Lady Essex (Fontane, 1905)
(Fragment.)
1.
In England wüthen zwei Tyrannen:
Der König Jacob[2] und die Pest,
Und jener immer rafft von dannen,
Was diese noch am Leben läßt.
Des Volks und bettelt vor dem Thron,
Schon aber weben Haß und Rache
Dein Siegeskleid – Revolution.
Schon athmet Cromwell, schon allnachtens
Und legt die Keime künft’gen Trachtens
In seinen ruhmbegier’gen Sinn,
Schon graut der Tag, nur noch ein Kurzes,
So steigt die Sonne blutigroth,
Ist jede Stuart-Seele todt.
An Jacobs Hof drückt ihren Stempel
Die Lust noch auf jedwede Stirn,
Noch ist sein Schloß ein Bacchustempel,
Und rast die Pest, ein jedes Opfer
Scheint nur zu rufen: „Frisch gelebt,
Wer weiß es, ob der Tod den Klopfer
Nicht bald an Deiner Thüre hebt,“
Dem Leben vollre Reize leiht,
Man jagt in Lust darum zu werben,
Genuß ist Losungswort der Zeit.
* * *
Bei Hof ist Ball. Sieh, scheint nicht eben
Wer anders kann sie sein, die Schlanke,
Zu der, wenn sie vorüberrauscht,
Ein jeder Sinn sich und Gedanke
Hinneiget und gefangen lauscht.
Mehr als ein König auf dem Thron,
Wenn seine Blicke zornig irren,
Vermag ihr Auge zu verwirren,
Das bloße Flattern ihrer Locken
Und selbst der Neid, auf den sie späht,
Verwundert ihre Majestät.
Was ist’s, das bis ins tiefste Herze
Die Welt bei Hofe selbst durchbebt,
Die Lady Essex näherschwebt?
Ist’s jener Tugend hoher Geist,
Der selbst die Spötter schweigen heißt
Und Ehrfurcht auch von dem ertrotzt,
Wie, oder ist es nur ein Grauen,
Das sich in alle Herzen bahnt,
Weil man die finstern Mächte ahnt,
Die hier im Busen Hütten bauen?
All dieser Stolz ist Aetna-Eis,
Ist Lüge, die zu leugnen strebt,
Die Lavagluth, die drunter lebt.
2.
Der Herbst ist da. Die Lust zu jagen,
Und jetzt, vorbei an Heck’ und Hagen,
Bricht Jacob und sein Jägertroß.
Welch Leben das! Die Rosse schäumen,
Die Meute klafft, die Pfeife gellt,
Und schauert, wenn ein Opfer fällt.
Schon dunkelt’s. Doch das Blutvergeuden,
Es dauert fort bis in die Nacht,
Bis Dürsten nach des Mahles Freuden
Heim ruft das Horn. Bald in den Räumen
Des Schlosses lärmt man beim Bankett,
Man zecht, und statt der Rosse Schäumen
Schäumt Wein und Lust jetzt um die Wett,
Der Wein verschwistert Alt und Jung,
Und lüstern bringt zuletzt der König
Den Damen seine Huldigung.
„Die Schönen hoch!“ Der trunkne Alte
Sie aber, der sein Hoch erschallte,
Die Lady Essex fehlt beim Mahl.
* * *
Umsonst nach ihren Zügen gafft,
Zurückgewiesner Leidenschaft.
Sie, die bei tausend Huldigungen,
Ihr Herz mit kaltem Stolz bewährt,
Sieht jeden Sieg, den sie errungen,
Sie glüht, und hinter Teppichwänden
Hervor aus wohlgeborgnem Schrank,
Nimmt sie den aus ital’schen Händen
Heut erst erkauften Liebestrank.
Und schon weiter bauend,
Das Fläschchen in gekrampfter Hand,
Stutzt plötzlich sie, sich selbst erschauend
Genüber in der Spiegelwand.
Vor ihrem eignen Ebenbild
Sie hört den Stolz im Busen raunen:
„Du bist es, draus Dir Rettung quillt.“
Hinklirrt das Glas in Splitterscheiben:
Sollst nicht um Liebe für mich werben
Und spotten meiner eignen Kraft.
Traun, ob der alte Höllenmeister
Auch selber dich bereitet hätt’,
Ich biete dir und ihm die Wett’;
Nur fort der letzte Rest von Lüge,
All Schein und Maske fahre hin,
Sehn soll er meine wahren Züge