Lenaus Muse
Lenaus Muse.
Das waren köstliche Maientage, so sonnenhell und prächtig wie nur je! Lieblich duftete der Flieder, im Hag schluchzte die Nachtigall, das saftige Grün der jungen Bäume sproßte üppig hervor und wandelte die Straßen zu breiten Alleen; überall herrschte Frohsinn und heiterer Lebensgenuß. Nur in einem Jünglingsherzen weckten „diese tausend Stimmen der erwachenden Natur“ neuen Kummer, neue Schwermuth. Die „sinnende Melancholie“ war diesem Jüngling schon in die Wiege gelegt worden, seine Braut hieß Qual und sein Erbtheil war die Sorge . . .
Er nannte sich Nikolaus Lenau.
An einem wunderlieblichen Maientage des Jahres 1820 sehen wir diesen Dichterjüngling mit seinem Freunde Fritz Kleyle zum ersten Male nach dessen Wohnung gehen. Noch nie hatte Fritz seinen schwermüthigen Niki dazu bewegen können, ihn im Hause seines Vaters, des alten Hofraths Kleyle, zu besuchen. Heute an diesem seligen Frühlingstage war’s ihm endlich gelungen. Und als nun die beiden Freunde in der schönen Villa auf der Landstraße zu Wien einen langen Gang durchschritten, kamen sie an einem Fenster vorüber, welches ihnen in den Gartensaal Einblick gewährte. Dort aber saß des Herrn Hofraths schönes Töchterlein Sophie und kämmte ihr langes, braunes Haar. Ueberrascht hielt Lenau inne; sein Herz durchzuckte eine mächtige Bewegung, dann ging er weiter. Hatte er eine Ahnung davon, daß dieses weibliche Wesen dermaleinst so mächtig in sein armes Leben eingreifen werde?
Freilich sollten noch dreizehn schicksalsschwere Jahre vorüberrauschen, ehe er Sophie zum zweitenmal sah, Jahre des Hangens und Bangens, unglücklicher Liebe, verrathener Hoffnungen, grausamer Enttäuschungen! Als Lenau Sophie Kleyle zum erstemale sah, war er ein schwermüthiger Jüngling – als er ihr zum zweitenmale entgegentrat, war er ein lebensmüder Mann …
Zu spät! Das war das Verhängniß seines Lebens. Ob sich dieses glücklicher gestaltet haben würde, wenn er Sophie damals schon kennen gelernt hätte? Wer vermag das zu entscheiden! Er selbst aber glaubte es fest und bestimmt. So wollen auch wir es glauben.
Und abermals an einem sonnenhellen, prächtigen Maientag – am 12. Mai des Jahres 1889 – trugen sie in Wien Sophie zur letzten irdischen Ruhestätte. Sie hat also Lenau fast um vierzig Jahre überlebt und ist selbst achtundsiebzig Jahre alt geworden. Still und treu hat sie nur noch der Erinnerung an den Dichter gelebt. Erst bei ihrem Tode wurde es bekannt, daß sie überhaupt noch bis in diese Tage gelebt hatte. Sie verdient es, daß wir heute einen Immortellenkranz der Erinnerung auf ihr Grab legen.
Sophie Kleyle wurde 1830 die Gattin des österreichischen Ministerialsekretärs Max v. Löwenthal, eines vielseitig gebildeten, dichterisch beanlagten Mannes, mit dem sie in glücklichster Ehe lebte. Poesie und Kunst waren die Genien ihres Hauses, als im Herbst 1833 Nikolaus Lenau dasselbe zum erstenmal betrat. Von da ab beginnt eine Wendung in ihrem Geschick. Es muß ein überwältigender Eindruck gewesen sein, den die beiden vom ersten Augenblicke an auf einander ausgeübt haben. Und dieser Eindruck ging nicht flüchtig vorüber, er blieb haften und steigerte sich endlich zu einer starken, heißen Liebe.
Heute darf es ja gesagt werden, wo der kühle Rasen die sterbliche Hülle der edlen Frau birgt: es war eine stürmische, heiße Liebe, die sie dem theuren Dichter entgegenbrachte, ohne daß sie aber dabei ihre weibliche Ehre geopfert oder ihre Gattenpflicht vernachlässigt hätte. Und sie forderte von Lenau gleiche Liebe. Sie forderte, daß er ihr sich ganz zu eigen gebe mit dem Bewußtsein, daß sie ihm nie werde angehören dürfen. Aus diesem Widerstreit entstand das unglückselige Verhältniß, das beide wie eine Kette zwölf Jahre lang mit sich schleppten.
Es erscheint ungerecht, der Frau allein die Schuld an diesem Verhältniß beizumessen, wie das wiederholt geschehen ist. Ich kenne aus einer Quelle, die aufs genaueste unterrichtet ist, die Art und Weise dieser Beziehung: „Der kennt Lenau schlecht, der da sagt, sie hätte ihm nach den ersten vier Wochen den Abschied geben müssen. Noch schlechter beurtheilt aber der den Charakter des Dichters, der da glaubt, daß ein auf anderer als der Grundlage der reinsten Sittlichkeit beruhendes Verhältniß ihn auf die Dauer an Sophie gefesselt hätte. Es war eben sein Verhängniß – er mußte daran zu Grunde gehen, aber glauben Sie mir, sie hat noch mehr als er gelitten und getragen!“
So sagte mir ein Freund Lenaus, der ihn und Sophie kannte. Und so ist es auch gewesen, so erscheint uns dies Verhältniß, wenn wir die einzelnen Stadien desselben verfolgen. Es war ein Akt seltener Selbstverleugnung und wahrhaft hochherziger Gesinnung, daß Sophie 1854 schon dem Schwager Lenaus, Anton Xaver Schurz, mehr als 120 Briefe des Dichters an sie ausfolgte, die ihre Beziehungen zu Lenau charakteristisch und treu darstellen. Aus diesen Briefen lernen wir Lenau und seine Muse genau kennen.
Im Jahre 1835 fängt die Korrespondenz an. Die ausschlaggebende Stimmung Lenaus ist die inniger Neigung, großer geistiger Abhängigkeit und aufrichtiger Verehrung, die Sophiens krankhafte Liebe und glühende Eifersucht. Nach Lenaus Briefen gewinnt allerdings die Sache den Anschein, als habe Sophie ihn mit ihrer Krankheit und Eifersucht furchtbar gequält. Dieses Bild ist aber nur ein einseitiges, da uns ja die Briefe Sophiens an Lenau fehlen, die der Dichter in den ersten Tagen seines Wahnsinns verbrannt haben soll. Ein einziger ihrer Briefe ist erhalten; er ist bezeichnend für ihren Geist und ihre Auffassung Lenaus, er kann auch für die übrigen zeugen. Es heißt darin u. a.: „Neulich sah ich auf der Donau, was mich heftig und schmerzlich an Sie mahnte. Ein armer Slowak oder Landsmann von Ihnen, ein Wallfahrer, wie deren neulich eine ganze Schiffsladung bei Maria-Taferl ertrunken ist, trieb in einem kleinen Kahne auf der Donau. Im ärmlichen Zwilchkittel stand er in seinem Fahrzeuge und ruderte lässig dahin und dorthin, planlos, und schaute mit seinem dunklen, schwermüthigen Blick den bewegten Wellen nach, unbekümmert um die Leute am Ufer, die seinem wunderlichen Treiben zusahen. Seinen Hut mußte er weggeworfen haben, den bloßen Kopf setzte er der glühenden Sonne aus. Kein Kleidungsstück, kein Brot, kein Fleisch hatte er in seinem Kahne, nur einen vollen großen, grünen Kranz, den er an seinem Pilgerstab im Vordertheil des Schiffchens wie eine Flagge befestigt hatte. War das nicht das Bild eines echten Dichters, Ihr Bild, lieber Niembsch? Haben Sie nicht auch im Leben so herumgetrieben? Im leichten Kahne auf dem wilden, dunklen Strome, nach keinem Ufer ausblickend, mit weggeworfenem Hute und nur den Kranz bewahrend statt allen irdischen Gutes? Und wenn die anderen besonnenen, klugen Leute sorgfältig die Schlafmützen und Hüte und alle Arten von Kopfbedeckungen auf ihre Schädel stülpten, haben Sie nicht Ihr edles, schönes Haupt der Sonne und den Blitzen, dem Schnee und den Stürmen preisgegeben, von dem schönen, grünen, ewig grünen Kranze umschlungen, aber nicht geschützt? O die glatten, schlanken Lorbeerblätter schmücken die Stirne nur, sie behüten sie nicht, sie halten die Unbill dieser rauhen Zeit nicht ab, und darum, darum sind Sie krank! Ich habe ihm lange nachgesehen, dem armen Landmann und an seinen Landsmann gedacht mit quälender Sehnsucht!“
So war, so schrieb Sophie. Und Lenau? Hören wir einen seiner Briefe an die Freundin: „Seien Sie heiter und reißen Sie sich, wenn es noch nicht geschehen, für immer aus dieser fatalen Stimmung . . . Soll ich Ihnen alles aufzählen, was Sie berechtigen kann, ja verpflichten muß, sich am Leben zu freuen? Ich thu’ es nicht, weil ich überhaupt nicht gern lobe, hier aber um so weniger gern, als ich Ihnen lieber eine kleine Strafpredigt halten möchte. Nur eins halte ich Ihnen entgegen: Ihre hohe sittliche Würde, deren Bewußtsein Ihnen ein ewiger Quell stiller Freuden sein muß, wie sie andern, die das Glück Ihres Umgangs genießen, und namentlich mir eine Quelle der Freude ist und eines der erheiterndsten Momente meines Lebens. Ich denke nie ohne inniges Behagen an Ihren stillen, festen Wandel. Seien Sie heiter, wenden Sie sich nicht feindselig ab von sich selbst! Daß Sie Ihre Welt in Ihren Kindern finden, ist schön, und ich habe das immer so hoch geachtet an Ihnen, aber lassen Sie sich die übrige Welt nicht allzufern rücken und hören Sie nicht auf, diese Welt zu [555] lieben, denn Sie erziehen ja Ihre Kinder für diese Welt. Und somit ist meine Predigt zu Ende, möge es auch Ihr Trübsinn sein und Ihr verwünschter Zahnschmerz!“
Ach, sie hatten es beide nöthig, sich Muth und Trost zuzusprechen, denn ihre Lage war keineswegs erfreulich. Nur in ihren Kindern fand Sophie diesen Muth, und nur seine Lieder gewährten Lenau jenen Trost. Die schönsten dieser Lieder aber aus jener Zeit sind an Sophie gerichtet. Der Abschnitt in seinen gesammelten Gedichten, der „Sophie“ – in einigen Ausgaben „Liebesklänge“ – überschrieben ist, enthält wohl das Reinste und Lieblichste, was seine Muse geschaffen hat, Lieder wie „Einsamkeit“, „Wunsch“, „Traurige Wege“ u. a., die leben werden, so lange die Sprache lebt, in der sie gedichtet worden sind. An der Spitze aber dieser Sammlung steht das Gedicht an Sophie, welches die Geschichte dieser unglücklichen Liebe enthält:
„Ach, wärst du mein, es wär’ ein schönes Leben!
So aber ist’s Entsagen nur und Trauern,
Nur ein verlornes Grollen und Bedauern;
Ich kann es meinem Schicksal nicht vergeben.
Undank thut wohl und jedes Leid der Erde;
Ja! meine Freund’ in Särgen, Leich’ an Leiche,
Sind ein gelinder Gram, wenn ich’s vergleiche
Dem Schmerz, daß ich dich nie besitzen werde.“
Wenn behauptet worden ist, Lenau hätte es ja stets in seiner Hand gehabt, sich von dieser Beziehung zu lösen, so ist das wohl richtig, allein die Thatsache, daß er dies nicht gethan, ja auch nie versucht hat, spricht doch dafür, daß dieses Verhältniß nicht gerade eine so drückende Fessel für den Dichter gewesen ist. Vor allem aber ist dabei der große und wichtige Einfluß nicht in Anschlag gebracht worden, den Sophie auf Lenaus geistiges Leben, auf sein dichterisches Schaffen ausgeübt hat. Zeugnisse dieses Einflusses bietet jede Seite seiner Briefe. „Sie haben sich“ – schreibt er einmal – „mildernd und versöhnend meinem Leben angeschlossen, und es hat von Ihnen Segnungen empfangen, wie sie nur von den edelsten Naturen ausgehen können und deren dankbare Anerkennung Sie in meinem Gesicht lesen konnten, als ich zitternd an Ihrem Krankenlager stand . . .“
Höher aber steht noch die folgende poetische Anerkennung ihres Einflusses:
„Von allen, die den Sänger lieben,
Die, was ich fühlte, nachempfanden,
Die es besprochen und beschrieben,
Hat niemand mich wie du verstanden!
Des Herzens Klagen, heiß und innig,
Die, liedgeworden, ihm entklangen,
Hat deine Seele, tief und sinnig,
Getreuer als mein Lied empfangen.“
Und dennoch! Und dennoch brachte auch dieses Verhältniß Sturm und Unruhe in das Leben des Dichters. Wer das Frauenherz kennt, wird das leicht begreifen. Wer Lenaus Leben und Charakter studirt hat, wird das sogar selbstverständlich finden. Eine eigenthümliche Anziehungskraft mußte der junge, melancholische Poet für weibliche, fein empfindende Gemüther haben. Aber so groß diese Anziehungskraft, so schwer war eine dauernde Beziehung des stürmischen und hypochondrischen Mannes zu einer Frau. In der That wurden alle seine Beziehungen kurz nach der Anknüpfung wieder gelöst. Für ihn war wirkkich das Weib „des Mannes ewiger Fluch“.
Wird alles das zusammengenommen und in ruhige Erwägung gezogen, so kann man den Verlauf seines Verhältnisses zu Sophie sich wohl vorstellen. Es mußte natürlich zu einem Konflikt kommen, sobald ein Drittes in diesen Kreis trat. Zum erstenmal war dies im Sommer 1839 der Fall. Lenau lernte in Penzing bei Wien die damals sehr gefeierte Sängerin Karoline Unger-Sabathier kennen, und sein leicht entzündliches Herz fing alsbald das „singende Gewitter von Leidenschaft“ auf, das aus ihren Tönen und Blicken ihm entgegenströmte. Man kann sich denken, welchen Eindruck es auf Sophie machte, als Lenau ihr diese überschwengliche Verliebtheit schilderte.
„Sie haben mir mit Ihren paar Zeilen das Herz zerschmettert!“ so lautet seine Antwort auf ihren Brief. „Es ist an Ihnen, Menschlichkeit zu üben an meinem zerrissenen Herzen. Der Knoten ist geschürzt.“
Aber schon im September desselben Jahres war er auch gelöst. Sophie hatte Recht behalten und Lenau hatte sich wiederum einmal sehr rasch aus einem Verhältniß befreit, das seiner unwerth war. Mit allem Eifer widmete er sich nun den Studien zu seinen größeren epischen Gedichten. Vielleicht hätte er jetzt zur Ruhe und zu einem beschaulichen Leben gelangen können, hätte ihn nicht sein Dämon bald wieder in neue Wirrungen gelockt. Das Verhältniß zu Sophie bringt Sturm und Sonnenschein in buntem Wechsel. Aber stets gleich bleibt die innige Verehrung des Dichters für sie.
„Sie, theure Freundin,“ heißt es in einem seiner Briefe, „haben, was an einem Talent das beste ist, Sie haben mein Herz gebildet. Soll ein Baum kräftig und sicher zum Himmel gedeihen, so muß er fest und beharrlich im Boden wurzeln. Ich stehe und wachse in Ihrer Freundschaft. Jedes hochwallende grüne Blättlein an mir zeugt von einer heimisch und wohlgeborgenen Wurzel. Einst scheide ich von dieser Welt mit dem freudigen Bekenntniß, daß Sie, theure Frau, es waren, die mir den Wurm des Zweifels geknickt und den Sturm des Hasses gestillt, die (an Geist und Herz mächtig wie wenige Ihres Geschlechts) in einem höheren Lebenskreis das für mich gethan, was jene längst modernde andere theure Frau so gern gethan hätte.“
Man sollte sich wohl hüten, eine Frau, an die ein Dichter wie Lenau so geschrieben hat, einseitig zu verurtheilen oder auch nur anzuklagen. Ich habe oben von dem Dämon des Dichters gesprochen: dieser Dämon war aber der Wahnsinn, und es erscheint durchaus nicht zweifelhaft, daß eine erbliche Anlage hierfür schon in ihm vorhanden war und ihn durchs ganze Leben geleitete. Je älter er wurde, je schwerer die Sorge um die Zukunft ihn drückte, desto näher trat die Katastrophe. Freunde, die ihn oft und lange zu beobachten Gelegenheit hatten, erzählen, daß er in Wien oder in Ischl – also immer im Bannkreis der Freundin – ruhig und heiter, ja so sanft und lenksam wie ein Kind war, während er, von der Reise, etwa von Stuttgart kommend, ihnen stets durch seine Wildheit, durch seinen jähen Stimmungswechsel, durch seine schwarze Melancholie auffiel.
Das Jahr 1844 brachte endlich die Katastrophe. Wieder war es ein weibliches Wesen, das Lenau mächtig gefesselt hatte, ein engelgutes, edles Geschöpf, dem er sein ganzes Leben weihen wollte. Zu spät! Die furchtbare Aufregung, in die ihn dies neue Verhältniß versetzte, ertrug er nicht mehr. Berthold Auerbach, der Lenau in seiner Bräutigamsperiode zu Baden-Baden besonders nahestand, erzählte mir wiederholt, daß die excentrische Stimmung des Dichters in jenen Tagen schon auf ein ausbrechendes Gehirnleiden hätte schließen lassen. Gleichwohl hätte er ihm entschieden gerathen, sich um die Hand Mariens, so hieß das Mädchen, schleunigst zu bewerben, da sonst schon damals die Katastrophe ausgebrochen wäre. Lenau war überglücklich. Nur zuweilen auf dem Gipfel seines Glücks blieb er stehen, schlug sich vor den Kopf und rief erschrocken aus: „Was wird aber Sophie sagen!“
Auerbach erzählte, daß diese Stimmungen auf ihn einen überaus trüben Eindruck hervorgebracht hätten. Dennoch habe er die Ueberzeugung gehabt, daß der Einfluß Sophiens auf Lenau ein durchaus heilsamer gewesen sei. Er habe nicht sowohl ihre Eifersucht, als vielmehr ihren Scharfblick und ihre Einsicht in die wirklichen Verhältnisse gefürchtet.
Im August traf Lenau in Lainz ein, wo die Familie Löwenthal damals ihre Sommerwohnung hatte.
„Niembsch, ist es wahr, was die Zeitungen von Ihnen melden?“ fragte ihn Sophie.
„Ja!“ erwiderte er, „doch wenn Sie es nicht wünschen, verheirathe ich mich nicht; ich erschieße mich dann aber auch!“
Unzweifelhaft hätte es nun in der Macht der Freundin gelegen, Lenau auch von diesem Plane abzubringen. Sie hat es nicht gethan; sie hat ihr eigenes Herz zum Opfer gebracht und Lenau zur Heirath gerathen. Das wird ihr stets zur Ehre gereichen. Nur im letzten Moment, im Augenblick des Abschieds, fiel ihr plötzlich das Gewicht der Entscheidung so schwer aufs Herz, daß sie, alle mühsam erkämpfte Ruhe und Fassung vergessend, die Worte ausrief: „Mir ist’s, als sollt’ ich Sie nie wiedersehen! Eins von uns muß wahnsinnig werden!“ Er aber schied von ihr mit dem Schwur: „Dein fest und ewig!“
Zwei Monate später war Lenau wahnsinnig … In der Nacht seines Geistes legte er stürmische Selbstbekenntnisse seiner Liebe ab. [556] „Schont sie, sie hat zwölf Jahre mein Lebensglück gemacht! Sie war mein Glück und meine Wunde. Sie ist voll Geist, nichts, worin sie mir nicht ebenbürtig, worüber ich nicht mit ihr sprechen konnte. Wie verstand sie mich, eilte mir nicht selten voraus! Sie ist mehr als die Sand! . . .“
Die verzweiflungsvollen Briefe, die von Sophie kamen, las er wohl nicht mehr. Er aber schrieb ihr noch immer jeden Tag. Am 16. Oktober berichtet er voll Freuden von einem Wunder, das geschehen sei: Da alle Mittel des Arztes nicht geholfen, habe er seine Geige genommen, einen steirischen Ländler gespielt und dazu selbst getanzt, so daß der Boden des Zimmers gebebt habe. Nun sei er wieder ganz hergestellt . . .
Und dann brach der Sturm aus, der seinen Geist in völlige Nacht hüllte. Vier Jahre lebte Lenau noch in dieser geistigen Umnachtung. Die Freundin, die in der Nähe wohnte, durfte ihn nicht mehr sehen. Man ermesse den Schmerz, den diese Frau in vier solchen Jahren, aber auch vorher und nachher getragen hat, und dann wird man zu der Erkenntniß gelangen, daß Sophie sicher dem Kranze jener edlen deutschen Frauen anzureihen ist, die auf das Leben unserer großen Dichter von bedeutendem Einfluß gewesen sind. Schön und begabt, in hervorragender gesellschaftlicher Stellung, ein Liebling der vornehmen Wiener Kreise, von hervorragenden Künstlern im Bilde verewigt, von großen Dichtern im Liede besungen, hat sie ihr Leben dem armen, herzblutenden Sänger geweiht, ohne selbst das Glück zu finden, ohne es dem Geliebten geben zu können. In der That, ein tragisches Geschick, welches unsere innige Theilnahme herausfordert und sie auch stets erregen wird, so lange deutsche Herzen den tiefsten Ausdruck für Liebesweh und Liebesleid in den Gedichten Nikolaus Lenaus finden werden.