Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski/VIII. München
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Das Spiel ist eine schöne Sache.
Als acht- oder zehnjähriger Knabe nimmt man die Karten gewöhnlich zum ersten Male in die Hand – an langen Winterabenden, wenn draußen der Schnee auf den Bergen liegt und die Flamme räthselhaft im Kamine emporsteigt, flackernd und knisternd. Man spielt „schwarzen Peter.“ – Agnes, Bertha, Paul und Mathilde sitzen um den runden Tisch und wer verliert, der bekommt einen schwarzen Strich und [101] wenn Paul drei Mal verliert, da bekommt er auch drei Striche und fängt er an zu weinen: da lacht man ihn aus und Agnes fällt ihm um den Hals und küßt ihn, trotz seines Schnurrbarts und der Abend verstreicht unter Scherz und Jubel und es giebt kein schöneres Spiel als der „schwarze Peter.“
Herr von Schnapphahnski trieb es nicht so unschuldig. Wie wir schon erzählten, saß er in Aachen, am Grabe Karls des Großen und spielte Roulette – –
Beiläufig bemerkt, war Aachen bis in die neueste Zeit hinein ein höchst unbekannter Ort. Erst vor kurzem wurde er durch Heinrich Heine entdeckt und nach Verdienst besungen[1]. Die Schönheiten Aachens sind erst durch Heine recht ans Licht gekommen. Man hatte früher nur eine dunkle Ahnung davon. Man wußte nur, daß Karl der Große seliger, dort verstorben und vergraben sei, daß die Bauern der Umgegend alle sieben Jahre zu der Kunstausstellung des heiligen Hemdes[2] und die Bonner Studenten jeden Sonntag zu dem natur-grünen Tische der Redoute[3] wallfahrteten – die Bauern, um mit reuigem Herzen, mit verzückten Augen und gebeugten Knieen vor dem wunderthätigen Hemde ihre Andacht zu verrichten und von Noth und Fegefeuer erlöst zu werden – die Studenten, um im Schmuck der goldenen [102] Locken an den grünen Altar der Croupiers zu treten und erst recht in Noth und Fegefeuer hineinzugerathen. Das war indeß auch Alles, was jedem Kinde von Aachen bekannt war. Aber jetzt? Man kennt jeden Lieutenant auf der Straße, man kennt den Adler über dem Posthause, man weiß genau, womit sich die Hunde, die armen langweiligen Hunde in Aachen beschäftigen. Genug, man kennt die winzigsten Kleinigkeiten und wenn der ehrwürdigen Stadt jemals etwas Menschliches passiren sollte, wenn sie je einmal unterginge durch Pestilenz, Brand und Hunger: da wird man nur Heine’s Wintermährchen aufzuschlagen haben, um den Feuer- oder Lebens-Versicherungs-Gesellschaften die beste Anleitung zu geben, in welcher Weise sie das Zerstörte zu ersetzen haben, sei es an Häusern, Menschen oder Vieh.
Nie hatte Aachen glänzendere Tage, als bei der Anwesenheit des Herrn von Schnapphahnski. Der edle Ritter ließ die Aachener Bank aber auch gehörig für die Ehre seines Besuches zahlen und mit gefüllter Kriegeskasse reiste er dann nach München.
Nicht ohne Zittern und Zagen geschah indeß diese Reise. Denn wenn in München auch nicht wie in Berlin, jeder Gardelieutenant mit dem Finger auf unseren Ritter zeigen und seinen Kameraden [103] fragen konnte, ob jener Herr von Schnapphahnski derselbe Schnapphahnski sei, der einst die schriftliche Erklärung gab, daß er sich in der berühmten Liebesaffaire mit Carlotta höchst unzweideutig benommen habe, so war doch wenigstens immer die Möglichkeit vorhanden, daß dem edlen Ritter selbst in dem bairischen Babylon ein Lakai des Grafen S. aus O. in Schlesien begegnete und Herr von Schnapphahnski hatte nun einmal eine entschiedene Abneigung vor den Haselstöcken dieser Ungeschlachten. „Und nähmst du die Flügel der Morgenröthe und bettetest dich am äußersten Meere, die Arme der Lakaien aus O. in Schlesien können dich doch noch erreichen!“ – Also dachte unser Ritter und es versteht sich von selbst, daß er auch in München nicht auf der Stelle mit der alten Keckheit aufzutreten wagte.
Jedenfalls that er das, was auch jeder andere vernünftige Mensch in seinem eignen wohlverstandenen Interesse gethan haben würde. Er suchte nämlich seinem Erscheinen in München vor allen Dingen einen angenehmen Geruch vorhergehen zu lassen, um auf diese Weise jeder möglichen Gefahr wenigstens in etwas vorzubeugen.
Der sinnreiche Junker hatte bereits durch die Herausgabe seiner Memoiren[4] ein gewaltiges Stück in diesem Punkte vorgearbeitet. Indem er nämlich [104] seine spanischen Abenteuer schilderte und sich dabei von Gottes und Rechtswegen in ein ungemein günstiges Licht stellte, hatte er wirklich die trostlosen Ereignisse früherer Jahre vortheilhaft zu balanciren gewußt. Gewöhnliche Vergehen, würden gänzlich durch die spanischen Lorbeeren unsres Helden gesühnt worden sein; aber Herr von Schnapphahnski begriff, daß er ein zu interessanter Sünder sei, als daß nicht noch einige außerordentliche Mittel zu seinem Heile angewandt werden müßten.
Er miethete daher einige seiner alten spanischen Genossen, mehrere seiner Kameraden unter Don Carlos, die nach ihrer Rückkehr aus Spanien an der Wüsten-Leere der Taschen litten, und sandte sie als die Herolde seines Ruhmes, oder besser als die Rosenöl-Flaschen, die ihm den erwünschten guten Geruch bereiten mögten, voraus nach München. Die zwei hauptsächlichsten dieser Ruhm- und Rosenölflaschen waren der Königl. … Oberst Graf K. und der frühere Königl. … General von R.; zwei Leute die des blanken Geldes gerade so dringend bedurften, wie Herr von Schnapphahnski des guten Geruches.
Einmal engagirt, waren Graf K. und General von R. viel zu ehrliche und gewissenhafte Spießgesellen, als daß sie nicht alles aufgeboten hätten, um [105] den Sold ihres Meisters auch wirklich zu verdienen. Sie zogen von Haus zu Haus agitirend und intriguirend und als vierzehn Tage herum waren, da duftete auch schon ganz München nach dem Ruhme des trefflichsten aller Ritter, nach den Lorbeern des Herrn von Schnapphahnski.
Endlich erschien unser Held in eigner Person und es war nicht anders als ob ein zweiter Frühling über der Bier-Metropole emporstiege. – Die Männer zitterten, die Weiber errötheten und gewandt wie ein Wiesel wedelte und scharwenzelte der edle Ritter durch alle Salons. Man kann wirklich sagen daß unser Held in diesem Augenblicke seine schönsten Triumphe feierte.
Meine Leser werden es mir hoffentlich erlassen, dieselben weitläufig zu schildern. Es wäre auch unmöglich den edlen Ritter ganz naturgetreu zu zeichnen. Herr von Schnapphahnski strahlte von Anmuth und Lügenhaftigkeit; nach Kurzem war er schon wieder ganz der Alte und wenn er Morgens, Mittags und Abends in den Spiegel sah, da verbeugte er sich vor seinem eignen Antlitz und gestand sich die Hand auf’s Herz legend, daß er der schönste Mann seines Jahrhunderts sei.
In München weilte damals in der Nähe des kunstsinnigsten aller christlichen Germanen ein gewisser [106] Herzog von ……, ein Mann den die Mainzer und Coblenzer Bajaderen besser als alle züchtigen Weiber der Gegenwart zu schätzen wissen werden. Wenn sie ihren Freund auch einst incognito an die frische Luft setzten, so machte dies wenig aus. Der Herzog versöhnte sich wieder mit seinen alten Bekanntinnen und die guten Mainzer und Coblenzer wissen von dem freudenfreundlichen Manne viel galante Affentheuer zu erzählen.
Es konnte nicht fehlen, daß der Herzog bei seinem Münchener Aufenthalt auch auf den Ritter Schnapphahnski stieß … Tagtäglich hörte er von der ruhmreichen Vergangenheit unsres Helden erzählen und es versteht sich von selbst, daß er schließlich vor Eifersucht zu zerspringen meinte. Als man daher einst seinen trefflichen Rivalen wieder bis in den Himmel erhob, strich der Herzog nachlässig den Schnurrbart und meinte, daß er nach den Antecedentien des edlen Ritters nicht leicht an seine hohe Bravour glauben könne. Wie ein Nadelstich traf diese Aeußerung das fröhliche Herz unsres armen Ritters und kaum davon in Kenntnis gesetzt, läßt er den Herzog auch schon wegen seiner unerquicklichen Aeußerung zur Rede stellen. Er bemerkt ihm, daß Alles nur auf Unkenntnis beruhen könne, und daß er, der edle Ritter Schnapphahnski, sich wegen seines unvergleichlichen [107] Heldenthums auf das Zeugniß des – Generals von R. berufe, den der Herzog jedenfalls als competent anerkennen werde … vor allen Dingen möge der Herzog seine Aeußerung zurücknehmen.
Der Freund der Mainzer und der Coblenzer Bajaderen weigert dies, und im Nu verbreitet sich die Geschichte durch alle Salons.
Herr von Schnapphahnski sieht sich daher in die unangenehme Nothwendigkeit versetzt, dem Herzoge mit der ganzen unerbittlichen Frechheit eines Ritters ohne Furcht und Tadel auf den Hals zu steigen und als er ihn furchtsam findet: fordert er ihn.
Selten hatte unserm Helden der Stern des Glückes heller gestrahlt als dieses Mal. Der Herzog will sich nämlich nicht schlagen; er verkriecht sich hinter seine Souveränität und behauptet, daß im unglücklichen Falle alle Bäche und Flüsse von den Thränen seiner Unterthanen zu reißenden Strömen angeschwemmt, Häuser und Weingärten hinwegreißen würden, daß sein etwaiger Tod das europäische Gleichgewicht stören könne u. s. w., kurz, jemehr sich der Herzog weigert, auf ein Duell einzugehen, desto gewaltiger schwillt unserm Falstaff-Schnapphahnski[5] der Kamm und als der Herzog endlich sein letztes Wort gegeben, da erklärt ihm der edle Ritter, daß der Herzog, wenn er sich wirklich dauernd hinter seiner [108] Souveränetät verstecke, auch in seinem Herzogthum bleiben und sich mit einer chinesischen Mauer umgeben müsse, denn an jedem andern Orte werde Se. Hochgeboren so frei sein, den unübertrefflichen Souverän mit der Hundspeitsche zu bedienen.
Münchens kunstsinnigster Barde, dem diese Aeußerung überbracht wurde, nahm sie im höchsten Grade übel und unser Ritter hatte das Pech, zwar nicht in ein Kirchenfenster des Kölner Doms, wohl aber aus den heiligen Bierstaaten Sr. Majestät für immer verbannt zu werden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Deutschland, Ein Wintermärchen, Caput III aus Heinrich Heine: Neue Gedichte, Hamburg, 1844
- ↑ Die Aachener Heiligtumsfahrt findet seit dem 13. Jahrhundert statt, bei der die Aachner Dom Reliquien, angeblich bestehend aus Windel(n) und dem Lendentuch Christi, dem Marienkleid und dem Enthauptungstuch Johannes des Täufers besichtigt werden können.
- ↑ Es handelt sich hierbei um die „Neue Redoute“, dem jetzigen alten Kurhaus, die vom Architekten Jakob Couven entworfen wurde und bis 1854 die Aachener Spielbank beherbergte.
- ↑ Felix Lichnowsky: Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839. Frankfurt am Main, 1841
- ↑ Falstaff wird in Shakespeares Die lustigen Weiber von Windsor als trink- und raufsüchtigen Soldat, der an angeberischer Selbstüberschätzung leidet, dargestellt.