Merkwürdige Formen der Eidesleistung
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Dem alten deutschen Recht fehlte bekanntlich jede Einheitlichkeit. Die aus Italien überkommenen Rechtsgrundsätze erfuhren in den unzähligen kleinen deutschen Staaten und Städtchen, die die Befugnis zum Erlaß einer eigenen Gesetzgebung besaßen, je nach dem Ortsbedürfnis eine Abänderung, beziehungsweise Verquickung mit den ältesten, zum Teil noch heidnischen Rechtsgebräuchen. Am deutlichsten zeigt sich dies in den verschiedenen Formen der Eidesleistung. So wurde in der jetzigen Provinz Schleswig-Holstein noch bis in das dreizehnte Jahrhundert hinein bei den Gerichtssitzungen der Eidring benützt, ein offener, bronzener Reifen zum Zusammenhaken, den der Schwörende sich um den Hals legen mußte. Dieser Eidring bildete einst das besondere Machtzeichen des nordischen Gottes Uller und die Wikinger schlossen daher ihre Schutz- und Trutzbündnisse in der Art, daß ihre Heerführer sich durch den Ring am Halse zusammenketteten und dann die Vertragsformel hersagten. Heidnischen Ursprungs sind auch die Schwursteine, große, alleinstehende Felsblöcke, um die herum die Gerichtsbeamten Platz nahmen und dann die Schwurpflichtigen unter Handauflegen auf den Stein den Eid leisten ließen. Solche Schwursteine findet man überall in Nord- und Westeuropa verstreut. Bekannt ist der Schwurstein von Müschen, den der Teufel auf meineidige Bauern geschleudert haben soll. Eine besondere Abart dieser Steine sind die sogenannten Eidbruchfelsen, die Meineidige zur Strafe und zur ewigen Warnung errichten mußten. Unter den fränkischen Königen schwur man auf die sogenannte Gerechtigkeitshand, eine aus Elfenbein oder Gold hergestellte Hand mit aufgerichtetem Daumen, Zeige- und Mittelfinger, die als Symbol der Gerichtsbarkeit die Spitze des Zepters schmückte. In Süddeutschland war bis zum vierzehnten Jahrhundert auch der Fackeleid recht häufig, bei dem der Schwörende die Eideshand in die lodernde Flamme einer Kienfackel halten mußte. Durch den furchtbaren Schmerz, den die Flamme erzeugte, sollte der Schwurpflichtige daran gemahnt werden, welche Qualen seiner im Fegefeuer warteten, falls er einen falschen Eid leistete. Der Schwur um Mitternacht, der in älteren Schauerromanen eine so große Rolle spielt, ist tatsächlich in Schwaben recht gebräuchlich gewesen, zumeist dann, wenn es sich um die Aufdeckung eines nächtlichen Verbrechens handelte. Die Zeugen mußten den Eid in einem solchen Falle bei Vollmond, genau um die Mitternachtsstunde schwören, und zwar genau an der Stelle, wo das Verbrechen begangen worden war. Besonders merkwürdig ist der Zopfeid. Einem solchen Schwur legte im Jahre 1403 die Gräfin Verona von Zollern ab. Natürlich konnte er nur von Frauen verlangt werden, da die Schwurpflichtige dabei ihren Zopf um die linke Hand wickeln und diese auf die Brust, die rechte aber auf den Amtsstab des Richters legen mußte. Diese Art der Eidesleistung war auch in Österreich bekannt. Nur mußten zum Beispiel in Wien die Frauen auf zwei statt auf einem Zopf schwören, wie das Wiener Stadtrecht vom Jahre 1351 vorschreibt. Über die Bedeutung des „Kugeleides“ ist man sich nicht recht klar. Seine Besonderheit bestand darin, daß der Schwörende bei dem Hersagen der Eidesformel eine kleine steinerne Kugel in den Mund nehmen mußte. Vielleicht wollte man ihn durch den in seinem Munde befindlichen Fremdkörper zum langsamen Sprechen und genauen Überlegen seiner Aussage zwingen. Einer alten heidnischen Sitte nachgeahmt ist auch der „Nattereid“, bei dem der Eidespflichtige eine giftige Natter, die bis an den Kopf in einen dünnen Ledersack eingezwängt war, in die Hand nehmen mußte. Erst Ende des vierzehnten Jahrhunderts verschwinden all diese sonderbaren Formen der Eidesleistung und es kommt allmählich der Brauch auf, auf das Kruzifix zu schwören.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Im Inhaltsverzeichnis mit W. K. angegeben.