Messina (Kraus)
Als Stiefmutter Erde ihren Kindern dort unten übel mitspielte, staunte man über nichts mehr als darüber, daß die Natur mit den Verbrechern gemeinsame Sache gegen die Gesellschaft machte. Die Nachricht, daß die Verbrecher aus den Gefängnissen ausgebrochen seien, schien unter jenen, die die Haare der Menschheit sträuben machten, die stärkste. Daß die Gelder der Wohltätigkeit gestohlen, daß bis dahin unbescholtene Gauner verlockt wurden, aus sich selbst auszubrechen, wirkte bei weitem nicht so beunruhigend wie die Tatsache, daß Verbrecher, die man schon so lange hatte, aus den Gefängnissen entkommen waren. Die Sträflinge von Messina waren die einzigen Menschen, von denen man verlangen konnte, daß sie genügend Besinnung und genügend Respekt vor der staatlichen Autorität haben, um die destruktiven Tendenzen der Natur nicht zu unterstützen. Die Enttäuschung, die sie den europäischen Zeitungslesern bereitet haben, mag tief sitzen. In allen Kulturzentren regt sich die Besorgnis, daß man im Falle eines Erdbebens gegen Eigentumsdelikte nicht geschützt sei. Daraus spricht jener Heroismus, der bei der Wahl zwischen Leben und Börse sich zum Verzicht auf das Leben entschließt. Die Gesellschaft denkt das ›fiat justitia, pereat mundus‹ mit äußerster Konsequenz zu Ende und bis zu dem Wunsche, daß die letzten Häuser, jene, die einem Erdbeben getrotzt haben, die Gefängnisse sein mögen. Und wenn dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen sollte, dann ist’s eine schmackhafte Vorstellung, daß [2] die Leichname der Verbrecher Ketten tragen … So rührt ein Erdbeben die Gedankenwelt der Erwachsenen auf. Sie denken an die Verbrecher. Kinder denken an den Teufel und fürchten ihn nicht mehr. Die Größe des Unglücks befreit sie von der Angst, daß darüber hinaus noch etwas geschehen könnte. Die Erwachsenen halten sich die Taschen zu. Ein Kind findet vor der Größe der Vision Worte, wie sie ein Dichter spricht. ›Der Teufel‹, sagt es, ›hat ein Erdbeben angerichtet, das war so groß, daß der Teufel selbst dabei zugrundegegangen ist!‹