Louvre und Tuilerien
Heute beschloß ich, in Gesellschaft einiger Freunde dem alten Louvre und den Tuilerien einen Besuch abzustatten, und zugleich die neuen Bauten des Kaisers in Augenschein zu nehmen.
Nichts ist bequemer, als die Geschichte Frankreichs an seinen Monumenten zu studiren; jede Regierung hat sich bemüht, ihre Spuren wenigstens in Erz und Marmor zurückzulassen, und Napoleon der Dritte beeilt sich, es seinen Vorgängern wo möglich noch zuvor zu thun. Man baut mit rasender Schnelligkeit in Paris, weil man nie weiß, was der morgige Tag bringen kann. Der Kaiser hat ein wahres Riesenwerk, die Vereinigung des Louvre mit den Tuilerien, geschaffen. Weder die dazwischen liegenden Straßen noch Häuser hielten ihn auf, ebenso wenig ließ er sich von den ungeheuren Kosten und Hindernissen zurücksckrecken; er hat sie beseitigt, wie er die Presse, die Wahlfreiheit und die Republik beseitigt hat. Schon Heinrich der Vierte, der beste aller Könige, hatte denselben Plan; durch Ravaillac’s Mörderhand wurde die Ausführung vereitelt. Keiner seiner Nachfolger nahm denselben auf, bis der jetzige Napoleon diese Vereinigung durch sein Machtgebot zu Stande brachte. Jetzt reichen sich die Riesenpaläste die Arme; ihre Arcaden und Gallerien schmiegen sich aneinander und verschmelzen ihre Marmorglieder. Der Place du Carousel, auf dem wir standen, bietet mit dem Arc de Triomphe und den ungeheueren Façaden der beiden Königshäuser einen Anblick, der sich kaum in Worten wiedergeben läßt. Die großartigsten architektonischen Verhältnisse, eine Fülle von Säulen, Pavillons, Arcaden und Gruppen, welche das Auge kaum zu überwältigen vermag und das Alles beleuchtet vom hellsten Sonnenschein!
Wer vermag sich diesem Zauber zu entziehen? Besonders aber zieht der alte Louvre uns durch seine historische Bedeutsamkeit an. Hier in diesen prächtigen Sälen, welche Franz [306] der Erste im üppigen Renaissancestyl erbauen ließ, wohnte die berüchtigte Katharina von Medici. Am 19. August 1572 wurde im Louvre die Hochzeit Heinrich des Vierten von Navarra mit Margaretha von Valois gefeiert, wozu die Häupter der Hugenotten eingeladen waren. Fünf Tage später gab die Glocke das Zeichen zu der furchtbaren Bartholomäusnacht. Stumm und schweigend lag der Louvre in mächtigen Schatten, aber in seinem Innern herrschte ein unheimliches Leben. Katharina begab sich anscheinend zur Ruhe, um ihre Pläne besser zu verheimlichen; sie hatte sich zu ihrem Sohn, König Karl dem Neunten, geschlichen, um ihm den Befehl zum Mord der Protestanten zu entreißen. Leise trat sie in das königliche Gemach in Begleitung ihres Lieblingssohnes, des Herzogs von Anjou, und der vier Räthe, welche mit im Complote waren. Sie schmeichelte und drohete, sie drängte und überredete, bis der schwache König endlich seiner Mutter nachgab. Alsbald erschallte das verabredete Zeichen, Alles war bereits vorbereitet, die Mörder lauerten in den Höfen des Louvre und stürzten sich auf ihre nichts ahnenden Opfer; zunächst nach dem Hause des ehrwürdigen Admiral Coligny, der unter ihren Streichen fiel. Der Prinz von Condé und der eben vermählte König, Heinrich von Navarra, eilten erschreckt zum Könige und flehten um ihr Leben. Der junge Tiger war bereits berauscht von Blut und ließ ihnen die Wahl zwischen der Messe und dem Tod. Aus einem Fenster des Louvre schoß er selbst auf seine protestantischen Unterthanen und das Bett seiner Schwester Margaretha von Valois wurde von dem Blute ihrer eigenen Glaubensgenossen bespritzt, die man unter ihren Augen mordete.
Hier in die Gemächer des Louvre wurde der blutige Leichnam Heinrich des Vierten, nachdem er von Ravaillac’s Mörderhand gefallen war, hergebracht und feierlich ausgestellt. Unter Ludwig dem Dreizehnten wurde beim Eintritt in den Louvre der Marschall d’Ancre von dem Baron de Vitry ermordet. Die Königin hörte den Pistolenschuß, welcher ihren Günstling tödtete; sie schickte ihre Kammerfrau, um nähere Erkundigungen einzuziehen. Als diese mit der Trauerbotschaft zurückkehrte, rief Katharina unter Thränen: Ich habe sieben Jahre regiert, von nun an hoffe ich nur noch auf die himmlische Krone. Eine andere Königin, Henriette von England, die Tochter Heinrich des Vierten, die Gattin des hingerichteten Karl Stuart, lernte im Louvre das traurige Loos der Verbannung kennen. Der geizige Kardinal Mazarin, der damalige allmächtige Minister von Frankreich, versagte der Tochter Frankreichs die nöthigen Mittel zu ihrer Existenz. Als der Kardinal von Retz sie besuchte, fand er sie und ihr Kind im Bette, weil sie aus Mangel an Holz in der strengen Winterkälte kein Feuer anzünden konnte.
Unter Ludwig dem Vierzehnten sah der alte Louvre das bisher gefürchtete Parlament vor dem jungen Könige zittern, der mit der Reitpeitsche in der Hand unter die ehrwürdige Versammlung trat und schon damals den Grundgedanken seines Lebens „l’etat c’est moi“ bethätigte; eine Maxime, welche Frankreich unendlich viel kostete und die Revolution heraufbeschwor. Noch einmal verwandelte sich der Louvre in einen Schauspielsaal. Molière hatte mit seiner Truppe die Ehre, vor dem Könige und dem ganzen Hof die Tragödie „Nikomedes“ aufzuführen. Der König vertauschte hierauf den bisherigen Palast mit dem neu aufblühenden Versailles; der Louvre wurde verlassen und nur noch zur Unterbringung von Archiven und für die Akademie, die königliche Druckerei u. s. w. benutzt. Zur Zeit der ersten Republik verlegte die Convention das Nationalmuseum in die leer stehende Räume. Diesem Zwecke dient zum Theil noch gegenwärtig das alte Haus der Könige von Frankreich, welches jetzt die Könige der Kunst, die Fürsten der Maler, einen Raphael, Giulio Romano, Leonardo da Vinci u. s. w. in ihren Werken beherbergt. Die Museen des Louvre sind weltberühmt und enthalten wirklich Schätze von unverkennbarem Werth, obgleich nach meiner Ansicht auch hier der Ruf bedeutend übertrieben hat und manche deutsche Gallerie, besonders die Dresdner, den Vergleich noch immer aushalten können. Freilich [307] zu den Zeiten des ersten Napoleon, wo die werthvollsten Bilder aller Länder sich gezwungen hier zusammen fanden, mag der Anblick ein außerordentlicher gewesen sein und aus jenen Tagen noch der andauernde Ruhm der Gallerie des Louvre stammen. Seitdem sind aber viele Bilder in die Hände der rechtmäßigen Besitzer zurückgekehrt und das Museum, welches früher die Beute von ganz Europa enthielt, auf ein anständiges Maß beschränkt worden. Noch immer enthält der Louvre Meisterwerke der Kunst und besonders in seinen verschiedenen Sälen die interessantesten historischen Reliquien, zu denen wir vor Allen die Erinnerungen an den ersten Napoleon rechnen, das weltgeschichtliche Hütchen, welches den größten Kopf seines Jahrhunderts bedeckte, den Degen, welcher in unzähligen Schlachten den Sieg erkämpfte. Mit einem natürlichen Schauer der Ehrfurcht betrachteten wir diese sorgsam bewahrten und ausgestellten Gegenstände. Darunter befand sich auch ein prachtvoller türkischer Säbel und eine orientalische Pferdedecke, über und über mit Gold, Perlen und Edelsteinen in einer Verschwendung bedeckt, die unseren ganzen europäischen Luxus dagegen nur ärmlich erscheinen läßt. Das Ganze erinnerte an die fabelhaften Schätze der Tausend und eine Nacht, an den Orient mit seinen Wundern und an den Zug des Consuls nach Egypten, wo er den tausendjährigen Pyramiden gegenüberstand und mit arabischen Priestern unter Palmen über die Weisheit des Korans sich unterhielt.
Wo man hier hinblickt, tritt einem sein Bild entgegen, als General der Republik mit scharfen Zügen, abgemagert von geistiger Anstrengung und vom Ehrgeiz verzehrt, mit glühendem Adlerblick und feinen, verschlossenen Lippen, das Geheimniß der Zukunft tief vor aller Welt verbergend. Als Kaiser, von dem berühmten Gérard gemalt, dem Einzigen, der, wie Napoleon selber sagte, ihn zu malen verstand, zeigt sein Portrait eine festere Haltung; die antiken Formen sind plastisch mehr abgerundet und eine classische Ruhe spricht aus dem festen Imperatorengesicht.
Am meisten dürfte aber den Beschauer das Bild des sechszehnjährigen Knaben Napoleon, von einem Jugendfreunde mit Kreide gezeichnet, beschäftigen; es trägt die einfache rührende Inschrift: „Mio caro amico Buonaparte, Ajaccio 1785. Die jugendlichen Züge haben bereits den Stempel des Genius, aber über das Ganze ist ein wunderbarer Hauch von weicher Schwärmerei gegossen, der im Feuer der Kanonen und im Weltgewühl sich in harten Menschen verachtenden Stahl verwandelt hat. Den Schluß dieser Reihe bildet Napoleon auf Longwood, mit Rothstift gezeichnet und mit der Unterschrift: Antomarchi 1821. St. Helena. Dieses Portrait wurde vom Arzte des Kaisers skizzirt, während derselbe sein Testament niederschrieb, nur wenige Monate vor seinem Tode. Welch ein Unterschied zwischen dem Sechszehnjährigen voll Hoffnung und dem gefangenen Kaiser am Ende seiner Laufbahn, verrathen von seinen Freunden, eingekerkert auf einer wüsten Insel, wie Prometheus an einen Felsen geschmiedet und von dem Geier der Erinnerung zernagt.
Noch zwei historische Gemälde zogen uns im höchsten Grade an; Mirabeau, von David gezeichnet, und die unglückliche Königin Maria Antoinette von de Ville, Hofmaler Ludwig des Sechzehnten. Die ganze französische Revolution trat uns aus [308] den beiden Bildern verkörpert entgegen, die schöne, lebenslustige Königin, Tochter Maria Theresia’s, auf den ersten Thron der Welt berufen, mußte ihr blondes Lockenhaupt unter dem Beil des Henkers beugen; sie wurde vor ein Tribunal geschleppt, die Frauen der Halle saßen auf den Gallerien und genossen mit Triumph das seltene Schauspiel, eine Königin angeklagt und gerichtet zu sehen. Sie haßten in Maria Antoinette das lebendige Herrscherthum, die Aristokratin, die Oesterreicherin. Ganz in ihrer Nähe hängt derselbe Mirabeau, welcher mit seinen Donnerworten die Pforten der Revolution aufgesprengt und das absolute Königsthum durch die Kraft der bloßen Rede niedergeschmettert hat. Maria Antoinette haßte anfänglich diesen Mann, später suchte sie ihn zu versöhnen und, wie behauptet wird, durch Geld und Schmeicheleien zu bestechen. Es war zu spät; selbst ein Mirabeau vermochte nicht mehr die durch ihn hervorgerufene Revolution in ihrem Laufe aufzuhalten, selbst wenn er es gewollt hätte, denn die Ereignisse sind mächtiger, als der Mensch. Mirabeau’s Gesicht zeigt eine wahre geniale Häßlichkeit; er selbst schrieb an eine Dame, welche wissen wollte, wie er aussehe: „Madame, stellen Sie sich einen Tiger vor, der von den Blattern zerfressen ist.“ Sämmtliche geschilderte Portraits sind von größter Bedeutung für die neuere Geschichte und werden wie Heiligthümer bewahrt.
Noch unter dem mächtigen Eindruck dieser großen historischen Erinnerungen verließen wir den Louvre, um auch den Tuilerien einen kurzen Besuch abzustatten. Der Anblick war entzückend. Welch eine Masse von herrlichen Gebilden! Wenn man sich an die Seite des Triumphbogens stellt, und die ganze Flucht der beiden neuen Flügel übersieht, bis dort, wo sie sich im Hintergrunde dem alten Louvre anschließen, so wird es schwer, sich von dem überwältigenden Totaleindrucke loszureißen und dem Einzelnen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Der kleinste Theil dessen, was wir nur flüchtig erfassen, würde genügen, um bei genauerem Eingehen Stunden und selbst Tage auszufüllen. Nichts wiederholt sich hier und doch steht jedes Einzelne mit dem Ganzen in genauestem Einklang; jeder Marmorbogen zeigt neue Formen, jeder der sechs zu drei und drei sich gegenüberstehenden Pavillons vereinigt eine Fülle der zierlichsten Arbeiten des Architekten und Bildhauers. Es ist eine Unmöglichkeit, die unzähligen historischen und symbolischen Bezüge zu verfolgen. Vor Allem aber fesseln uns durch ihre imposante Größe und Stellung die zwei Pavillons Turgot und Mollier, welche als Eckpfeiler der beiden Flügel zuerst in’s Auge fallen. Was Säulenschmuck, Reliefgebilde und Sculpturen Reizendes zu bieten vermögen, das ist hier auf einem Punkte verschwendet. Das Schönste sind unstreitig die Arcaden, welche die Flügel rings umgeben und die Zwischenräume der Pavillons zur vollkommensten Befriedigung ausfüllen. Säulengetragene Marmorbogen mit reichbelaubten Capitälern, weiterhin die herrlichsten Rosetten mit sinnigen und zarten Reliefs abwechselnd, endlich der vorragende Schmuck des Frieses winden um die ganze Mitte des Baues einen üppigen, marmornen Blumenkranz, aus welchem der Palast erst prachtvoll in die Höhe steigt. Ueber den Arcaden stehen in langer Reihe die ernsten Gestalten der größten Männer und Genien Frankreichs im Costüme ihrer Zeit. Endlich schauen vom Dachfriese symbolische Figuren und niedliche Amorettengruppen; dazwischen erscheint der dunkelblaue Schiefer, und coquette Schlote und Rauchfänge erheben sich keck in die Luft, wie schlanke Federbüsche auf stählernen Helmen.
Während wir noch in Bewunderung versunken dastanden, rollte aus dem Thore eine Reihe von Hofwagen an uns vorüber. Goldbordirte Garden trabten vorauf, in scharlachrothen Reiterjacken und weißen Kappen. Ein höherer Offizier ritt rechts neben der zweiten prächtigen Carosse; die Gardinen waren zurückgeschlagen und drinnen saßen zwei Frauen, eine Hofdame, neben ihr eine kräftige Amme im burgundischen Landescostüme, auf ihrem Schooße ruhte ein lächelndes Kind in himmelblauen Sammet gekleidet; l’enfant de France, der Sohn des Kaisers. Die Pariser Straßenjugend schrie aus voller Kehle: vive le prince! wie sie einst à bas Napoléon, à bas les Bourbons und vive la république gerufen.
Wir sahen den glänzenden Zug vorübersausen, und nahmen von dem Louvre und den Tuilerien Abschied, welche bereits so viele wechselnde Geschicke der Könige gesehen. Im Stillen drängte sich uns die Frage auf: Wo wird einst dieses Kind sein Haupt niederlegen?