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Mariettas Ideal

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Textdaten
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Autor: H. Rosenthal-Bonin
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Titel: Mariettas Ideal
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 209–211
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Mariettas Ideal.

Ein Geschichtchen aus dem neapolitanischen Volksleben von H. Rosenthal-Bonin.

Marietta Polli stand an der Ecke einer Seitenstraße, die vom Toledo, der belebtesten Verkehrsader der Stadt Neapel, zum Largo Mercatello führt, an ihrem rohgezimmerten hölzernen Tischlein und sang zur Guitarre, denn sie war Straßensängerin von Beruf. Ihre Besitzthümer waren der unangestrichene Tisch, eine irdene blaugeblümte Salatschale darauf, in welche die Vorübergehenden das Geld hineinlegten, und ihre Guitarre.

Jeden Morgen um sieben Uhr kam Marietta mit ihrem Tisch an, stellte ihn an ihrem „Stand“ auf, setzte die leere Schale neben sich, ergriff die Guitarre und sang bis acht Uhr fromme Lieder, von acht bis Mittag ernste Opernarien, von Mittag bis zur Dämmerung nationale Liebescanzonen und dann bis elf Uhr nachts „gemischtes Repertoire“.

Ward es dunkel, so stand ein Oelnachtlämpchcn mit rothem Glase neben ihrer Schale.

Pünktlich um elf Uhr nachts hängte Marietta die Guitarre über die Schulter, löschte das Licht aus, schüttete ihr Geld in die Tasche, barg das Lämpchen auf einer Steinverzierung des Hauses über ihrem „Stand“, erhob den Tisch über den Kopf und wanderte so davon. Ihr Nachtlager hatte sie in einem abends geschlossenen Hausflur, neben einer Flickschusterwerkstatt, die hier in einem kleinen Holzverschlage eingerichtet war.

Marietta hatte auch Familie, ihre Mutter ernährte sich von dem Verkaufe von Taschentüchern, Operngläsern, Cigarrentaschen, Brillen und ähnlichen Dingen, welche ihre beiden Knaben aus den Taschen Fremder und Einheimischer stahlen. Frau Polli verstand ihr Geschäft und die Buben waren fleißig und geschickt.

Es ging ihnen leidlich, wenn auch hier und da Hungertage vorkamen. Jede Woche einmal traf die Familie an der Villa reale, dem berühmten neapolitanischen Promenadengarten am Meere, zusammen, zur Zeit, wenn die Musik spielte. Dann spendete Marietta jedem der Ihrigen eine Orange und einige geröstete Kastanien und gab ihrer Mutter ein paar Soldi – darauf ging man wieder auseinander. Die Buben schliefen in Kisten oder Körben ausladender Schiffe am Hafen. Mittags trafen sie ihre Mutter an einer Maccaroniküche an der Molostraße, lieferten ihre „Waare“ ab und nun wurde geschmaust: Maccaroni in Oel mit Goldäpfelmus, gebratene Fische für – fünfzig Centesimi – und ging es ihnen gut, so durften auch sechzig, siebzig draufgehen für alle, danach ging man wieder ans Geschäft. So lebte die Familie Polli in neapolitanischer Art – recht und schlecht von dem Gebrauch ihrer Talente.

Marietta galt als die vornehmste der Familie, denn sie kleidete sich nett, hatte es zu einer sicheren Schlafstelle gebracht und verdiente viel – die Brüder hatten nachgerechnet, daß sie oft drei Lire den Tag einnahm. Wo sie „den Haufen“ Geld hinbrachte, diese Frage beschäftigte Mutter und Söhne viel; jedoch nur in bitteren Nothlagen wandte man sich an Marietta, und dann gab diese zwar nicht reichlich, aber doch ganz anständig.

Marietta war sehr hübsch, ihr Vater war ein Römer gewesen und von diesem hatte sie die stattliche Figur, die breite [209] Stirn, die großen schönen Augen und von der sicilianischen Mutter die scharfabfallende Nase, den kleinen Mund mit den starken Lippen und einen wahren Urwald von krausen schwarzen Haaren, deren Wellen auf- und niederhüpften, wenn sie mit schmetternder Stimme sang, indeß die Augen melancholisch zu Boden sahen und nur aufblickten, freundlich, heiß, sonnenhaft, wenn eine Gabe in die Schale fiel. Mit Männern schwatzte Marietta nie, ab und zu in Singpausen mit ihrer Nachbarin, welche an der Ecke neben ihr saß und auf einem Brette, das über einem hohen Korb lag, getrocknete Kürbiskerne feil hielt.

Die Straßensängerin hatte einen gewissen Ruf, nicht nur beim niederen Volke; man wollte ihr allgemein wohl, sie galt für tugendhaft und war es auch und manche gute Familie in der Nähe ihres Standes nahm sich ihrer an und half ihr mit abgelegten Kleidern; der alte Principe Dorande, der täglich, wenn er nach seinem Palazzo ging, an Mariettas Ecke vorbeikam und ihr jedesmal zunickte, hatte ihr bei seinem Tode sogar zweihundert Lire vermacht. Marietta stand in Achtung – freigebigen Fremden, die, von ihrer nationalen Schönheit berückt, ihr den Hof machen wollten, setzte sie kaltes, hartnäckiges Schweigen entgegen, sogar einen ernsten Freier, einen Fachino des Hotels de Rome mit goldbordierter Mütze, hatte sie abgewiesen. – Das kam daher, weil Mariettas Träumen und Denken, ihr Ideal der Besitzer einer Carozella war, eines jener kleinen, neapolitanischen Einspänner, welche zu Tausenden das tobende Gewirr der Riesenstadt durcheilen und von Arm und Reich zu Fahrten benutzt werden. Marietta schwärmte nicht nur für den Eigner solch eines Gefährtes, sondern auch für das Fahren überhaupt, und nicht selten wandte sie an Sonntagvormittagen, an welchen sie nicht sang, eine Lira auf, um von einem Ende der Stadt zum andern hin und zurück sich kutschieren zu lassen. Dann saß sie in dem Wägelchen, angethan mit ihrem blauen Sonntagskleide, dem hellgelbseidenen Brusttuch, zwei riesige rothgoldene Ohrringe in den kleinen röthlichen Ohren, stolz und majestätisch zurückgelehnt wie eine Königin, und ihre Augen leuchteten vor Lust und befriedigtem Ehrgeize.

Eine gewaltige Menge hatte sich angesammelt und lärmte und lachte.

Es meldeten sich viel Freier bei der sehr hübschen Marietta, jedoch ein Carozellabesitzer befand sich seltsamerweise nie unter diesen.

Ob diese gleich verheirathet zur Welt kämen, frug sich Marietta oft ganz zornig, denn sie war merkwürdigerweise nie auf einen ledigen gestoßen, und sie besaß doch die wunderbare Gabe, nach den ersten paar Worten beim Einsteigen in das Wägelchen schon herauszubekommen, ob einer verheirathet wäre. Es schien gar keine ledigen jungen Leute derart zu geben.

So verging die Zeit im Fluge. Ein Jahr nach dem andern rollte dahin – es meldete sich bei Marietta kein Carozellakutscher, der sie zur Frau begehrte, und das Mädchen fing an, sich den verhängnißvollen Fünfundzwanzig zu nähern – das ist die unheimliche Altersgrenze, bei welcher die meisten Italienerinnen beginnen, umfangreicher zu werden, als mit den Gesetzen der Schönheit sich verträgt. Marietta fühlte mit Schrecken, daß sie keine Ausnahme von der Regel machte, und sie stellte sich vor, daß in einem Jahre vielleicht sie an ihrer Straßenecke nicht mehr stehen und singen könnte, ohne ausgelacht zu werden.

Dieser ihr Beruf ward hinfällig mit der schwindenden Jugend. Was sollte sie dann thun, um sich einen Lebensunterhalt zu erwerben? Eine Schule hatte sie nie besucht, irgend eine Handfertigkeit nicht gelernt, in eine Fabrik gehen – Neapel hatte zu jener Zeit nur wenig derartige Arbeitsstätten und diese waren überfüllt von schlechtbezahlten Mädchen. Einen Grünkram aufthun – das hieße Wasser ins Meer tragen, denn fast in jedem zweiten Hause saß eine Frucht- und Gemüsehändlerin, und auch der Limonadenbuden gab es schon viel zu viel. Einen Beruf wie ihre Mutter ausüben – davor graute ihr, denn es lebte in Marietta ein Funke der Erkenntniß des Anständigen, Guten und Ehrlichen. – Da kam ihr eine Idee!

Sie hatte von einer gereiften Nachbarin erfahren, daß es in der Schweiz Doktorinnen, Telegraphistinnen, Postexpedientinnen und sogar Bahnhofskassiererinnen gäbe, die ganz so gut wie die Männer ihr Amt verwalteten und wie die Männer selbständig aufträten, und da eine dunkle Vorstellung von Frauenemanzipation schon lange in Mariettas nicht unbegabtem, klugem Kopfe gährte, so verfiel sie auf den Gedanken: wenn kein Kutscher mit der Carozella zu dir kommen will, so gehe du als Kutscher zu einer Carozella. Einen ehrlichen Beruf darf dir niemand wehren – in diesem Falle hast du erstens das Vergnügen, den ganzen Tag zu fahren, und bekommst zweitens die Lust noch bezahlt, und als erster weiblicher Kutscher in Neapel wirst du noch ganz anders berühmt werden wie als Sängerin und in kurzer Zeit das Geschäft [210] aufgeben und von Zinsen leben können. – Das war das Endergebniß einer grüblerischen Stunde der trotz aller Bescheidenheit des Auftretens kecken und kühnen Marietta; die Sache erschien der an Aufsehen erregende Wirkungen gewöhnten Straßensängerin durchaus nicht so sehr absonderlich und ungewöhnlich, und wie der Entschluß in ihr reif und klar geworden war, so handelte sie auch sofort.

Sie suchte ein sorgfältig versteckt gehaltenes Büchelchen hervor, ließ sich von ihrem Schuhflickerwirth die darin verzeichneten Summen zusammenrechnen und bekam von diesem bestätigt, was sie allerdings sehr gut im Gedächtniß hatte, daß sie neunhundertdreißig Lire erspart hätte, die felsensicher auf der Nationalbank lägen.

Marietta hatte unbeschadet ihres „Küstlerthums“ einen echt italienischen Geschäftssinn, sie ging zuerst zu einer Base, die eine gute Stimme und etwas Geld hatte, auch noch leidlich jung war, und bot dieser ihren Stand sammt Tisch und Guitarre zum Kauf an. Die Base ging mit Freuden auf dies vortheilhafte Geschäft ein, und schon am nächsten Tage sah man an der Ecke von San Ferdinando statt Mariettas stattlicher, rundlicher Erscheinung an dem bekannten Tische mit der allbekannten Guitarre am grünen Bande eine magere, sehr viel gelblichere Person, die aus Leibeskräften sang. Marietta aber feilschte bei der Witwe eines kürzlich verstorbenen Carozellakutschers hartnäckig und zäh um ein mageres Pferdchen und eine schön roth angestrichene Carozella mit einem neuen Binsenteppich am Boden und zwei großen hellen Laternen unter dem Kutscherbock. Sie gelangte glücklich in den Besitz dieser kostbaren Güter um den Preis von siebenhundert Lire.

Nachdem dies Geschäft beendet war, begab sie sich nach Melito, einem Oertchen bei Neapel, von wo ein Omnibus nach Neapel ging, setzte sich oben neben den Kutscher und bat diesen, sie doch für das Passagiergeld täglich das Fahren zu lehren. Der faßte die Sache als einen Spaß auf, der noch Geld einbrachte, er willigte ein, und so fuhr Marietta achtundzwanzigmal vier Stunden und fühlte sich nach Verfluß dieser Lehrzeit als vollkommen sicherer und ausgebildeter Kutscher.

Eines Tages hielt sie denn auch in der Nähe des Hafens mit ihrem Wägelchen, nahm darauf den Platz als Kutscher ein und wartete auf Fahrgäste. – –

Es war ihr doch da oben etwas seltsam bang und beklommen zu Muth, als sie, einen lackirten schwarzen Hut auf den krausen Haaren und die Peitsche in der Hand, in das tobende eilende Straßenleben, der Fahrgäste gewärtig, hinabsah.

Sie saß noch keine zehn Minuten, da hatte sie nicht nur die Aufmerksamkeit von einigen hundert Vorübergehenden, die stehen blieben, sondern auch die viel verhängnißvollere der Polizei erregt.

Zwei Stadtsergeanten mit großen Dreimastern auf dem Kopfe, zwei Munizipalpolizisten mit grauen Mänteln und Käppis ohne Nummern und zwei Straßenwächter in schwarzem Waffenrock und Käppis mit Nummern, also sechs Mann der öffentlichen Ordnung standen denn plötzlich vor ihrer Carozella und legten die Hände auf sie selbst, den Wagen und das Thier.

„Wo haben Sie Ihren Erlaubuißschein?“ hieß es.

Marietta hatte keinen; davon hatte sie nichts gewußt. – „Der Wagen hat ja eine Nummer, die Laternen sind geputzt und in Richtigkeit!“ vertheidigte sie sich.

„Sie haben also keinen Schein?“ frugen die Gestrengen.

„Nein!“

„So folgen Sie uns zum Officio centrale, zur Hauptwache!“

„Zur Wache!“ stieß ganz fahlbleich werdend Marietta aus, und vor Schreck und Angst zitterte sie, daß sie die Peitsche fallen ließ und das Pferd unruhig ward und die Ohren spitzte.

„Ja, steigen Sie herunter und geben Sie uns Pferd und Wagen!“ befahl man ihr in sehr amtlichem Tone.

Marietta brach neapolitanisch laut in Schreien und Weinen aus. Eine gewaltige Menge hatte sich jetzt um die Verhandelnden angesammelt und lärmte und lachte: ein Frauenzimmer als Carozellakutscher – das war etwas Neues, viele hatten den weiblichen Kutscher erkannt, Marietta die Sängerin als Kutscherin jetzt – das war etwas für die skandallüsternen und nach Neuigkeiten begierigen Neapolitaner, für die hunderttausend Nichtsthuer sowohl wie für die andern Bürger. Man war in hohem Grade neugierig und gespannt auf die Entwickelung der Dinge. Die Menge wuchs ins Ungeheure.

Marietta jammerte, schrie und weinte lauter und stieg nicht vom Bock; sie war ganz sinnlos vor Angst und Zorn.

Die Menge begann Partei für sie zu nehmen und den eingekeilten Polizisten wurde es schwül.

Da entstand in der Menge ein Schimpfen und Rufen, Arme erhoben sich. Hüte fielen von den Köpfen, es wurde hin- und hergeschoben. Jetzt sah man einen jungen Mann gewaltsam durch die Menge sich Bahn machen, er drang rücksichtslos keck und geschickt vor und nun stand er am Wagen bei den Polizisten – es war ein netter, aber ärmlich gekleideter Mensch, dem man es ansah, daß es ihm nicht besonders gut ging.

„Woran fehlt es?“ frug er athemlos. „Sie hat keine Genehmigung?“

„Ja!“

„Die habe ich – aber keinen Wagen, und ich übernehme den Wagen,“ ließ der junge Mann mit kräftiger Stimme verlauten.

„Darf ich?“ rief er zu Marietta auf den Bock hinauf und übergab hierbei einem der Polizisten ein ziemlich großes, nicht sehr sauberes Papier, das er aus seiner Rocktasche zog.

Marietta verstand vor namenloser Verwirrung gar nichts.

„Der Signore hat einen gültigen Schein und keinen Wagen und will für Sie eintreten,“ erklärte ihr der erste Sergeant, welcher im Hinblick auf die Haltung der Menge froh war, daß die Sache sich so gut zu lösen schien.

Marietta begriff noch immer nicht. „Will mich heirathen?“ frug sie, die Augen immer noch voll Thränen wie geistesabwesend.

Ein furchtbares Gelächter, das über den ganzen Platz lief, erscholl auf diese Frage.

„Das wissen wir nicht,“ erklärte jetzt der Sergeant Marietta lächelnd; „vielleicht ist der Herr auch noch so freundlich,“ fügte der Polizist mit echt neapolitanischem Witze hinzu. „Vorerst will er mit seinem Erlaubnißschein das Gefährt übernehmen, denn auch wenn Sie einen solchen hätten, Signora, dürften Sie als Frauenzimmer hier in der Stadt nicht fahren!“ belehrte der Polizeimann. „Sie nehmen an?“ frug er.

„Ja!“ antwortete mit leuchtenden Augen Marietta, ihren hübschen Retter ansehend.

Ein lustiges überlautes Gemurmel wogte über die Menschenmenge. Unzählige Evviva ertönten zum blauen Himmel, man ließ den jungen Mann, der so ritterlich und klug für die Bedrängte eingetreten war, „leben“ und wünschte ihm und der Signora Glück und freute sich über die nette Lösung des Straßendramas.

Marietta war währenddessen vom Bock gestiegen, hielt dankbar beide Hände ihres Retters, der nicht unfreundlich in das runde Gesicht mit dem krausen Haarwald und den großen schönen schwarzen Augen sah. Die Menge jubelte bei diesem Anblick, der sich ihr jetzt darbot, noch mehr.

„Meine Herrschaften,“ sprach nun der erste Sergeant zu den beiden, „Sie müssen mir doch zur Kontrollstation folgen, weil die Nummer des Wagens in den Schein eingetragen werden muß; erst dadurch wird er für diese Carozella gültig.“

„Sie geben die Carozella und das Pferd zu diesem Schein?“ richtete er seine Worte an Marietta.

Von neuem „Ja!“ und dankbar glückselige Blicke in die funkelnden Augen des schmächtigen Retters, der in seiner sehnigen Kleinheit, Gelbheit und Beweglichkeit Neapolitaner vom reinsten Wasser war.

„So, bitte, steigen Sie ein!“ forderte der Sergeant die unternehmende Exsängerin und jetzt auch Exkutscherin auf.

Und Marietta stieg in den Wagen, der Retter mit seinem Schein auf den Bock; Marietta nahm nicht so stolz wie Sonntags, aber doch ganz vergnügt und zufrieden Platz.

„Geben Sie Raum, meine Herrschaften!“ riefen die Polizisten unermüdlich in die Menschenmauern – die Menge wich endlich, und in langsamem Schritt fuhr die Carozella, kutschirt von dem Retter, begleitet von den sechs Polizisten und gefolgt von einer großen Menge Volkes, dem Munizipalplatz zu.

Die gesetzlichen Förmlichkeiten nahmen dort nicht viel Zeit in Anspruch und verliefen heiter und befriedigend für alle Theile. Marietta übergab ihr Gefährt, für das sie keinen Erlaubnißschein hatte und keinen bekommen konnte, dem netten jungen Mann, der einen Schein, aber keinen Wagen dazu hatte, und die Folge dieses Geniestreiches der muthigeu Marietta war, daß ihr Ideal sich dennoch verwirklichte.

[211] Ihr Carozellaführer heirathete sie nach Verlauf von acht Wochen, hatte bald so viel seiner Berühmtheit in Volkskreisen wegen zu fahren, daß er sich zwei Pferdchen zum Wechseln halten mußte, und war so klug und gutherzig, seine Marietta, die zwar einige Jahre älter war als er, aber ihm ein behagliches Leben wieder ermöglicht hatte, gut zu behandeln und es ihr nie abzuschlagen, wenn sie am Sonntagnachmittag einmal Carozella zu fahren wünschte.

Das ist der Lebenslauf von Marietta Polli, der Straßensängerin, bis zum Hafen der Ehe, in welchem sie durch Muth und Unkenntniß der Gesetze und durch die Huld des Geschickes, obwohl die Sache schon recht zweifelhaft war, ihr Ideal erreichte.