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Mieskater Martinchen

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Textdaten
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Autor: Ernst Moritz Arndt
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Titel: Mieskater Martinchen
Untertitel:
aus: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. S. 405–427
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Realschulbuchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[405]

14.
Mieskater Martinchen.

Auf der Halbinsel Wittow auf Rügen ist ein Dorf, das heißt Putgarden, nicht weit von dem berühmten Vorgebirge Arkona, wo der alte heidnische Götze Svantevit weiland seinen Tempel gehabt und sein wüstes Wesen getrieben hat. In diesem Dorfe Putgarden lebte eine reiche Bäuerin, die hieß Trine Pipers. Sie war jung Wittwe geworden und hatte keine Kinder, wollte auch nicht wieder freien, obgleich viele Freier um sie warben, denn sie war ein sehr schönes und frisches Weib. Das konnten [406] die Leute nicht recht begreifen, zumal da sie sonst immer lustig und munter war und bei keinem Tanze und Gelage fehlte. Denn das mußte man sagen, einen aufgeräumteren Menschen gab es nicht als diese Bäuerin, und kein Haus hatte so viel Lustigkeit als das ihrige. Alle hohen Feste hatte es Tanz und Spiel bei ihr, die Fasten wurden von Anfang bis zu Ende durchgehalten und mit Schmäusen Spielen und Tänzen gefeiert, Pfingsten und am Johannistage ward unter grünen Lauben getanzt, und am Martinstage setzte keine Bäuerin so viele gebratene Gänse auf, und wann sie ihr Korn eingebracht, wann sie Ochsen oder Schweine geschlachtet oder Wurst gemacht hatte, mußte die ganze Nachbarschaft sich mit freuen und mit ihr schmausen. Kurz diese Bäuerin lebte so prächtig, daß kaum eine Edelmannsfrau besser leben konnte. In ihrem Hause war alles nett und tüchtig und fast über das Vermögen einer Bäuerin zierlich. Eben so lustig und tüchtig sah es auf ihrem Hofe und in ihren Ställen aus. Ihre Pferde glänzten immer wie die Aale, und man hätte sie Sommer und Winter als Spiegel gebrauchen können; ihre Kühe waren die schönsten und gedeihlichsten im ganzen Dorfe und hatten immer volle Euter; ihre Hühner legten zweimal des Tages, und von [407] ihren Gänseeiern war nie eines schier sondern jedes gab ein Junges. Weil ihr Haus lustig und sie freigebig war, so hatte sie auch immer die schönsten und flinksten Knechte und Dirnen auf ganz Wittow.

So lebte Trine manches Jahr, und kein Mensch konnte begreifen, wie sie als Bäuerin das Leben so halten und durchsetzen konnte. Und viele hatten schon gesagt: Nun die wird auch bald vor den Thüren herumschleichen und schnurren gehen. Aber sie focht und schnurrte nicht herum sondern blieb die reiche und lustige Trine Pipers nach wie vor. Andere, die dies lustige Leben so mit ansahen, meinten, es gehe nicht mit natürlichen Dingen zu, sie habe Umgang und Gemeinschaft mit bösen Geistern und die bringen es ihr alles ins Haus und geben ihrem Vieh und ihren Früchten so wunderbaren Segen und Gedeihen – als wenn Gott nicht der beste und einzige Segenbringer und Segensprecher wäre. Viele wollten bei nächtlicher Weile einen Drachen gesehen haben, der wie ein langer feuriger Schwanz auf ihr Haus herabgeschossen sey; das sey ihr heimlicher Buhler, der hänge ihr den Wiem voll Schinken und Mettwürste, fülle ihr die Kisten und Kasten mit Silber und Gold, und stehe mit am Butterfasse und helfe buttern und gehe mit in den [408] Stall und helfe melken. Andere noch boshafter sagten, sie selbst sey eine Hexe und könne sich unsichtbar machen: so schleiche sie den Nachbarn in die Häuser, stehle aus Keller und Speisekammer, nehme den Hühnern die Eier aus den Nestern melke die Kühe und rupfe den Schaafen die Wolle und den Gänsen die Dunen aus. Darum sey sie so glatt und glau und könne so viele Wohlleben ausrichten und ein Leben führen, als wenn es alle Tage Sonntag wäre. Das bemerkten einige Nachbarsleute noch und schüttelten die Köpfe dabei, daß Trine eine leidige Freundlichkeit habe, womit sie wohl hexen könne, und daß sie Kindern nie in die Augen sehe, wie viel sie auch sonst mit ihnen schmeichle und kose; denn sie habe als Hexe kein Kind in ihren Augen und es thue ihr sehr weh, wenn sie den unschuldigen Kindern, die noch nichts verbrochen haben, in ihre reinen Augen schauen müsse.

So lief allerlei Geschwätz unter den Leuten rund und sie flüsterten und munkelten viel über Trine Pipers; aber sie konnten ihr doch nichts anhaben und beweisen. Sie that all ihr Werk tüchtig vor den Leuten, war redlich in Handel und Wandel, ging fleißig zur Kirche und gab Priester und Küster willig und freundlich das Ihrige und hatte immer eine offene Tasche und [409] einen offenen Brodkorb für die Armen, wann sie an ihre Thüre kamen. Auch gingen die, welche ihr die Ehre so hinter ihrem Rücken zerwuschen, recht gern zu ihren Festen und Tänzen und schmeichelten und heuchelten ihr.

Trine Pipers hatte auf diese Weise wohl zwanzig Jahre ihre Wirthschaft geführt und alles war ihr immer nach Wunsch gerathen. Da bekam sie einen bunten Kater ins Haus, und bald ging im Dorfe und in der Nachbarschaft das Gerede: der sey es, das sey der Gewaltige, nun sey es endlich zum Vorschein gekommen, und auch ein Kind könne es sehen, der trage ihr all das Glück zu. Denn leider sind die meisten Menschen so, daß sie meinen, es müsse mit einem Menschen was Heimliches oder Ungeheures seyn, wenn er die Narrenkappe des Lebens nicht grade so trägt wie sie und wenn er die Schellen daran nicht eben so klingen läßt.

Ein bunter Kater ward in Trinens Hause gesehen, und kein Mensch wußte, wo der Kater hergekommen war. Trine lächelte und machte einen Scherz, wenn man sie fragte, und sagte es nicht. Einigen hatte sie wohl gesagt, sie habe einen Bruder, der sey Schiffer in Stockholm, der habe ihr den schönen Kater einmal aus Lissabon mitgebracht; aber das glaubten sie nicht. Der Kater war groß bunt und schön, grau mit gelben [410] Streifen über dem Rücken, und hatte einen weissen Fleck am linken Vorderfuß. Da schrieen die alten Weiber: Da sehen wir’s ja, da haben wir’s! einen dreifarbigen Kater? wer hat in seinem Leben gesehen oder gehört, daß es Kater mit drei Farben gibt? Trine liebte den Kater sehr und saß manche Stunde mit ihm allein und spielte mit ihm, der mit wohlgefälligem Brummen seinen Kopf an ihr streichelte und gegen alles, war ihr zu nah kam, aufprustete und aufpfuchsete: die arme Trine ward älter, die arme Trine hatte keine Kinder, sie mußte was zu spielen haben. So saß sie nun manche Stunde, wo sie sich sonst draussen in ihrer Wirthschaft tummelte, still in der Stube und spielte mit ihrem Martinichen; denn so rief sie den Kater. Martinichen und Mieskater Martinichen klang es in der Stube, Martinichen klang es auf der Flur, Martinichen auf der Treppe und auf dem Boden. Keinen Tritt und Schritt that sie, Martinichen war immer dabei, und von dem Vorrathsboden und aus der Speisekammer brachte er immer seine Bescherung mit im Munde. Kurz der bunte Kater Martinichen aus Lissabon war ihre Puppe und ihr Spielzeug; er stand mit ihr auf und ging mit ihr zu Bette, ja sie ging nicht in die Nachbarschaft, daß sie ihr Martinichen nicht unterm Arm trug; Martinichen [411] leckte von ihrem Teller und lappte aus ihrem Napf, er war der Liebling, er durfte alles, keiner durfte ihm was thun: Hunde wurden herausgejagt, die ihn beissen wollten, ein Knecht ward verabschiedet, weil er ihn Murrkater und Brummkater Speckfresser und Mausedieb genannt hatte.

Dies gab Geschichten und Lügen und Mährchen im ganzen Dorfe bald im ganzen Kirchspiele dann im ganzen Ländchen: Trine hieß eine Hexe, die einen wundersamen Kater habe, mit dem es nicht richtig sey und vor dem man sich hüten müsse. Das sey ein Kater, einen solchen zweiten werde man in der ganzen Welt umsonst suchen, den ganzen Tag thue er nichts als fressen und sich hinstrecken und sonnen oder auf Trines Knieen herumwälzen, des Nachts liege er auf ihrem Bette bis an den lichten Morgen, und doch finde der Knecht, wann er morgens frühe zur ersten Fütterung in den Pferdestall gehe, immer zwei große Haufen todter Ratten und Mäuse vor der Hausthüre aufgethürmt. Was möge das wohl für ein Kater seyn, der für diesen feisten und glatten Faullenzer die Arbeit thue?

Dies Gerede und Gemunkel hatte sich freilich erst draussen herumgetrieben, dann kam es auch in Trinens Haus und zu Trinens Leuten, und ihnen fing an bei ihr ungeheuer zu werden. [412] Wenn sie mit schmeichelnder Stimme Mieskaterchen! Mies-Mieskaterchen! Martinichen! Miesichen Martinichen! rief und den knurrenden und spinnenden Kater auf den Schooß nahm und ihm den Rücken streichelte, und er sich dann vor Vergnügen krümmte und an ihr strich und brummte und ihm die grünen umnebelten Augen im Kopfe funkelten, dann guckten die Leute die beiden Spieler mit großen Augen an und wären um alles in der Welt mit ihnen nicht lange in der Stube geblieben. Trine hatte sonst immer die tüchtigsten und schönsten Leute gehabt, aber die konnten es jetzt in ihrem Hause nicht aushalten; sie zogen weg und sie konnte zuletzt nichts als Hack und Mack in ihren Dienst bekommen, und auch die blieben nicht lange, und fast jeden Monat hatte sie frische Leute. Alle Welt glaubte nun einmal, Trine sey eine Hexe, und keiner wollte mit ihr zu thun haben. Auch war es mit der alten Gastlichkeit und Fröhlichkeit des Hauses vorbei und mit den Schmäusen und Tänzen, denn keiner wollte kommen; und Trine mußte mit ihrem Mieskater Martinichen einsam sitzen und ihre Bratgänse und Würste allein verzehren.

Aber ach! du arme Trine Pipers, die du sonst so froh und fröhlich gewesen warst und alle gern erfreut hattest, wie ging es dir auf deinen alten [413] Tagen? Nicht allein keine Gesellen und Gesellinnen und Nachbarn und Nachbarinnen kamen mehr sich des Segens zu freuen, den Gott dir gegeben hatte, und sich mit dir zu erlustigen, sondern in wenigen Jahren verging auch das, wovon du dich hättest erlustigen können. Die Leute kopfschüttelten und flüsterten zwar, der Kater sey es, der sey bisher der unsichtbare Bringer und Zuträger gewesen und habe Scheunen Kornböden Keller Speisekammern Milcheimer und Butterfässer und Geldkatzen und Sparbüchsen gefüllt; aber nun war ja dieser Wunderthäter und Hexenmeister da, warum ging es denn nicht noch gedeihlicher als vorher? warum ging vielmehr Trinens Wirthschaft von Tage zu Tage mehr zurück? Die arme Trine hatte Knechte und Mägde, wie sie kaum ein Bettlerkrug willig beherbergt hätte, recht, was man Krücken und Ofenstecken nennt; ihre sonst so glatten Pferde magerten ab und verreckten an Rotz und Wurm; ihre Kühe und Schweine hatten Läuse und gaben keine Milch mehr; ihre Schaafe und Gänse wurden Drehköpfe, als hätten sie geheime Wissenschaft studiert; ihre Hühner und Enten legten keine Eier und brüteten nicht mehr; ihr Feld trug Disteln und Dornen für Korn und Weitzen. Kurz Trine gerieth in zwei Jahren in die bitterste Armuth: Pferde waren weg Kühe waren weg [414] Schweine ausgestorben Schaafe geschlachtet Tauben und Hühner vom Marder aufgefressen der Hund an der Kette verhungert – kein Hahn krähete mehr auf ihrer Hausthüre kein Bettler seufzete mehr sein Gebet davor. Und Trine saß allein und verlassen mit gelben gefurchten und gerunzelten Wangen und von Thränen und Jammer triefenden Augen und schneeweissen Haaren in der frierenden Ecke ihres leeren Zimmers und hielt ihren magern und in der Asche verbrannten Kater auf dem Schooße und weinte jämmerlich über den kargen Brocken, die man ihr von fern zuwarf, denn keiner mogte ihr gern nah kommen.

So hat man sie eines Morgens gefunden todt auf dem Boden ihres Stübchens hingestreckt und ihren treuen Mieskater Martinichen todt auf ihr liegend. Die Leute haben mit Grauen davon erzählt. Und die sonst so reiche Trine, die der Kirche und Geistlichkeit immer so gern gab, als sie noch was zu geben hatte, ist begraben, wie man Bettler begräbt, ohne Sang und Klang ohne Glocken und Gefolge, kein Nachbar hat sie zum Kirchhof begleiten wollen kein Verwandter ist ihrer Leiche gefolgt, sie hatte ihnen ja nichts nachgelassen. O kalte Welt wie kalt wirst du denen im Alter, die dann nichts haben, womit sie sich die Füße zudecken können und ach! auch die irdischen Mängel, die man mit schärferen Augen an den Alten betrachtet!

[415] Als Trine nun todt war, erzählen die Leute, ist sie immer als Hexe umgegangen und geht bis diesen Tag als Hexe um in der Gestalt einer alten grauen Katze, die man daran kennt, daß sie Augen hat, die wie brennende Kohlen leuchten, und daß sie ganz entsetzlich laut sprühet und prustet, wenn man sie jagt. Sie wird noch alle Mitternächte auf der Stelle gesehen, wo ehedem Trinens Haus war, und heult dort erbärmlich; im Winter aber, wann in den Scheunen und auf den Dächern die wüthigen Katzenhochzeiten sind, ist sie immer voran auf der höllischen Jagd und führt das ganze Getümmel und miaulet und winselt auf das allerscheußlichste. Diese Stimme verstehen die Leute in Putgarden so wohl, daß Alt und Jung gleich rufet: Hört! da ist wieder die alte Trine!

So ist es Trine Pipers gegangen und so geht es vielen Menschen bis diesen Tag. Sie ist eine arme elendige Bettlerfrau geworden und hat ihren christlichen guten Namen verloren, weil sie den bunten Kater Martinichen lieber gehabt hat als Menschen. Denn wenn sie auch keine Hexe gewesen ist, so haben die Nachbarn und Nachbarinnen es doch geglaubt, weil sie sich in ihrer unnatürlichen und häßlichen Liebe zu der unverständigen Kreatur so in des Katers Gemüth und Gebehrden hineingestohlen und hineinvertieft [416] hatte, daß sie Menschen nicht mehr so suchte und liebte wie sonst. Sie mag zuletzt auch mit Katzenfreundlichkeit geblinzelt und mit Katzenaugen geschielt und mit allerlei Katzenmännchen sich gekrümmt und gewunden haben, so daß kein Mensch und kein Vieh und also auch kein Glück es länger bei ihr hat aushalten können und sie zuletzt mit ihrem Mieskater Martinichen ganz allein geblieben und so im größten Elende umgekommen ist.