Zum Inhalt springen

Mitteilungen aus den Memoiren des Satan/Erster Teil/III

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
II. Unterhaltungen des Satan und des Ewigen Juden Mitteilungen aus den Memoiren des Satan von Wilhelm Hauff
III. Satans Besuch bei Herrn von Goethe
IV. Der Festtag im Fegefeuer
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

[294]


III.
Satans Besuch bei Herrn von Goethe,
nebst
einigen einleitenden Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen Litteratur.


 „Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern
 Und hüte mich, mit ihm zu brechen,
 Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
 So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“
 Goethe.[1]




Sechzehntes Kapitel.
Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen Litteratur.

„Die Idee eines Teufels ist so alt als die Welt und nicht erst durch die Bibel unter die Menschen gekommen. Jede Religion hat ihre Dämonen und bösen Geister, – natürlich weil die Menschen selbst von Anfang an gesündigt haben und nach ihrem gewöhnlichen Anthropomorphismus das Böse, das sie sahen, einem Geiste zuschrieben, dessen Geschäft es sei, überall Unheil anzurichten.“ So würde ich ungefähr sprechen, wenn ich es bis zum Professor der Philosophie gebracht hätte und nun über die „Idee eines Teufels“ mich breitmachen müßte.

In meiner Stellung aber lache ich über solche Demonstrationen, die gewöhnlich darauf auslaufen, daß man mich mit zehnerlei Gründen hinweg zu disputieren sucht; ich lache darüber und [295] behaupte, die Menschen, so dumm sie hie und da sein mögen, merken doch bald, wenn es nicht ganz geheuer um sie her ist, und mögen sie mich nun Ariman oder das böse Prinzip, Satan oder Herrn Urian nennen, sie kennen mich in allen Völkern und Sprachen. Es ist doch eine schöne Sache um das dicier hic est[2], darum behagt mir auch die deutsche Litteratur so sehr. Haben sich nicht die größten Geister dieser Nation bemüht, mich zu verherrlichen, und, wenn ich’s nicht schon wäre, mich ewig zu machen?

In meiner Dissertatio de rebus diabolicis sage ich unter anderm hierüber folgendes: „§ 8. Die Idee, das moralische Verderben in einer Person darzustellen, mußte sich daher den Dichtern bald aufdrängen; diese waren, wie es in Deutschland meistens der Fall war, philosophisch gebildet, doch war ihre Philosophie wie ihre Moral von jener breiten, dicken Sorte, die nicht mit Leichtigkeit über Gegenstände hinzugleiten weiß, daher kam es, daß auch die Gebilde ihrer Phantasie jenes philosophische Blei an den Füßen trugen, das sie nicht mit Gewandtheit auftreten ließ; sie stolperten auf die Bühne und von der Bühne, machten sich breit in Philosophemen, die der zehendste nicht sogleich verstand, und drehten und wandten sich, als sollten sie auf einer engen Brücke ohne Geländer in Reifröcken einander ausweichen.

Daher kam es, daß auch die Teufel dieser Poeten gänzlich verzeichnet waren. Betrachten wir z. B. Klingers[3] Satan. Wie vielen Bombast hat dieser arme Teufel zuerst in der Hölle und dann auf der Erde herzuleiern!

Klingemanns[4] Teufel! Glaubt man nicht, er habe ihn nur geschwind aus dem Puppenspiel von der Straße geholt, ihm die Glieder ausgereckt, bis er die rechte Größe hatte, und ihn dann in die Szene gesetzt? Man begreift nicht, wie ein Mensch sich von einem solchen Ungetüm sollte verführen lassen!“

[296] Es gibt noch mehrere solcher litterarischen Ungetüme, die hier aufzuführen der Raum nicht erlaubt. Sie alle haben mir von jeher viel Spaß gemacht, und ich kam mir oft vor, wie der Polichinello[5] des italienischen Lustspiels; ich war bei diesen Leuten eine stehende Figur, die, wenn auch etwas anders aufgeputzt, doch immer wieder die Hörner herausstreckte, und unter welche man zu besserer Kenntnis ein Ecce homo, sehet, das ist der Teufel, schrieb.

Doch auch dem Teufel muß man Gerechtigkeit widerfahren lassen, sagt ein Sprichwort, folglich muß der Teufel zur Revanche auch wieder gerecht sein. „Ein jeder gibt, wie er’s kann“, fuhr ich in der Dissertation fort, „und wie sich in jenen Poeten das moralische Verderben bei jedem wieder in andern Reflexen abspiegelte, so gaben sie auch ihre Teufel. Daher kommt es, daß Herr Urian bei Klopstock[6] wieder bei weitem anders aussieht.

„Jener Abbadonna ist ein gefallener Engel, dem das höllische Feuer die Flügel versengte, der sich aber auch jetzt noch nobel und würdig ausnehmen soll. Aber leider ist dieser Zweck doch ein wenig verfehlt, mir wenigstens kömmt dieser Klopstockische Gottseibeiuns vor, wie ein Elegant, der wegen Unarten aus den Salons verwiesen, sich in den Tabagien und spießbürgerlichen Klubs nicht recht zu finden weiß und darum unanständig jammert.“

So ungefähr sprach ich mich in jener gelehrten Dissertation aus, und ich gebe noch heute zu, daß die Auffassung wie jeder Idee, so auch der des Teufels sich nach den individuellen Ansichten des Dichters über das Böse richten muß; dies alles aber entschuldiget keineswegs jenen berühmten Mann, der, kraft seines umfassenden Genies, nicht den engen Grenzen seines Vaterlandes oder der Spanne Zeit, in welcher er lebt, sondern der Erde und künftigen Jahrhunderten angehören könnte, es entschuldigt ihn nicht darin, daß er einen so schlechten Teufel zur Welt gebracht hat.

Der Goethische Mephistophiles ist eigentlich nichts anders, als jener gehörnte und geschwänzte Popanz des Volkes. [297] Den Schweif hat er aufgerollt und in die Hosen gesteckt, für die Bocksfüße hat er elegante Stiefel angezogen, die Hörner hat er unter dem Barett verborgen – siehe da den Teufel des großen Dichters! Man wird mir einwenden: „Das gerade ist ja die große Kunst des Mannes, daß er tausend Fäden zu spinnen weiß, durch die er seine kühnen Gedanken, seine hohen überschwenglichen Ideen an das Volksleben, an die Volkspoesie knüpft.“ – „Halt Freund! ist es eines Mannes, der, wie sie sagen, so hoch über seinem Gegenstand steht und sich nie von ihm beherrschen läßt, ist es eines solchen Dichters würdig, daß er sich in diese Fesseln der Popularität schmiegt; sollte nicht der königliche Adler dieses Volk bei seinem populären Schopf fassen und mit sich in seine Sonnenhöhe tragen?“

„Verzeihe, Wertester“, erhalte ich zur Antwort, „du vergissest, daß unter diesem Volke mancher eine Perücke trägt; würde ein solcher nicht in Gefahr sein, daß ihm der Zopf breche und er aus halber Höhe wieder zur Erde stürzte? Siehe! der Meister hat dies besser bedacht; er hat aus jenen tausend Fäden, von welchen ich dir sagte, eine Strickleiter geflochten, auf welcher seine Jünger säuberlich und ohne Gefahr zu ihm hinaufklimmen. Der Meister aber setzet sie zu sich in seine Arche, gleich Noah schwebt er mit ihnen über der Sündflut jetziger Zeit und schaut ruhig wie ein Gott in den Regen hinaus, der aus den Federn der kleinen Poeten strömt.“

„Ein wässeriges Bild!“ entgegne ich, „und zugleich eine Sottise; befand sich denn in jener Arche nicht mehr Vieh als Menschen? Und will der Meister warten, bis die Flut sich verlaufe und dann seine Stierlein und Eselein, seine Pfauen und Kamele Paar und Paar auf die Erde spazieren lassen?

Will er vielleicht wie jener Patriarch die Erfindung des Weines sich zuschreiben, sich ein Patent darüber ausstellen lassen und über seine Schenke schreiben: ‚Hier allein ist Echter zu haben‘, wie Maria Farina[7] auf sein Kölnisches Wasser, so für alle Schäden gut ist?“

[298] Aber, um wieder auf Mephistophelis zu kommen; gerade dadurch, daß er einen so überaus populären und gemeinen Teufel gab, hat Goethe offenbar nichts für die Würde seines schönsten Gedichtes gewonnen. Er wird zwar viele Leser herbeiziehen, dieser Mephisto, viele Tausende werden ausrufen: „Wie herrlich! das ist der Teufel, wie er leibt und lebt.“ Um die übrigen Schönheiten des Gedichtes bekümmern sie sich wenig, sie sind vergnügt, daß es endlich einmal eine Figur in der Litteratur gibt, die ihrer Sphäre angemessen ist.

„Aber erkennst du denn nicht“, wird man mir sagen, „erkennst du nicht die herrliche, tiefe Ironie, die gerade in diesem Mephistophiles liegt?“

Ironie? und welche? Ich sehe nichts in diesem meinem Konterfei, als den gemeinen „Ritter von dem Pferdefuß“, wie er in jeder Spinnstube beschrieben wird. Man erlaube mir, dieses Bild noch näher zu beleuchten. Ich werde nämlich vorgestellt als ein Geist, der beschworen werden kann, der sich nach magischen Gesetzen richten muß:

„Gesteh’ ich’s nur, daß ich hinausspaziere,
Verbietet mir ein kleines Hindernis,
Der Drudenfuß auf Eurer Schwelle“;

und dieser Schwelle Zauber zu zerspalten

„Bedarf ich eines Rattenzahns“,

daher befiehlt

„Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse“

in einer Zauberformel seinem dienstbaren Ungeziefer, die Kante, welche ihn bannte, zu benagen. Auch kann ich nicht in das Studierzimmer treten, ohne daß der Doktor Faust dreimal „Herein!“ ruft. In andere Zimmer, wie z. B. bei Frau Martha und in Gretchens Stübchen, trete ich ohne diese Erlaubnis. Doch den Schlüssel zu diesen sonderbaren Zumutungen finden wir vielleicht in dem Vers:

„Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei auch etwas denken lassen!“

Doch weiter.

[299] Ich stehe auf einem ganz besondern Fuß mit den Hexen. Die in der Hexenküche hätte mich gewiß liebevoller empfangen, aber sie sah keinen Pferdefuß, und um mich bei ihr durch mein Wappen zu legitimieren, mache ich eine unanständige Gebärde.

„Mein Freund, das lerne wohl verstehen,
Das ist die Art, mit Hexen umzugehen.“

Auf dem Brocken in der Walpurgisnacht bin ich noch viel besser bekannt. Das Gehen behagt mir nicht, ich sage daher zum Doktor:

„Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.“

Auch hier

„Zeichnet mich kein Knieband aus,
Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.“

Um unter diesem gemeinen Gelichter mich recht zu zeigen, tanze ich mit einer alten Hexe und unterhalte mich mit ihr in Zoten, die man nur durch Gedankenstriche

„Der hatt’ ein – – – – –
So – es war, gefiel mir’s doch“

anzudeuten wagt.

Ich bin selbst in Fausts Augen ein widerwärtiger, hämischer Geselle, der

„– – kalt und frech
Ihn vor sich selbst erniedrigt“ –

Ich bin ohne Zweifel von häßlicher, unangenehmer Gestalt und Gesicht, zurückstoßend, was man mit mildem Ausdruck markiert, intrigant und im gemeinen Leben einen abgefeimten Spitzbuben zu nennen pflegt.

Daher sagt Gretchen von mir:

„Der Mensch, den du da bei dir hast,
Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt.
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich ins Herz gegeben
Als des Menschen widrig Gesicht. –
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut,
Ich hab’ vor dem Menschen ein heimlich Grauen. –

[300]

– Kommt er einmal zur Thür herein
Sieht er immer so spöttisch drein
Und halb ergrimmt. –
Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
Daß er nicht mag eine Seele lieben etc.“

Daher sage ich auch nachher:

„Und die Physiognomie versteht sie meisterlich,
In meiner Gegenwart wird ihr, sie weiß nicht wie;
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn,
Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
Vielleicht wohl gar der Teufel bin.“

Soll dies bei Gretchen Ahnung sein? Ist sie befangen in der Nähe eines Wesens, das, wie man sagt, ihren Gott verleugnet? Ist es etwa ein unangenehmer Geruch, eine schwüle Luft, die ihr meine Nähe ängstlich macht? Ist es kindlicher Sinn, der den Teufel früher ahnet als der schon gefallene Mensch, wie Hunde und Pferde vor nächtlichem Spuk scheuen, wenn sie ihn auch nicht sehen? Nein – es ist nur allein mein Gesicht, mein Mäskchen, mein lauernder Blick, mein höhnisches Lächeln, das sie ängstlich macht, so ängstlich, daß sie sagt:

„– Wo er nur mag zu uns treten,
Mein’ ich sogar, ich liebte dich nicht mehr. –“

Wozu nun dies? Warum soll der Teufel ein Gesicht schneiden, das jedermann Mißtrauen einflößt, das zurückschreckt, statt daß die Sünde, nach den gewöhnlichsten Begriffen, sich lockend, reizend sehen läßt?

Wer hat nicht die herrlichen Umrisse über Goethes Faust von dem genialen Retsch[8] gesehen! Gewiß, selbst der Teufel muß an einem solchen Kunstwerk Freude haben. Ein paar Striche, ein paar Pünktchen bilden das liebliche, sinnige Gesicht des kindlichen, keuschen Gretchens, Faust in der vollendeten Blüte des Mannes steht neben ihr; welche Würde noch in dem gefallenen Göttersohn!

Aber der Maler folgt der Idee des Dichters, und siehe, ein Scheusal in Menschengestalt steht neben jenen lieblichen Bildern. [301] Die unangenehmen Formen des dürren Körpers, das ausgedörrte Gesicht, die häßliche Nase, die tiefliegenden Augen, die verzerrten Mundwinkel – hinweg von diesem Bild, das mich schon so oft geärgert hat.[AU 1]

Und warum diese häßliche Gestalt? frage ich noch einmal. Darum, antworte ich, weil Goethe, der so hoch über seinem Werk schwebende Dichter, seinen Satan anthropomorphisiert; um den gefallenen Engel würdig genug darzustellen, kleidet er ihn in die Gestalt eines tief gefallenen Menschen. Die Sünde hat seinen Körper häßlich, mager, unangenehm gemacht. In seinem Gesicht haben alle Leidenschaften gewühlt und es zur Fratze entstellt; aus dem hohlen Auge sprüht die grünliche Flamme des Neides, der Gier; der Mund ist widrig, hämisch wie der eines Elenden, der alles Schöne der Erde schon gekostet hat und jetzt aus Übersättigung den Mund darüber rümpft; der Unschuld ist es nicht wohl in seiner befleckenden Nähe, weil ihr vor diesen Zügen schaudert.

So hat der Dichter, weil er einen schlechten Menschen vor Augen hatte, einen schlechten Teufel gemalt.

Oder steht etwa in der Mythologie des Herrn von Goethe, der Teufel könne nun einmal nicht anders aussehen, er könne sein Gesicht, seine Gestalt nicht verwandeln? Nein, man lese:

„Auch die Kultur, die alle Welt beleckt,
Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
– – – – – – – – – –
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut,
Ich bin ein Kavalier wie andre Kavaliere!“

[302] Und an einem andern Ort läßt er mich mein Gesicht ein „Mäskchen“ nennen; folglich kann er sich eine Maske geben, kann sich verwandeln; aber, wie gesagt, der Dichter hat sich begnügt, das nordische Phantom dennoch beizubehalten, nur daß er mich von „Hörnern, Schweif und Klauen“ dispensiert.

Dies ist das Bild des Mephistophiles, dies ist Goethes Teufel, jenes nordische Phantom soll mich vorstellen; darf nun ein vom Dichter so hochgestellter Mensch durch eine so niedrige Kreatur, die sich schon durch ihre Maske verdächtig macht, ins Verderben geführt werden? Darf jener große Geist, der noch in seinem Falle die übrigen hoch überragt, darf er durch einen gewöhnlichen „Bruder Lüderlich“, als welchen sich Mephisto ausweist, herabgezogen werden? Und – muß nicht diese Maske der Würde jener Tragödie Eintrag thun?

Doch ich schweige; an geschehenen Dingen ist nichts zu ändern, und meine verehrte Großmutter würde über diesen Gegenstand zu mir sagen:

„Söhnchen! diabole! Bedenke, daß ein großer Dichter ein großes Publikum haben, und um ein großes Publikum zu bekommen, so populär als möglich sein muß.“




Siebzehntes Kapitel.
Der Besuch.

Bei diesem allem bleibt „Faust“ ein erhabenes Gedicht und Goethe einer der ersten Geister seiner Zeit, und man darf sich daher nicht wundern, daß ich ein großes Verlangen in mir fühlte, diesen Mann einmal zu sehen. Ich hätte ihm einen unerwarteten Besuch machen können, ja, wenn ich oft recht ärgerlich über mein Zerrbild war, stand ich auf dem Sprung, ihm einmal im Kostüm des Mephistophiles nächtlicherweile zu erscheinen und ihm einigen Schrecken in die Glieder zu jagen; aber eine gewisse [303] Gutmütigkeit, die man zuweilen an mir gefunden hat, hielt mich immer wieder ab, dem alten Mann eine schlaflose Nacht zu machen.

Ich entschloß mich daher, als Doctor legens, ein ehrsamer Titel auf Reisen, ihn zu besuchen, und als solcher kam ich in Weimar an. Es ist mit berühmten Leuten wie mit einem fremden Tiere. Kömmt ein ehrlicher Pächter mit seiner Familie in die Stadt auf den Jahrmarkt, so ist sein erstes, daß er in der Schenke den Hausknecht fragt: „Wann kann man den Löwen sehen, Bursche?“ – „Mein Herr“, antwortet der Gefragte, „die Affen und der Seehund sind den ganzen Tag zu haben, der Löwe aber ist am besten aufgelegt, wenn er das Futter im Leib hat, daher rate ich, um jene Zeit hinzugehen.“

Gerade so erging es mir in Weimar; ich fuhr von Jena aus mit einem jungen Amerikaner hinüber. Auch in sein Vaterland war des Dichters Ruhm schon längst gedrungen, und er machte auf der großen Tour durch Europa dem berühmten Mann zu Ehren schon einen Umweg von zwanzig Meilen. In dem Gasthof, wo wir abgestiegen waren, fragten wir sogleich, um welche Zeit wir bei Herrn von Goethe vorkommen könnten? Wir waren in Reisekleidern, die besonders bei meinem Gefährten etwas unscheinbar geworden waren; der Wirt musterte uns daher mit mißtrauischen Blicken und fragte, ehe er noch unsere Frage beantwortete, ob wir auch Fracks bei uns hätten?

Wir waren glücklicherweise beide damit versehen, und unser Wirt versprach, uns sogleich anmelden zu lassen. „Sie werden wahrscheinlich nach dem Diner, um fünf Uhr, angenommen werden, um diese Zeit sind Seine Exzellenz am besten zu sprechen. Zweifle auch gar nicht, daß Sie angenommen werden, denn wenn man, wie der Herr hier, eigens deswegen aus Amerika nach Weimar kömmt, wäre es doch unbarmherzig, einen ungesehen wieder fortzuschicken.“

Dieser Patriotismus ging doch wahrhaftig sehr weit; doch wir ließen den guten Mann auf dem Glauben, der junge Philadelphier komme recta nach Weimar und gehe von da wieder heim; übrigens hatte er richtig prophezeit: Doctor legens Supfer, [304] wie ich mich nannte, und Forthill aus Amerika waren auf fünf Uhr bestellt.

Endlich schlug die Stunde, wir machten uns auf den Weg. Der Dichter wohnt sehr schön. Eine sanfte, geschmackvolle, mit Statüen dekorierte Treppe führt zu ihm; eine tiefe, geheimnisvolle Stille lag auf dem Hausgang, den wir betraten; schweigend führte uns der Diener in das Besuchzimmer. Behagliche Eleganz, Zierlichkeit und Feinheit, verbunden mit Würde, zeichneten dieses Zimmer aus. Mein junger Gefährte betrachtete staunend diese Wände, diese Bilder, diese Möbels. So hatte er sich wohl das „Stübchen des Dichters“ nicht vorgestellt. Mit der Bewunderung dieser Umgebungen schien auch die Angst vor der Größe des Erwarteten zu steigen. Alle Nüancen von Rot wechselten auf seinem angenehmen Gesicht; sein Herz pochte hörbar, sein Auge war starr an die Thüre geheftet, durch welche der Gefeierte eintreten mußte.

Ich hatte indes Muße genug, über den großen Mann nachzudenken. „Wieviel weiter“, sagte ich mir, „wie unendlich weiter helfen dem Sterblichen Gaben des Geistes als der zufällige Glanz der Geburt.

Der Sohn eines unscheinbaren Bürgers von Frankfurt hat hier die höchste Stufe erreicht, die dem Menschen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge offen steht. Es hat schon mancher diese Stufe erstiegen. Geschäftsmänner vom Fach haben vom bescheidenen Plätzchen an der Thüre alle Sitze ihrer Kollegien durchlaufen, bis endlich der Stuhl, der zunächst am Throne steht, sie in seine Arme aufnahm. Mancher hat sich auf dem Schlachtfeld das Portefeuille erkämpft. – Goethe hat sich seine eigene Bahn gebrochen, auf welcher ihm noch keiner voranging, noch keiner gefolgt ist; er hat bewiesen, daß der Mensch kann, was er will; denn man sage mir nichts von einem das All umfassenden Genie, von einem Geist, der sein Zeitalter gebildet, es stufenweise zu dem Höheren geführt habe – das Zeitalter hat ihn gebildet.

Ich kann mir noch wohl denken, welch heilloses Leben ‚Werther‘ in das liebe Deutschland machte. Die Lotten schienen wie durch einen Zauberschlag aus dem Boden zu wachsen; die Zahl [305] der Werther war Legion. Aber was war hierin Goethes Verdienst? Hatte es wirklich nur daran gefehlt, daß er das Hörnchen an den Mund setzte, und bei dem ersten Ton, den er angab, mußte Pfaffe und Laie, Nönnchen und Dämchen in wunderlichen Kapriolen ihren Sankt-Veitstanz beginnen? Wie heißt dieses große schöpferische Geheimnis? Alles zu rechter Zeit. Der Siegwart[9] hatte die harten Herzen aufgetaut und sie für allen möglichen Jammer, für Mondschein und Gräber empfänglich gemacht, da kommt Goethe.“

Die Thüre ging auf – er kam.

Dreimal bückten wir uns tief und wagten es dann, an ihm hinauf zu blinzeln. Ein schöner, stattlicher Greis! Augen so klar und helle wie die eines Jünglings, die Stirne voll Hoheit, der Mund voll Würde und Anmut; er war angethan mit einem feinen schwarzen Kleid, und auf seiner Brust glänzte ein schöner Stern. – Doch er ließ uns nicht lange Zeit zu solchen Betrachtungen; mit der feinen Wendung eines Weltmannes, der täglich so viele Bewunderer bei sich sieht, lud er uns zum Sitzen ein.

Was war ich doch für ein Esel gewesen, in dieser so gewöhnlichen Maske zu ihm zu gehen. Doctores legentes mochte er schon viele Hunderte gesehen haben. Amerikaner, die, wie unser Wirt meinte, ihm zulieb auf die See gingen, gewiß wenige; daher kam es auch, daß er sich meist mit meinem Gefährten unterhielt. Hätte ich mich doch für einen gelehrten Irokesen oder einen schönen Geist vom Mississippi ausgegeben. Hätte ich ihm nicht Wunderdinge erzählen können, wie sein Ruhm bis jenseits des Ohio gedrungen, wie man in den Kapanen[10] von Louisiana über ihn und seinen „Wilhelm Meister“ sich unterhalte? – So wurden mir einige unbedeutende Floskeln zu teil, und mein glücklicherer Gefährte durfte den großen Mann unterhalten.

Wie falsch sind aber oft die Begriffe, die man sich von der Unterhaltung mit einem großen Manne macht! Ist er als witziger Kopf bekannt, so wähnt man, wenn man ihn zum erstenmal [306] besucht, einer Art von Elektrisiermaschine zu nahen. Man schmeichelt ihm, man glaubt, er müsse dann Witzfunken von sich strahlen wie die schwarzen Katzen, wenn man ihnen bei Nacht den Rücken streichelt. Ist er ein Romandichter, so spitzt man sich auf eine interessante Novelle, die der Berühmte zur Unterhaltung nur geschwind aus dem Ärmel schütteln werde; ist er gar ein Dramatiker, so teilt er uns vielleicht freundschaftlich den Plan zu einem neuen Trauerspiel mit, den wir dann ganz warm unseren Bekannten wieder vorsetzen können. Ist er nun gar ein umfassender Kopf wie Goethe, einer, der sozusagen in allen Sätteln gerecht ist – wie interessant, wie belehrend muß die Unterhaltung werden! Wie sehr muß man sich aber auch zusammennehmen, um ihm zu genügen.

Der Amerikaner dachte auch so, ehe er neben Goethe saß; sein Ich fuhr wie das des guten Walt, als er zum Flitte kam[AU 2], ängstlich oben in allen vier Gehirnkammern, und darauf unten in beiden Herzkammern wie eine Maus umher, um darin ein schmackhaftes Ideenkörnchen aufzutreiben, das er ihm zutragen und vorlegen könnte zum Imbiß. Er blickte angstvoll auf die Lippen des Dichters, damit ihm kein Wörtchen entfalle, wie der Kanditat auf den strengen Examinator, er knickte seinen Hut zusammen und zerpflückte einen glacierten Handschuh in kleine Stücke. Aber welcher Zentnerstein mochte ihm vom Herz fallen, als der Dichter aus seinen Höhen zu ihm herabstieg und mit ihm sprach wie Hans und Kunz in der Kneipe. Er sprach nämlich mit ihm vom guten Wetter in Amerika, und indem er über das Verhältnis der Winde zu der Luft, der Dünste des wasserreichen Amerika zu denen in unserem alten Europa sich verbreitete, zeigte er uns, daß das All der Wissenschaft in ihm aufgegangen sei; denn er war nicht nur lyrischer und epischer Dichter, Romanist und Novellist, Lustspiel- und Trauerspieldichter, Biograph (sein eigener) und Übersetzer – nein, er war auch sogar Meteorolog!

Wer darf sich rühmen, so tief in das geheimnisvolle Reich des Wissens eingedrungen zu sein? Wer kann von sich sagen, daß [307] er mit jedem seine Sprache, d. h. nicht seinen vaterländischen Dialekt, sondern das, was ihm gerade geläufig und wert sein möchte, sprechen könne. Ich glaube, wenn ich mich als reisender Koch bei ihm aufgeführt hätte, er hätte sich mit mir in gelehrte Diskussionen über die geheimnisvolle Komposition einer Gänseleberpastete eingelassen, oder nach einer Sekundenuhr berechnet, wie lange man ein Beefsteak auf jeder Seite schmoren müsse.

Also über das schöne Wetter in Amerika sprachen wir, und siehe – das Armesündergesicht des Amerikaners hellte sich auf, die Schleusen seiner Beredsamkeit öffneten sich – er beschrieb den feinen weichen Regen von Kanada, er ließ die Frühlingsstürme von New York brausen, und pries die Regenschirmfabrik in der Franklinstraße zu Philadelphia. Es war mir am Ende, als wäre ich gar nicht bei Goethe, sondern in einem Wirtshaus unter guten alten Gesellen, und es würde bei einer Flasche Bier über das Wetter gesprochen, so menschlich, so kordial war unser Diskurs; aber das ist ja gerade das große Geheimnis der Konversation, daß man sich angewöhnt – nicht gut zu sprechen, sondern gut zu hören. Wenn man dem weniger Gebildeten Zeit und Raum gibt zu sprechen, wenn man dabei ein Gesicht macht, als lausche man aufmerksam auf seine Honigworte, so wird er nachher mit Enthusiasmus verkünden, daß man sich bei dem und dem köstlich unterhalte.

Dies wußte der vielerfahrene Dichter, und statt uns von seinem Reichtum ein Scherflein abzugeben, zog er es vor, mit uns Witterungsbeobachtungen anzustellen.

Nachdem wir ihn hinlänglich ennuyiert haben mochten, gab er das Zeichen zum Aufstehen, die Stühle wurden gerückt, die Hüte genommen, und wir schickten uns an, unsere Abschiedskomplimente zu machen. Der gute Mann ahnete nicht, daß er den Teufel citiere, als er großmütig wünschte, mich auch ferner bei sich zu sehen; ich sagte ihm zu und werde es zu seiner Zeit schon noch halten, denn wahrhaftig, ich habe seinen Mephistophiles noch nicht hinuntergeschluckt. Noch einen – zwei Bücklinge, wir gingen.

Stumm und noch ganz stupid vor Bewunderung folgte mir der Amerikaner nach dem Gasthof; die Röte des lebhaften Diskurses [308] lag noch auf seiner Wange, zuweilen schlich ein beifälliges Lächeln um seinen Mund, er schien höchst zufrieden mit dem Besuch.

Auf unserem Zimmer angekommen, warf er sich heroisch auf einen Stuhl und ließ zwei Flaschen Champagner auftragen. Der Kork fuhr mit einem Freudenschuß an die Decke, der Amerikaner füllte zwei Gläser, bot mir das eine und stieß an auf das Wohlsein jenes großen Dichters.

„Ist es nicht etwas Erfreuliches“, sagte er, „zu finden, so hocherhabene Männer seien wie unsereiner? War mir doch angst und bange vor einem Genie, das dreißig Bände geschrieben; ich darf gestehen, bei dem Sturm, der uns auf offener See erfaßte, war mir nicht so bange, und wie herablassend war er, wie vernünftig hat er mit uns diskuriert, welche Freude hatte er an mir, wie ich aus dem neuen Lande kam!“ Er schenkte sich dabei fleißig ein und trank auf seine und des Dichters Gesundheit, und von der erlebten Gnade und vom Schaumwein benebelt, sank er endlich mit dem Entschluß, Amerikas Goethe zu werden, dem Schlaf in die Arme.

Ich aber setzte mich zu dem Rest der Bouteillen. Dieser Wein ist von allen Getränken der Erde der, welcher mir am meisten behagt, sein leichter, flüchtiger Geist, der so wenig irdische Schwere mit sich führt, macht ihn würdig, von Geistern, wenn sie in menschlichen Körpern die Erde besuchen, gekostet zu werden.

Ich mußte lächeln, wenn ich auf den seligen Schläfer blickte; wie leicht ist es doch für einen großen Menschen, die andern Menschen glücklich zu machen; er darf sich nur stellen, als wären sie ihm so ziemlich gleich, und sie kommen beinahe vom Verstand.

Dies war mein Besuch bei Goethe, und wahrhaftig, ich bereute nicht, bei ihm gewesen zu sein, denn:

„Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,
Und hüte mich, mit ihm zu brechen,
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“



  1. „Faust“, I., Prolog im Himmel.
  2. Lat., s. v. w. „wenn von einem gesagt wird: dies ist er!“
  3. Friedr. Maxim. v. Klinger (1752–1831) ist besonders durch sein preisgekröntes Trauerspiel „Die Zwillinge“ (1774) und durch sein Drama „Sturm und Drang“ bekannt. Hier ist besonders sein Roman „Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt“ (1791) gemeint.
  4. Ernst Aug. Friedr. Klingemann (1777–1831), dramat. Dichter, hatte 1815 einen „Faust“ geschrieben, der sich längere Zeit mit Glück auf der Bühne hielt.
  5. Eine komische Charaktermaske, der Hanswurst.
  6. Friedr. Gottlieb Klopstock (1724–1803) läßt in seinem religiösen Epos „Messias“ einen Satan auftreten.
  7. Joh. Maria Farina, 1685 in Italien geboren, kam als Parfümhändler nach Köln und soll daselbst 1709 die Bereitung des Kölnischen Wassers erfunden haben.
  8. Fr. Aug. Moritz Retzsch (1779–1857), Maler und Radierer, gab in 26 Radierungen Illustrationen zu Goethes „Faust“.
  9. „Siegwart, eine Klostergeschichte“ (1176), ist der Titel eines epochemachenden sentimentalen Romans von J. M. Miller (1750–1814); Nachahmung des „Werther“.
  10. Vom ital. capanna, d. h. Hütte.

Anmerkungen des Autors

  1. Man erlaube mir hier eine kleine Anmerkung: wenn ich nicht irre, so ertappt man hier den Satan auf einer größern Eitelkeit, als man ihm fast zutrauen sollte; gewiß hat ihn nichts anderes gegen jenen verehrten Dichter aufgebracht, als daß er ihn mit etwas lebhaften Farben als häßlich darstellt; diese Bemerkung wird um so wahrscheinlicher, wenn man sich erinnert, daß er oben in dem zweiten Abschnitt selbst gesteht, daß durch seine Inkarnation einige Eitelkeit in ihn gefahren sei; Meister Urian gibt sich übrigens durch den übertriebenen Eifer, [302] mit welchem er seine Mißgestalt rügt, eine Blöße, die ihm nicht hätte beigehen sollen.
  2. Jean Paul, „Flegeljahre“.
II. Unterhaltungen des Satan und des Ewigen Juden Nach oben IV. Der Festtag im Fegefeuer
{{{ANMERKUNG}}}