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Maria (Schewtschenko)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Taras Schewtschenko
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Titel: Maria
Untertitel:
aus: Франко І. Твори. Т. 52., S. 768–775
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1882
Erscheinungsdatum: 2008
Verlag: Наукова думка
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer: Iwan Franko
Originaltitel: Марія
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[768]
Maria


All meine Hoffnung, all mein Sinnen
Bist du, mein lichtes Paradies!
O laß dein Mitleid mich gewinnen!

[769]
All meine Hoffnung, all mein Sinnen
5
Bist du, o Mutter, die ich preis’,

Du aller Heil’gen Kraft und Wonne,
Du makellose Gnadensonne!
Dich fleh’ ich an mit Tränenflut:
O blick sie mild an, mit Erbarmen,

10
All die Geknechteten, die Armen,

Gib ihnen jenen Märt’rermut,
Der deinen großen Sohn beseelte,
Daß sie ihr Kreuz und ihre Qualen
Bis an ihr Ende würdig tragen.

15
O du, den Sternen Beigezählte,

Laß ihnen deine Gnade strahlen,
Daß nach dem Leben voller Qualen
Sie sterben selig, ohne Zagen!
Und wenn des Elends dunkler Qualm

20
Zerstiebt, bring’ ich mit reinem Munde

Von deinem heil’gen Wirken Kunde
In einem stillen Freudenpsalm.
Doch heut’, am Schluß eines qualvollen Lebens,
Sei deiner Erdentage Gang,

25
Dem Elend, deine Qual und Tränen

Mein letzter, trauriger Gesang.

Beim Joseph, jenem heil’gen Zimmermann
Oder Faßbinder, wuchs als Dienerin
Maria von der Kinderzeit heran,

30
Und reift’ und blüht’, wie holde Rosen blühn,

Verwaist und arm, im armen, fremden Hause
In ihrer stillen, heil’gen Mädchenklause.
Oft blickt der Alte seine Dienerin
So liebend an als wie sein eigen Kind;

35
Der Hobel sinkt aus seiner Hand dahin,

Er blickt sie an… und Stund auf Stund verrinnt.
Wohl denkt er: Keinen hat sie in der Welt,
Kein Haus, kein Gut!.. Allein, wie in dem Feld
Ein schwaches Kraut!.. So wäre sie denn mein!

40
Es kann doch nicht mein Tod schon nahe sein!


Sie aber sitzt am Zaun und voller Freud’
Spinnt weiße Wolle ihm zu dem Sabbatskleid,

[770]
Erhebt sich dann, um an den See zur Zeit

Die Ziege mit dem Zicklein hinzutreiben

45
Zur Weid’ und Tränke. Wohl war’s ziemlich weit,

Doch liebt sie singend stundenlang zu bleiben
Am stillen breiten See Tiberias
Und herzlich lacht sie wie zufrieden, daß
So gut und still der alte Joseph saß

50
Und ihr nicht wehrte an den See zu ziehn.

Doch lang noch saß der Alte, blickte hin
Ihr nach, die Hand nicht haun, nicht hobeln will.
Die Ziege trank schon und sie weidet still,
Das Mädchen aber steht wie angepicht

55
Am Hainesrand, blickt traurig sinnend hin

Auf jenen klaren breiten See und spricht:
Tiberias, du der Seen Königin,
O sage mir, du Traute, Klare, Zarte,
Welch Schicksal meiner mit dem Joseph warte?

60
O Schicksal! – Sinnend neigte sie ihr Haupt,

Wie sich im Winde neigt die Pappel, dichtbelaubt. –
Ich will ein Kind ihm sein, ich will ihm nützen,
Mit meinem jungen Arm den Alten stützen! –
Da schweift ihr heitrer Blick bergauf, bergab,

65
In ihrem Aug’ ein heilig Feuer glomm,

Und von den jungen Armen glitt herab
Der alte Chiton. Ach, so schön, so fromm,
So wunderbar anmutig stand sie da,
Wie niemals noch ein Menschenkind man sah.

70
Und doch war ihr ein Dornenpfad beschieden,

Und ihre Schönheit war ihr Fluch hienieden.

Still ging sie am Seeufer dann entlang,
Ein breites Blatt fand sie am Felsenhang,
Pflückt’s ab und wie mit einem Hut bedeckt sie

75
Damit ihr Haupt, das so gedankenvolle,

Und ihren Pfad ins Hainesdunkel schlägt sie.

O strahlend Licht, der Weiber reinste du.
Du duft’ge Blum’! In welchem dichten Haine,
In welchen Schluchten findest du die Ruh’,

80
Verbirgst du dich vor des Geschickes Grolle?
[771]
Vor jenem Brand, der dir das Herz, das reine,

Zerschmelzt, wie Wasserschwall des morschen Dammes Planken
Zerreißt und überschwemmt die heiligen Gedanken?
Wo birgst du dann dein Haupt? Die Funken glühn

85
Ja schon und bald bricht’s aus in lichten Flammen.

Umsonst ist sie zu löschen dein Bemühn,
Es dringt ins Blut dir, bis du brichst zusammen,
Bis du, nachfolgend dein geliebten Sohn,
Am Golgatha bei seinem Kreuze sinkst.

90
Unheimlich und prophetisch blickt dich schon

Die Zukunft an! O blick nicht, wie sie grinst,
O wisch dir ab die ahnungsvollen Zähren,
Bekränz mit Lilien dein Mädchenhaupt,
Mit rotem Feldmohn! Sieh, wie dichtbelaubt

95
Der Ahorn lockt in seinen kühlen Schatten,

Mag deine Zukunft dir ein Traum verklären!

[2. Fassung]

Beim Joseph, jenem heil’gen Mann,
Faßbinder oder Zimmermann,
Wuchs einst als Waise, als Bediente,
Maria auf und wuchs und grünte

5
Und blickt’ wie eine Rosenblüte

In jener armen, fremden Hütte,
Im stillen, heil’gen Paradies.
Auf seine Magd der Alte blickte
Wie auf sein Kind, und oftmals ließ

10
Er seinen Hobel und sein Beil

Der Hand entsinken und erquickte
An ihrem Anblick seine Augen.
Es flohen eilig Weil auf Weil,
Starr saß er da und dachte wohl:

15
Allein und heimatlos auf Erden,

Verwaist und arm ist sie! So soll –
Gott will es – sie die meine werden?
Sollt’ ich zum Freund, zum Mann ihr taugen?

[772]
Sie sitzt am Zaun, die freudenvolle,
20
Und spinnt die weiche, weiße Wolle

Für ihn zu einem Sabbatskleid,
Erhebt sich dann zur Mittagszeit,
Um an den Seestrand hinzutreiben
Die Ziege mit dem Zicklein klein

25
Zur Weid’ und Tränke. Wohl war’s weit,

Doch liebt’ sie stundenlang zu bleiben
Am stillen See Tiberias.

Und herzlich, freudig lacht’ sie, daß
So still der alte Joseph saß

30
Und ihr nicht wehrte hinzuziehn.

Sie wandelt lachend, singend hin.
Der Alte aber saß noch lange,
Der Hobel seiner Hand entfiel,
Er blickt’ ihr nach so liebend bange.

35
Die Ziege trank und weidet still,

Das Mädchen aber steht wie auf der Lauer,
Tunik am Strand und rührt sich nicht,
Umspannt mit einem Blick voll Trauer
Den klaren breiten See und spricht:

40
Tiberias, du traute, klare,

Du breite Seekönigin,
Sag an, welch Schicksal meiner harre
Und jenem Greis mit treuem Sinn?
O Schicksal! – Und sie neigt ihr Haupt,

45
Wie sich im Winde dichtbelaubt

Die Pappel neigt. – Sein Kind bin ich
Und will ihn wie sein Kind beschützen,
Mit meinem jungen Arm will ich
Den Alten, Schwachen unterstützen.

50
Da schweift ihr Blick bergauf, bergab,

Im Aug’ ein heilig Feuer glomm,
Es glitt vom jungen Arm herab
Der alte Chiton. Ach, so fromm,
So wunderherrlich stand sie da,

55
Wie nie ein Menschenkind man sah!

Und doch war ihr ein Dornenpfad beschieden,
Und ihre Schönheit war ihr Fluch hienieden!

[773]
Still ging sie dann den Strand entlang,

Ein breites Blatt am Felsenhang

60
Fand sie und pflückt es und bedeckt

Damit ihr Haupt, das sittsam reine,
Verschwindet dann im dunklen Haine.

O unverlöschlich Licht der Welt!
Der Frauen reinste! Duft’ge Blume!

65
Im welchen Hain, im welchen Feld,

Im welchen dunklen Heiligtume
Verbirgst du dich vor jenem Grolle
Des unvermeidlichen Geschicks,
Das dir das Herz, das liebevolle,

70
Zerschmelzt und unheilschwangern Blicks

Wie Wasserschwall des morschen Dammes Planken
Zerreißt und überschwemmt die heiligen Gedanken?
Wo birgst du denn dein Haupt? Schon glühn
Die Funken! Bald in lichten Flammen

75
Bricht’s aus <…> Umsonst ist dein Bemühn,

Zu löschen jene heiße Glut.
Sie dringt dir bald ins Mark und Blut,
Bis du entkräftet brichst zusammen,
Bis – folgend dem geliebten Sohn –

80
Du unter seinem Kreuze sinkst.

Prophetisch blickt die Zukunft schon
Dich an <…> O sieh nicht, wie sie grinst!
O wisch die ahnungsvollen Zähren
Dir ab, bekränz dein Mädchenhaupt

85
Mit rotem Feldmohn, dichtbelaubt,

Mit weißen Lilien! Ruhe still!
Der Ahorn lockt in seinen Schatten kühl…
Mag deine Zukunft dir ein Traum verklären!

Am Abend, wie ein stiller Stern,

90
Kommt aus dem Hain im Blumenkranze

Maria. Hoch erglänzt von fern
Der Taborberg im goldnen Glanze,
Die Augen blendend. Liebend ruhn
Marias holde Blicke nun

95
Am Taborberg. Sie lächelt leise
[774]
Und ihre Ziege mit dem Kleinen

Nach Hause treibend, sang sie mit der reinen
Klangvollen Stimme eine alte Weise:
 O Paradies,

100
 O dunkler Hain!

 Werd’ ich, o Gott,
 Drin glücklich sein?
 Wird mir die Lieb’,
 Innig und süß,

105
 In diesem schönen

 Paradies?
Sie schwieg. Noch lang mit Blicken hing sie
Am Tabor, an der Sonne warm,
Nahm dann das Zicklein in den Arm

110
Und freudenvoll nach Hause ging sie.

Und unterwegs drückt sie gelind
Ans Herz das Zicklein wie ein Kind
Und schaukelt es und küßt und spricht
Mit ihm gleich wie mit einem Schätzchen.

115
Das Zicklein aber, wie ein Kätzchen,

Schmiegt sich an sie und sträubt sich nicht
Und spielt an ihrer warmen Brust.
Zwei Meilen gut ging sie mit Lust
Fast tänzelnd stets und ward nicht müde.

120
Es wartet traurig vor der Hütte

Schon lang auf sein geliebtes Kind
Der alte Joseph; ihr entgegen
Ging er und grüßte sie geschwind
Und sagte still: Auf welchen Wegen

125
Weilst du solang, so weit vom Haus?

Komm doch hinein und ruh dir aus
Und wolle dann ein Nachtmahl kochen
Uns und dem jungen frohen Gast.
So komm denn, Töchterchen! – Was hast

130
Du da von einem Gast gesprochen?

Wer ist’s? – Er kommt von Nazareth
Und will bei uns hier übernachten.
Er spricht: Groß ist der Gott der Schlachten!
Die alte Frau Elisabeth

135
Sah gestern seiner Gnade Walten,
[775]
Denn gestern ward ihr und dem alten

Zacharias ein Sohn verliehn,
Und Johann nannt’ der Alte ihn.
So ist’s.

140
 Da kam der Gast heran

Barfuß, das Haar so reich und kraus,
Mit weißem Chiton angetan
Und reingewaschen aus dem Haus.
Er stand so herrlich auf der Schwelle,

145
Erscheint ihr wie ein Zauberbild.

Er neigte sich und grüßte mild
Marien. Staunend stand sie da:
Ihr schien, als floß ein Licht so helle
Von seinem Antlitz und sie sah

150
Ihn an mit Zittern. Wie ein Kind

Drückt’ sie sich ängstlich an die Seite
Des alten Joseph; dann geschwind
Bat sie den Gast hineinzukommen, –
Es gab ihr Blick ihm das Geleite.

155
Dann bringt sie hurtig aus dem Brunnen

Die frische Flut, setzt ihnen leise
Dann Milch und Käs’ zur Abendspeise.
Selbst aber aß und trank sie nichts
Und unverwandten Angesichts

160
Saß still sie in der Ecke dorten

Und lauschte still und vorgebeugt
Des jungen Gastes hehren Worten.