Leonore
[68]
Leonore.
Lenore fuhr um’s Morgenroth
Empor aus schweren Träumen:
„Bist untreu, Wilhelm oder todt?
Wie lange willst du säumen?“ –
Gezogen in die Prager Schlacht,
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.
Der König und die Kaiserinn,
Erweichten ihren harten Sinn,
Und machten endlich Friede;
Und jedes Heer, mit Sing und Sang,
Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
Zog heim zu seinen Häusern.
[69] Und überall all überall,
Auf Wegen und auf Stegen,
Zog Alt und Jung dem Jubelschall
Gottlob! rief Kind und Gattinn laut,
Willkommen! manche frohe Braut.
Ach! aber für Lenore’n
War Gruß und Kuß verloren.
Und frug nach allen Namen;
Doch keiner war, der Kundschaft gab,
Von Allen, so da kamen.
Als nun das Heer vorüber war,
Und warf sich hin zur Erde,
Mit wüthiger Geberde.
[70] Die Mutter lief wohl hin zu ihr: –
„Ach, daß sich Gott erbarme!
Und schloß sie in die Arme.
„O Mutter, Mutter! hin ist hin!
Nun fahre Welt und Alles hin!
Bei Gott ist kein Erbarmen.
„Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an!
Kind, bet’ ein Vaterunser!
Was Gott thut, das ist wohl gethan.
Gott, Gott erbarmt sich unser!“ –
Gott hat an mir nicht wohl gethan!
Was half, was half mein Beten?
Nun ist’s nicht mehr vonnöthen.“ –
[71] „Hilf Gott, hilf! Wer den Vater kennt,
Das hochgelobte Sakrament
Wird deinen Jammer lindern.“ –
„O Mutter, Mutter! was mich brennt,
Das lindert mir kein Sakrament!
Den Todten wiedergeben.“
„Hör’, Kind! wie, wenn der falsche Mann,
Im fernen Ungerlande,
Sich seines Glaubens abgethan,
Laß fahren, Kind, sein Herz dahin!
Er hat es nimmermehr Gewinn!
Wann Seel’ und Leib sich trennen,
Wird ihn sein Meineid brennen.“ –
Verloren ist verloren!
Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!
O wär ich nie geboren!
Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!
Bei Gott ist kein Erbarmen.
O weh, o weh mir Armen!“ –
„Hilf Gott, hilf! Geh’ nicht in’s Gericht
Mit deinem armen Kinde!
Behalt’ ihr nicht die Sünde!
Ach, Kind, vergiß dein irdisch Leid,
Und denk’ an Gott und Seligkeit!
So wird doch deiner Seelen
[73] „O Mutter! was ist Seligkeit?
O Mutter! Was ist Hölle?
Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,
Und ohne Wilhelm Hölle! –
Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!
Ohn’ ihn mag ich auf Erden,
Mag dort nicht selig werden.“ – –
So wüthete Verzweifelung
Sie fuhr mit Gottes Vorsehung
Vermessen fort zu hadern;
Zerschlug den Busen, und zerrang
Die Hand, bis Sonnenuntergang,
Die goldnen Sterne zogen.
[74] Und außen, horch! ging’s trap trap trap,
Als wie von Rosseshufen;
Und klirrend stieg ein Ritter ab,
Und horch! und horch! den Pfortenring
Ganz lose, leise, klinglingling!
Dann kamen durch die Pforte
Vornehmlich diese Worte:
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist noch gegen mich gesinnt?
Und weinest oder lachst du?
„Ach, Wilhelm, du? .. So spät bei Nacht? ..
Ach, großes Leid erlitten!
Wo kommst du her geritten?“ –
[75] „Wir satteln nur um Mitternacht.
Weit ritt ich her von Böhmen.
Und will dich mit mir nehmen.“ –
„Ach, Wilhelm, erst herein geschwind’!
Den Hagedorn durchsaust der Wind,
Herein, in meinen Armen,
„Laß sausen durch den Hagedorn,
Laß sausen, Kind, laß sausen!
Der Rappe scharrt; es klirrt der Sporn.
Ich darf allhier nicht hausen.
Auf meinen Rappen hinter mich!
Muß heut noch hundert Meilen
Mit dir in’s Brautbett eilen.“ –
[76] „Ach! wolltest hundert Meilen noch
Und horch! es brummt die Glocke noch,
Die elf schon angeschlagen.“ –
„Sieh hin, sieh her! der Mond scheint hell.
Wir und die Todten reiten schnell.
Noch heut in’s Hochzeitbette.“
„Sag’ an, wo ist dein Kämmerlein?
Wo? wie dein Hochzeitbettchen?“ –
„Weit, weit von hier! .. Still, kühl und klein! ..
„Hat’s Raum für mich?“ – „Für dich und mich!
Komm, schürze, spring’ und schwinge dich!
Die Hochzeitgäste hoffen;
Die Kammer steht uns offen.“ –
Sich auf das Roß behende;
Wohl um den trauten Reiter schlang
Sie ihre Lilienhände;
Und hurre hurre, hop hop hop!
Daß Roß und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Zur rechten und zur linken Hand,
Vorbei vor ihren Blicken,
Wie donnerten die Brücken! –
„Graut Liebchen auch? .. Der Mond scheint hell!
Hurrah! die Todten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Todten?“ –
[78] Was klang dort für Gesang und Klang?
Was flatterten die Raben? ..
Horch Glockenklang! horch Todtensang:
„Laßt uns den Leib begraben!“
Der Sarg und Todtenbahre trug.
Das Lied war zu vergleichen
Dem Unkenruf in Teichen.
„Nach Mitternacht begrabt den Leib,
Jetzt führ’ ich heim mein junges Weib.
Mit, mit zum Brautgelage!
Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor,
Und gurgle mir das Brautlied vor!
Eh’ wir zu Bett uns legen!“ –
[79] Still Klang und Sang. .. Die Bahre schwand. ..
Gehorsam seinem Rufen,
Kam’s, hurre hurre! nachgerannt,
Und immer weiter, hop hop hop!
Ging’s fort in sausendem Galopp,
Daß Roß und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Gebirge, Bäum’ und Hecken!
Wie flogen links, und rechts, und links
Die Dörfer, Städt’ und Flecken! –
„Graut Liebchen auch? .. Der Mond scheint hell!
Graut Liebchen auch vor Todten?“ –
„Ach! Laß sie ruhn, die Todten.“ –
[80] Sieh da! sieh da! Am Hochgericht
Tanzt’ um des Rades Spindel,
Ein luftiges Gesindel. –
„Sasa! Gesindel, hier! Komm hier!
Gesindel, komm und folge mir!
Tanz’ uns den Hochzeitreigen,
Und das Gesindel, husch husch husch!
Kam hinten nachgeprasselt,
Wie Wirbelwind am Haselbusch
Durch dürre Blätter rasselt.
Ging’s fort in sausendem Galopp,
Daß Roß und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
[81] Wie flog, was rund der Mond beschien,
Wie flogen oben über hin
Der Himmel und die Sterne! –
„Graut Liebchen auch? .. Der Mond scheint hell!
Hurrah! die Todten reiten schnell!
„O weh! Laß ruhn die Todten!“ – –
„Rapp’! Rapp’! Mich dünkt der Hahn schon ruft. ..
Bald wird der Sand verrinnen ..
Rapp’! Rapp’! Ich wittre Morgenluft ..
Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!
Das Hochzeitbette thut sich auf.
Die Todten reiten schnelle!
Wir sind, wir sind zur Stelle.“ – –
Ging’s mit verhängtem Zügel.
Mit schwanker Gert’ ein Schlag davor
Zersprengte Schloß und Riegel.
Die Flügel flogen klirrend auf,
Es blinkten Leichensteine
Rund um im Mondenscheine.
Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick,
Huhu, ein gräßlich Wunder!
Fiel ab, wie mürber Zunder.
Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf,
Zum nackten Schädel ward sein Kopf;
Sein Körper zum Gerippe,
[83] Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp’,
Und sprühte Feuerfunken;
Und hui! war’s unter ihr hinab
Verschwunden und versunken.
Gewinsel kam aus tiefer Gruft.
Lenore’ns Herz, mit Beben,
Rang zwischen Tod und Leben.
Nun tanzten wohl bei Mondenglanz,
Die Geister einen Kettentanz,
Und heulten diese Weise:
„Geduld! Geduld! Wenn’s Herz auch bricht!
Mit Gott im Himmel hadre nicht!
Gott sey der Seele gnädig!“