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Lippspringe und seine Umgebung

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Textdaten
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Autor: Gustav Natorp
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Titel: Lippspringe und seine Umgebung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 476–479
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[476]

Lippspringe und seine Umgebung.

Zur Erinnerung an das fünfzigjährige Bestehen seines Bades.
Von Dr. Gustav Natorp.

Wer von der Weser her, da wo die alte Benedictinerabtei Corvey neben dem Städtchen Höxter aus den dunklen Bäumen hervorschaut, auf dem westwärts führenden Schienenwege dem Rhein zueilt, der erblickt, nachdem der Zug die Höhen des Osning und die mächtigen Viaducte von Altenbecken und Neuenbecken überschritten hat, sehr bald das altehrwürdige Paderborn. Das Gebiet, welches sich um diesen Ort ausdehnt und in mächtigem Bogen dort von dem Teutoburger Walde, hier von den letzten Abhängen

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Lippspringe und Umgebung. Nach der Natur aufgenommen von C. Grote.
1. Lippspringe. 2. Ein Stück Urwald. 3. Thal bei Neuenbecken. 4. Viaduct bei Altenbecken. 5. Ruine der Tempelherrnburg in Lippspringe. 6. Hermanns-Denkmal. 7. Externsteine. 8. Paderborn. 9. Rathhaus, 10. Domportal, 11. Mariensäule, 12. Gauthurm in Paderborn.

[478] des Sauerländischen Gebirges umzogen wird, bildet das große Reservoir, aus welchem die westfälische Ebene durch die Gewässer der Lippe und der Ems gespeist wird. Auf einer Entfernung von nur wenigen Stunden entspringen hier die zahllosen Quellen, deren Rinnsale sich zu den gedachten Flüssen vereinen.

Unser Besuch in diesem Quelllande soll zunächst nicht der alten Paderstadt, sondern dem eine Meile weiter nordwärts um die Hauptquellen der Lippe gelegenen Städtchen Lippspringe gelten, das sich durch seine vor nunmehr fünfzig Jahren entdeckte segenbringende Heilquelle einen bis in die weiteste Ferne reichenden Ruhm errungen hat. Die Bescheidenheit seiner Lage inmitten einer mit wenigen landschaftlichen Reizen ausgestatteten Gegend kam der Entwickelung des Lippspringer Curortes nicht sonderlich fördernd entgegen, allein der hohe Werth seiner Warmquelle ersetzte manche Vorzüge anderer bewährter Bäder, und so zog der kleine anspruchslose Ort von Jahr zu Jahr eine größere Zahl von Leidenden herbei, die hier Genesung suchten; zur Zeit mag die Zahl der Curgäste, die hier jährlich verweilen, annähernd 3000 betragen.

Die Quelle, welche diese wachsende Anziehungskraft ausgeübt und schon manchem ihrer Besucher Heilung oder doch Linderung seiner Leiden gebracht hat, wurde im Jahre 1832 zufällig bei der Vertiefung eines Abzugsgrabens der Lippe entdeckt und sehr bald wegen ihrer verhältnißmäßig hohen Temperatur und des röthlichen Niederschlages ihres Wassers als Mineralquelle erkannt. Bald wandte sich die Aufmerksamkeit der staatlichen Behörden, wie der Männer der Wissenschaft der entdeckten Quelle zu, und da die Ergebnisse der von beiden Seiten veranstalteten Untersuchungen sich günstig erwiesen, so wurden die für einen Bade-Ort erforderlichen Einrichtungen getroffen. Das Bad ist indessen von Anfang an bis heute in Privatbesitz geblieben und seit 1844 das Eigenthum der Erben der Herren Risse und Hesse in Paderborn.

Zur Erinnerung an den Befreier Deutschlands von römischer Fremdherrschaft ward der Therme von ihren Entdeckern der Name Arminius-Quelle beigelegt, Sie besitzt stets die Wärme von 17° Réaumur und hat eine Ergiebigkeit, die sich nach den bei ihrer letzten Fassung im Jahre 1869 angestellten Messungen auf 500 Liter in der Minute beläuft. Das Wasser ist von krystallhellem Aussehen, ohne jeglichen Geruch und zeigt frisch aufgefangen eine mäßige Gasentwickelung. Ihre Bedeutung und Heilwirkung wurde zum ersten Male in eingehenderer wissenschaftlicher Weise durch den Kreisphysicus Dr. Piper in einer im Jahre 1841 erschienenen Brunnenschrift dargelegt.

Seitdem haben weitere Forschungen und analytische Untersuchungen, sowie die im Laufe der Jahre gesammelten praktischen Erfahrungen dargethan, daß man zwar im Anfange die Heilkraft der Quelle einigermaßen überschätzt hatte, indem man glaubte, sie gegen alle möglichen Krankheiten in Anwendung bringen zu können, daß sie aber in ihrer Zusammensetzung, die sie kurz als eine stickstoffreiche Kalktherme mit mäßigem Glaubersalz- und schwachem Eisengehalt qualificirt, für manche Krankheiten der Athmungsorgane von unschätzbarem Heilwerthe ist. Die günstigen klimatischen Verhältnisse des Curortes, die verhältnißmäßig geringen Schwankungen der Temperatur während der Sommermonate, die reine, milde und feuchtwarme Luft, welche der Ort dem großen Wasserreichthum der Gegend verdankt, treten den Wirkungen der Therme fördernd zur Seite und machen Lippspringe zugleich zu einem wohlthuenden Aufenthalte für Brustkranke. Wer sich im Uebrigen genauer über die Heilmittel und Heilwirkungen des Bades unterrichten will, dem empfehlen wir die Schriftchen, welche in den letzten Jahren von den Brunnenärzten Dr. Dammann und Dr. Rhoden veröffentlicht wurden.

Die Einrichtungen und Umgebungen des Bades haben im Laufe der Jahre eine Ausstattung und Ausdehnung erfahren, wie sie der Zunahme seiner Gäste entsprach, sodaß Lippspringe heute mit jedem anderen Curorte von ähnlichem Umfange den Vergleich aushalten kann. Die geschmackvollen Anlagen des Curgartens, die frischen Rasenplätze mit ihren freundlichen Blumenbeeten und dunklen Baumgruppen, durch welche sich die kalkweißlichen Pfade nach allen Seiten hindurchschlängeln, die Menge lauschiger, zum Sitzen einladender Plätze, die hellen Gewässer der Lippe und des Jordan, welche den Park auf seiner nordwestlichen Seite durchrieseln, die Stimmen der zahlreichen Singvögel, welche sich an warmen Sommertagen aus Strauch und Baum vernehmen lassen – Alles das muthet in seiner idyllischen Einfachheit den Besucher heimisch an und trägt nicht wenig dazu bei, den Aufenthalt der Gäste zu einem behaglichen zu machen.

Rings um den Park erheben sich die den Curzwecken dienenden Gebäulichkeiten: auf der Westseite, da, wo sich der Garten nach der Lippe und ihrem Zufluß, dem Jordan zu absenkt, die Brunnenhalle nebst der Colonnade, die Inhalatorien zum Einathmen des Stickgases, die Douche mit ihren Cabinets, die Badehäuser, die Musikhalle, auf der Anhöhe in entgegengesetzter Richtung das ältere und das neuere Curhaus, auf der Südseite endlich verschiedene Wirthschaftsgebäude und die Ueberreste der alten Tempelherrenburg. Seit einigen Jahren ist auch die mit zierlichen Grotten eingefaßte Jordanquelle in den Bereich der Anlagen hineingezogen worden; es eröffnet sich von diesem Theile des Parkes aus ein freier Rundblick auf die umliegende Landschaft und die den Horizont begrenzenden Höhen des Teutoburger Waldes.

Im Uebrigen sucht man das, was dem Leben in anderen Bädern seinen eigenthümlichen Charakter aufzuprägen pflegt, wenn man von den täglichen Concerten der Cur-Capelle absieht, in Lippspringe vergebens; auf Unterhaltungen, wie Theater, größere musikalische Aufführungen, öffentliche Vorträge, muß der Lippspringer Badegast von vornherein verzichten und seine Erholung in der Stille und Ruhe suchen, wie sie eben nur ein einfacher ländlicher Aufenthalt gewähren kann und wie sie sich schließlich auch für die an unserer Quelle Genesung Suchenden am zweckmäßigsten und wohlthuendsten erweisen dürfte. Auch der Ort, welcher das Bad umgiebt, obgleich er bereits seit dem Jahre 1400 durch das ihm von dem Paderborner Bischof ertheilte Privilegium die Rechte einer Stadt genießt und obgleich er in den letzten fünfzig Jahren ein überaus freundliches Aussehen gewonnen hat, bietet doch noch heute im Allgemeinen eher das Bild eines größeren Dorfes, als das eines ansehnlichen städtischen Gemeinwesens.

Eine andere Physiognomie zeigt uns freilich die Landschaft, wenn wir uns in die weitere Umgebung Lippspringes begeben: es fehlt alsdann nicht an zahlreichen Punkten, die mit allen Reizen der Natur ausgestattet sind, und an viele dieser Punkte knüpfen sich Erinnerungen von mancherlei Art an eine bedeutsame Vergangenheit. Dieses ganze Gebiet, das Quellland der Lippe und der Ems mit den Höhen, welche es in vielen Bogen umziehen, ist für die Geschichte Deutschlands ein wahrhaft classischer Boden, wie wenige andere Gaue unseres Vaterlandes; denn zweimal im Laufe der Jahrhunderte wurde auf ihm über das Geschick unseres Volkes auf lange Zeit hinaus entschieden: das eine Mal im Anfang unserer Zeitrechnung, als der Sieg des Arminius und seiner tapferen Cheruskerschaaren unsere Nation vor dem Schicksale bewahrte, gleich den Galliern und anderen Völkern Europas romanisirt zu werden, das andere Mal – acht Jahrhunderte später — als das Land zwischen Rhein und Weser der fränkischen Herrschaft unterworfen und das Sachsenvolk von den Siegern zur Annahme des christlichen Glaubens gezwungen wurde.

Schon vor der Niederlage des Varus im Teutoburger Walde hatte Drusus und nach ihm sein Bruder Tiberius den Versuch gemacht, das Land in römische Gewalt zu bringen. „An den Quellen der Lippe“ hatten sie ein festes Castell, Aliso genannt, gebaut, wahrscheinlich an Stelle des heutigen Dörfchens Elsen, wo Pader und Lippe sich vereinen. Aehnlichen Versuchen wurde mit der Heldenthat Hermann’s ein für alle Mal ein Ende gemacht. Die germanischen Völkerstämme gingen seitdem von der Abwehr zum Angriffe über, bis das römische Weltreich unter ihren Streichen in Trümmern zusammensank.

Bekanntlich ist es noch nicht möglich gewesen, auf Grund der Angaben der römischen Schriftsteller den Ort mit unanfechtbarer Bestimmtheit zu bezeichnen, „wo Hermann den Varus schlug“, obgleich ganze Bibliotheken über diese Frage zusammengeschrieben worden sind. Das Schlachtfeld ist von den Alterthumsforschern, wie ein neuerer Geschichtsschreiber bezeichnend bemerkt, von einem Ende Westfalens bis zum andern hin und her gezerrt worden. Heute hat man sich indeß dahin geeinigt, den Schauplatz der bedeutungsvollen Katastrophe zwei Meilen nördlich von Lippspringe in den Schluchten des Gebirges zu suchen, und so hat auch der Bildhauer Bandel dem Riesenstandbilde des Befreiers Germaniens, an welchem er nahezu vier Jahrzehnte sich abmühte, bis es im Jahre 1875 vollendet und feierlich eingeweiht wurde, oberhalb jener Schluchten auf der Grotenburg seine Stelle gegeben, da, wo sich über die [479] dunklen Waldungen an den Bergabhängen eine weite, großartige Fernsicht über die Ebene der rothen Erde eröffnet.

Näher bei Lippspringe und auch mitten im Osning an der von Paderborn nach Detmold führenden Landstraße, erhebt sich eine unter dem Namen der „Externsteine“ (vergl. Jahrgang 1862, Seite 380 und 1877, Seite 552) bekannte Gruppe von wundersam aufragenden Felsmassen, die, gleich dem Hermanns-Denkmal, gern von Nah und Fern aufgesucht werden. Bis in das sechszehnte Jahrhundert waren die Steine im Besitze des Benedictinerklosters Abdinghof in Paderborn, dessen Mönche in den Aushöhlungen der Felsen verschiedene Vorkehrungen zur Abhaltung des Gottesdienstes trafen. „Bey solchen hohen Steinen seindt,“ wie eine Lippesche Chronik berichtet, „bey alten Zeiten viel Zeichen undt Wunder geschehen, die einen grossen Concursum (Zusammenlauf) vieler bekannten und unbekannten Leuthe daselbsten zusammengebracht haben.“

An der nordöstlichen Seite eines der Felsen befindet sich ein großes Sculpturwerk, welches schon die Aufmerksamkeit Goethe’s auf sich zog und ihn zu einer eingehenden Untersuchung über die Entstehung der bildlichen Darstellungen und ihres Zusammenhanges mit der christlichen Kunst der Byzantiner veranlaßte. Das Hauptbild stellt die Abnahme Christi vom Kreuze in Lebensgröße, halb erhaben, dar. „Die Composition des Bildes,“ bemerkt Goethe, „hat wegen Einfalt und Adel wirkliche Vorzüge. Vorzüglich loben wir den Gedanken, daß der Kopf des herabsinkenden Heilandes an das Antlitz der zur Rechten stehenden Mutter sich lehnt, ja durch ihre Hand sanft angedrückt wird – ein schönes, würdiges Zusammentreffen, das wir nirgends wieder gefunden haben, ob es gleich der Größe einer so erhabenen Mutter zukommt.“ Ueber der rechten Seite des Kreuzes ist Gott Vater dargestellt als der „Alte der Tage“, mit Bart und herabwallendem Haupthaar; zur Rechten und zur Linken erscheinen personificirt Sonne und Mond, beide weinend und Thränentücher haltend, als ob sie damit ihr Gesicht verhüllen wollten, um nicht die Uebel zu sehen, die mit dem Bau der Welt verknüpft sind.

Das zweite Gruppenbild, welches unter dem ersten sich befindet, hat einen Mann und eine Frau, wohl Adam und Eva, zum Gegenstande, die von einem löwenklauigen Schlangendrachen, dem Princip des Bösen, umschlungen sind und die, da die beiden Hauptweltmächte einander das Gleichgewicht halten, nach Goethe’s Ansicht durch das obere große Opfer kaum zu retten sein möchten.

Wir wenden uns nach dieser Abschweifung in die Schluchten des Osning wieder der Ebene zu und statten zuletzt derjenigen Stätte unseren Besuch ab, von welcher aus die Bevölkerung des umliegenden Gebietes für den christlichen Glauben gewonnen wurde. Rings um die Quellen der Lippe und der Pader wählte wiederum, wie es acht Jahrhunderte früher von den Römern geschehen war, der mächtige Frankenkönig Karl der Große sein Standquartier, um das widerspenstige Sachsenvolk, das inzwischen seit der römischen Invasion in das Land eingewandert war, zur Unterwerfung und zur Abschwörung seines heidnischen Glaubens zu zwingen. An den Quellen der Lippe wurden bei seiner ersten Anwesenheit im Jahre 775 Tausende zwangsweise getauft, und zur Erinnerung an diese Begebenheit erhielt der Jordan seinen Namen.

Zwei Jahre später wurde dann an den Paderquellen der erste große Reichstag auf sächsischem Boden abgehalten, welcher Anlaß zu dem Zuge geben sollte, der später von Karl nach Italien unternommen wurde und ihm die römische Kaiserkrone einbrachte. Bei „Padresbrunnen“, da wo die Pader in nicht weniger als 198 Quellen mit einer Wassermasse von 200 Cubikfuß in der Minute aus dem Boden emporspringt, wurde dann 795 eine Kirche „von wunderbarer Größe“ erbaut und das Bisthum Paderborn gegründet, welches fortan den Mittelpunkt der geistlichen und bald auch der weltlichen Macht für das umliegende Gebiet abgeben sollte.

Seit den Tagen Wittekind’s hört unsere Landschaft auf, der Schauplatz hervorragender politischer Ereignisse zu sein. Ihre Schicksale bewegen sich in dem engen Rahmen eines wenig ausgedehnten Bischofssprengels. Lange Jahre führte die Stiftung Karl’s ein bescheidenes Dasein, und erst zu Anfang des elften Jahrhunderts war es der kluge, energische, vor keinen Hindernissen zurückschreckende und in der Wahl seiner Mittel nicht verlegene Bischof Meinwerk, der mit Hülfe seiner Anverwandten, der Kaiser Heinrich des Zweiten und Conrad des Zweiten, das Paderborner Hochstift zu größerem Ansehen und Besitz emporhob. Er unterzog während seiner Regierungszeit nicht nur den Dom und andere kirchliche Gebäude einem Umbau, sondern er fügte denselben auch das Kloster und die Kirche von Abdinghof, die Busdorfskirche und die Bartholomäus-Capelle hinzu und gab durch diese umfassenden Bauten der Stadt die ansehnliche äußere Physiognomie, welche sie bis dahin im Allgemeinen bewahrt hat. Die in der Nähe des Nordportales des Domes gelegene Bartholomäus-Capelle gilt für eines der interessantesten Baudenkmäler Westfalens.

Kräftig und fröhlich blühte in den folgenden Jahrhunderten, namentlich in den Zeiten der Hanse, auch die Stadt in Handel und Wandel empor, bis der Gegensatz, der sich hier, wie in vielen anderen Bischofsstädten, schon früh zwischen der Bürgerschaft und dem geistlichen Oberherrn entwickelte, den Anlaß zu ihrem Niedergange gab. Wiederholte Gewaltthätigkeiten nöthigten die Bischöfe zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, ihren Wohnsitz aus der Stadt nach dem festen Schlosse Neuhaus zu verlegen.

Die durch die Reformation hervorgerufenen Gährungen führten in Paderborn zwar nicht zu so blutigen Episoden, wie in dem Zion der Wiedertäufer, in Münster, aber die Erschütterungen, welche die Stadt Jahrzehnte hindurch erlitt, waren hinreichend, um sie der äußersten Armuth preiszugeben. Im Kampfe um bürgerliche und religiöse Unabhängigkeit entwickelten die Paderborner einen Muth, eine Ausdauer, die den Vergleich mit anderen Ruhmesthaten des deutschen Bürgerthums aushält.

Die Entscheidung des Kampfes fällt in die Wende des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts. Auf der einen Seite stand der Bischof Dietrich von Fürstenberg, ein alter, berechnender, vor keinem Gewaltschritte zurückschreckender, von Fanatismus erfüllter Mann, und der Orden der Jesuiten, den er zu seiner Hülfe herbeigeholt hatte, auf der anderen der Bürgermeister Borius Wichart, der unermüdliche, unerschrockene Vorkämpfer für die althergebrachten Rechte der Stadt und für Glaubensfreiheit. Lange wogte der Streit unentschieden hin und her; endlich entschied sich das Kriegsglück für den Bischof und seine Jesuiten. Wichart wurde gefangen genommen und unter den entsetzlichsten Martern vor den Augen des Bischofs geviertheilt. Eine ergreifende Schilderung dieses Trauerspiels, in dessen letztem Acte Alles zu Grunde ging, was die Stadt belebte, Recht und Freiheit, Bürgerstolz und evangelischer Glaube, hat uns unlängst Franz von Löher[WS 1] in seinem Werke „Geschichte des Kampfes um Paderborn 1597 bis 1604“ gegeben, das jeder nur mit tiefer Bewegung lesen wird.

Bis zum Tode erschöpft ging Paderborn aus dem Bürgerkriege hervor, aber das Ende seiner Leiden war noch lange nicht gekommen; denn nun brausten auch noch die Stürme des großen deutschen Krieges dreißig Jahre hindurch über die arme Stadt und ihre Umgebung dahin. Wie der Herzog Christian von Braunschweig – „den tollen Christian“ nennen ihn die Bauern des Landes bis heute – in dem Bisthum hauste, ist weltbekannt. Keine andere Stadt, sagt Löher[WS 1], wurde so oft belagert, erstürmt, ausgeplündert. Zu Anfang des Krieges hatte Paderborn noch 1200 geschworene Bürger, ohne die vielen Insassen, am Ende des Krieges nur 500. Die besseren Familien waren sammt und sonders gestorben und verdorben; ganze Häuserreihen lagen in Trümmern. Das arme elende Volk hatte weder in Rechts- noch in Religionssachen einen anderen Willen mehr, als den seines fürstlichen Beherrschers. Die Jesuiten hatten vollständig gesiegt. Paderborns Ruhm bestand fürderhin darin, als das westfälische Ingolstadt zu gelten.

Die neuere Zeit hat auch Paderborn allmählich die Wunden geheilt, die ihm die Erschütterungen früherer Jahrhunderte geschlagen. Wenn es sich auch nicht so rasch wieder emporgeschwungen hat, wie manche seiner westfälischen Schwesterstädte, so bildet es doch, reich an alterthümlichen und interessanten Bauten, unter denen wir nur das Rathhaus, das Domportal, den Gauthurm und die Mariensäule besonders hervorheben, einen der anziehendsten Punkte der rothen Erde.

Lippspringe theilte die Schicksale seines mächtigen Vororts. Seine zum Schutze der Ansiedelungen errichtete Burg wurde, als ihr ursprünglicher Zweck hinfällig geworden, an verschiedene Grafen und Herren verpachtet und sank während des Dreißigjährigen Krieges mit einem Theile des Städtchens in Trümmer.

Mit der Entdeckung der Arminins-Quellen ist die Stadt zu neuem Leben erwacht. Heute, wo sie auf eine fünfzigjährige Vergangenheit ihres Bades zurückblicken kann, wollen wir die Hoffnung aussprechen, daß der kleine Curort auch in dem zweiten halben Jahrhundert, in welches er nunmehr eintritt, seinen alten Ruf in Ehren aufrecht erhalten möge.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b korrigiert, Vorlage: Löser