Leopold von Dessau und die Annaliese
[687] Leopold von Dessau und die Annaliese. (Zu dem Bilde S. 672 und 673.) Wer kennt ihn nicht, den „Alten Dessauer“, dessen Name ein halbes, an Kriegen und Schlachten überreiches Jahrhundert erfüllt, dessen Andenken der „Dessauer Marsch“ bis in unsere Tage herein lebendig erhält, der unter dem Großen Kurfürsten als blutjunger Regimentskommandeur seine Sporen verdiente und noch Friedrich dem Großen seine ersten Siege gewinnen half? Fast ebenso bekannt wie sein Schlachtenruhm ist seine heiße Liebe zu der Anna Luise Föse, der „Annaliese“ oder „dem lieben Wiesgen“, wie er sie selbst in seinen Briefen nennt. Sie war die schöne und reichbegabte Tochter eines Apothekers zu Dessau; von ihrem siebenten Jahre an war sie mit dem um ein Jahr älteren, 1676 geborenen Fürstensohne zusammen aufgewachsen und Leopold gleich von Anfang an der holden Gespielin überaus gewogen, die allein seine fast unbezähmbare Wildheit und seinen halsstarrigen Trotz zu bändigen vermochte. Mit den Jahren aber erwuchs aus dieser kindlichen Zuneigung eine wilde Leidenschaft, die das ganze Wesen des heißblütigen Jünglings beherrschte. Vergebens suchte die Mutter des Prinzen durch Trennung der Liebenden die Flamme zu ersticken, vergebens schickte sie den Sohn im November 1693 mit dem Marquis von Chalisac auf eine mehr als jahrelange Reise nach Italien, damit er in dem rauschenden Leben der dortigen Fürstenhöfe der heimischen Geliebten vergäße, es war alles umsonst – kaum nach Dessau zurückgekehrt, ritt er am Schloß und an der Ehrengarde vorüber vor das Haus der Geliebten, um dann erst im Schlosse seine Mutter zu begrüßen. Ein furchtbares Ereigniß belehrte diese endlich, welch elementare Gewalt der Leidenschaft sie sich im Kampfe gegenüber hatte. Unter den Mitteln und Mittelchen, die sie ergriff, um dem Sohne die unebenbürtige Heirath zu verleiden, war auch das, Leopold die Treue seiner Geliebten verdächtig zu machen. Ein junger Arzt, Verwandter der Anna Luise, war von weiten Reisen zurückgekehrt und bezeigte der schönen Base harmlose Aufmerksamkeit. Kaum hatte die Mutter bemerkt, daß die Eifersucht Leopold zu reizen begann, so wußte sie es zu veranstalten, daß er, zufällig am Hause des Apothekers vorübergehend, den jungen Mann mit Anna Luise in traulicher Stellung am Fenster stehen sah. Aber die Wirkung dieses Anblicks war eine ganz andere, als die kurzsichtige Mutter gehofft haben mochte. Von fürchterlicher Wuth erfaßt, stürzte Leopold in das Haus, drang mit gezogenem Degen auf den unglücklichen Arzt ein, erreichte den Fliehenden in einem entlegenen Gemache und stach ihn nieder.
Der Widerstand, den die fürstliche Familie der Heirath des Thronerben gegenüberstellte, war damit zu Ende. 1698, in demselben Jahre, in welchem Leopold I. die Regierung des Fürstenthums aus den Händen seiner Mutter, welche sie bis dahin vormundschaftlich geführt hatte, übernahm, führte er auch seine heißgeliebte Annaliese als seine Gemahlin heim, und 47 Jahre lang, bis zu ihrem Tode am 5. Februar 1745, lebte er mit ihr in der glücklichsten Ehe, die nicht bloß ihm selbst die spärlichen Friedensmonate verschönte, sondern auch dem Lande zum Segen gereichte. „Denn Anna Luise verstand es meisterhaft, auf die rauhe, zur Willkür geneigte Gemüthsart ihres Gemahls besänftigend einzuwirken, sie hatte inniges Verständniß für alle Verhältnisse des dessauischen Landes und seiner Bewohner, sie befleißigte sich, wenn sie während der oft lange dauernden Abwesenheit des Fürsten die Regentschaft führte, einer weisen Sparsamkeit, sie war eine treffliche Mutter ihrer Kinder und erwarb sich, selbst aus dem Volke hervorgegangen, in hohem Grade die Zuneigung und Liebe desselben, so daß ihr Andenken noch jetzt in Segen steht.“
Bald nach ihrer Verheirathung, im Jahre 1701, wurde sie vom Kaiser in den Reichsfürstenstand erhoben und damit für vollständig ebenbürtig, ihre Nachkommenschaft für erbfolgefähig erklärt.
Der Künstler hat uns den Augenblick dargestellt, wo der jugendliche Fürst nach der Rückkehr von seiner italienischen Reise Anna Luise vor dem Thore ihres Vaterhauses – es wird heute noch in Dessau dem Schlosse gegenüber gezeigt – begrüßt. Gesenkten Hauptes und niedergeschlagenen Blickes, in holder jungfräulicher Zurückhaltung steht sie vor dem Geliebten, während er ihr vom Rosse herab zärtlich das Kinn streichelt.
In ehrerbietiger Haltung verharrt der Vater, in stiller Theilnahme schauen Mutter und Geschwister auf die rührende Gruppe; die Begleiter des Fürstensohnes aber blicken mit allen Zeichen der Unruhe und Sorge hinüber nach dem festlich bewimpelten Schlosse, von dem ein Hoffourier eilig gelaufen kommt, den in seiner Liebe sich vergessenden Prinzen zu holen. S.