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Melpomene/Band 2/079 Bei dem Grabe eines Arztes, der ertrank

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aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 205–209
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[205]

79. Bei dem Grabe eines Arztes, der ertrank.

Melod. II.

1. Hier modert eines Arztes Leiche,
Er starb in vollster Lebenskraft;
Mit meichelmörderischem Streiche
Ward er vom Tode hingerafft,
Weil er mit kunstgeübter Hand
So manchen Kranken ihm entwand.

2. Denn öfter schon, wenn auf der Zunge
Der Tod dem armen Kranken saß,
Und ihn mit seinem Sensenschwunge
Zu mähen drohte, wie das Gras;
So kam des Arztes Medizin,
Um ihn dem Tode zu entziehn.

3. Zwar giebt es, leider! Mediziner,
Die approbirte Pfuscher sind;
Sie sind des Todes treue Diener
Denn ihre Heilungsart ist blind:
Sie ordiniren, Statt zum Heil
Des Kranken, oft das Gegentheil.

4. Sie stärken den erhitzten Kranken,
Und giessen Öl zur Fieberglut,
Und schwächen, wo die Kräften sanken,
Und zapfen ihm noch ab das Blut,
Und tödten also unfehlbar
Den Kranken, der zu retten war.
[206]
5. Die einen rathen allen Kranken
Nichts anders, als die Wasserkur,
Und andre geben, ohne Schranken,
Denselben einerlei Mixtur;
Nach eingen hilft die Astenie
Nach andern Homoeopatie.

6. So hangen sie an den Sistemen,
Und bleiben stets denselben treu,
Und lassen sich den Wahn nicht nehmen:
Daß anders nicht zu helfen sey,
Als nur nach ihrer Theorie,
Und ganz methodisch morden sie.

7. Nicht so, der hier im Grabe modert;
Er untersuchte die Natur
Der Krankheit, und was diese fodert,
Verschrieb er seinen Kranken nur,
Zerstörte dann des Übels Grund,
Und machte sie dadurch gesund.

8. Und wenn des großen Übels wegen
Der Kranke nicht zu retten war,
So kämpfte dennoch er dagegen,
Und machte ihn auf die Gefahr
Des Lebens aufmerksam, daß er
Noch vor dem Tode sich bekehr.

9. Deswegen war ihm unablässig
Der Tod, als seinem größten Feind,
Der ihm entgegen stand, aufsässig,
Und suchte stets mit List, vereint
Mit offener Gewalt, wie er
Dem Leben zu entreissen wär.
[207]
10. Als einmal nun zu einem Kranken
Der Illerfluß im Weg ihm stand,
Gerieth er schnell auf den Gedanken:
»Ich führe mich mit eigner Hand,«
Bestieg in Eil das kleine Schiff,
Wobei er nach dem Ruder griff.

11. So stieß er muthig ab vom Lande
Und ruderte mit starker Hand,
Und schwebte so am Grabesrande,
Das ihm im Wasser offen stand;
Denn reissend war der Strom und tief,
Und niemal fuhr das Schifflein schief.

12. Das Landen will ihm nicht gelingen
Er biethet allen Kräften auf,
Das Schifflein aus dem Strom zu bringen;
Allein des Illerstromes Lauf
War stärker, als des Arztes Hand,
Und hielt ihn immer ab vom Land.

13. Kaum sah daher die List des Todes
Die schickliche Gelegenheit,
So griff er in den Lauf des Bootes
Und warf es um voll Schadenfreud,
Und stürtzte in des Wassers Grab
So seinen größten Feind hinab.

14. Vergebens rang er mit den Wogen;
Er ward, trotz allem Widerstand,
Von ihnen immer fortgezogen,
Bis endlich alle Kraft verschwand,
Und er betäubt zu Boden sank,
Und so im Illerstrom ertrank.
[208]
15. So gieng der beßte Arzt verlohren,
So feyrt den herrlichsten Triumph
Der Tod, und seine kahlen Ohren
Sind gegen alle Klagen stumpf:
Nun hat er wieder freyes Spiel,
Und kann uns morden, wie er will.

16. In Bälde ward des Arztes Leiche
Gefunden an dem Illerstrand,
Der plötzlich aus dem Lebensreiche,
Vom Tode hingestreckt, verschwand:
Er starb in seinem Pflichtenruf,
Den Gott zu unserm Heile schuf.

17. Wir lernten ihn erst würdig schätzen,
Nachdem er uns entrissen war.
Und ach! wer wird ihn uns ersetzen?
Wer uns entziehn der Todsgefahr? –
Denn, wer das Leben uns erhält,
Ist mehr werth, als die ganze Welt.

18. Sein Trosteswort am Krankenbette
Ertönt aus eines Engels Mund,
Und wie wenn Gott gesprochen hätte,
So spricht auch er: du wirst gesund:
Wogegen, wenn der Kranke stirbt,
Er sich des Teufels Dank erwirbt.

19. Und wahrlich! größere Wohlthäter,
Als weise Ärzte giebt es nicht;
Der ist sein eigener Verräther,
Der sie nicht schätzt nach seiner Pflicht,
Und wer derselben Rath verschmäht,
Beleidigt Gottes Majestät.
[209]
20. Gott schuf den Arzt, und die Arzneien,
Und lässt dir seinen weisen Rath,
Und seine Hülfe angedeihen;
Bedien dich seiner nicht zu spat;
Sonst nimmt das Übel überhand,
Und Niemand thut ihm Widerstand.

21. Lasst uns daher die Ärzte schätzen,
Die uns das größte Erdengut
Erhalten, und nach den Gesetzen
Der Dankbarkeit, mit frohem Muth
Belohnen sie nach dem Verdienst,
Weil Jeder lang zu leben wünscht.

22. Nun ruhe sanft in deinem Grabe,
Du edler Arzt! du Menschenfreund!
Ich weiß, was ich verlohren habe,
Weswegen dich mein Aug beweint;
Denn es beweint zugleich auch mich,
Der ohne dich schon lang verblich.

23. Geniesse dort in jenen Höhen
Den Lohn für deine Pflichtentreu;
Sei selig dort! – Auf Wiedersehen!
Denn ohne dich ist bald vorbei
Auch unser kurzer Lebenslauf,
Und lößt in Seligkeit sich auf.