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London auf Rädern

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Textdaten
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Autor: H. Beta
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Titel: London auf Rädern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 108–111
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Bilder aus dem Londoner Verkehrsleben Nr. 4
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[108]
Bilder aus dem Londoner Verkehrsleben.
Nr. 4. London auf Rädern.


Thatsache ist es, daß der durch Dampfschwingen und erhöhte Cultur beflügelte Verkehr mit seinen stets über Länder und Meere fliegenden Waaren- und Menschenlasten nicht mehr den Bedürfnissen und Ansprüchen, nicht mehr der wissenschaftlichen Einsicht und praktischen Erfahrung entspricht; daß die Vervollkommnungen und Verbesserungen der Bewegungsmaschinen, der Dampf- und Pferdewagen, der kleineren Communicationsmittel, der Straßen in unsern großen Industrie- und Handelsstädten nicht Schritt gehalten haben mit der Einsicht in die Verkehrsgesetze, mit den Ansprüchen auf Leichtigkeit, Schnelligkeit und Billigkeit des Austausches.

Die Dampfmaschinen bringen blos etwa ein Fünftel der mechanischen Kraft, die in dem verbrauchten Brennmaterial steckt, zum

Hohe Politik.

wirklichen Ziehen oder Treiben. Außerdem geht eine Menge Kohle und brennbares Gas unverbrannt und unbenützt durch die Schlote hindurch. Die Wagen und Wege zur Verbindung der Eisenbahnhöfe und Vermittelung des Zwischen- und kleineren Verkehrs sind viel zu schlecht, theuer und zeitraubend. Es kommt vor, daß Menschen und Lasten, um eine halbe Meile weit nach einem Eisenbahnhofe zu kommen, mehr Geld und Zeit brauchen, als zu einer zehnmeiligen Reise mit Dampf. Das Räder- und Wagenwerk für Pferde und im Kleinen für Menschen, Esel oder Hunde bedingt meist ebensoviel Kraft-, Zeit- und Geldvergeudung, wie die Erbärmlichkeit des Feldwegs oder des städtischen Steinpflasters. Bei praktischer Einsicht in die physischen, technischen, wirthschaftlichen und finanziellen Gesetze des Verkehrs und des Transports wären diese Wagen und Wege, welche durch ihre Verwahrlosung unendlich mehr Kraft und Geld und Zeit vergeuden, als die besten und vollkommensten Bewegungsmittel kosten würden, längst nicht mehr möglich, denn man würde schon lange Alles geprüft und das Beste behalten haben und in Deutschland allein jährlich viele Millionen Thaler für productive und Culturzwecke sparen, jährlich um so viele Millionen Thaler reicher werden.

In großen Städten, besonders in Berlin, wo der Verkehr mit Wagen und Pferden während der letzten zehn Jahre wohl um Hunderte von Procenten gestiegen ist, haben sich Einige allerdings viel Mühe gegeben, diesen Verkehr durch „Fahrordungen“ und polizeiliche Vorschriften zu verbessern. Aber es fehlt an Wagen und Wegen. Das Steinpflaster und die Rinnsteine sind nicht nur geblieben, sondern vielfach schlechter geworden. Die Omnibus haben sich in entsetzlicher Form von „Fahrefoltern“ mit wunderbarer Fruchtbarkeit vermehrt. Vielerlei Constructionen, aber die meisten unbeholfen, schwerfällig und hartnäckig ohne „Ventilation“. Tausende von Bauer- und Lastwagen an Markttagen in vorsündfluthlicher Construction mit losen, donnernden, krachenden Bretern, ohne Federn. Letzteren Mangel sucht man durch ein Verbot allmählich zu beseitigen. Die Lastwagen ohne Federn dürfen bei einem Thaler Strafe nicht mehr im Trabe fahren. Aber die Federn allein thun’s nicht; die alten, lockern Rumpelkasten müßten ganz und gar verschwinden und festgefügten, eisenrippigen, technisch-praktisch construirten Wagen auf eben und solid gepflasterten Wegen Platz machen. [109] Daran scheint man aber noch nicht einmal ernstlich zu denken. Der Polizeirath Dennstedt, sehr eifriger und ehrlich bestrebter Chef der Berliner Fahr- und Verkehrs-Polizei, ist öfter in dem Brennpunkte des großartigsten und vollkommensten Verkehrs, in London, gewesen, um zu sehen, zu prüfen und das Beste für seinen Wirkungskreis zu verwerthen. Aber man merkt noch wenig davon: er kann keine Wagen und Wege verbessern, wofür London just die reichste Auswahl von Erfahrung und Mustern bietet, so daß es auf seiner englischen Quadratmeile der City, wo sich alle Tage der Verkehr des hundertquadratmeiligen Londons und durch Eisenbahnen beinahe

Rückfahrt vom letzten Ehrengeleit.

des ganzen Landes (auch anderer Länder und der Meere) concentrirt, immer noch besser fährt, als Berlin in seinen geraden, breiten Straßen.

Das Geheimniß davon liegt in der Kunst des Fahrens auf gutgepflasterten und geebneten Wegen, mit einer Fülle der verschiedensten Wagen, die alle für je ihre besondern Zwecke möglichst praktisch construirt sind. Wenn man sich die Mühe gäbe, alle Arten von Bewegungsmitteln auf Rädern aufzuzählen, käme wohl ein ganzes System von Arten und Unterarten heraus. Da giebt’s fast lauter unübersetzbare, weil in Deutschland nicht, oder nicht so vorhandene Wagen für Menschen und Lasten: Chaise, Brougham, Fly, Tilbury, Gig und Cab, Hansom, Omnibus, Ban, Wagon, Cart, Dray, Truck, Barrow und viele andere – alle auf Federn, alle fest gefügt, genial für je ihre bestimmten Zwecke construirt, daß sie leicht „rollen“ und nicht mühsam poltern und rasseln und knattern; kein Fahrzeug zu lang oder zu kurz oder zu breit, keins zu unrechter Zeit am unrechten Orte. So nur erklärt es sich, daß auf dieser kleinen englischen Quadratmeile täglich 100,000 Wagen aller Art mit etwa 150,000 Pferden, vielen Centnerlasten von Waaren und einer Million Menschen täglich ein- und auspassiren, ohne sich gegenseitig zu zermalmen oder niederzutreten.

Nach einer genial angestellten amtlichen Zählung an einem Maitage 1862, vierundzwanzig Stunden lang an allen Zugängen der City, fuhren während dieser Zeit 48,177 Fahrzeuge auf Rädern und kamen 155,060 Personen auf und in diesen Fahrzeugen, außerdem 370,107 Menschen zu Fuß in die City. Da man ebensoviel Herauskommende annehmen muß, wird man an der ungefähren Richtigkeit der oben gegebenen runden Summen nicht besonders zweifeln können.

Seit dieser Zählung hat sich London um einige hunderttausend Einwohner und die City um mehrere Eisenbahnstationen auf, unter und über der Erde vermehrt, so daß wir durch viel höhere Zahlen der Wahrheit wohl näher kommen.

Uebrigens ist es ziemlich gleichgültig für die Sache im Großen und Ganzen, ob so und so viel Tausende von Menschen und Wagen mehr oder weniger passiren. Hauptsache bleibt die Art und [110] die Fahrordnung der Wagen. Was bei einem Vergleiche zwischen dem knatternden und grellen Donnern und Tosen des Berliner Verkehrs und dem unendlich großartigeren in London besonders auffällt, ist die viel größere Ruhe des Lärmes in der englischen Riesenstadt. Es donnert und braust und brummt viel eben- und gleichmäßiger, nicht so erderschütternd, nicht so ohren- und nervenzerreißend auf dem viel ebeneren Stein- oder Macadampflaster mit lauter festgeschlossenen, eisenrippigen, dabei plastischen, niet- und nagelfesten Fahrzeugen in London. Dazu rollen sie meist besser auf dichter aneinander, um kleinere Achsen sich leichter drehenden Rädern hinter viel näher gespannten Pferden her.

Der Lastfuhrmann der großen Speditionshäuser von Chaplin und Horne oder Pickford, der Omnibuskutscher sehen ihre Pferde von ihren Thronen herab kaum ganz; sie lenken dieselben mehr durch Ziehen auf- als rückwärts und haben dadurch eine viel schnellere und sicherere Gewalt über Wagen und Pferde zugleich. Im schnellsten Dahinrollen können sie beide so geschwind anhalten, daß ein ziemlich dicht vor dem Wagen Fallender selten überfahren wird. Ich habe es oft genug gesehen, wie ein solcher göttlicher Wagenlenker dicht vor einer Gefahr die Pferde mit den Vordertheilen gleichsam empor riß und sie mit solcher Gewalt gegen den Wagen drängte, daß Alles stand, wie auf Zauberei. Die göttlichen, zweiräderigen Flugmaschinen für je zwei Personen, Hansoms oder Sicherheitsdroschken mit dem Kutscher ganz hinten und oben auf einem Suppenteller von Bock, können im schnellsten Fluge jeden Augenblick halten und sich sofort wieder wie Aale durch das dichteste Gedränge von Wagen glatt hindurchwinden.

Die Londoner Omnibus sind wohl noch mancher Vervollkommnung fähig, so hundertfache Formen und Veränderungen man auch versucht, geprüft und wieder aufgegeben hat, um mehr oder weniger zu den üblichen zurückzukehren. Wir in Deutschland können schon zufrieden sein, wenn wir in solchen gewöhnlichen Londoner Omnibus fahren werden. Man steigt bequemer aus und ein, fährt viel schneller, bequemer, reinlicher und luftiger mit entweder stillen oder höflichen, beim Aus- und Einsteigen gern behülflichen, niemals an’s Rauchen nur denkenden Menschen, während in Berlin die Omnibus-Unternehmer dreimal um Aufhebung des Rauchverbots als unerläßlich für das Gedeihen ihres Geschäfts gebeten haben und immer noch eine Menge Fahrgäste mit Dreier-Cigarren dem Verbote trotzen und zwar in fest verschlossenen, unventilirten Omnibus, in welchen die durch Athmen verpestete Luft immer mitfährt.

In London sind alle Omnibus ohne Ausnahme mit ziemlich guter Ventilation (worunter sich die Deutschen meist „Zug“ denken) versehen. Sie besteht in der Regel aus einem schmalen, eisernen Gitterwerke oben ringsum unmittelbar unterhalb der Decke und der stets offenen oberen Hälfte der Eingangsthür, die an den neuen großen, für je vierzig Personen, ganz fehlt, so daß man mit einiger Geschicklichkeit mitten im Fahren über das ganz niedrige und breite Trittbret aus- und einsteigen kann. Der „Cad“ oder Conducteur des „Bus“ oder Omnibus (viel zu lang für die Engländer) steht nicht, wie in Deutschland, schläfrig unten auf dem Brete mit der einzigen Aussicht nach hinten, wo er winkende Fahrlustige im besten Falle viel zu spät, oft gar nicht bemerkt, sondern hoch oben auf seinem kleinen Affenbretchen (monkey-board), nach allen Seiten, besonders nach vorn und den beiden von Menschen wimmelnden, breiten, rinnsteinfreien Trottoirseiten lauter Auge und winkender Zeigefinger mit scharfen Ausrufen der Richtungen und Ziele, meist auch des Preises, wie: „Bank! Bank! Elephant! Kingsland gate! All the way toppence! (Ganze Tour zwei Pence)“ etc. Dabei erkennt er mit scharfem, geübtem Auge aus Tausenden von Menschen vor sich die heraus, welche überhaupt nur Miene machen, sich nach einem Omnibus umsehen zu wollen. Das Ausrufungszeichen seines Zeigefingers schießt hoch empor und durch das donnerndste Getöse schrillt das Verzeichniß der Straßen und Plätze seiner Tour, die außerdem je nach der Wichtigkeit in verschiedener Größe rings um den Omnibus in allerhand farbigen Lettern prangen. Bunt und in allen möglichen Farben, wie die „Bus“ bemalt sind mit ihren vielerlei Umschriften und oben winkenden Extratafeln, aus- und inwendig mit augenfällig und groß und bunt gedruckten Anzeigen und Illustrationen beklebt, oft „full inside“ (voll inwendig) und auf dem „top“ oben mit malerisch gruppirten und zum Theil hinter großen frisch gekauften Zeitungen versteckten „Außenseitern“ besetzt, mit dem dramatischen Elemente des „Cads“ hinten und dem philosophisch-contemplativen des driver, Treibers oder Kutschers, vorn hoch auf seinem Throne (neben welchem nicht blos der eine Zeitungsleser unserer Abbildung, sondern vier Platz haben und „hohe Politik“ treiben können), mitten im tollsten Jagen von unten und dem Trittbrete her von fliegenden Zeitungshändlern bedient, Geld wechselnd für Zahlung oder den bronzenen Penny hinunterwerfend, dabei immer fleißig und flüssig mitten im tollsten Drängen und Donnern Passagiere und Pakete ladend und löschend, bieten diese Omnibus in ihren unabsehbaren Doppel- und doppelten Doppelreihen und allerhand sich kreuzenden Richtungen eines der dramatischsten und charakteristischsten Elemente des Londoner Straßenverkehrs. Unser „Cad“ sieht nicht nur, sondern handelt auch scharf.

Damen und Fremde finden in dem bunten Wirrwarr von Farben und Namen selten den rechten Omnibus heraus. Cad oder Caddy sieht ihnen die Verlegenheit hundert Schritt vorher an und ist wie ein Blitz hinunter, dem „Bus“ voraus durch’s halsbrechendste Gedränge dicht bei ihnen, der Concurrenz eines Rivalen und zugleich dem möglichen Passagier zuvorkommend, und schleppt ihn oder sie triumphirend vor den Augen des Concurrenten vorbei, sicher und sauber in seinen „Bus“. „All right, Bill!“ Und lustig und leicht rollt die Maschine weiter, ohne anzuhalten. Freilich so flink und frisch geht’s nicht immer. Obgleich man über und unter den Straßen für Ab-, Aus- und Nebenwege gesorgt hat und immer großartiger damit fortfährt, kommen doch noch alle Tage öfter große und kleine und allgemeine Störungen in den großen Verkehrsstraßen vor, besonders in den Hauptsternen, wo sich fünf und mehr (selten vier) Straßen kreuzen. An einem bestimmten Tage 1850 zählte die scharfäugige Polizei amtlich und systematisch dreizehntausend Wagen, die über die Londonbrücke fuhren, an einem Tage 1863 über zwanzigtausend, und jetzt kann man im Durchschnitt getrost fünfundzwanzigtausend annehmen. Die Brücke ist nicht breiter geworden, die Fahrordnung aber um so strenger und meisterhafter: es müssen immer je zwei Reihen in schnurgerader Linie hin- und herfahren. Manche Arten von großen Wagen sind für bestimmte Zeiten ganz von der City ausgeschlossen etc. Und dann sind die vierhundertundfünfzig Wagen des ersten Spediteurs Chaplin und Horne und die einhundertfünfzigtausend Centner, welche sie wöchentlich befördern, und die mehr als vierhundert Wagen Pickford’s und seine Tausende von Paketen so eingerichtet, daß wir das Ganze als ein Weltwunder des Verkehrs ohne Gleichen erkennen.

Diese Herren ließen alle ihre Lastwagen – beinahe tausend – so erneuern oder ganz neue machen, daß jeder genau einen Fuß schmäler (sieben und einen halben Fuß breit) und kürzer, als die früheren, von je zwei statt vier Pferden gezogen werden kann und just gerade Raum hat für je zwei Manchester-Pakete, je zwei Körbe Derby-Strumpfwaaren, je zwei Ballen Nottingham-Spitzen etc. und daß eine bestimmte Zahl derselben ihn auch der Länge nach gerade füllen, ohne einen Zoll breit Raum zu lassen. Diese verschiedenen Waarenballen haben also auch sämmtlich einen ganz bestimmten Umfang bis auf einen Viertelzoll, so daß die betreffenden Fabrikanten und Großhändler in den verschiedenen Theilen Englands dafür gewonnen und darin geeinigt werden mußten.

Ist das nicht ein Wunder mitten in der nüchternen Industrie? Ja wohl, zumal wenn man sich die Mühe nimmt, noch die meisterhafte Construction der Wagen, der mit schweren Centnerlasten leicht dahinrollenden, zu studiren und die geniale Vertheilung ihrer dreißig verschiedenen Etablissements sowie Pünktlichkeit, womit sie ihre fünfhundert täglichen Ladungen meist vor der Hauptgeschäftszeit, d. h. vor zehn Uhr Morgens, fördern und abliefern und später mit kleineren einpferdigen Wagen die kleineren Geschäfte und engeren Straßen besorgen.

Es wäre noch viel zu singen und zu sagen von der unabsehbaren Mannigfaltigkeit der Fahrzeuge auf Rädern für Menschen und Waaren, für Pferde aller Art, Ponies, Esel und Menschen, über die Art wie letztere ihre Lasten und Waaren möglichst vortheilhaft verpacken und zugleich zum Detailverkauf schaustellen, wie sie ihre wandernden Tische und Läden und Waarenlager bald ziehen, bald schieben, von klugen Eseln ziehen, von schlauen, treuen Hunden bewachen lassen, mit allen nur möglichen Producten und Waaren jeden Tag zu rechter Zeit vor jedem Hause der dreitausendsechshundert Straßen halten und flink und frisch auf einen [111] Wink jeden Anspruch, meist noch drüber hinaus, zu befriedigen wissen. Aber solcher Massenhaftigkeit und Mannigfaltigkeit gegenüber gilt es sich zu beschränken. Deshalb nur einige Blicke auf diesen und jenen besonders originellen Wagen. Wo sieht man noch solche kleine, gemüthliche, zweiräderige Stuhl-Pony-Wagen, wie in London? Und solche schlaue, verzogene, launische, jedes Wort verstehende Ponies davor, wie sie Dickens in seinem „Raritäten-Laden“ auf ewige Zeiten gezeichnet und verherrlicht hat? Der Stuhl auf den zwei oder ganz niedrig zwischen vier Rädern ist wie so ein echter Großvaterstuhl und recht bequem für den einen dicken, ältlichen Herrn darin, nimmt aber auch zur Noth noch die Frau mit auf, damit Beide, von ihrer weiten, hübschen Villa draußen her, in der Stadt einkaufen, die Schätze in einem gut und versteckt angebrachten Kasten hinten und unterhalb verwahren und so versorgt und versehen dem Pony zureden können, daß er nun so gut sein möchte heimwärts zu trippeln und sich unterwegs nicht zu viele Läden und Merkwürdigkeiten anzusehen. Ich habe mich immer gewundert, wie diese Spielwaarenkinderwagen zwischen den riesigen Kohlenwagen, den massiven Pickfords und Chaplins unzerschmettert hindurchkommen, aber sie kommen alle Tage massenweise unzermalmt hindurch und heil nach Hause.

Auch die hinter den Pferden auf zwei Rädern (sehr großen) angebrachten Sättel, Flugmaschinen für forsche, junge, reiche Taugenichtse und Bonvivants, die eben so schnell fortkommen wollen, wie ein Reiter, aber ohne zu reiten, sehen zwischen den Wagen-Gebilden gar lustig aus. Oft sind sie etwas größer und zwei-, nicht selten auch viersitzig, aber der Kürze wegen so gebaut, daß die andern Beiden den Vorderen den Rücken kehren. Das sind aristokratische Lust- und Spazierkasten mit den beiden Rücksitzen für Kutscher und Diener, die blos vor und nach der Fahrt verlangt werden, weil der Herr oder die Lady selbst die edle Rosselenkerkunst ausüben. Man sieht, beiläufig bemerkt, nur in England neben Schaaren reitender große Mengen fahrender Damen, kühn mit Zügeln und Peitsche in der Hand, nicht selten ganz allein.

Diese originellen, viersitzigen, zweiräderigen Fahrkasten werden in der Regel nur zu lustigen Ausflügen benutzt. Die ganze Construction sieht heiter, lächerlich, übermüthig aus. Kommt es nun vor, daß ein Paar Tieftrauernde umflort mit ihren umflorten Dienerschaften von dem letzten Ehrengeleit, das sie einem geliebten Dahingeschiedenen, wenn nicht bis auf den Kirchhof, so doch bis zur Eisenbahn gaben, auf einem solchen lustigen Karren vor Bier- und Schnapspalästen (Spirit stores) und großen Schiffsrümpfen an Gestaden oder Ufern vorbei nach Hause zurückkehren, so giebt das ein Lebens- und Verkehrsbild, das wohl der Aufzeichnung werth ist, da es einen so tragischen Humor, eine so herzergreifende Fülle von Gegensätzen in sich schließt, wie im alltäglichen Leben oft, in London eben alle Tage vorkommen, ohne weiter beachtet zu werden, da sich Leben und Tod, Lust und Lasten, Schmerz und Wonne, furchtbare Unglücksfälle zu Wasser und zu Lande und massenhafte Züge zu Genuß und Luxus zu Fuß, Pferd und Wagen so dicht nebeneinander vorbeidrängen oder ineinander mischen, wie kaum in den Tragödien Shakespeare’s. Diese Narren in den Tragödien, die Witze der Todtengräber mit ausgegrabenen Schädeln sind oft von Gelehrten in kleinen, ruhigen Städten für unwahr, unnatürlich gehalten worden, aber in London kann man alle Tage die Lebenswahrheit derselben bestätigt, sehr oft durch die handgreiflichste, unmittelbarste Wirklichkeit übertroffen sehen.
H. Beta.