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Legende von der heiligen Hildegunde

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Textdaten
Autor: Albert Ludwig Grimm
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Titel: Legende von der heiligen Hildegunde
Untertitel:
aus: Die malerischen und romantischen Stellen des Odenwaldes in ihrer Vorzeit und Gegenwart, S. 62–65
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: Carl Wilhelm Leske
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Erscheinungsort: Darmstadt
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
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[62]
Legende von der heiligen Hildegunde.

In der Nähe der Stadt Köln lebten zwei fromme Eheleute im Wohlstand und Ansehen; Eines fehlte aber zu ihrem vollkommenen Glücke, ihre Ehe war lange Jahre kinderlos. Gebete und Gelübde, die sie gen Himmel schickten, schienen lange unerhört zu bleiben. Als eine besondere Gunst erschien ihnen daher die glückliche Geburt zweier Zwillingsschwestern. Eine derselben war Hildegunde. Kaum waren die beiden Mädchen den Jahren der hilfsbedürftigen Kindheit entwachsen, so brachten sie die Aeltern, um ihr Dankgelöbniss zu erfüllen, in ein Frauenkloster zu Neuss, dem sie ihre Erziehung anvertrauten, und begaben sich auf die weite Pilgerreise nach dem gelobten Lande.

Kein Unfall störte ihre Reise; sie kehrten glücklich in die Heimath zurück. Allein bald darauf starb die Mutter. Da entschloss sich der Vater, von frommer Neigung getrieben, noch einmal die heiligen Stellen zu besuchen, wo der Heiland gelebt und gelitten. Als aber Hildegunde von diesem Vorhaben erfuhr, lag sie ihrem Vater mit Bitten und Thränen so lange an, bis er ihr erlaubte, ihn zu begleiten. Schnell waren ihre Zurüstungen gemacht, und um jedem Anstosse vorzubeugen, den ihr Geschlecht auf der weiten Reise geben konnte, zog sie als junger Pilgersmann [63] verkleidet mit ihrem Vater aus der Heimath auf die Wallfahrt. Sie nannte sich Joseph. Ein gedungener Knecht folgte ihnen.

Allein auf der langen Seereise starb ihr Vater. Dennoch setzte sie in ihrer Verlassenheit die Reise fort, gelangte glücklich nach Palästina und besuchte schon mit andachtsvollem Gemüthe die heiligen Stellen, wo der Herr einst gewandelt, gelehrt und gewirkt hatte. Noch war sie aber nicht nach Jerusalem gekommen, als eines Tages ihr Knecht mit all ihrer Habe entwich, und sie fremd und arm in dem fremden Lande zurückliess.

Ein frommer Mann sah ihre Noth, und mitleidig nahm er den jungen Pilgerknaben mit sich nach Jerusalem, und führte ihn zu den Tempelherren. Diese behielten[1] ihn ein ganzes Jahr bei sich, bis sie endlich in einem Landsmann einen Begleiter für ihn fanden, der ihn nach Köln zurück brachte. Obgleich der Heimath nahe, war Hildegunde doch in Köln ganz fremd. Sie behielt ihre Kleidung und den Namen Joseph bei, und trat, hilflos, wie sie war, bei einem Kanonikus in Dienste.

Geschäffte riefen diesen bald darauf nach Rom. Er machte die Reise zu Pferde und sein Diener musste ihm zu Fusse folgen. Da gesellte sich auf freiem Felde einst ein Mann zu ihm, der einen Sack auf seinem Rücken trug. Sie waren eine gute Strecke mit einander gegangen, als ihnen einige Männer eilig nachfolgten. „Willst du nicht so gut sein“, sprach da sein Reisegefährte zu ihm, „meinen Sack eine kleine Strecke zu tragen? dort im Walde will ich mir nur einen Reisestecken schneiden. Geh indessen nur langsam weiter; ich hole dich bald wieder ein.“

Nichts Arges ahnend, nahm ihm der gutmüthige Joseph den Sack ab, hängte ihn auf seinen Rücken, und schritt damit langsam weiter, während der Gefährte schnell nach dem nahen Walde seitwärts hineilte und in dem Dickicht desselben verschwand.

Die nacheilenden Männer waren inzwischen näher und näher gekommen, und deutlich hörte er sie unter einander rufen: „Haltet den Dieb!“ Joseph sah sich bei solchem Rufe um, den Dieb mit den Augen suchend, der da gehalten werden sollte. Da er aber niemand sah, hielt er das Ganze für einen Scherz und schritt langsam weiter. Jetzt hatten sie ihn aber erreicht und fielen mit Ungestüm über ihn her, nahmen ihm den Sack ab, und führten ihn mit Schlagen und Stossen nach dem nächsten Städtchen.

[64] „Warum misshandelt ihr mich also?“ fragte er sie. „So? du fragst noch?“ war die Antwort. „Hast du doch deinen Ankläger, den Sack mit dem gestohlenen Gute, selbst auf dem Rücken getragen! Du musst hängen!“ Unter diesen und ähnlichen Vorwürfen und Drohungen ward der Knabe Joseph vor den Richter der Stadt gebracht. Hier sprach er: „Ich bin unschuldig. Ich erkenne nun aber, dass man mich für schuldig halten muss. Der Schuldige hat sich indessen gerettet, und mich mit seinem Sacke in den Verdacht gebracht. Ich bin aber bereit, meine Unschuld durch ein Gottesurtheil zu beweisen.“

„Es sei!“ sprach der Richter. Man bringt das glühende Eisen, und unversehrt wandelt der Beklagte langsamen Schrittes darüber hin. Der Richter und die Ankläger sehens mit Staunen. „Unschuldig!“ ruft der Richter. Und nun erzählte Joseph, auf welche Weise er zu dem Sacke gekommen. Dabei beschreibt er den Dieb so genau, dass man in ihm einen Einwohner derselben Stadt erkennt. Der Richter schickt nach ihm. Er war inzwischen auf Nebenwegen nach Hause gekommen. Man ergreift ihn, in der Ueberraschung gesteht er sogleich im Verhöre, und muss nun am Galgen sein Vergehen mit dem Leben büssen.

Als Joseph aber darauf von dannen ziehen will, umringen ihn an einsamer Stelle die Verwandten und Diebsgenossen des Gehängten. „Du bist Schuld an seinem Tode! Du hast unsern Meister verrathen! Dein Tod soll ihn rächen.“ Mit diesen Worten ergreifen sie ihn, und hängen ihn an dem nächsten Baume auf. Aber die Furcht, dass man sie als Mörder ergreifen möchte, zerstreute sie.

Da kamen einige Hirten zufällig in die Nähe; sie sehen ihn und schneiden ihn los. Da aber der arme Knabe kein Lebenszeichen mehr von sich gibt, schicken sie sich an, ihn zu begraben. Indem sie aber noch an seinem Grabe arbeiteten – siehe, da sprengt über den nahen Hügel daher ein Reiter auf schneeweissem Ross. Auch der Reiter ist weiss, und Lichtglanz umfliesst ihn. Aber die Hirten, die Nähe eines höhern Wesens ahnend, werfen sich demüthig zur Erde nieder und beten: „Herr, Herr, erbarme dich unser.“ Der lichtglänzende Reiter sprengt auf sie zu, neigt sich von seinem weissen Rosse hernieder, erfasst die Leiche in seine Arme, und verschwindet jenseits im Fluge wieder.

[65] Es war ein Engel des Herrn gewesen. In seinen Armen belebte sich die Leiche wieder, und als Joseph zu sich selbst kam, befand er sich bei dem Amphitheater in Verona, und sein Herr kam ihm entgegen, der auf der Reise schon hierher gekommen war. Er begleitete ihn nun nach Rom und kehrte später mit ihm nach Deutschland zurück.

In Speyer hörte er von dem frommen Wandel der Mönche im Kloster Schönau, und sogleich entschloss er sich auch, zu ihnen zu gehen, um sich durch fromme Uebung des ewigen Heiles würdig zu machen.

Die Brüder nahmen den neuen Zögling bereitwillig auf, und unterrichteten ihn in den Regeln ihres Ordens; er aber erfüllte als Novize seine Pflichten pünktlich und getreu. Noch war aber das Probejahr nicht vorüber, da erkrankte Joseph. Die Anstrengungen seiner weiten Reisen, die ausgestandenen Mühseligkeiten und die Kasteiungen hatten die Kräfte seines Körpers aufgezehrt Am 20. April des Jahres 1188 entschlief er selig in dem Herrn.

Sein Geschlecht war bis zu seinem Tode unerkannt geblieben; erst jetzt erfuhr man, dass der vermeinte Knabe Joseph die Jungfrau Hildegunde war. Sie ward im Kloster begraben, ist aber nach ihrem Tode Vielen erschienen, und hat manche Wunder gewirkt. Wo aber jetzt ihre Reliquien aufbewahrt werden, ist unbekannt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: behieltem