieses Kirchenfürsten, doch schien sie ihm nicht mehr zu imponieren, nachdem er bei sich zu dem Resultat gelangt war, daß nur ein frommer protestantisch-mystischer Christ zur Seligkeit gelangen könne. Er hub im heulenden Predigerton auf italienisch an: „Siehe da, ein Sohn der Babylonischen, ein Nepote des Antichrists. Er hat sich angethan mit Seide und Purpur, um eure armen Seelen zu verlocken. Hebe dich weg, Satanas!“

„Ist der Mensch ein Narr?“ fragte der Kardinal, indem er näher trat und den Prediger ruhig und groß anschaute. „Piccolo, merke dir diesen Menschen, wir wollen ihn im Spital versorgen.“

Der Pietist geriet in Wut: „Baalspfaffe, Götzendiener, Antichrist!“ schrie er, „du willst mich ins Spital thun? Ha, jetzt kommt der Geist erst recht über mich. Ich will barmherzig sein mit dir, Sodomiter! Ich will dich lehren die Hauptstücke der Religion, daß du deine ketzerischen Irrtümer einsehest. Aber zuvor ziehe sogleich den Purpur ab, zu was soll dieser Flitter dienen? Meinst du, du gefallest dem Herrn besser, wenn du violette Strümpfe anhast? O du Thor! das sind die eiteln Lehren des Antichrist, des Drachen, der auf dem Stuhle sitzt, in Sack und Asche mußt du Buße thun.“

Jetzt glühte Roccos Auge vor Wut, seine Stirne zog sich zusammen, seine Wangen glühten. „Jetzt sehe ich, Kapitän!“ rief er, „was Euch so lange zögern macht; Ihr haltet Zusammenkünfte mit diesen wahnsinnigen Ketzern, die Euch in Eurem Aberglauben bestärken. Ha! bei der heiligen Erde, Ihr habt uns tief gekränkt.“

„Herr Kardinal!“ fiel ihm Herr von S. in die Rede, „ich bitte, uns nicht alle in Eine Klasse zu werfen; wenn jener Mann dort den Trieb in sich fühlt, alle Welt zu bekehren, so können wir ihn nicht daran verhindern; doch meine ich, man habe sich nicht darüber zu beklagen, denn Ew. Eminenz wissen, daß es gleichsam nur Repressalien für die Missionen und die Jesuiterei sind, mit welcher man gegenwärtig alle Welt überschwemmt.“

Jetzt war der rechte Zeitpunkt, die Leutchen zu hetzen; jetzt galt es, sie zu verwickeln, um sie nachher desto länger trauern zu [393] lassen. „Herr von S.“, sagte ich, „der Herr Kapitän will, denke ich, durch sein Schweigen beweisen, daß er Seiner Eminenz recht gebe. Zwar schließt mich mein Bewußtsein von den ‚wahnsinnigen Ketzern‘ aus, ich mache keine Proselyten, ich unterrichte niemand in der Religion; aber Ihrer werten Familie in Mecklenburg werde ich bei meiner Rückkehr sagen können –“

„Stille!“ rief der Pietist mit feierlicher Stimme; „Bruder, Mann Gottes, willst du dich so versündigen, mit dem Baalspfaffen zu rechten? Er geht einher wie ein Pharisäer, aber es wäre ihm besser, ein Mühlstein hänge an seinem Hals, und er würde ertränket, wo es am tiefsten ist.“

„Hüte dich, einen Pfaffen zu beleidigen“, ist ein altes Sprüchwort, und der Kapitän mochte auch so denken; ich sah, daß Beschämung vor uns, von Rocco wie ein Schulknabe behandelt zu werden, und die Furcht, ihn zu beleidigen, in seinem Gesicht kämpfte.

„Ich muß Ihren Irrtum berichtigen, Eminenz“, entgegnete er; „diesen Mann hier kenne ich nicht, und er kann sich auch entfernen, wann er will, denn seine schwärmerischen Reden sind mir zum Ekel, aber über diese Herren hier haben Sie eine ganz falsche Ansicht. Herr von Stobelberg bringt mir Nachrichten von meiner Familie, Herr von S. besucht mich. Ich weiß nicht, welche bösliche Absicht Sie darein legen wollen.“

Weit entfernt, den Kardinal durch diese Worte zu besänftigen, brachte er ihn nur noch mehr auf, doch bezähmte er laute Ausbrüche desselben, und seine stille Wut wurde nur in kaltem Spott sichtbar. „Ja, ich habe mich freilich höchlich geirrt“, sagte er lächelnd, „und bitte um Verzeihung, meine Herren. Ich dachte, Ihr Besuch betreffe religiöse Gegenstände, doch nun merke ich, daß es friedlichere Absichten sind, was Sie herführt. Herr von S. wird wahrscheinlich den Herrn Kapitän wieder in die süßen Fesseln des deutschen Fräuleins legen wollen? Trefflich! ob auch eine andere Dame darüber sterben wird, es ist ihm gleichgültig; ich bewundere nebenbei auch Ihre Gutmütigkeit, Capitano! daß Sie sich von demselben Mann zurückführen lassen, der Sie so geschickt aus dem Sattel hob!“

[394] Zu welch sonderbaren Sprüngen steigert doch den Sterblichen die Beschämung. Gefühl des Unrechts, wirkliche Beleidigung, Zorn, alle Leidenschaften seiner Seele hätten den Kapitän wohl nicht so außer sich gebracht als das Gefühl der Scham, vor deutschen Männern von einem römischen Priester so verhöhnt zu werden. „Die Achtung, Signor Rocco“, sagte er, „die Achtung, die ich vor Ihrem Gewand habe, schützt mich, Ihnen zu erwidern, was Sie mir in meinem Zimmer über mich gesagt haben. Ich kenne jetzt Ihre Ansichten über mich hinlänglich und wundere mich, wie Sie sich um meine arme Seele so viele Mühe geben wollten. Diesem Herrn, der, wie Sie sagten, mich aus dem Sattel hob, werde ich folgen; doch wissen Sie, daß, was er gethan hat, mit meiner Zustimmung geschah: ich werde ihm folgen, obgleich es zuvor gar nicht in meiner Absicht lag; nur um Ihnen zu zeigen, daß weder Ihr Spott, noch Ihre Drohungen auf mich Eindruck machen; und wenn Sie ein andermal wieder einen Mann meiner Art unter der Arbeit haben, so rate ich Ihnen, Ihren Spott oder Ihren Zorn zurückzuhalten, bis er im Schoße der Kirche ist.“

Das reiche, rosige Antlitz Roccos war so weiß geworden als sein seidenes Gewand. „Geben Sie sich keine Mühe“, entgegnete er, „mir zu beweisen, wie wenig man an einem seichten Kopf Ihrer Art verliert. Glauben Sie mir, die Kirche hat höhere Zwecke, als einen Kapitän West zu bekehren –“

„Wir kennen diese schönen Zwecke“, rief der Berliner mit sehr überflüssigem Protestantismus; „Ihre Plane sind freilich nicht auf einen einzelnen gerichtet, sie gehen auf uns arme Seelen alle. Sie möchten gar zu gerne unser ganzes Vaterland und England und alles, was noch zum Evangelium hält, unter den heiligen Pantoffel bringen. Aber Sie kommen hundert Jahre zu spät oder zu früh; noch gibt es, Gott sei Dank, Männer genug in meinem Vaterlande, die lieber des Teufels sein wollen, als den heiligen Stuhl anbeten.“

„Bringe mir meinen Hut, Piccolo!“ sagte der Priester sehr gelassen, „Ihnen, mein Herr von S., danke ich für diese Belehrung; doch lag uns an den dummen Deutschen wenig. Es liegt [395] ein sicheres Mittel in der Erbärmlichkeit Ihrer Nation und in ihrer Nachahmungssucht. Ich kann Sie versichern, wenn man in Frankreich recht fromm wird, wenn England über kurz oder lang zur alleinseligmachenden Kirche zurückkehrt, dann werden auch die ehrlichen Deutschen nicht mehr lange protestieren. Drum leben Sie wohl, mein Herr, auf Wiedersehen.“ Die Züge des Kardinals hatten etwas Hohes, Gebietendes, das mir beinahe nie so sichtbar wurde als in diesem Moment. Ich mußte gestehen er hatte sich gut aus der Sache gezogen und verließ als Sieger die Walstatt. Frater Piccolo setzte ihm den roten Hut auf, ergriff die Schleppe seines Talars und, mit Anstand und Würde grüßend, schritt der Kardinal aus dem Zimmer.

Der Berliner fühlte sich beschämt und sprach kein Wort; der Pietist murmelte Stoßgebetlein und war augenscheinlich düpiert, denn der Streit ging über seinen Horizont, an welchem nur die Ideen „von dem Antichrist, dem Drachen auf dem Stuhl des Lammes, dem Baalspfaffen, der babylonischen Dame, dem ewigen Höllenpfuhl und dem Paradiesgärtlein“, in lieblichem Unsinn verschlungen, schwebten.

Dem Kapitän schien übrigens nicht gar zu wohl bei der Sache zu sein. Ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß er von Donna Ines und diesem Priester bedeutende Vorschüsse empfangen habe, die er nicht zahlen konnte; es war zu erwarten, daß sie ihn von dieser Seite bald quälen würden, und ich freute mich schon vorher, zu sehen, was er dann in der Verzweiflung beginnen werde. Auch zu diesem Auftritt hatte ihn sein Leichtsinn verleitet, denn hätte er bedacht, was für Folgen für ihn daraus entstehen können, – er hätte sich von falscher Scham nicht so blindlings hinreißen lassen. Der Berliner fuhr übrigens bei dieser Partie ebenso schlimm. Ich wußte wohl, daß er die Hoffnung auf Luisens Besitz nicht aufgegeben hatte, daß er sie mächtiger als je nährte, da sie ihn heute hatte rufen lassen; ich wußte auch, daß sie den Kapitän nicht gerade zu sich zurückwünschte, sondern ihn nur nicht katholisch wissen wollte; ich wußte, daß sie dem Berliner vielleicht bald geneigt worden wäre, weil sie sah, mit welchem Eifer er sich um sie bemühe; und jetzt hatte der Kapitän vor uns [396] allen ausgesprochen, daß er das Fräulein wiedersehen wolle; und so war es.

„Es ist mein voller Ernst, Herr von S.“, sagte er, „ich sehe ein, daß ich mich diesen unwürdigen Verbindungen entreißen muß. Können Sie mir Gelegenheit geben, das Fräulein wiederzusehen und ihre Verzeihung zu erbitten?“

„Ich weiß nicht, wie Fräulein von Palden darüber denkt“, antwortete der junge Mann etwas verstimmt und finster; „ich glaube nicht, daß nach diesen Vorgängen –“

„O! ich habe die beste Hoffnung“, rief jener, „ich kenne Luisens gutes Herz und kann nicht glauben, daß sie aufgehört habe, mich zu lieben. Hören Sie einen Vorschlag. Signora Campoco hat einen Garten an der Tiber; bitten Sie das Fräulein, mit ihrer Tante heute abend dorthin zu kommen. Ich will sie ja nicht allein sehen, Sie alle können zugegen sein; ich will ja nichts, als Vergebung lesen in ihren Augen, ein Wort von ihr soll mir genug sein, um mich mit mir selbst und mit dem Himmel zu versöhnen. Ach, wie schmerzlich fühle ich meine Verirrungen!“

„Gut, ich will es sagen“, erwiderte der Berliner, indem er mit Mühe nach Fassung rang. „Soll ich Ihnen Antwort bringen?“

„Ist nicht nötig; wenn Sie keine Antwort bringen, bin ich um sechs Uhr als reuiger Sünder in dem Garten an der Tiber.“


*


Ich gestehe, der Berliner hatte ein sonderbares Geschick. Das Verhängnis zog ihn in diese Verhältnisse; seine Gestalt, sein Gesicht, zufällig dem Kapitän West sehr ähnlich, bringt ihm Glück und Unglück; es zieht ihn in die Nähe des Mädchens, er lernt ihr Schicksal kennen, er sieht sie leiden, er leidet mit ihr; die Zeit, die alle Wunden heilt, bewirkt endlich, daß sie den Kapitän vielleicht nicht mehr so sehnlich zurückwünscht; sie will nur, daß er jenen Schritt nicht thue, den sie für einen thörichten hält, sich selbst unbewußt, gibt sie dem armen S. Hoffnungen; er glaubt, sie errungen zu haben durch die vielen Bemühungen um ihre Wahl, und jetzt muß er den gefährlichen Nebenbuhler, einen Mann, den er verachtet, zu ihr zurückführen!“

[397] Ich war begierig auf diesen Abend; der Berliner hatte mir gesagt, daß sie einwillige, ihn, von Signora Campoco begleitet, zu sehen. Sie hatte ihn eingeladen, zugegen zu sein, und er bat mich, ihn zu begleiten, weil er diese Szene allein nicht mit ansehen könne. Als ich seiner Wohnung zuging, trat mir auf einmal Frater Piccolo in den Weg mit der Frage, wo er wohl den Kapitän finden könnte?

Ich forschte ihn aus, zu welchem Zweck er wohl den Kapitän suche, und er sagte mir ohne Umschweife, daß er ihm von dem Kardinal einen Schuldschein auf fünftausend Scudi zu überreichen habe, die jener zwölf Stunden nach Sicht bezahlen müsse. „Wertester Frater Piccolo“, erwiderte ich ihm, „das Sicherste ist, Ihr bemühet Euch nach sechs Uhr in den Garten der Signora Campoco, welcher an der Tiber gelegen; dort werdet Ihr ihn finden, dafür stehe ich Euch.“ Er dankte und ging weiter. Daß er diese Nachricht dem Kardinal, vielleicht auch Donna Ines mitteilen werde, glaubte ich voraussetzen zu dürfen. „Fünftausend Scudi, zwölf Stunden nach Sicht!“ sagte ich zu mir, „ich will doch sehen, wie er sich heraushilft!“

Den armen Berliner traf ich sehr niedergeschlagen. Er schien zu fühlen, daß seine Hoffnungen auf ewig zerstört seien; doch nicht nur dies Gefühl war es, was ihn unglücklich machte; er fürchtete, Luise werde nicht auf Dauer glücklich werden. „Dieser West!“ rief er; „ist es nicht immer wieder Leichtsinn, was ihn zu uns, zu ihr zurückführt! Wie leicht ist es möglich, wenn einmal die Reue über ihn kommt, die Spanierin so unglücklich gemacht zu haben, wie leicht ist es möglich, daß er auch Luisen wieder verläßt.“

Ja, dachte ich, und wenn erst das Wechselchen anlangt und er nicht zahlen kann, und wenn ihn Donna Ines mit den funkelnden Augen sucht und bei der Fremden findet, und wenn erst der Kardinal seine Künste anwendet. Die Schule der Verzweiflung hat er noch nicht ganz durchgemacht. Aber auch das Fräulein, hoffe ich, wird jetzt auftauen und ihre Hilfe zu kleinen Teufeleien und Höllenkünsten nehmen, und der gute Berliner soll wohl auch bekannter mit mir werden müssen!

Wir gingen hinaus an die Tiber zum verhängnisvollen Garten [398] der Signora Campoco. Unterwegs sagte mir der junge Mann, das Fräulein sei ihm unbegreiflich. Als er ihr die Nachricht gebracht, wie sich im Hause des Kapitäns auf einmal alles so sonderbar, wie durch eine höhere Leitung, gefügt habe, wie West nicht nur zur protestantischen Kirche zurücktreten, sondern auch als reuiger Sünder zu ihr zurückkehren wolle, da sei, so sehr sie ihn zuvor angeklagt, ein seliges Lächeln auf ihren schönen Zügen aufgegangen. Sie habe geweint vor Freude, sie habe mit tausend Thränen ihre Tante dazu vermocht, uns in ihrem Garten zu empfangen. Und dennoch sei sie jetzt nicht mehr recht heiter; eine sonderbare Befangenheit, ein Zittern banger Erwartung habe sie befallen, sie habe ihm gestanden, daß sie der Gedanke an den Fluch ihres Vaters, wenn sie je die Gattin des Kapitäns werde, immer verfolge. Es sei, als liege eine schwarze Ahnung vor ihrer sonst so kindlich frohen Seele, als fürchte sie trotz der Rückkehr des Geliebten dennoch nicht glücklich zu werden.

Unter den Klagen des Berliners, unter seinen Beschuldigungen gegen das ganze weibliche Geschlecht hatten wir uns endlich dem Garten genähert. Er lag, von Bäumen umgeben, wie ein Versteck der Liebe. Signora Campoco empfing uns mit ihren Hündlein aufs freundlichste; sie erzählte, daß sie das deutsche Geplauder der Versöhnten nicht mehr länger habe hören können und zeigte uns eine Laube, wo wir sie finden würden. Errötend, mit glänzenden Augen, Verwirrung und Freude auf dem schönen Gesicht, trat uns das Fräulein entgegen. Der Kapitän aber schien mir ernster, ja, es war mir, als müßte ich in seinen scheuen Blicken eine neue Schuld lesen, die er zu den alten gefügt.

Dem Berliner war wohl das Schmerzlichste der feurige Dank, den ihm das schöne Mädchen für seine eifrigen Bemühungen ausdrückte. Sie umfing ihn, sie nannte ihn ihren treuesten Freund, sie bot ihm ihre Lippen, und er hat wohl nie so tief als in jenem Augenblick gefühlt, wie die höchste Lust mit Schmerz sich paaren könne. Mir, ich gestehe es, war diese Szene etwas langweilig; ich werde daher die nähere Beschreibung davon nicht in diese Memoiren eintragen, sondern als Surrogat eine Stelle aus Jean Pauls „Flegeljahren“ einschieben, die den Leser weniger langweilen [399] dürfte: „Selige Stunden, welche auf die Versöhnung der Menschen folgen! Die Liebe ist wieder blöde und jungfräulich, der Geliebte neu und verklärt, das Herz feiert seinen Mai, und die Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen, vergessenen Krieg nicht.“ So sagt dieser große Mensch, und er kann recht haben, aus Erfahrung; ich habe, seit sich der Himmel hinter mir geschlossen, nicht mehr geliebt, und mit der Versöhnung will es nicht recht gehen.

Bei jener ganzen Szene ergötzte ich mich mehr an der Erwartung als an der Gegenwart. Wenn jetzt mit einemmal, dachte ich mir, Frater Piccolo durch die Bäume herbei käme, um seinen Wechsel honorieren zu lassen, – welche Angst, welcher Kummer bei dem Kapitän, welches Staunen, welcher Mißmut bei dem Fräulein! Ich dachte mir allerlei dergleichen Möglichkeiten, während die andern in süßem Geplauder mit vielen Worten nichts sagten – da hörte ich auf einmal das Plätschern von Rudern in der Tiber. Es war nach sechs Uhr, es war die Stunde, um welche ich Frater Piccolo hieher bestellt hatte; wenn er es wäre! – Die Ruderschläge wurden vernehmlicher, kamen näher, weder die Liebenden noch der Berliner schienen es zu hören. Jetzt hörte man nur noch das Rauschen des Flusses, die Barke mußte sich in der Nähe ans Land gelegt haben. Die Hunde der Signora schlugen an, man hörte Stimmen in der Ferne, es rauschte in den Bäumen, Schritte knisterten auf dem Sandweg des Gartens, ich sah mich um – Donna Ines und der Kardinal Rocco standen vor uns.

Luise starrte einen Augenblick diese Menschen an, als sehe sie ein Gebild der Phantasie. Aber sie mochte sich des Kardinals aus einem schrecklichen Augenblick erinnern, sie schien den Zusammenhang zu begreifen, schien zu ahnen, wer Ines sei, und sank lautlos zurück, indem sie die schönen Augen und das erbleichende Gesicht in den Händen verbarg. Der Kapitän hatte den Kommenden den Rücken zugekehrt und sah also nicht sogleich die Ursache von Luisens Schrecken. Er drehte sich um, er begegnete zornsprühenden Blicken der Donna, die diese Gruppe musterte, er suchte vergeblich nach Worten; das Gefühl seiner Schande, die Angst, die Verwirrung schnürten ihm die Kehle zu.

[400] „Schändlich!“ hub Ines an, „so muß ich dich treffen! Bei deiner deutschen Buhlerin verweilst du, und vergißt, was du deinem Weibe schuldig bist? Ehrvergessener! Statt meine Ehre, die du mir gestohlen, durch Treue zu ersetzen, statt mich zu entschädigen für so großen Jammer, dem ich mich um deinetwillen ausgesetzt habe, schwelgst du in den Armen einer andern?“

„Folget uns, Kapitän West!“ sagte der Kardinal sehr strenge; „es ist Euch nicht erlaubt, noch einen Augenblick hier zu verweilen. Die Barke wartet. Gebt der Donna Euren Arm und verlasset diese ketzerische Gesellschaft.“

„Du bleibst!“ rief Luise, indem sie ihre schönen Finger um seinen Arm schlang und sich gefaßt und stolz aufrichtete; „schicke diese Leute fort. Du hast ja noch soeben diese Abenteuerin verschworen. Du zauderst? Monsignor, ich weiß nicht, wer Ihnen das Recht gibt, in diesen Garten zu dringen; haben Sie die Güte, sich mit dieser Dame zu entfernen.“

„Wer mir das Recht gibt, junge Ketzerin?“ entgegnete Rocco, „Diese ehrwürdige Frau Campoco; ich denke, ihr gehört der Garten, und es wird Sie nicht belästigen, wenn wir hier verweilen.“

„Ich bitte um Euren Segen, Eminenz“, sagte, sich tief verneigend, Signora Campoco; „wie möget Ihr doch so sprechen? Meinem geringen Garten ist heute Heil widerfahren, denn heilige Gebeine wandeln darin umher!“

„Nicht gezaudert, Kapitän!“ rief der Kardinal; „werfet den Satan zurück, der Euch wieder in den Klauen hat; folget uns, wohin die Pflicht Euch ruft. – Ha! Ihr zaudert noch immer, Verräter? soll ich“, fuhr er mit höhnischem Lächeln fort: „soll ich Euch etwa dies Papier vorzeigen? Kennet Ihr diese Unterschrift? Wie steht es mit den fünftausend Scudi, verehrter Herr? Soll ich Euch durch die Wache abholen lassen?“

„Fünftausend Scudi?“ unterbrach ihn der Berliner, „ich leiste Bürgschaft, Herr Kardinal, sichere Bürgschaft.“

„Mit nichten!“ antwortete er mit großer Ruhe, „Ihr seid ein Ketzer; haeretico non servanda fides; Ihr könntet leicht ebenso denken und mit der Bürgschaft in die Weite gehen. Nein, – Piccolo! Sende einen der Schiffer in die Stadt; man solle die Wache holen.“

[401] „Um Gotteswillen, Otto! Was ist das?“ rief Luise, indem ihr Thränen entstürzten. „Du wirst dich doch nicht diesen Menschen so ganz übergeben haben? O Herr! nur eine Stunde gestattet Aufschub, mein ganzes Vermögen soll Euer sein; mehr, viel mehr will ich Euch geben, als Ihr fordert –“

„Meinst du, schlechtes Geschöpf!“ fiel ihr die Spanierin in die Rede, „meinst du, es handle sich hier um Gold? Mir, mir hat er seine Seele verpfändet; er hat mich gelockt aus den Thälern meiner Heimat, er hat mir ein langes seliges Leben in seinen Armen vorgespiegelt, er hat mich betrogen um diese Seligkeit; du – du hast mich betrogen, deutsche Dirne, aber sehe zu, wie du es einst vor den Heiligen verantworten kannst, daß du dem Weib den Gatten raubst, den Kindern, den armen Würmern, den Vater!“

„Ja, das ist dein Fluch, alter Vater!“ sagte Luise, von tiefer Wehmut bewegt; „das ist dein Fluch, wenn ich je die Seine würde; er nahte schnell! Ich hätte dir ihn entrissen, unglückliches Weib? Nein, so tief möchte ich nicht einmal dich verachten. Er kannte mich längst, ehe er dich nur sah, und die Treue, die er dir schwur, hat er mir gebrochen!“

„Von dieser Sünde werden wir ihn absolvieren“, sprach der Kardinal; „sie ist um so weniger drückend für ihn, als Ihr selbst, Signora, mit einem anderen, der hier neben sitzt, in Verhältnissen waret. Zaudere nicht mehr, folge uns; bei den Gebeinen aller Heiligen, wenn du jetzt nicht folgst, wirst du sehen, was es heiße, den heiligen Vater zu verhöhnen!“

Der Kapitän war ein miserabler Sünder. So wenig Kraft, so wenig Entschluß! Ich hätte ihn in den Fluß werfen mögen; doch es mußte zu einem Resultate kommen, drum schob ich schnell ein paar Worte ein: „Wie? Was ist dies für ein Geschrei von Kindern“, rief ich erstaunt; „es wird doch kein Unglück in der Nähe geben?“

„Ha! meine Kinder“, weinte die Spanierin, „o, weinet nur, ihr armen Kleinen; der, der Euch Vater sein sollte, hat Erz in seiner Brust. Ich gehe, ich werfe sie in die Tiber und mich mit ihnen; so ende ich ein Leben, das du, Verfluchter, vergiftetest!“

[402] Sie rief es und wollte nach der Tiber eilen, doch das Fräulein faßte ihr Gewand; bleich zum Tod, mit halbgeschlossenen Augen führte sie Donna Ines zu dem Kapitän und stürzte dann aus der Laube. Ich selbst war einige Augenblicke im Zweifel, ob sie nicht denselben Entschluß ausführen wollte, den die Donna für sich gefaßt; doch der Weg, den sie einschlug, führte tiefer in den Garten, und sie wollte wohl nur diesem Jammer entgehen. Der Berliner aber lief ihr ängstlich nach, und als sich auch der Kapitän losriß, ihr zu folgen, stürzte die ganze Gesellschaft, der Kardinal, ich und Signora Campoco, in den Garten.

Wir kamen zu ihnen, als eben Luise erschöpft und der Ohnmacht nahe zusammensank. S. fing sie in seine Arme auf, und trug die teure Last nach einer Bank. Dort wollte ihn der Kapitän verdrängen, er wollte vielleicht seinen Entschluß zeigen, nur ihr anzugehören, er glaubte heiligere Rechte an sie zu haben und entfernte den Arm des jungen Mannes, um den seinigen unterzuschieben.

Doch dieser, ergriffen von Liebe und Schmerz, aufgeregt von der Szene, die wir gesehen, stieß den Kapitän zurück. „Fort mit dir“, rief er; „gehe zu Pfaffen und Ehebrechern, zu Schurken deines Gelichters. Du hast deine Rolle künstlich gespielt; um diese Blume zu pflücken, mußtest du dich den Armen jenes hergelaufenen Weibes noch einmal entreißen. Hinweg mit dir, du Ehrloser!“

„Was sprechen Sie da?“ schrie der Kapitän schäumend; es mochte in der Rede des jungen Mannes etwas liegen, was als Wahrheit um so beißender war. „Welche Absichten legen Sie mir unter? Was hätte ich gethan? Erklären Sie sich deutlicher!“

„Jetzt hast du Worte, Schurke, aber als dieser Engel zu dir flehte, da hatte deinen Mund die Schande verschlossen. Rühre sie nicht an, oder ich schlage dich nieder.“

„Das kann dir geschehen“, entgegnete jener, und einem Blitze gleich fuhr er mit etwas Glänzendem aus der Tasche nach der Brust des jungen Mannes. – In Spanien lernt man gut stoßen. Der Berliner hatte einen Messerstich in der Brust und sank, ohne das Haupt der Geliebten zu lassen, in die Knie.

[403] „Jetzt wird der tapfere Hauptmann gewiß katholisch!“ war mein Gedanke, als das Herzblut des jungen Mannes hervorströmte; „jetzt wird er sich bergen im Schoße der Kirche!“ Und es schien so zu kommen. Denn willenlos ließ sich der Kapitän von Ines und dem Kardinal wegführen, und die Barke stieß vom Lande.


*


Wenige Tage nach diesem Vorfall erschien jener glorreiche Tag, an welchem der Papst vor dem versammelten Volk mir, dem Teufel, alle Seelen der Ketzer übermacht; ich habe zwar durch diese Anweisung noch nie eine erhalten und weiß nicht, ob Seine Heiligkeit falliert haben und nun auf der Himmelsbörse keine Geschäfte mehr machen, also wenig Einfluß auf das Steigen und Fallen der Seelen haben, oder ob vielleicht diese Verwünschung nur zur Vermehrung der Rührung dient, um den Wirten und Gewerbsleuten in Rom auf versteckte Weise zu verstehen zu geben, daß sie sich kein Gewissen daraus machen sollen, den Beutel der Engländer, Schweden und Deutschen zu schröpfen, da ihre Seelen doch einmal verloren seien.

An einem solchen Tage pflegt ganz Rom zusammenzuströmen, besonders die Weiber kommen gerne, um die Ketzer im Geiste abfahren zu sehen. Man drängt und schlägt sich auf dem großen Platz, man hascht nach dem Anblick des heiligen Vaters, und wenn er den heiligen Bannstrahl herabschleudert, durchzückt ein mächtiges Gefühl jedes Herz, und alle schlagen an die Brust und sprechen: „Wohl mir, daß ich nicht bin wie dieser einer.“ An diesem Tage aber hatte das Fest noch eine ganz besondere Bedeutung; man sprach nämlich in allen Zirkeln, in allen Kaffeehäusern, auf allen Straßen davon, daß ein berühmter, tapferer, ketzerischer Offizier an diesem Tage sich taufen lassen wolle. Dieser Offizier machte seine Grade erstaunlich schnell durch. Am Montag hieß es, er sei Kapitän, am Dienstag, er sei Major, am Mittwoch war er Obrist, und wenn man am Donnerstag früh ein schönes Kind auf der Straße anhielt, um zu fragen, wohin es so schnell laufe, konnte man auf die Antwort rechnen: „Ei, wisset [404] Ihr nicht, daß zur Ehre Gottes ein General der Ketzer sich taufen läßt und ein guter Christ wird, wie ich und Ihr?“

Wer der berühmte Täufling war, werden die Leser meiner Memoiren leicht erraten. Endlich, endlich war er abgefallen! Sie hatten ihn wohl nach der Szene in Signoras Garten so lange und heftig mit Vorwürfen, Bitten, Drohungen, Versprechungen und Thränen bestürmt, daß er einwilligte, besonders da er durch den Übertritt nicht nur Absolution für seine Seele, was ihm übrigens wenig helfen wird, sondern auch Schutz für die Justiz bekam, die ihm schon nachzuspüren anfing, da der Berliner einige Tage zwischen Leben und Tod schwebte und sein Gesandter auf strenge Ahndung des Mordes angetragen hatte.

Ich stellte mich auf dem Platze so, daß der Zug mit dem Täufling an mir vorüberkommen mußte. Und sie nahten! Ein langer Zug von Mönchen, Priestern, Nonnen, andächtigen Männern und Frauen kam heran, ihre halblaut gesprochenen Gebete rollten wie Orgelton durch die Lüfte. Sie zogen im Kreis um den ungeheuren Platz, und jetzt wurden die Römer um mich her aufmerksamer. „Ecco, ecco lo“[14], flüsterte es von allen Seiten; ich sah hin – in einem grauen Gewand, das Haupt mit Asche bestreut, ein Kruzifix in den gefalteten Händen, nahte mit unsicheren Schritten der Kapitän. Zwei Bischöfe in ihren violetten Talaren gingen vor ihm, und Chorknaben aller Art und Größe folgten seinen Schritten.

„Ein schöner Ketzer, bei St. Peter! Ein schmucker Mann!“ hörte ich die Weiber um mich her sagen. „Welch ein frommer Soldat!“

„Wie freut man sich, wenn man sieht, wie dem Teufel eine Seele entrissen wird!“

„Werden sie ihn vorher taufen oder nachher?“

„Vorher“ antwortete ein schönes, schwarzlockiges Mädchen, „vorher, denn nachher verflucht der heilige Vater alle Ketzer, und da würde er ihn ja auf ewig verdammen und nachher segnen und taufen.“

[405] „Ach, das verstehst du nicht“, sagte ihr Vater, „der Papst kann alles, was er will, so oder so.“

„Nein, er kann nicht alles“, erwiderte sie schelmisch lächelnd; „nicht alles!“

„Was kann er denn nicht?“ fragten die Umstehenden. „Er kann alles; was sollte er denn nicht können?“

„Er kann nicht heiraten!“ lachte sie; doch nicht so schnell folgt der Donner dem Blitz, als die schwere Hand des Vaters auf ihre Wange fiel.

„Was? Du versündigst dich, Mädchen“, schrie er; „welche unheiligen Gedanken gibt dir der Teufel ein? Was geht es dich an, ob der Papst heiratet oder nicht? Dich nimmt er auf keinen Fall.“

Das Volk begann indes in die Peterskirche zu strömen, und auch ich folgte dorthin. Es ist eine lächerlich materielle Idee, wenn die Menschen sich vorstellen, ich könne in keine christliche Kirche kommen. So schreiben viele Leute C. M. B. (Casper, Melchior, Balthasar) über ihre Thüren und glauben, die drei Könige aus Morgenland werden sich bemühen, ihre schlechte Hütte gegen die Hexen zu schützen.

Ich drängte mich soweit als möglich vor, um die Zeremonien dieser Taufe recht zu sehen. Der tapfere Kapitän hatte jetzt sein graues Gewand mit einem glänzend weißen vertauscht und kniete unweit des Hochaltars. Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe standen umher, der ungewisse Schein des Tages, vermischt mit dem Flackern der Lichter der Kerzen, welche die Chorknaben hielten, umgab sie mit einem ehrwürdigen Heiligenschein, der jedoch bei manchem wie Scheinheiligkeit aussah. Auf der andern Seite kniete unter vielen schönen Frauen Donna Ines mit ihren Kindern. Sie war lockender und reizender als je, und wer Luisen und ihr sanftes blaues Auge nicht gesehen hatte, konnte dem Täufling verzeihen, daß er sich durch dieses schöne Weib und einen listigen Priester unter den Pantoffel Sankt Petri bringen ließ.

Neben mir stand eine schwarzverschleierte Dame. Sie stützte sich mit einer Hand an eine Säule, und ich glaube, sie wäre ohne diese Hülfe auf den Marmorboden gesunken, denn sie zitterte beinahe [406] krampfhaft. Der Schleier war zu dicht, als daß ich ihre Züge erkennen konnte. Doch sagte mir eine Ahnung, wer es sein könnte. Jetzt erhoben die Priester den Gesang, er zog mit den blauen Wölkchen des arabischen Weihrauchs hinauf durch die Gewölbe und berauschte die Sinne der Sterblichen, übertäubte ihre Seelen und riß sie hin zu einer Andacht, die sie zwar über das Irdische, aber auch über die ewigen Gesetze ihrer Vernunft hinwegführt.

Die Priester sangen. Jetzt fing er an, sein Glaubensbekenntnis zu sprechen.

„Er hat mich nie geliebt“, seufzte die Dame an meiner Seite, „er hat auch dich nie geliebt, o Gott, verzeihe ihm diese Sünde!“

Er sprach weiter, er verfluchte den Glauben, in welchem er bisher gelebt.

„Gib Frieden seiner Seele“, flüsterte sie; „wir alle irren, solange wir sterblich sind; vielleicht hat er den wahren Trost gefunden! Laß ihn Friede finden, o Herr!“

Da fingen die Priester wieder an zu singen. Ihre tiefen Töne drangen schneidend in das Herz der Dame. Jetzt wurde das Sakrament an ihm vollzogen, der Kardinal Rocco, im vollen Ornat seiner Würde, segnete ihn ein, und Donna Ines warf dem Getauften frohlockende Grüße zu.

„Vater, laß ihm mein Bild nie erscheinen“, betete die Dame an meiner Seite, „daß nie der Stachel der Reue ihn quäle! Laß ihn glücklich werden!“

Und mit dem Pomp des heiligen Triumphes schloß die Taufe, und der Kapitän stand auf, zwar als ein so großer Sünder wie zuvor, doch als ein rechtgläubiger katholischer Christ. Das Volk drängte sich herzu und drückte seine Hände, und Donna Ines führte ihm mit holdem Lächeln ihre Kinder zu. Aber noch war die Szene nicht zu Ende. Kardinal Luighi führte den Getauften an die Stufen des Altars, stieg die heiligen Stufen hinan und las die Messe.

Die Dame im schwarzen Schleier zitterte heftiger, als sie dies alles sah; ihre Kniee fingen an zu wanken. „Wer Ihr auch seid, mein Herr!“ flüsterte sie mir plötzlich zu, „seid so barmherzig und [407] führt mich aus der Kirche, ich fühle mich sehr unwohl.“ Ich gab ihr meinen Arm, und die frommste Seele in Sankt Peters weiten Hallen ging hinweg, begleitet vom Teufel.

Auf dem Platze vor der Peterskirche deutete sie schweigend auf eine Equipage, die unfern hielt. Ich führte sie dorthin, ich öffnete ihr den Schlag und bot ihr die Hand zum Einsteigen. Sie schlug den dunkeln Schleier zurück, es war, wie ich mir gesagt hatte, es waren die bleichen, schönen Züge Luisens. „Ich danke Euch, Herr!“ sagte sie, „Ihr habt mir einen großen Dienst erwiesen.“ Noch zitterte ihre Hand in der meinigen, ihre schönen Augen wandten sich noch einmal nach Sankt Peter und füllten sich dann mit einer Thräne. Aber schnell schlug sie den Schleier nieder und schlüpfte in den Wagen; die Pferde zogen an, ich habe sie – nie wieder gesehen.


*


Eine wichtige Angelegenheit, die wankende Sache der Hohen Pforte, welcher ich immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe, rief mich an diesem Tag nach …, wo ich mit einem berühmten Staatsmann eine Konferenz halten mußte. Man kennt die Zuneigung dieses erlauchten Veziers eines christlichen Potentaten zum Halbmond; und ich hatte nicht erst nötig, ihn zu überzeugen, daß die Türken seine natürlichen Alliierten seien. Von … eilte ich zurück nach Rom. Ich gestehe, ich war begierig, wie sich jene Verhältnisse lösen würden, in welche ich verflochten war, und die mir durch einige Situationen so interessant geworden waren.

Der erste, den ich unter der Porta del Popolo traf, war der deutsche Kaufmann. Er saß in einem schönen Wagen und hatte, wie es schien, Streit mit einigen päpstlichen Polizeisoldaten. Ich trat als Stobelberg zu ihm. „Lieber Bruder“, sagte ich, „es scheint, du willst Sodom verlassen gleich dem frommen Lot?“

„Ja, fliehen will ich aus dieser Stätte des Satan“, war seine Antwort; „und hier läßt mich der Drache auf dem Stuhl des Lammes noch einmal anhalten, aus Zorn, weil ich einen seiner Baalspfaffen im Christentume unterweisen wollte.“

[408] Ich sah hin und merkte jetzt erst die Ursache des Streites. Die Polizei hatte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, den Wagen noch einmal untersucht. Da war man auf ein Kistchen gestoßen und hatte den Pietisten gefragt, was es enthalte. „Geistliche Bücher“, antwortete er. Man glaubte aber nicht, schloß auf, und siehe da, es war ein gutes Flaschenfutter und die Polizeimänner wollten wegen seines Betruges einige Scudi von ihm nehmen.

„Aber, Bruder!“ sagte ich ihm; „eine fromme Seele sollte nach nichts dürsten als nach dem Tau des Himmels, nach nichts hungern als nach dem Manna des Wortes, und doch führst du ein Dutzend Flaschen mit dir, und hier liegt ein ganzer Pack Salamiwürste? Pfui, Bruder, heißt es nicht, was werden wir essen, was werden wir trinken, nach dem allen fragen die Heiden?“

„Bruder“, erwiderte jener, und drehte die Augen gen Himmel; „Bruder, bei dir muß es noch nicht völlig zum Durchbruch gekommen sein, daß du einen Mann von so felsenfestem Glauben, daß du mir solche Fragen vorlegst. Gerade, daß ich nicht zu seufzen brauche: ‚Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit uns kleiden?‘ Gerade deswegen habe ich mir den neuen Rock hier gekauft, habe meinen Flaschenkeller gefüllt und diese aus Eselsfleisch bereiteten Würste gekauft; es geschah also aus reinem Glaubensdrang, und der Geist hat es mir eingegeben. Da, ihr lumpichten Söhne von Astaroth[15], ihr Brut des Basilisken, so auf dem Stuhl des Lammes sitzt und an seinen Klauen Pantoffeln führt, da nehmet diesen holländischen Dukaten und lasset mir meine geistlichen Bücher in Ruhe! – So, nun lebe wohl, Bruder! Der Geist komme über dich und stärke deinen Glauben!“

Da fuhr er hin, und wieder wurde ich in dem Glauben bestärkt, daß diese christlichen Pharisäer schlimmer sind als die Kinder der Welt. Ich ging weiter, den Corso hinab. Am unteren Ende der Straßen begegnete mir der Kardinal Rocco und Piccolo, sein Diener. Der Kardinal schien sehr krank zu sein, denn ganz gegen die Etikette trug ihm Piccolo nicht die Schleppe nach, sondern [409] führte ihn unter dem Arm, und dennoch wankte Rocco zuweilen hin und her. Sein Gesicht war rot und glühend, seine Augen halb geschlossen, und der rote Hut saß ihm etwas schief auf dem Ohr.

„Siehe da, ein bekanntes Gesicht!“ rief er, als er mich sah, und blieb stehen. „Komm hieher, mein Sohn, und empfange den Segen. Haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen?“

„O ja, und ich hoffe noch öfters das Vergnügen zu haben; ich hatte die Ehre, Ew. Eminenz im Garten der Frau Campoco zu sehen.“

„Ja, ja! Ich erinnere mich, Ihr seid ein junger Ketzer; wisset Ihr, woher ich komme? Geraden Wegs von dem Hochzeitschmause des lieben Paares!“

Jetzt konnte ich mir die Krankheit des alten Herrn erklären; die spanischen Weine der Donna Ines waren ihm wohl zu stark gewesen, und Piccolo mußte ihn jetzt führen. „Ihr waret wohl recht vergnügt?“ fragte ich ihn; „es ist doch Euer Werk, daß die Donna den Kapitän endlich doch noch überwunden hat?“

„Das ist es, lieber Ketzer!“ sagte er, stolz lächelnd, „mein Werk ist es; kommt, gehen wir noch ein paar hundert Schritte zusammen! – Was wollte ich sagen? Ja – mein Werk ist es, denn ohne mich hätte die Donna gar keine Kunde von ihm bekommen; ich schrieb ihr, daß er in Rom sich befinde; ohne mich wäre ihre frühere Ehe nicht für ungültig erklärt worden; ohne mich wäre der Kapitän nicht rechtgläubig geworden, was zur Glorie unserer Kirche notwendig war; ohne mich wäre er nicht von seiner Ketzerin losgekommen – kurz, ohne mich – ja, ohne mich stünde alles noch wie zuvor.“

„Es ist erstaunlich!“

„Höret, Ihr gefallt mir, lieber Ketzer. Hört einmal, werdet auch rechtgläubig; brauchet Ihr Geld? Könnet haben soviel Ihr wollt, gegen ein Reverschen zahlbar gleich nach Sicht; o! damit kann man einen köstlich in Verlegenheit bringen. Brauchet Ihr eine schöne, frische, reiche Frau? Ich habe eine Nichte, Ihr sollt sie haben. Brauchet Ihr Ehren und Würden? Ich will Euch pro primo den goldenen Sporenorden verschaffen; es kann ihn zwar [410] jeder Narr um einige Scudi kaufen – aber Ihr sollet ihn umsonst haben. Wollet Ihr in Eurer barbarischen Heimat große Ehrenstellen? Dürfet nur befehlen; wir haben dort großen Einfluß, geheim und öffentlich. Na! was sagt Ihr dazu?“

„Der Vorschlag ist nicht übel“, erwiderte ich; „Ihr seid nobel in Euren Versprechungen, ich glaube, Ihr könntet den Teufel selbst katholisch machen?“

Anathema sit! anathema sit! Es wäre uns übrigens nicht schwer“, antwortete der Kardinal. „Wir können ihn von seinen zweitausendjährigen Sünden absolvieren und dann taufen. Überdies ist er ein dummer Kerl, der Teufel, und hat sich von der Kirche noch immer überlisten lassen!“

„Wisset Ihr das so gewiß?“

„Das will ich meinen; zum Beispiel, kennet Ihr die Geschichte, die er mit einem Franziskaner gehabt?“

„Nein, ich bitte Euch, erzählet!“

„Ein Franziskaner zankte sich einmal mit ihm wegen einer armen Seele. Der Teufel wollte sie durchaus haben und hatte allerdings nach dem Maß ihrer Sünden das Recht dazu. Der Mönch aber wollte sie in majorem Dei gloriam für den Himmel zustutzen. Da schlug endlich der Satan vor, sie wollen würfeln; wer die meisten Augen mit drei Würfeln werfe, solle die Seele haben. Der Teufel warf zuerst, und, wie er ein falscher Spieler ist, warf er achtzehn, er lachte den Franziskaner aus. Doch dieser ließ sich nicht irre machen; er nahm die Würfel und warf – neunzehn; und die Seele war sein.“

„Herr! das ist erlogen“, rief ich, „wie kann er mit drei Würfeln neunzehn werfen?“

„Ei, wer fragt nach der Möglichkeit? Genug, er hat’s gethan, es war ein Wunder. Nun, kommet morgen in mein Haus, lieber Sohn, wir wollen dann den Unterricht beginnen.“

Er gab mir den Segen und wankte weiter. „Nein, Freund Rocco!“ dachte ich, „eher bekomme ich dich, als du mich; von dir läßt sich der Satan nicht überlisten.“ Es trieb mich jetzt, nach dem Hause des Berliners zu gehen, den ich schwer verwundet verlassen hatte. Zu meiner großen Verwunderung sagte man mir, [411] er sei ausgegangen und werde wohl vor Nacht nicht zurückkehren. So mußte ich den Gedanken aufgeben, heute noch zu erfahren, wie es ihm ergangen sei, wie das Fräulein sich befinde, ob er wohl Hoffnung habe, jetzt, da der Kapitän auf immer für sie verloren sei, sie für sich zu gewinnen; es blieb mir keine Zeit, ihn heute noch zu sehen, denn den Abend über wußte ich ihn nicht zu finden, und auf die kommende Nacht hatte ich eine Zusammenkunft mit jenen kleineren Geistern verabredet, die als meine Diener die Welt durchstreifen.

Ich trat zu diesem Zweck, als die Nacht einbrach, ins Koliseum, denn dies war der Ort, wohin ich sie beschieden hatte. Noch war die Stunde nicht da, aber ich liebe es, in der Stille der Nacht auf den Trümmern einer großen Vorzeit meinen Gedanken über das Geschlecht der Sterblichen nachzuhängen. Wie erhaben sind diese majestätischen Trümmer in einer schönen Mondnacht! Ich stieg hinab in den mittleren Raum. Aus dem blauen, unbewölkten Himmel blickte der Mond durch die gebrochenen Wölbungen der Bogen herein, und die hohen, überwachsenen Mauern der Ruine warfen lange Schatten über die Arena. Dunkle Gestalten schienen durch die verfallenen Gänge zu schweben, wenn ein leiser Wind die Gesträuche bewegte und ihre Schatten hin und wieder zogen. Wo sie schwebten, diese Schatten, da sah man einst ein fröhliches Volk, schöne Frauen, tapfere Männer und die ernste, feierliche Pracht der kriegerischen Kaiser. Geschlecht um Geschlecht ist hinunter, diese Mauern allein überdauerten ihre Zeit, um durch ihre erhabenen Formen diese Sterblichen zu erinnern, wie unendlich größer der Sinn jenes Volkes war, das einst ein Jahrtausend vor ihnen um diese Stätte lebte. Die ernste Würde der Konsuln und des Senates, der kriegerische Prunk der Cäsaren und – dieser römische Hof und diese Römer!

Der Mond war, während ich zu mir sprach, heraufgekommen und stand jetzt gerade über dem Zirkus. Ich sah mich um, da gewahrte ich, daß ich nicht allein in den Ruinen sei. Eine dunkle Gestalt saß seitwärts auf dem gebrochenen Schaft einer Säule; ich trat näher hin, – es war Otto von S… Ich war freudig erstaunt, ihn zu sehen; ich warf mich schnell in den Herrn von [412] Stobelberg, um mit ihm zu sprechen. Ich redete ihn an und wünschte ihm Glück, ihn so gesund zu sehen. Er richtete sich auf; der Mond beschien ein sehr bleiches Gesicht, weinende Augen blickten mich wehmütig an, schweigend sank er an meine Brust.

„Sie scheinen noch nicht ganz geheilt, Lieber!“ sagte ich; „Sie sind noch sehr bleich, die Nachtluft wird Ihnen schaden!“

Er verneinte es mit dem Haupt, ohne zu sprechen. Was war doch dem armen Jungen geschehen, hatte er wohl von neuem einen Korb bekommen? „Nun, ein Mittel gibt es wohl, Sie gänzlich zu heilen“, fuhr ich fort; „jetzt steht Ihnen ja nichts mehr im Wege, jetzt wird sie hoffentlich so spröde nicht mehr sein. Ich will den Brautwerber machen. Sie müssen Mut fassen, Luise wird Sie erhören, und dann ziehen Sie mit ihr aus dieser unglücklichen Stadt, führen sie nach Berlin zu der Tante; wie werden sich die ästhetischen Damen wundern, wenn Sie Ihre Novelle auf diese Art schließen und die holde Erscheinung aus den Lamentationen persönlich einführen!“

Er schwieg, er weinte stille.

„Oder wie! Haben Sie etwa den Versuch schon gemacht? Sollten Sie abgewiesen worden sein? Will sie die Rolle der Spröden fortspielen?“

„Sie ist tot!“ antwortete der junge Mann.

„Ist’s möglich! Höre ich recht? So plötzlich ist sie gestorben?“

„Der Gram hat ihr Herz gebrochen; heute hat man sie begraben.“

Er sagte es, drückte mir die Hand, und einsam weinend ging er durch die Ruinen des Koliseums.



  1. Karl Ludw. v. Haller (1768–1854), Enkel des berühmten Arztes und Dichters Albrechts v. H., war Professor in Bern. Er trat 1820 zum Katholizismus über, wurde deshalb seiner Stellen entsetzt und ging nach Paris. Nach der Julirevolution kehrte er zurück und gehörte zu den Häuptern der ultramontanen Partei.
  2. Alex. Leop. Frz. Emmerich, Prinz von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst (1794–1849) wurde für die Kirche erzogen und 1815 zum Priester geweiht, ging nach Rom, wo er viel mit Jesuiten verkehrte, und war seit 1817 in München und Bamberg für die Verherrlichung der katholischen Kirche thätig. Seit 1821 trat er selbst als Wunderthäter auf und wurde später in Ungarn Großprobst und Titularbischof.
  3. Friedr. Dan. Ernst Schleiermacher (1768–1834), Professor der Theologie und Prediger in Berlin, hegte eine von der älteren Kirchenlehre wesentliche abweichende Ansicht von der Prädestination, indem er darunter nur eine in der geschichtlichen Entwicklung des Reiches Gottes begründete Berufung der Menschen zum Heile verstand, nicht eine willkürliche Auswahl weniger.
  4. Ercole Consalvi (1757–1824), Kardinal und Staatssekretär Pius’ VII.
  5. Name eines Muskateller Weines, der bei Montefiascone in Italien wächst, besungen in dem bekannten Gedicht von Wilhelm Müller.
  6. Ital., eine komische Charaktermaske, der Hanswurst.
  7. Hauff meint wohl Pagliaß (ital. pagliaccio), d. h. Hanswurst.
  8. Truffaldino (ital.) = Hanswurst.
  9. Anspielung auf den als Mystiker und Theosoph bekannt gewordenen Schuhmacher Jakob Böhme (1575–1624).
  10. Hebräisches Wort, das besonders in den Psalmen vorkommt, bedeutet eigentlich „Pause“, dann im modernen Sinn s. v. w. unser „Punktum!“
  11. Griech., Oberpriester; in ironischer Beziehung bedeutet es einen, der sich ein geistliches Ansehen zu geben sucht.
  12. Griech.; einer, der andre für seinen Glauben zu bekehren sucht.
  13. Griech.; ein Buch, Beschwörungsformeln zur Austreibung böser Geister und des Teufels enthaltend.
  14. Ital. = dort, dort ist er!
  15. Stadt im nördlichen Teile des Ostjordanlandes, vgl. 1. Moses, 14, 5.

Anmerkungen des Autors

  1. Die Möglichkeit einer solchen Verwechslung beweist ein Fall, der sich vor einigen Monaten in Ravensburg im Württembergischen zutrug. Zwei Zwillingsbrüder sahen sich täuschend ähnlich. Der eine tötete einen Mann und floh. Er wußte, daß sein Bruder, der in Bregenz in einem österreichischen Regiment diente, desertiert war. Der Mörder wandte sich dorthin, zeigte sich in der Gegend, ließ sich als Deserteur gefangen nehmen und viermal Spießruten jagen. Er diente einige Zeit in der Stelle seines Bruders, bis der Betrug durch einen Zufall entdeckt wurde.
I. Vorspiel Nach oben III. Mein Besuch in Frankfurt
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