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Messina (Die Gartenlaube 1860)

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Messina
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 500-502
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Messina.

Diese Jahrtausende alte Sichelstadt „Zankle“, so genannt wegen des sichelförmigen Hafens, eines der schönsten und größten in der Welt, das Messana der alten Römer, später nacheinander von muhamedanischen Saracenen, christlich-ritterräuberischen Normannen, unglücklichen Hohenstaufen Deutschlands, spanischen und zuletzt bourbonischen Tyrannen beherrscht, zieht jetzt als letzter Halt der neapolitanischen Bourbonen die Aufmerksamkeit der Welt auf sich. Nachdem Garibaldi Palermo und das übrige Sicilien wie auf einen Zauberschlag erlöst hatte, blieb es wochenlang die wichtigste Frage in dieser weltgeschichtlichen Angelegenheit: Wird er es auch erlösen können, und wie stehen die Bedingungen dazu? Dies drängt uns sofort zu der Frage: Wie liegt Messina strategisch, und welche Kraft hat es als Festung?

Messina ist als wichtigste Hafen- und Handelsstadt Siciliens und wegen ihrer Lage dem Festlande gegenüber, von welchem es blos durch die Straße von Messina getrennt ist, der neuen Regierung Garibaldi’s unentbehrlich. Sie ist Hauptstadt der 14 geographische Meilen langen und etwa halb so breiten Provinz gleiches Namens. Diese wird im Innern von der großen Felsenkette ziemlich ausgefüllt, die von Osten nach Westen ganz Sicilien durchschneidet und südwestlich von der Stadt, unweit Catania, den Aetna enthält. Zwischen den Kämmen und Kanten der Gebirgszüge, an

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Messina.

[502] den Abhängen und in den Thälern ist die Provinz ganz besonders fruchtbar an Wein und Oel, großen und kleinen Rosinen, Mandeln, Citronen, Sumach, Süßholz, Lakritzen, den verschiedensten Früchten und an Seide, die in der Stadt mit besonderm Kunstfleiße verarbeitet wird. Der Hafen von Messina führt diese Produkte aus und dafür europäische Industrie- und Luxusartikel für beinahe das ganze Inselland ein.

Messina die Stadt biegt sich sichelförmig um den zwei englische Meilen langen Hafen und steigt nach dem Lande zu etwas bergaufwärts. Die Mauern hier haben keine strategische Bedeutung und sind blos aus Zollrücksichten gegen Schmuggler etwas hoch gebaut. Oberhalb der Stadt erheben sich auf steilen Hügeln die Festungswerke Gonzaga und Castellaccio, aber ohne großen militairischen Werth, da sie von höheren Bergrücken dahinter leicht beherrscht werden können. Freilich würde es keine leichte Arbeit sein, Artillerie auf diesen Höhen aufzupflanzen. Die Citadelle liegt in der Ebene unten, da, wo eine hervorspringende Landzunge dem eigentlichen Festlande ziemlich nahe kommt. Nach letzterem hin ist sie stark und hat in dem detachirten Fort Blasco, das durch Minenwege mit der Citadelle in Verbindung steht, ein respektables Außenwerk. Die Seefront ist strategisch unbedeutend mit ihrem Fort Salvatori. Daraus läßt sich leicht ersehen, daß Messina nicht nachdrücklich vertheidigt werden kann, wenn die hinter den Werken Gonzaga und Castellaccio aufsteigenden Felsenrücken nicht stark besetzt werden. Wegen Mangel an Truppen, zumal zuverlässigen, ist daran jetzt kaum zu denken. Man wird sich deshalb, wie 1848, hauptsächlich auf die starke Citadelle beschränken. Damals hielten sich die königlichen Truppen bis zum September in der Citadelle, aber die Revolutionstruppen hatten keine Kanonen, und die Schweizer-Regimenter waren nicht, wie jetzt, in Auflösung und Anarchie begriffen. Anfangs Juli hatte Messina 10,000 Mann Garnison, die allerdings verstärkt werden sollte; aber schwerlich sind die nöthigen 30,000 Mann zur Besetzung aller Posten herbeigeschafft worden, obwohl man es neuerdings behauptet. In der Citadelle selbst ist blos Raum für höchstens 4000 Mann. Wenn Garibaldi, wie seine Absicht war und er vorbereitet hatte, von Catania her angreifen sollte, werden ihm die ausgetrockneten Felsenflußbetten zwischen den Bergen und dem Meere zu Gute kommen. Die königlichen Truppen in Messina wird er wohl nicht zu fürchten brauchen. Deren Seele waren immer die Schweizer, welchen 1848–49 „Bomba“ allein die siegreiche Contre-Revolution verdankte. Von „Bombino“, dem 21jährigen Nachfolger, sind sie bereits theils in aller Form, theils moralisch abgefallen.

Die neapolitanische Flotte ist dem Namen und den Zahlen nach sehr bedeutend: 115 Kriegsfahrzeuge, bestehend aus zwei Fregatten zu 48 und zwei zu 60 Kanonen, drei Corvetten zu 44 und einer zu 32, fünf Brigantinen zu 20, zwei Schooners zu 14 Kanonen, vierzehn Dampf-Fregatten, vier Dampf-Corvetten, siebzig Kanonenbooten und im Uebrigen Transport-Fahrzeugen. Solch eine Flotte, gut bemannt und patriotisch wirksam gemacht, würde zehn Garibaldi’s das Landen unmöglich gemacht haben, – der Geist ist von ihr gewichen, wie von den Landtruppen. Sie wird von den Geistern der Tausende, die in Kerkern vermoderten, bemannt, welche die Glieder der „Treugebliebenen“ lahmen und den Schiffen wehren, Mannschaften und Munition nach bedrohten Punkten zu schaffen und Garibaldi’s armselige zehn Dampfer anzugreifen.

Was Garibaldi betrifft, so hat er allerdings höchstens 25,000 Mann, darunter 5000 Mann durchgeschulte Kerntruppen, die mit ihm kamen, sahen, siegten, und zum Theil schon 1848–49 mit ihm stritten. Von diesen hat denn aber auch gelegentlich wohl Jeder „eine Armee in seiner Faust“. Die Begeisterung für ihn, die Nemesis, erzeugt Furcht, Schrecken und Feigheit im Lager der Feinde. Die stark zuströmenden Freiwilligen, die im Innern des Landes Rekrutirten sind vorläufig von keinem taktischen oder strategischen Werthe, da sie erst eingeübt werden müssen. Letzteres hilft übrigens bei den eigentlichen Siciliern wenig oder nichts, man kann keine ordentlichen Krieger aus ihnen machen, wiewohl man annehmen darf, daß Begeisterung für den wundergleich gekommenen Befreier und Eruption des lange im Innern kochenden heiligsten Ingrimmes dieser oft ätnaähnlichen Seelen Militairschule und Exercirplatz ersetzen mag. Mitte Juli waren Garibaldi’sche Vorposten von Catania her schon mit königlichen Truppen von Messina zusammengestoßen. Vielleicht ist inzwischen das Schicksal Messina’s schon entschieden worden. Sicilien gehört dem Dictator Garibaldi. Er wird es für den König von Sardinien zu halten suchen, aber schwerlich zwischen den doppelten Gefahren der Scylla und Charybdis in der Meerenge (zwischen dem Festlande und Sicilien) in das nun plötzlich wieder „constitutionelle“ Neapel eindringen. Der bourbonische Thron muß ja gerettet werden! Ist doch bereits wieder einmal „Freiheit“ von ihm aus verkündigt worden, wie 1848. Frankreich und Rußland müssen das nun glückselig constitutionelle Königreich Neapel erhalten. Auch fordert dies das „europäische Gleichgewicht“. Der deutsche Bund und alle „Gutgesinnten“ Europa's würden ebenfalls für den legitimen Herrscher gegen den „Räuberhauptmann“ Garibaldi (wie ihn die gute Presse nannte) Partei nehmen. Wenn nicht ein grimmiger Ruck der Geschichte diese Pläne für die Erhaltung des ganz besonders gottseligen Bourbonenthrones stört, wird der junge König die Gefängnisse wieder ärger füllen und neue Tortur-Instrumente erfinden, eh’ er einen Bart bekommt.

Wie zauberisch spiegeln sich die prächtigen, mit buntem südlichen, halbnackten, braunen Leben erfüllten sicilischen Hauptstädte in den blendenden Wassern des Meeres! Wie märchenhaft leuchten die Säulen und Ruinen und Balcons Messina’s aus dem oft spiegelblanken Hafenwasser auf! Von drüben blinken die calabrischen Berge und Dörfer herüber durch die klare, weiche Luft. Das Stadt-Panorama selbst ist wunderprächtig. Himmel und Erde scheinen sich oft zu vereinigen, um hier ein Paradies für die Menschen zu sichern. Aber nirgends in der Welt haben Schergen und Bomben des wahnsinnigsten Despotismus seit Jahrhunderten ärger gewüthet, als in diesen himmlischen Häfen und Städten.