Landgericht Leipzig - Photokopie gegen Entgelt
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I. Die Vervielfältigung von Schriftwerken im Wege des Photokopierverfahrens als Eingriff in das Urheberrecht.
[1] Der Kläger hat eine Reihe von Aufsätzen ... verfaßt und diese in dem Journal für praktische Chemie 1929, 1930 und 1931 veröffentlicht.
[2] Die Beklagte stellt durch ein neuartiges photomechanisches Verfahren auf Bestellung hin Faksimiledrucke in größeren Mengen, aber auch im Wege des Photokopierverfahrens Original-Einzelabschriften u. a. von Schriftwerken gewerbsmäßig her.
[3] Mitte März 1932 hat sie von den genannten Schriftwerken Bruchstücke, einen Aufsatz jedoch vollständig auf die letztgenannte Weise vervielfältigt und diese Abzüge gegen Entgelt nach Leipzig ausgeliefert.
[4] Hierüber sind die Parteien einverstanden.
[5] Der Kl. nimmt die Zuständigkeit des angegangenen Gerichts auf Grund von § 32 ZPO. für sich in Anspruch. Er behauptet, durch die erwähnte Vervielfältigung greife die Beklagte in das Urheberrecht des Kl. ein und verletze §§ 11, 15, 36 fg. LUG. Der Kl. hat Klage auf Unterlassung und Schadensersatz erhoben.
[6] Die Beklagte hat zunächst auch die sachliche, dann nur noch die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts vorgeschützt und Abweisung der Klage sowie Vollstreckungsschutz auch durch Großbankbürgschaft erbeten.
[7] Das Landgericht hat die Beklagte nach den Klageanträgen verurteilt mit folgender[8] Die Beklagte hat nicht bestritten, in zwei Fällen die im Klagantrage aufgeführten Teile von Aufsätzen aus dem Journal für praktisch Chemie, an denen der Kläger Mitverfasser ist, auf photographischem Wege wiederhergestellt und an jeden Besteller nach Leipzig gegen Entgelt ausgeliefert zu haben. In schlüssiger Weise macht der Kl. geltend, daß hierin eine ohne seine Erlaubnis erfolgte und damit schuldhaft widerrechtliche Vervielfältigung und gewerbsmäßige Verbreitung von Teilen der erwähnten Schriftwerke liege (§ 36 LUG.). Damit ist in Leipzig als dem Orte, wo die angeblich unrechtmäßig verbreiteten Abzüge auf Zusendung der Kl. hin ihre Abnehmer erreicht haben, ein wesentliches Tatbestandsmoment der behaupteten unerlaubten Handlung in Erschei- [423] nung getreten (vgl. Stein-Jonas ZPO., 14. Aufl. § 32 IV.). Die Handlung ist hier vollendet worden. Damit ist die örtliche Zuständigkeit des Gerichts schon im Hinblick auf die nachträglich erhobene Schadensersatzklage gemäß § 32 ZPO. gegeben. Die Kammer würde jedoch in Verfolg ihrer ständigen sich an Pietzcker PG. § 4, Anm. 76 anschließenden Rechtsanschauung ihre Zuständigkeit auch im Falle einer Beschränkung des Kl. auf den Unterlassungsanspruch und beim Fehlen der Behauptung über ein Verschulden der Bekl. zu bejahen gehabt haben, da auch objektive widerrechtliche Handlungen den unerlaubten im Sinne der Zivilprozeßordnung zuzuzählen sind.
[9] Als Mitverfasser befindet sich der Kl. hinsichtlich des Urheberrechtes mit den anderen Verfassern der Zeitschrift zusammen in einer Gemeinschaft nach § 741 BGB. Gemäß § 744 Abs. 2 BGB. ist er daher berechtigt, zur Erhaltung des Urheberrechtes notwendige Maßregeln auch ohne Zustimmung der anderen Teilhaber zu treffen. Hieraus folgt seine Aktivlegitimation für den Unterlassungsanspruch (vgl. hier Allfeld LUG., 2. Aufl. § 6 Anm. 12c, § 36 Anm. 13C). Soweit ihm selbst durch das Verhalten des Bekl. ein Geldschaden entstanden ist, steht ihm auch ein Anspruch auf dessen Ersatz unabhängig von den übrigen Verfassern zu.
[10] Die Frage, ob in dem hier beanstandeten Verfahren der Bekl. eine Urheberrechtsverletzung zu erblicken ist, ist im Schrifttum streitig. Sie wird – dies im Anschluß an eigene Ausführungen der Bekl. über ihr Verfahren – von Alexander und Pfeiffer, gestützt auf § 15 Abs. 2 LUG., verneint (vgl. im Heft 3 der „Zeitschrift“, S. 38 ff.), da derjenige, der für seinen persönlichen Gebrauch vielfältigen wolle, dies auch durch einen andern tun könne, der andere aber aus dem Werke keine Einnahme erziele, wenn er sich für seine Tätigkeit bezahlen lassen. Bejaht wird die Urheberrechtsverletzung von Hillig, Arch. für Urheber-, Film- und Theaterrecht 1931, Band IV, S. 310 f., Elster, GRUR 1931, S. 952 f., Marwitz, Börsenbl. f. d. dt. Buchh. Nr. 252 v. 29. Oktober 1931, Allfeld, LUG., 2. Aufl., § 14 Anm. 17, Goldbaum, Urheberrecht, 2. Aufl., § 15 Anm. VI.
[11] Nach § 11 LUG. hat der Urheber und die ausschließliche Befugnis, sein Werk zu der vielfältigen und gewerbsmäßig zu vertreiben. Gemäß § 15 Abs. 1 LUG. darf das Werk auch nicht in einem Exemplar ohne seine Einwilligung vervielfältigt werden, nach § 41 LUG. auch nicht zum Teile. Das Vervielfältigungsverfahren ist dabei bedeutungslos. Als Ausnahme läßt § 15 Abs. 2 LUG. eine Vervielfältigung zum persönlichen Gebrauche zu, wenn sie nicht den Zweck hat, aus dem Werke eine Einnahme zu erzielen. Aus der vom Kl. angeführten Begründung zum Entwurfe dieser Gesetzesbestimmung und den Kommissionsberatungen dazu ergibt sich, daß man dabei an Mitglieder von Gesang- und Theatervereinen gedacht hat, die sich für unentgeltliche Aufführungen Abschriften und Auszüge von Noten oder Rollen eines Bühnenwerkes anfertigen wollten. Dabei hat man der Ausnahmeregel offenbar im Hinblick auf die damals noch unentwickelte Kopiertechnik keine große Bedeutung beigemessen. Der einzelne war auf mühevolles Abschreiben angewiesen. Grundsätzlich wollen aber die obenerwähnten Bestimmungen dem Urheber die Vervielfältigungsbefugnis wahren und ihm damit auch den Ertrag seiner Arbeit sichern. Die Ausnahmebestimmung ist so auf das engste auszulegen. Besonderes Gewicht ist darauf zu legen, daß die Vervielfältigung nicht den Zweck haben darf, aus dem Werke eine Einnahme zu erzielen. Mag sich dies auch auf die Auswertung des Werkes selbst als eines Geistesproduktes zunächst einmal beziehen, so liegt dieser Bestimmung doch der allgemeine Gedanke zugrunde, daß in allen Fällen, wo bei Vervielfältigungen des Werkes von irgendeiner Seite Nutzen gezogen werden könne, dieser dem Urheber zufließen müssen, und daß damit eine Vervielfältigung ohne seine Einwilligung in diesem Falle unzulässig sein solle. Wenn man also nicht so weit gehen will, mit Goldbaum a. a. O. eine Vervielfältigung nur durch denjenigen, der das Werk persönlich gebrauchen will, für zulässig zu halten, so ist doch die Grenze dahin zu ziehen, daß diesem allenfalls noch die Abschriftsentnahme durch eine ihm vertraute Person oder einen seinen Anweisungen allgemein unterstehenden Angestellten nachzulassen ist. Unzulässig wird aber die Vervielfältigung, wenn sich ein selbständiger Unternehmer einschiebt, der sie nun auf Grund eines vervollkommneten, früher unbekannten fotomechanischen Verfahrens für jeden Besteller, der ihn darum angeht, gegen Entgelt bewirkt. In dieser Richtung ist den oben angezogenen Ausführungen von Hillig, Marwitz und Elster beizupflichten, insbesondere insofern letzterer sich dahin ausspricht, die Ausnahme des § 15 Abs. 2 LUG. entfalle, soweit die zugelassenen Durchlöcherungen des Urheberrechts anfangen, einen geschäftlichen wettbewerblichen Einschlag zu bekommen. Dadurch, daß der Unternehmer von seiner Geschäftsstelle aus dem Besteller die Fotokopie gegen Bezahlung ausliefert, kommt ja gerade die dem Urheber vorbehaltenen gewerbsmäßige Verbreitung des Werkes oder seiner Teile zustande, während § 15 Abs. 2 LUG. nur einen bestimmten Fall von der Vervielfältigungsbefugnis des Unternehmers ausgenommen haben will. Damit schiebt sich der Unternehmer wirtschaftlich geradezu als ein zweiter zum Urheber nicht im Vertragsverhältnis stehender Verleger ein, der das Werk weiter vervielfältigt und gewerbsmäßig verbreitet.
[12] Die hier vertretene Auslegung des § 15 Abs. 2 LUG. kann auch nicht durch den Hinweis der Bekl. entkräftet werden, daß sie nach dem neuen Urheberrechtsgesetz-Entwurf erst zur Rechtsvorschrift erhoben werden solle. Ebensogut kann der Entwurf beabsichtigen, das, was bereits rechtens ist, durch eine ausdrückliche Bestimmung klarstellen. Es ist aber auch unwidersprochen geblieben, daß der Verfasser des Entwurfs, Ministerialrat Klauer, die hier vorliegende Frage als eine für das gegenwärtige Recht streitige behandelt und damit eine Stellungnahme für die Beklagten abgelehnt hat.
[13] Es kann auch nicht geltend gemacht werden, daß das Fotokopierverfahren sich auf Vervielfältigungen im geringen Umfange seiner Kosten wegen beschränken müsse und infolgedessen nicht geeignet sei, den Interessen des Urhebers Abbruch zu tun. Die von der Bekl. an den einzelnen Besteller von Aufsatzteilen, [424] an denen der Kl. Mitverfasser ist, gelieferten Photokopien umfassen je 17 Seiten.
[14] Dem Kl. steht also gemäß § 36, 41 LUG. gegen die Bekl. der Anspruch zu, daß die Vervielfältigung und gewerbsmäßige Verbreitung von Teilen von ihm mitverfaßter Schriftwerke im Wege des Photokopierverfahrens unterbleibe. Eine Verurteilung in dieser Richtung wird auch nicht dadurch gehindert, wenn etwa die erste Bestellung durch eine vom Kl. selbst dazu angeregte Person erfolgt sein sollte. Der Kl. würde dann nicht sein Einverständnis mit der photomechanischen Wiedergabe der in Frage stehenden Aufsatzteile gegeben haben, sondern lediglich zu erkunden versucht haben, ob die Bekl. gegen seine Urheberrechte verstoße. Es kommt aber noch hinzu, daß die Bekl. nicht bestritten hat, noch an einen zweiten Besteller dieselben Aufsatzteile geliefert zu haben. Daraus und auch aus dem Umstande, daß die Bekl. im Rechtsstreite ihre Berechtigung zur Wiedergabe von Aufsatzteilen dem Kl. gegenüber vertritt, folgt auch ohne weiteres die Gefahr der Wiederholung solcher Handlungen.
[15] Daß dem Kl. ein Schaden durch den Vertrieb der Abzüge in noch nicht feststellbarer Höhe erwachsen ist, damit ist zu rechnen. Wäre er unterblieben und fänden sich, wie bei der Begehrtheit der Aufsätze zu erwarten ist, noch mehr Interessenten, so würde ein Verleger sich zur Herausgabe dieser Zeitschriftenaufsätze in einer Sonderausgabe bereitgefunden haben. Die Möglichkeit hierzu wird aber unterbunden, wenn die Bekl. die von Chemikern besonders begehrten Teile der Aufsätze auf Bestellung hin vertreibt.
[16] Der vom Kl. erhobene Schadensersatzanspruch setzt gesetzlicher Vorschrift nach ein Verschulden der Bekl. voraus. Doch genügt dazu leichte Fahrlässigkeit (§ 36 LUG.). Eine solche liegt aber bei dem Verhalten der Bekl., selbst wenn dies von amtlicher Stelle geduldet wird, vor. Die Beklagte hatte beim Vorliegen gewichtiger Stimmen im Schrifttum für die hier vertretene Gesetzesauslegung damit zu rechnen, daß sie sich eines Eingriffs in das Urheberrecht des Kl. schuldig mache, wenn sie seinem Miturheberrecht unterliegende Teile von Aufsätzen photokopierte. Damit war auch den im Sinne eines Antrags auf Feststellung des Schadensersatzanspruches zu beurteilenden weiteren Klagbegehren stattzugeben.
[17] Ein Verstoß gegen § 1 UWG. kann dem Kläger gegenüber deswegen nicht in dem Verhalten der Bekl. gefunden werden, weil diese durch die photographische Wiedergabe des Originalwerks in derselben Weise, wie es in der Zeitschrift für praktische Chemie herausgebracht worden ist, insbesondere durch Kopierung von Satzspiegel und Format, die Arbeitsleistung des Verlegers, aber nicht die des Urhebers für sich ausbeutet. Die Anwendung der allgemeinen Bestimmungen § 823, 1004 BGB. auf das Verhalten der Bekl. dem Kläger gegenüber erscheint angängig, jedoch im Hinblick auf die angewandten Sonderbestimmungen des Urheberrechts entbehrlich.
Mitgeteilt von Justizrat Dr. Hillig, Leipzig.