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Land und Leute/Nr. 8. Die Vogtei und die Vogteier

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Autor: unbekannt
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Titel: Land und Leute. Nr. 8. Die Vogtei und die Vogteier
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 341–344
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 8
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[341]
Land und Leute.
Nr. 8. Die Vogtei und die Vogteier.

Vogteier.

Wenn man, der Chaussee von Mühlhausen nach Eisenach folgend, die zweite Erhebung erreicht hat, so breiten sich vor dem Blicke eine Menge Ortschaften am Waldsaume hin aus, zunächst sind es aber drei Dörfer, die, ein Dreieck bildend, mit schlanken Kirchthürmen aus der Flur hervorragen.

Es sind die Dörfer Oebbendorl (Oberdorla), Neddendorl (Niederdorla) und Langel (Langula), die gegenwärtig die sogenannte Vogtei bilden.

Die beiden erstern Orte liegen in einem Thalgrund an dem Seebacher Graben, Langula schon mehr auf der Anhöhe des Hainich-Waldes, alle umsäumt von Feldern und großen, etwas sumpfigen Wiesenflächen, sogenannten „Rieden“ und in größerer Entfernung gegen Süden und Westen von dem ihnen zugehörigem Walde, dem „Hainich.“

Die Dörfer sind freundlich gelegen; die Straßen[WS 1] meistentheils gepflastert, alle reinlich; die Häuser im Dorfe in ununterbrochenen [342] Reihen, zum größten Theile abgeputzt und mit eigenthümlich bunt bemalten Fensterladen in dem Parterre versehen. In den Ausläufern des Dorfes nur findet man ärmlichere Wohnungen, die sich aber öfters durch die umgrenzenden Gärten zu malerischen Bildern gestalten.

Ein gewisser Wohlstand ist gleich auf den ersten Blick nicht zu verkennen, wie auch, daß ein gesunder, thätiger Menschenschlag die Bewohner bildet, der jedoch den Begriffen der Jetztzeit nach durch sein Festhalten am Alten versimpelt ist. Das männliche Geschlecht ist meist lang und hager emporgewachsen, hat ein langes Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen, langgezogener Nase, mit verschmitzt umherblickenden Augen, denen man die ununterdrückbare Neugierde auch noch ansieht, und glattem Haar. Das weibliche Geschlecht ist durchschnittlich um ein Wesentliches kleiner, dadurch gedrungener, kräftiger gewachsen, hat mehr ein breitgedrücktes Gesicht mit gleichfalls vorstehenden Backenknochen, aber mehr den Stumpsnasen sich nähernden Nasen. Das eigenthümlichste dieses Völkchens ist, daß beide Theile keine Waden haben, so daß sie selbst unter sich über ein mit Waden beschenktes Individuum sagen: „der is nöch vom Stamm.“

Diese drei Dörfer, Ober- und Niederdorla und Langula, Namen, deren ältere urkundliche Form Turnilohnu, Durnloh, Dorlo und Langelo die Entstehung in einer Waldgegend, dem Hainichwalde, durch die Endsylbe bekundet, bildeten in früherer Zeit die Hauptorte der Vogteier Mark, indem noch eine Menge Ortschaften, die theils noch bestehen, theils blos in den Namen der Wüstungen übrig geblieben sind, dazu gehörten, und waren dem Westgau des fränkischen oder Süd-Thüringens, der von der Unstrut, an der Werra hin, bis zur Hörsel geht, einverleibt.

Die Vogteier haben eine weite und nicht unbedeutende Vergangenheit. Bereits 860 wird Dorla in einer Schenkung des Grafen Erpho an das Stift Würzburg genannt und 987 wurden die Kirche durch Erzbischof Willipis von Mainz eingeweiht, dem bei dieser Gelegenheit ein Theil der Vogtei urkundlich geschenkt ward. Ein anderer Theil der Vogtei gehörte den Herren von Salza und Treffurt, die durch Fehden genöthigt wurden, ihr Besitzthum an die Fürsten von Hessen und Sachsen abzutreten, von wo die Landschaft abermals 1360 durch Verpfändung an die freie Reichsstadt Mühlhausen kam. Die Vogteier wußten sich aber unter allen Verhältnissen ihre eigene Verfassung treu zu bewahren, Zins-, Steuern- und Feldstreitigkeiten wurden des Jahres drei Mal in Oberdorla vor der Kapelle durch den Rotding geschlichtet, „zweimal bei dürrem und einmal bei grünem Futter,“ ein öffentliches Gericht, das aus den Schultheißen der Orte, zwölf Schöppen und zwei Vitzthumen bestand. Bürgerliche und peinliche Processe entschied der Vogtding, eine Art Gaugericht, das aus den Persönlichkeiten des Rotding und einigen Gerichtsbeamten der jeweiligen Herren oder Pfandinhaber der Vogtei bestand. Durch dieses Selbstregieren erhielten sich die Vogteier eine Selbstständigkeit und es bildete sich dadurch in jedem Einzelnen ein gewisser Stolz aus, der auf der einen Seite sehr berechtigt schien, anderer Seits aber oft in Trotz und Ueberhebung überging. Das „I muß mi Rächt hahn“ der Vogteier ist sprüchwörtlich geworden und hat schon Manchem einen Theil seines Vermögens gekostet; ihre Zähigkeit in andern Sachen ist auch bekannt genug. Bei alledem wußten sie sich aber dabei auch ihre Unabhängigkeit stets zu erhalten, selbst als nach den Bauernkriegen, die namentlich in dortiger Gegend arg wütheten, der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen die Reformation mit Gewalt einführte und selbstredend dabei die Oberleitung der kirchlichen Angelegenheiten sich für immer aneignete, der 1736 die förmliche Besitznahme des größten Theiles der Vogtei folgte. Schon 1803 ward indeß die Landschaft durch Beschluß der außerordentlichen Reichsdeputation an die Krone Preußens abgetreten, die aber factisch erst 1816 durch die Wiener Congreßacte Besitz ergreifen konnte.

Ueber fünfzig Jahre sind die Vogteier bereits preußische Unterthanen und als solche auf gleichem Standpunkt mit den früheren, d. h. ohne alle Vorrechte, aber es wird ihnen jetzt noch schwer, sich in diese neue Ordnung zu fügen, und die Liebe zu dem Alten und Hergebrachten ist Allen tief in’s Herz geschrieben. Ihre Wehmuth, daß Kinder und Enkel einst nichts mehr von ihren langbehaupteten Rechten und Gebräuchen haben sollen, als die durch die Tradition fortgepflanzten Mittheilungen, hat etwas Rührendes, und wenn sie auch von ihren frühern Rechten jetzt vollständig absehen müssen, so suchen sie wenigstens in ihren Sitten, Gebräuchen und Trachten die frühere Zeit noch aufrecht zu halten.

Wandern wir nun selbst in die Landschaft ein und suchen uns durch Augenschein ein frisches Bild dieses seltsamen Völkchens zu schaffen. Fünf Tage des Jahres können uns da am besten über Trachten und Sitten aufklären. Der erste ist der Charfreitag. Eine feierliche Stille herrscht durch das ganze Dorf, kaum sieht man ein altes Mütterchen hinter dem Fenster stehen und vorlugen; Alles, was gehen kann, ist in der Kirche; die Einsegnung der Confirmanden und der Genuß des Abendmahls hat die Bewohner dahin gerufen. Jetzt ist die Kirche aus, die Thüre öffnet sich. Kommt eine Procession heraus oder ist wie bei den Katholiken Hochamt gewesen, oder hat jeder Bewohner seine Kirchendienerin? Nein, das Alles nicht; es sind die Bewohner selbst in ihrem Sonntagsstaat, und vorzüglich die „Freiben“ (Frauen) und „Maichen“ (Mädchen), die diese Befürchtungen aufkommen ließen. Ein langer weißer Mantel, ganz nach Art eines Chormantels, in viele Falten am Hals gelegt, umschlingt die Gestalten dermaßen, daß nur die grünen und blauen Tuchschuhe mit Lederbesatz und großen silbernen und stählernen Schnallen, durch die meistentheils ein hellgrünes Band als Schleife gezogen ist, und die schwarzen Strümpfe eigentlich hervorsehen, denn auf dem Kopfe thront die Schnorrbätzen (Mütze) und verdeckt Haar und Hals. Diese Mütze besteht aus einer kleinen Haube von Pappe, die mit schwarzer Seide oder Atlas überzogen ist und in dergleichen Bänder ausläuft. Schneeweiße Spitzen (von deren gebrannter runder, welliger Form das „Schnorr“), die zur Seite wie ein geöffnetes Scheuerthor in die Welt hinausstehen und oben auf der Stirne in eine Schneppe zusammenlaufen, umfassen die Kante der Haube. Zwischen diesen Schnorrbätzen hindurch windet sich noch ein anderer Kopfputz bei sonst gleicher Kleidung. Es ist der Spitzen-, auch Duten-Heit (Hut) einer Gevatterin. Ein Posamentirladen hat da sicher seinen ganzen Spitzenvorrath hergeben müssen, um dieses Kunstwerk der Mode auszustaffiren! Der Hut besteht aus dem einfachen Dutenhut, aber bis in’s Unendliche mit zierlichen Spitzen in den verschiedensten Formen umwunden. Leider konnte ich hiervon keine Zeichnung machen, indem diese Kopfbedeckung nur äußerst selten bei besondern festlichen Tauffällen vorkommt, und dann allemal erst zwei Tage vorher (so viel Zeit erfordert sie nämlich bei einer geschickten Putzmacherin nach Aussage einer Vogteier Frau) angefertigt, und nach Beendigung des Festes gleich wieder zerlegt wird.

Gravitätisch schreitet der Mann oder Bursche einher; ein langer, enganliegender, kurztailliger grüner oder blauer Ueberrock mit blanken Knöpfen, die dicht aneinander in zwei Reihen aufgenäht sind und mit einem stehkragenähnlichen Kragen umschließt seine Gestalt; lederne gelbliche Beinkleider reichen bis zum Knie und sind hier mit langen schmalen Riemen zusammengebunden, so daß aber noch eine Menge davon zum Herumbummeln übrig bleibt. Enge Halbstiefeln umfassen das wadenlose Bein und lassen die grauweißen Strümpfe ein Stückchen hervorsehen. Der Kopf erhebt sich zwischen dem über den Rockkragen hervorragenden, mit meist dunkel buntem Tuche unterbundenen gesteppten weißen Hemdkragen, stolz die Lampe, einen Dreimaster von ungeheuren Dimensionen, balancirend. Alte Leute kommen mit dem Stoab (Stab) angewankt, und besteht dieser aus einem Stück Latte von Zweidrittel Höhe des Trägers.

Der zweite Tag ist der erste Pfingstfeiertag. Wie anders sieht es da in dem Dorfe aus! Der blaue Frühjahrshimmel hat die Bewohner auf die Straße gelockt, und läßt sie sich singend und lärmend ergehen, gleich als wenn der heitere Himmel, die reinere Luft, das zu neuem Leben hervorsprießende Grün des Waldes und der Flur auch in ihnen neues fröhliches Leben erzeugt hätte. Alles, was eine Kehle hat, jubelt und lacht, Freude malt sich auf jedem Gesicht. Unter das Schreien und Rufen mischt sich Pferdegetrampel und gelles Pfeifen. Plötzlich ist Alles ruhig, nur eine Pfeifstimme ist hörbar und im Nu ist wieder ein Gelächter und Geschrei. Was gibt es denn? fragen wir erstaunt.

„Es wärd der grüne Laubmann eingeführt,“ antwortet uns jede Persönlichkeit, „kennt er das noch nöcht? Das es schienne, da muß er einmal dablieben, h’er wärd gleich kümmen (kommen).“

Der Troß kommt näher, auf aufgeputzten Pferden paradiren die Burschen in ihrem Sonntagsstaat, zwei von ihnen führen an einem Faden eine ganz in Laub eingemummelte Gestalt, gleichfalls zu Pferde, die durch die Zweige hindurch immerwährend pfeifen muß. Vor jedem Haus halten sie an, der Skandal legt sich, das [343] verlassene einzelne Pfeifen ertönt, ihm folgt die Frage: „Kennt Ihr den Schößmaier oder auch Laubmann, so sagt seinen Namen.“ Niemand kennt ihn und muß seine Unwissenheit mit einer kleinen Geldspende bezahlen und bekommt dafür nur ein Gelächter und Geschrei der Hölle zu hören. Auf diese Weise geht es durch das ganze Dorf und dann nach beendigtem Ritte auf den Anger zur Enthüllung der theuern Persönlichkeit. Das erhaltene Geld wird zu einem Gelag verwendet, dem öfters Angertanz folgt.

Welchen Sinn kann man dieser Sitte beilegen? Ist sie nur eine Huldigung dem Frühjahr, der beginnenden Neu- und Arbeitszeit des Ackermannes, oder soll sie den Anfang zum fröhlichen Leben im Freien bilden, oder hängt es mit dem früheren Rechte der Vogteier zusammen, daß sie von diesem Tage ab in das Holz fahren durften? Das erstere scheint mir insofern das Wahrscheinlichste, als ein alter Bauer mir erzählte, daß in früherer Zeit eine zweite Persönlichkeit, in dürres Holz gepackt, mit herumgeführt worden sei, dessen Hülle zu einem Freudenfeuer und Opfer für das Gedeihen der Frucht verbrannt, während die Hülle des Anderen aus Schößlingen (davon der Name) bestehend, von den Burschen in die Erde gesteckt worden sei, um zu grünen und zu wachsen. Jedenfalls ein sinniger Naturcultus, wiewohl ich keiner Bestätigung von anderer Seite habhaft werden konnte.

Der dritte Tag ist der erste Kirchmeßsonntag. Ein noch regeres Leben zeigt sich da in den Dörfern, der Hauptfreudentag seiner Bewohner ist ja da; die reiche Ernte ist glücklich in den Scheuern geborgen; die Arbeit für das Leben im Freien läßt nach und räumt den häuslichen Verrichtungen den Platz ein. Noch wölbt sich der blaue Himmel über die Erde, noch erfüllt warme Luft die Atmosphäre, die Bäume aber entfärben sich, dem freudigen Grün folgt das leuchtende Roth und Gelb, und jeder Windzug läßt das Laub vor dem nahen Untergang erzittern. Noch einmal unter solchen Umständen fröhlich zu sein, und die Herrlichkeiten der Natur mit vollen Athemzügen zu genießen, wer wird das für unnütz halten? Zahlreiche Städter und Städterinnen wandern den Orten zu, den hat die Milchfrau gebeten, diesen die Butterfrau, jenen der Hoflieferant und jenen die Freundscht (Freundschaft). Küche, Boden und Keller haben ihre Schätze öffnen müssen; Kuchen sind aufgespeichert und Fleisch von selbstgeschlachteten Thieren oder auch gekauft, wartet nur mit den nöthigen Salaten u. s. w. auf die Stunde der Vergeistigung.

Ebenso wie hier ein ewiger Kreislauf, so ist auch ein Drehen, Laufen, Schreien und Singen, ewiges Wechseln von Gruppen als Kreislauf der Kirchmeß zu bemerken. Essen und Trinken erhält den Leib, sich einmal aber in der Lieblingsspeise dick und satt essen zu können, ist sicher der höchste Genuß für den sinnlichen Menschen, und schon der Gedanke daran vermag die Brust zu schwellen und Freude, Wonne, Seligkeit über das Gesicht und die Bewegung eines solchen auszugießen. Wie schaukelt so süß lächelnd jener, noch das Gesangbuch unter dem Arme, die aus dem Backs (Backhaus) geholte Pfanne-Tiegel mit Kartoffeln, Kümmel und Hammelfleisch, wie umnebelt jenem das ihr entsteigende duftige Aroma; mit welchen Schritten eilt dieser wieder seinem Gehöfte zu, und endlich welche Begierde spricht sich bei diesem aus, indem er die Thür seines Gehöftes überschreitet! Nur wenige Minuten und der süßeste Wunsch, die heißeste Sehnsucht ist gestillt, das Warten hat sich reichlich belohnt, und bedächtig hält er Nachkost mit Ablecken der Lippen.

Doch genug davon, denn schon sammelt sich das Völkchen auf dem Anger und in den Tanzlocalen. Da in letzteren das Eigenthümliche verschwunden ist, so wählen wir den Anger. Personen mit schon geschilderten Trachten stehen dicht gedrängt mit solchen in anderer Tracht, die ich noch kurz anführen will, so weit sie Eigenthümliches einhüllt. Statt des Chormantels umschließt die starken Frauen ein Mieder von grünem oder blauem groben Tuch, vorne in zwei Klappen oder richtiger „Beidergewand“, aus Leinen und Wolle, was nur der Vogtei eigen ist, am Halse umgelegt und mit zwei Reihen dicht gedrängter kleiner, blanker, manchmal auch Tuchknöpfe besetzt, und durch einen Gürtel mit Stahlschnalle zusammengehalten. Ein kurzer dunkler Rock, am Saume mit breiten, meist hellgrünen Seidenstreifen eingefaßt, und zur Hälfte von einer meist dunkelblauen Schürze überdeckt, bildet mit dem schon bekannten Dutenheit und Schnallschuhen die übrige Bekleidung. Die heißblütigern Mädchen haben nur ein stark ausgeschnittenes Schnürleibchen von gleichem Tuch; das weiße selbstgefertigte Leinenhemd umschließt den Körper bis zum Halse, wo ein gesteppter und oft mit bunten Faden verzierter Kragen die Einfassung bildet. Die kurzen Puffärmel, mit gleichem Saum wie am Halse eingefaßt, sind zur Hebung der Tracht wie geschaffen.

Ein einfaches, buntes, breites Tuch legt sich denn auch öfters über die glatt nach hinten zu gekämmten, in einen Büschel geschlungenen Haare, oder es nimmt ein einfacher Strohhut mit halb sich deckenden schwarzen Rosetten geschmückt, die Stelle ein. Zwischen diesen Gestalten steht ein Bursche mit topfförmigem schwarzem Filzhut, dem Nachkommen des Dreimasters, und nicht weit davon der arme Arbeitsmann in seinem langen Kittel, dem am Halse ein Schild mit Namen oder Zierrath mit buntem Faden eingenäht ist, seiner Zipfelmütze, den eng anliegenden Kamaschen über die dürren Beine und plumpen Schuhen. Kinder, kaum dem Gängelband entlaufen, tummeln sich frohlockend in derselben Tracht, zu wahrer Carricaturen geschaffen, dazwischen herum.

Alles harrt des Zeichens des Anfangs, da schmettert eine Trompete das Signal, ein allgemeiner Jubelruf antwortet. Die wild durch einander stehenden Leute ordnen sich und bilden einen Kreis. Die Musik beginnt, der Platzmeister tritt auf, bedächtig den Stab, das Zeichen seiner Würde in der Hand wiegend, er spricht den Gruß an die Gesellschaft, schwenkt seinen mit Blumen geschmückten Hut, winkt mit dem Finger und sein Mädchen eilt mit ihm zum Tanze. Ganz allein mit seinem Mädchen, das vorzüglich festlich geschmückt ist, und eine große Haube mit allerlei Putz auf dem Kopfe balancirt, so daß ihre Kopfbewegungen ganz bedächtig und schwerfällig sind, umtanzt er einige Male den Platz, und zwar einmal tanzend, einmal gehend. Auch der zweite Tanz gehört ihm, nach diesem erfolgt erst das Tanzen der Angergesellschaft, die einen geschlossenen Zirkel bildet. Es ist halb Hopser, halb Zweitritt, was man sieht. Das Engagiren erfolgt mittelst Zurufen und Winkens der Burschen zu den Mädchen, die dann ihrem Tänzer zueilen. Der Platzmeister ist der Festordner und veranlaßt das Tanzen und Gehen; eine Bank, außer der, worauf die Musik sitzt, existirt nicht und daher fortwährendes Tanzen oder Gehen des betheiligten Paares. Nach einigen solchen Tänzen steht dem Platzmeister einer allein wieder zu. Man glaube aber nicht, daß dieses unschuldige Vergnügen frei von Aufmerksamkeiten ist, nur umgekehrt stellt es sich hier, indem die Mädchen den Burschen Etwas schenken; Einzelnen mag es sogar für ihre Verhältnisse hoch zu stehen kommen, da es nicht bloß künstliche Blumenbouquets, sondern auch Tücher und dergleichen sind, die den Burschen zum Tanze geneigt machen müssen.

Abends gegen 6 Uhr ist große Pause bis circa 8–8½ Uhr (das Abendbrod und das Abwarten des Viehes nimmt diese Zeit in Anspruch), um dann mit erneuten Kräften bei an den Bäumen aufgehängten Lämpchen bis in die Nacht hinein weiter fortfahren zu können.

Der vierte Tag ist der Montag zur Kirchweihe, indem sich da außer dem eben beschriebenen Tanzfest noch das Hammelsuchen dazu gesellt.

Durch freiwillige Beiträge wird nämlich soviel zusammengebracht, daß der Platzmeister von einigen Rathmännern unterstützt den Hirten einen fetten Hammel abkaufen kann. Sobald das geschehen, bringt der Hirt denselben in die Flur und treibt ihn ungesehen in ein beliebiges Gebüsch; eilt dann nach Haus und verkündet das Geschehene. Nun steigen die Burschen, festlich geschmückt, mit Peitschen, Pistolen, Stäben bewaffnet zu Pferde, die Mädchen nehmen auf Leiterwagen Platz und in rasendem Galopp, Musik an der Spitze, geht es nun hinaus in die Flur, den Hammel zu suchen. Ein ununterbrochener Jubel zeigt auf eine halbe Stunde Entfernung die Richtung des Chors, unter ihn mischt sich das Schießen, Trommeln, Pfeifen, Pferdegewieher und Gestampfe, das dem sicher ganz bange wird, den das Geschick dazwischen führt. Endlich ist er gefunden, er wird gebunden, mit Blumen geschmückt und der Obhut der Mädchen auf den Wagen anvertraut und nun geht es noch viel toller heimwärts auf den Anger. Hier angekommen hält der Platzmeister eine Rede, die sich aber zum größten Theil aus Zweideutigkeiten bildet, der Hammel wird geschlachtet und dann zu der Gemeinschenke gebracht, wo das Vertilgen das Ende dieser Festlichkeit ausmacht. Mit dem Felle wird die Musik abgefunden. Abends ist natürlicher Weise wieder Tanz auf dem Anger, doch bietet der heutige Tag noch die Ausübung einer weitern Sitte durch das Gesundheittrinken. So lange, wie das Trinken existirt, besteht zwar überall auch diese löbliche [344] Gewohnheit, aber hier in der Vogtei ist es insofern anders, als nicht passende Sprüche auf die betreffende Persönlichkeit angewendet werden, sondern ganz allgemeine kurze Verschen, die aber leider nur zu oft alles Gefühl verletzen.

Dieses Gesundheittrinken mit den üblichen Liedern unter den jungen Leuten ist ein untrüglicher Gradmesser der geistigen Fähigkeiten. Bis in das Innerste empört, vernahm ich die verschiedenen „Gesundheiten“, die aber meist abermals auf eine Zweideutigkeit hinausliefen. Die Illusion für den geistigen Zustand der Vogteier war verschwunden.

Für den fünften Tag wählen wir einen Wochentag im Winter. Mit Mühe haben wir uns nach der Vogtei geschleppt, da bedeutende Windwehen in den Thälern eine ungeheure Menge Schnee aufgethürmt haben. Durch die dicke winterliche Luft steigt der Rauch der Schornsteine auf und bildet, in das Thal eingeengt, eine noch dickere, einer Gewitterwolke ähnliche Wolke. Der Schnee pfeift unter unsern Schritten, die Kälte macht uns wortkarg, die Jugend der Vogtei aber, männlichen und weiblichen Geschlechts, tummelt sich munter an dem Abhang des Berges herum, um mit Hitschen, Kähnen und Schlitten das beschwerliche Emporklettern durch eine ganz kurze Fahrt zu versüßen. Es ist ein reizendes Bild voll Leben und Kraft! In dem Dorfe ist es ruhiger, die Leute, die uns begegnen, eilen hurtig durch die Straßen. Chormäntel bei den Frauen und Mädchen und Blusen über die langen Gehröcke bei den Männern, auch manchmal ein Mantel, doch stets eine Pelzmütze auf dem Kopf, ist die Losung der Tracht.

Aus einem Hause schallt Lust und Gesang, wir treten näher, denn das ist es, was mir noch zu erwähnen bleibt. Es ist eine Spinnstube („Spennstubben“), eine Menge Mädchen sitzen hinter ihrem Spinnrad und lassen es fleißig drehen, wenn eben nicht der Bursche, der fast überall dahinter steht, durch Erzählen von Schnurren, Fabeln, Geschichtchen die Aufmerksamkeit zu sehr fesselt. Solche Erzählungen wechseln mit gemeinschaftlichem Gesang von Liedern, wie:

Ei, du schöne Sommerblume,
Du hast mir mein Herz genumme,
Du liegst mir in meinem Sinn,
Wie die Wurst im Kümmel drin. u. s. w.

Mehr dergleichen anzuführen, wird Niemand verlangen, wenn ich sage, daß auch hier sich immer ein sehr niedriger geistiger Standpunkt herausstellt. Die Spinnstuben wechseln unter den einmal sich zusammen gefunden habenden Leutchen, und boten früher förmlich ein Charakterbild, dem sich öfters der Pastor und Lehrer oder ein älterer Bauer als Erzähler beigesellte. Die Berathung über das Wohl des Dorfes lag viel mit in den Spinnstuben. Jetzt ist es mit diesem Charakterbild vorbei, die Spinnstuben sind zu halb und halb genehmigten Stelldichein geworden.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Staßen