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Lithauische Märchen II

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Fr. Richter
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Titel: Lithauische Märchen II
Untertitel:
aus: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 189–193
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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[189]
Lithauische Märchen. II.
Von
Fr. RICHTER.


1. Das Mädchen und die Schlange.


Einst lebte eine reiche Witwe am Strande des Meeres. Die Witwe besass nur eine Tochter. Sie hatte deshalb das Kind einer Leibeigenen zu sich genommen und erzogen, damit das Mädchen alle ihre Bedürfnisse genau kennen lerne und sich später ganz ihrem Dienst widmen könne. Die Witwe ging mit dem Mädchen nicht gut um, aber dieses wuchs kräftig heran und ward von einer solchen Schönheit, dass es von allen Leuten bewundert wurde. Den Dienst verrichtete das Mädchen mit grosser Treue.

Eines Tages geschah es, dass die Witwe das Mädchen an den Strand schickte, damit es dort die Wäsche wasche. Das Mädchen lag der Arbeit fleissig ob. Plötzlich aber kam eine grosse Welle angerauscht und nahm das kostbarste Tuch der Witwe mit in das Meer. In seiner Not lief das Mädchen zur Witwe, sein Leid zu klagen, diese aber züchtete es heftig und drohte mit dem Tode, wenn das Mädchen jenes kostbare Tuch nicht wieder schaffe. Klagend ging das Mädchen an den Strand des Meeres und netzte den Sand der Düne mit seinen Thränen. Plötzlich kam eine Welle angerauscht und eine Stimme liess sich vernehmen, welche flüsternd sprach: „Liebes Mädchen, liebes Mädchen, willst du mich zum Manne nehmen, so will ich dir das Tuch wiedergeben.“ In ihrer Not versprach die Jungfrau alles. Kaum war das geschehen, so kam eine mächtige Welle daher, welche dicht vor dem Mädchen schäumend zusammenbrach. Als der weisse Schaum verrauscht war, lag das kostbare Tuch zu ihren Füssen. Die Jungfrau trocknete dasselbe in der Sonne, dann brachte sie es ihrer Herrin.

Als der Abend hereingebrochen war, entstieg dem Meere eine gewaltige Schlange. Die Schlange näherte sich dem Hause, in welchem die Jungfrau wohnte und rief vor ihrer Thür: „Liebes Mädchen, liebes Mädchen, öffne die Thür. Hast du vergessen, was du versprochen?“ Schnell öffnete die Jungfrau die Thür und die Schlange kam zu ihr in das Zimmer. „Liebes Mädchen, liebes Mädchen“, sprach die Schlange, „gieb mir zu essen, denn ich bin sehr hungrig.“ Schnell holte das Mädchen Milch und Brot herbei. Die Schlange liess es sich gut schmecken.

[190] Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen und die Schlange sprach, als sie sich gesättigt hatte: „Liebes Mädchen, liebes Mädchen, trag’ mich in das Bett.“ Kaum war dies geschehen, so sprach die Schlange wieder: „Liebes Mädchen, liebes Mädchen, es ist so kalt hier im Bett, erwärme mich, du bist doch dessen eingedenk, was du mir am Strande des Meeres versprochen hast, als du meine Hilfe annahmst!?“ Als die Jungfrau an ihr Versprechen gemahnt wurde, blieb ihr nichts übrig, als dem Verlangen der Schlange nachzukommmen. Voll Entsetzen suchte sie die Schlange zu erwärmen. Diese schlief bald ein, sie selbst aber konnte vor Angst und Abscheu kein Auge schliessen.

Endlich krähte der Hahn und verkündete die Ankunft des Morgens. Indem erwachte auch die Schlange und sprach: „Liebes Mädchen, liebes Mädchen, der Morgen ist genaht, stehe auf und zünde Feuer im Ofen an, es wird kalt sein, wenn ich das Bett verlasse“. Die Jungfrau sprang voll Freude aus dem Bett und in kurzer Zeit loderte ein helles Feuer im Ofen. Sobald der Glanz des Feuers im Zimmer aufleuchtete, sprach die Schlange: „Liebes Mädchen, liebes Mädchen, nimm mich und wirf mich in das Feuer.“ Mit einem lauten Freudenschrei schleuderte das Mädchen mit aller Kraft die Schlange in die lodernde Glut; aber in demselben Augenblick erscholl ein furchtbarer Krach, der Ofen brach auseinander und vor dem erschrockenen Mädchen stand ein schöner, blühender Jüngling in kostbarer, reichgeschmückter Kleidung. Der Jüngling sprach: „Schönes Mädchen, du hast mich erlöst. Ich bin ein Prinz, welcher verzaubert war, dir danke ich meine Erlösung, fortan werde ich König sein. Mein Schloss steht mitten im Meere, ich will dich zu meiner Gemahlin erheben und du wirst fortan Königin des Meeres sein.“

Die Jungfrau folgte ihrem künftigen Gemahl freudig zur Kapelle, in welcher die Trauung sogleich vollzogen ward. Darauf forderte der junge König seine Gemahlin auf, von der Witwe und deren Tochter Abschied zu nehmen und ihm sogleich zu folgen; „denn“, sagte er, „die Witwe gönnt uns das Glück doch nicht, welches unsrer wartet, sie würde viel lieber ihre Tochter an deiner Stelle sehen, deshalb wollen wir eilen, dich ihren Nachstellungen zu entziehen.“

Nachdem die soeben Vermählte sich von der Witwe und ihrer Tochter verabschiedet hatte, ging sie mit ihrem Gemahl an den Strand des Meeres. Als sie dort waren, schlug der junge König mit einem Stabe in das Wasser; sogleich teilte sich dasselbe und ein trockener Pfad führte zum Schloss des Königs. Der König und seine schöne Gemahlin lebten fortan glücklich in dem prächtigen Schlosse mitten im Meere und nur einmal im Jahre, und zwar an dem Hochzeitstage, kommen sie an das Land mitten durch die Wogen des Meeres auf dem Pfade, welchen der Stab des Königs schafft, und beschenken die Bewohner des Landes mit kostbaren Gaben. Darauf kehren sie stets wieder zurück in ihr Schloss.

[191]
2. Der Bote aus dem Himmel.

Auf einem Gute lebte einst ein Ehepaar, welches man für ebenso reich als geizig hielt. Kein Fremder durfte das Gehöft betreten, denn die Leute waren stets in Sorge, es könnte ihnen etwas gestohlen werden. Ihr einziger Sohn war gestorben, soviel sie auch versucht hatten, ihn am Leben zu erhalten.

Eines Tages geschah es, dass die Frau des Gutsbesitzers auf dem Hofe einen Fremden erblickte. Ihr Mann war gerade ausgefahren und so schickte sie denn einen von ihren Leuten ab, den Fremden vom Hofe zu jagen. Kaum hatte der Fremde gehört, dass er den Hof verlassen sollte, so sagte er zornig: „Was, Ihr wollt mich vertreiben? Ich bin im Himmel gewesen, habe auf Erden eine Kirche erbaut und sehe mich nach einer Stelle um, von welcher ich wieder in den Himmel emporsteigen kann. Ihr habt kein Recht, mir zu nahe zu treten.“ Sobald die Frau gehört hatte, was der Fremde gesagt hatte, liess sie diesen zu sich kommen. „Wenn Ihr im Himmel gewesen seid“, sagte sie zu ihm, „habt Ihr auch wohl dort meinen Sohn gesehen?“ „Gewiss“, antwortete der Fremde, „er befindet sich sonst wohl, nur fehlt es ihm an Geld, auch sind seine Kleider sehr abgetragen.“ „Da seid Ihr wohl so gut“, bat die Frau, „und nehmt ihm Geld und Kleidungsstücke mit, wenn Ihr in den Himmel steigt?“

Der Fremde erklärte sich dazu bereit. Er wurde von der Frau gut bewirtet, erhielt Geld und Kleidungsstücke, dann machte er sich damit auf den Weg.

Sobald der Gutsbesitzer nach Hause gekommen war, erzählte ihm die Frau voll Freude das Vorgefallene. Allein ihr Mann merkte sogleich, dass seine Frau es mit einem Schwindler zu thun gehabt habe. Er schalt sie wegen ihrer Leichtgläubigkeit tüchtig aus. Um dem Schwindler seine Beute wieder abzunehmen, liess er sich ein Pferd satteln und machte sich auf, ihn zu verfolgen. Er war auch noch nicht weit geritten, so sah er neben dem Wege einen Mann, welcher über einen Heuhaufen gebückt dastand. Der Gutsbesitzer rief ihm zu: „Habt Ihr nicht einen Mann gesehen, welcher mit einem Bündel Kleidungsstücke hier vorbeigekommen ist?“ „Gewiss“, gab der Angeredete zurück, „er schien es sehr eilig zu haben“. „Wohin ist er gegangen”“ fragte der Reiter. „Das liesse sich wohl beschreiben“, entgegnete der Angeredete, „aber wenn Euch so viel daran liegt, den Landstreicher zu haben, so gebt mir Euer Pferd und achtet in der Zeit auf meine Bienen, die hier unter dem Heu sind, ich will den Gesuchten bald herbeibringen.“

Dem Gutsbesitzer gefiel das, er stieg vom Pferde, auf welches sich der Fremde schwang, nachdem er den Besitzer desselben noch alles Mögliche vorgesprochen hatte, wie er auf die Bienen achten müsse. Darauf ritt der Fremde davon. Es wäre ihm nun wohl ein Leichtes gewesen, den Gesuchten zu finden, denn niemand anders als er selbst war es, aber er mochte wohl seine Gründe haben, mit dem erhaltenen Geld und den Kleidungsstücken, welche er bereits trug, eilig auf Nimmerwiedersehen davon zu reiten. Der Gutsbesitzer stand und wartete in seiner gebückten [192] Stellung lange, aber vergeblich. Endlich kam ihm der Argwohn an, auch er möchte getäuscht sein. Er schob das Heu beiseite, da waren aber keine Bienen darunter, sondern die alten abgetragenen Kleidungsstücke, welche der Fremde mit den erhaltenen ausgetauscht und hier versteckt hatte.

Dem Gutsbesitzer blieb schliesslich nichts übrig, als wieder nach Hause zu gehen. Er hatte nun zu dem Schaden noch den Spott, dass er gleichfalls von dem Gauner angeführt war, und dass er den Heimweg zu Fuss hatte machen müssen, während er doch zu Pferd ausgezogen war, den Schwindler zu fangen.


3. Der Zigeuner und der Teufel.

In einem grossen tiefen See hielt sich der Teufel auf; viele Menschen waren ihm bereits zum Opfer gefallen. Der König des Landes sorgte um das Leben seiner Unterthanen und sann vergeblich auf Mittel, den Teufel aus dem See zu vertreiben. Endlich liess er bekannt machen, dass derjenige, welcher dies fertig bringe, bei ihm in dem Königsschlosse wohnen und täglich mit ihm speisen solle. Nun versuchte zwar mancher sein Heil, den Teufel zu beschwören, allein dieser kümmerte sich um solches Thun und Treiben nicht, sondern hielt sich nach wie vor im See auf und forderte ein Opfer nach dem andern.

Da liess sich eines Tages ein Zigeuner bei dem König melden und erklärte diesem, er sei bereit, es mit dem Teufel aufzunehmen. „Gut“, erwiderte der König, „wenn du das fertig bringst, so werde ich mein Wort halten.“ Der König hoffte aber, der Zigeuner werde kein Glück haben, denn angenehm war ihm der Gedanke nicht, täglich einen Zigeuner am Tisch zu sehen.

Der Zigeuner machte sich auf, führte sein kleines Pferd am Zaume hinter sich her, bis er zum See kam, dann legte er sich an den Rand desselben in das hohe Gras und wartete auf den Teufel. Dieser stieg auch bald aus dem See auf und warf sich auf den Zigeuner, um ihn zu fressen. „Gemach, mein Lieber“, sagte aber der Zigeuner mit der grössten Seelenruhe, „so schnell geht das nicht; erst wollen wir einmal unsere Kräfte versuchen. Wenn ich unterliege, so magst du mich fressen, wenn du mir aber nicht gewachsen bist, so verlässt du diesen See und hältst dich fortan wo anders auf.“

Der Teufel ging auf den Vorschlag ein. „Nun gut“, sagte der Zigeuner, „so trage mein Pferd zwischen den Beinen dreimal um den See herum.“

Das war eine schwierige Aufgabe für den Teufel, welcher niemals jemand hatte reiten sehen. Mühselig schleppte er sich, das Pferd zwischen den Beinen, um den See herum, dann aber hatte er genug und forderte den Zigeuner auf, es besser zu machen. Dieser bestieg sein Pferd und trabte dreimal lustig um den See herum. Der Teufel staunte über das, was er gesehen hatte, und forderte den Zigeuner auf, in seine Dienste zu treten. Der Zigeuner nahm das Anerbieten an und beide machten sich auf, da der Teufel nun doch einmal den See verlassen musste, in die Hölle hinabzufahren.

Hier sann der Teufel darauf, wie er den Zigeuner fange, denn er ärgerte sich nicht wenig, dass er diesem unterlegen war. Endlich fiel ihm [193] etwas ein, was der Zigeuner nach seiner Ansicht gewiss nicht leisten könnte. Laut aber sprach er: „Hole mir drei Fass Wasser aus dem See, aber du musst alle drei Fass mit einem Male bringen.“ „Wenn es weiter nichts ist“, sagte der Zigeuner, „das ist für mich eine Kleinigkeit.“ Aber bei sich dachte er, „Alle Wetter, das ist eine hässliche Geschichte.“ Doch bald wusste er sich zu helfen. Er begann mit aller Ruhe Stricke zu drehen. „Was machst du denn da?“ fragte der Teufel. „Ich drehe Stricke, damit ich gleich den ganzen See herbeiziehen kann. Dann brauchst du nicht die drei Fässer und hast stets so viel Wasser, als du dir nur wünschen kannst.“ „Lieber, das lass nur bleiben“, sagte der Teufel, „meine Kinder sind blind, sie könnten in das Wasser geraten und darin ertrinken.“

Am andern Tage kam der Teufel wieder zu dem Zigeuner und sagte diesem: „Hole mir drei Eichen aus dem nächsten Walde.“ „Sogleich“, antwortete der Zigeuner, und wieder machte er sich daran, Stricke zu drehen. „Was treibst du da?“ fragte der Teufel. „Ich drehe mir nur Stricke,“ erwiderte der Zigeuner, „was soll ich mich erst mit drei Eichen schleppen, ich will lieber gleich den ganzen Wald herbeiziehen.“ „Nein, nein“, sagte der Teufel, „das lass lieber bleiben, meine Kinder sind blind, sie könnten über die Eichen fallen und sich das Genick brechen.“

Dem Teufel war die Sache mit dem Zigeuner nicht geheuer. Er wollte ihm lieber den Lohn geben und ziehen lassen, als noch länger den gefährlichen Knecht in der Hölle zu haben. „Gut“, sagte der Zigeuner, „aber bevor du mir den Lohn giebst, lass mir eine gute Suppe kochen, ich bin nun schon so lange bei dir und du hast mir auch nicht einen Löffel Suppe gereicht. Aber lass nicht zu wenig kochen.“

Der Teufel liess einen ganzen Kessel voll Suppe kochen und dem Zigeuner bringen. Dieser hatte aber heimlich ein Loch gegraben und sich darauf gesetzt. Er setzte den Kessel an die Lippen und schlürfte behaglich die Suppe, sobald aber der Teufel den Rücken gewandt hatte, goss er die Suppe in das Loch und schrie: „Was ist das? Der Kessel ist leer, noch nicht einmal an Suppe giebt es hier soviel als man begehrt. Lass nur mehr kochen.“ Und richtig, die Teufel mussten drei Kessel Suppe kochen, welche der Zigeuner alsobald verschwinden liess.

Nun wurde aber der Teufel ungeduldig, noch immer solchen Gast in der Hölle zu haben. „Gut“, sagte der Zigeuner, „ich gehe schon, aber du musst mich selbst auf die Oberwelt bringen.“ Dem Teufel blieb nichts übrig, als den gewünschten Dienst zu leisten.

Der Zigeuner ging darauf zum König. Dieser hatte keine Neigung, den Zigeuner als täglichen Tischgast bei sich zu sehen und bot ihm eine grosse Abfindungssumme an, welche der Zigeuner auch nahm. Allein bald reute es den König, sein Wort nicht gehalten zu haben, da doch der Zigeuner das Land von der Anwesenheit des Teufels befreit hatte. Er befahl, dass man den Zigeuner wieder herbeihole, liess demselben das Geld und behielt ihn bei sich. Der Zigeuner aber hatte es fortan besser als der König selbst, denn er hatte keine Sorge, wohnte im Schlosse, ass an der königlichen Tafel und hatte so viel Geld, dass er gar nicht damit fertig wurde, soviel er auch ausgab.

Anmerkungen (Wikisource)

Die Märchen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter:

  1. Das Mädchen und die Schlange
  2. Der Bote aus dem Himmel
  3. Der Zigeuner und der Teufel