Kuriositäten aus China
Kuriositäten aus China.
Die Chinesen sind so außerordentlich conservativ, daß sie selbst in der Revolution, die sie einmal angefangen haben und die etwas Bestehendes geworden, stehen und stecken bleiben. Sie fingen eigentlich mit Europa 1848 an, sind aber bis jetzt weder bis zur Hauptsache, noch bis zur Hauptstadt gekommen. Im Uebrigen wissen wir eben so wenig davon, wie von China selbst, die dürftigen Notizen, die sich dann und wann zwischen dem asow’schen Meere und Sebastopol hindurch drängen, werden übersehen, zumal jetzt, wo viele Europäer denken, der Phönix einer bessern Zeit werde nächster Tage aus der Asche des Malakoffthurmes empor- und ihnen als gebratene gefüllte Taube in den Mund fliegen, so daß man aufpassen müsse.
China ist curios, eigenthümlich und so verschieden von unserer ausgeleierten Civilisation, daß man sicher ist, den Leuten etwas Neues und Interessantes zu sagen, wenn man ihnen von China erzählt, zumal da man jetzt mit wirklicher Kenntniß aufwarten kann. Bis jetzt waren derartige Schilderungen größtentheils Früchte oberflächlicher und ganz falscher Ansichten von Außen. Nachdem aber der französische Missionär Huc Jahre lang darin gelebt und gewirkt und thatsächlich durch die ganze ungeheuere Ausdehnung des Reichs gewandert, kann man aus seinem Buche die genaueste Einsicht in das Leben China’s schöpfen. Was er uns von chinesischen Einrichtungen, religiösen, socialen und politischen Gebräuchen und Gesetzen mittheilt, ist Alles Ergebniß eigener Erlebnisse und Studien. So muß man die wunderlichsten Dinge, die er mittheilt, für volle Thatsachen halten, um so mehr, da der Mann sich durchweg als solider, ernster Charakter zeigt, der allen seinen Schriften und Thaten das Gepräge der strengsten Wahrheit aufgedrückt hat. Zunächst gesteht er, obgleich Missionär, daß die Apostel des Evangeliums in China durchweg ziemlich unglücklich gewesen und die spiritualistischen Lehren vielfach von dem nüchternen, praktischen Verstande der Chinesen abgewiesen wurden, während allerdings das Nichtdogmatische, die höhere Bildung und Intelligenz als solche, wie sie von Gützlaff, Huc, handelnden und producirenden Engländern importirt, an- und fortgepflanzt ward, so gewaltige Wirkungen hervorrief, daß sie das älteste, verfeinertste Land und Volk bis in’s Innerste erschütterten und wesentlich die jetzige Revolution hervorriefen.
Wie die Chinesen gegen christliche Dogmatik disputiren, davon erzählt er selbst in seiner hübschen Weise ein treffendes Beispiel: „In einer der größten Städte unterhielten wir uns viel mit einem gelehrten Chinesen, der im Ganzen eine günstige Meinung vom Christenthume hatte, und dessen Bekehrung uns daher eben so leicht als wichtig erschien. Wir hatten viele Conferencen mit einander und studirten die wichtigsten Punkte unserer Lehre sorgfältig. Unser Candidat gab Alles gern zu, was wir ihm als Forderung des Christenthums offenbarten. Mit der Zeit drangen wir in ihn, nun in aller Form Christ zu werden, aber er wußte immer Ausflüchte zu machen.
„Mit der Zeit,“ sagte er; „man muß sich niemals übereilen. Sprechen wir einmal vernünftig. Es ist nicht gut, zu begeistert zu sein. Eure Lehren sind wirklich sehr gut für unsern Geist und dessen Zukunft nach dem Tode. Aber ich fürchte, sie machen uns hier in dieser Welt zu viel zu schaffen und vermehren die Sorgen des Lebens. Sehen Sie z. B., wir haben einen Körper. Wie viel Sorgfalt verlangt er! Man muß ihn kleiden, nähren und gegen Wetter und Krankheit schützen. Er hat viele Schwächen, und die Krankheiten, die ihm drohen, sind zahlreich. Es wird allgemein zugegeben, daß Gesundheit unser kostbarster Schatz ist. Für diesen Leib, den wir sehen, den wir fühlen, muß man sorgen und zwar Tag und Nacht, ununterbrochen, wenn wir uns dieses größte Gut bewahren wollen. Nun, ist das nicht genug? Wollen wir unsere Pflicht gegen unsern Leib thun, wo die Zeit hernehmen, für die Seele, die wir nicht sehen, zu sorgen? Das Leben des Menschen ist kurz und voller Sorgen; es besteht aus einer Reihenfolge wichtiger Angelegenheiten, die ohne Unterbrechung auf einander folgen. Unsere Herzen und Geisteskräfte sind aber kaum den Sorgen dieses Lebens gewachsen; ist es daher weise, sich um ein jenseitiges zu quälen?“
Unser guter Missionär konnte dagegen blos geltend machen, daß, weil der Leib hinfällig und sterblich sei, es ganz vernünftig erscheine, für die unsterbliche Seele zu sorgen; weil dieses Erdenleben aus einem Gewebe von Sorgen und Aengsten bestehe, Vorbereitung auf ein künftiges, besseres allein Trost gewähren könne. Aber es gelang ihm nicht, den gelehrten Chinesen von der Möglichkeit und Weisheit zu überzeugen, daß man „für zwei Leben zugleich sorge.“ Er sagte, die christliche Ansicht sei erhaben und sehr ehrwürdig, aber meinte, daß er sich seinerseits vorläufig noch mit Pflichterfüllung gegen das eine, ihm gegenwärtige Leben begnügen wolle.
Danach zu schließen, haben die Chinesen gar keinen Sinn für ideale Dinge, für Poesie und Religion. Was sie Religion nennen, besteht aus einem Wirrwar von Ceremonien und Gebräuchen, die sie gewohnheits- und geschäftsmäßig mitmachen, ohne im Geringsten an deren religiöse Verdienstlichkeit oder Wirkung zu glauben. So beschreibt Huc ihre Methode, sich Regen zu verschaffen: „Wenn Trockenheit des Wetters anhält und Furcht vor einer kärglichen Ernte entsteht, erlassen die Mandarinen des Distrikts eine Proclamation, worin sie die strengste Enthaltsamkeit befehlen (das hat einen ökonomischen Sinn, da durch Enthaltsamkeit die vorhandenen Vorräthe geschont werden, während z. B. der von den englischen Mandarinen neulich vorgeschriebene Tag der „Erniedrigung“ vor Gott, damit er Schlachten gewinnen helfe, mit einem uniformen, vorgeschriebenen Gebete durch das ganze Land eitel Humbug war). Gebrannte und gebraute Getränke, jede Art Fleisch, Eier, Fische, jede Art thierischer Nahrung ist verboten und nichts gestattet als Vegetabilien. Jeder Hausbesitzer muß gelbe Papierstreifen mit Zauberformeln und dem Bilde des Regen-Drachens bedruckt an seine Thür kleben. Hört der Regen-Drache nicht auf diese Art von Beschwörung, wird ihm durch Darstellung religiöser Theaterstücke [629] im Freien ärger zugesetzt. Helfen die auch nicht, geht man zu lustigen Burlesken und Processionen über, in denen ein ungeheuerer Papierdrache, von fürchterlicher Musik umtobt, die Hauptrolle spielen muß. Manchmal bleibt der Director des Regens auch jetzt noch taub und hält die Wolken des Himmels verschlossen, wie ein Geizhals seinen Geldkasten, und dann geht man vom Beten zum Fluchen über, womit man ihn in Stücke zerreißt und mit Füßen tritt. Unter Kia, fünftem Kaiser der jetzigen Mantschu-Dynastie, ward der Regengott wegen anhaltender Trockenheit durch kaiserliches Edict über die Grenze hinaus in die Provinz Torgot ausgewiesen und transportirt. Den Hofleuten ging das so nahe, daß sie sich dem Kaiser zu Füßen warfen und um Begnadigung des nationalen Regen-Ministers baten. Der Kaiser ließ sich erweichen, sandte Couriere hinter den Leuten her, die den Regendrachen fort transportirten und ließ ihn zurückrufen. – Glauben die Chinesen an die Wirksamkeit dieser abgeschmackten Ceremonien? Durchaus nicht; Jeder lacht darüber, macht aber mit, da es unterhaltend ist und seit Jahrtausenden so Sitte war.“
Bestehen deshalb auch nicht bei uns fortwährend ziemlich eben so absurde Ceremonien und Moden? Man sehe sich nur ordentlich um und denke, statt als Gewohnheitsthier sich treiben und drehen zu lassen.
Die Chinesen sind große Künstler in allerlei Schein und Humbug. Ein Zug der Verstellung und äußerlicher Formalität geht durch alle ihre Sitten, Gebräuche und Gesellschaftsformeln. Als Beispiel führen wir nur einen außerordentlich gastfreundlichen Mann an: „Während unserer nördlichen Mission waren wir Zeuge einer ächt chinesischen Scene. Es war einer unserer Festtage, die Feier einer Bekehrung zum Christenthume in der Privatkapelle eines schon Bekehrten, in welcher sich alle gewonnenen Christen der Nachbarschaft zu versammeln pflegten. Nach Beendigung des Gottesdienstes stellte sich der Hausherr mitten in die Kapelle und rief mit herzlichem Eifer: „Laßt mir Keinen fort. Ich lade Euch alle ein, heute bei mir Reis zu essen!“ Und nun lief er von Einem zum Andern und bat flehentlich, man möchte bleiben; aber Jeder hatte diesen oder jeden Grund, warum es ihm unmöglich sei, von der Gastfreundschaft Gebrauch zu machen. Der höfliche Hausherr schien ganz unglücklich. Endlich erspähte er einen seiner Vetter, der eben davon ging.
„Was, Vetter, auch Du willst fort? Unmöglich! Du mußt heute zu diesem Festtage mein Gast sein!“
„Unmöglich,“ sagt der Vetter, „ich habe nothwendig zu thun.“
„Zu thun, heute zum Feiertage? Du mußt durchaus bleiben! Ich lasse Dich nicht fort.“
So ergreift er den Vetter und transportirt den sich Wehrenden mit wahrer Gewalt in’s Haus. Aber der Vetter siegt endlich insofern, als der Hausherr seine gastfreundliche Forderung auf ein Glas Wein beschränkt, welches nicht viel Zeit koste.
„Gut,“ sagt der Vetter, „ein Glas Wein können wir schon mit einander trinken. Das ist bald gemacht.“
So gingen Beide in’s Haus. Der Wirth rief, ohne Jemanden besonders anzureden. „Etwas Wein heiß gemacht und zwei gekochte Eier!“
Inzwischen steckten Beide ihre Pfeifen an und plauderten. Sie rauchten aus, stopften, zündeten an und rauchten wieder aus, aber der heiße Wein und die gekochten Eier kamen nicht. Endlich fragte der Vetter, ob es noch lange dauere, ehe der Wein fertig würde.
„Wein?“ schreit der Hausherr, „Wein? Haben wir in unserm Hause einen Tropfen Wein? Trink ich jemals Wein? Weißt Du nicht längst, daß ich keinen Wein vertragen kann?“
„In diesem Falle hätte ich ja längst gehen können,“ erwiederte der Vetter. „Warum nöthigst Du mich denn so fürchterlich, zu einem Glase Wein zu bleiben?“
Hier erhob sich der Herr des Hauses rothschwellend vor Zorn und schrie: „Was? Ich bin so höflich, Dich zum Wein einzuladen, und Du verstehst nicht einmal so viel Lebensart, ihn abzulehnen? Wo hast Du Deine Bildung gelernt? Wahrscheinlich unter den Mongolen!“ Der Vetter stammelte einige Entschuldigungen, stopfte seine Pfeife wieder und ging verlegen davon. Wir waren Zeuge dieser ganzen Scene gewesen und lachten nun. Der Hausherr aber blieb empört über seinen ungebildeten Vetter und fragte uns, ob wir je einen so rohen, unwissenden, ungeschliffenen, abgeschmackten Menschen gesehen, als diesen Vetter, und kam immer wieder auf das große Princip aller Höflichkeit zurück: Güte mit Güte zu belohnen und stets abzulehnen, was uns ein Anderer anbietet. „Was sollte denn sonst aus uns werden?“
Dies erinnert an die gütigen, kleinstädtischen Verwandten in Europa, welche vor einem herannahenden Vetter oder einer hochgeschätzten Muhme den Kaffee, bei dem sie gerade sitzen, verstecken und dann ausrufen: „Aber liebes, liebes Tantchen oder Mühmchen oder Vetterchen, warum sind Sie nicht eene eenzigte Minute früher gekommen? Nu is der Kaffee gerade alle bis uf’s letzte Schälchen.“
Huc lag eine Zeit lang sehr krank in Kum-kiang-hien, Provinz Hupé, doch erholte er sich endlich, worauf man ihn höflich einlud, den Sarg in Augenschein zu nehmen, den man inzwischen für ihn hatte machen lassen. Dies ist ein ächtes, reelles chinesisches Kompliment. Särge sind durch alle Städte China’s ein üblicher Handels- und Luxusartikel, womit sich Freunde und Verwandte beschenken. Wohlhabende Leute kaufen sich immer so bald als möglich selbst einen Sarg nach ihrem Geschmacke aus den großen Vorräthen in Läden. Zärtliche Kinder und Nachkommen beschenken ihre alten Aeltern und Onkels mit kostbaren, geschmackvoll decorirten Särgen. Sobald Jemand bettlägerig wird, ist es die erste Pflicht der geliebten Angehörigen, den Sarg neben sein Bett zu stellen und ihn zu fragen, oh ihm die mögliche neue Wohnung auch gefalle. Auf dem Lande, wo keine Särge in Läden vorräthig sind, schickt man in jedem ernstlichen Krankheitsfalle sofort zum Tischler, welcher an dem Kranken Maß nimmt, und einige Zoll „zum Strecken“ zugiebt. In Gegenwart des Kranken wird dann mit den Preis gehandelt, worauf der Tischler hinausgeht vor’s Fenster und den Kranken mit der Musik des Sägens und Hobelns an dem entstehenden Sarge unterhält. Alles das geschieht ganz geschäftsmäßig ohne Aufregung von Seiten des Todescandidaten oder der Angehörigen.
Einmal begegnete Huc einer Prozession von Männern, Weibern und Kindern, die ihn auf die süßeste Weise aus ihren schiefen, geschlitzten Augen anlächelten, als sie mit einem Sarge und einem hagern, stier auf den Sarg blickenden Kranken bei ihm vorbeizogen. Der ihn begleitende junge Christ erklärte ihm die Scene: Ein Kranker aus der Ferne, der zu Hause sterben will. Ein großes Stück weiße Leinewand im Sarge sollte die Hinterbliebenen in Trauer kleiden (die Chinesen trauern weiß). Diese Eile und Zuvorkommenheit in Krankheitsfällen für die Funktionen des Begrabens und Trauerns gilt allgemein als Zeichen der Liebe und Zärtlichkeit für Kranke, welches letzterem sehr angenehm ist. Der Kranke würde über Rücksichtslosigkeit und Kälte klagen, wollte man ihm den Sarg bis nach dem Tode vorenthalten oder sich damit entschuldigen, daß man auf seine Genesung hoffe.
Unter den chinesischen Familienbildern, die uns Huc oft sehr anschaulich malt, kommen nicht selten Scenen herzlicher, derber Prügelsuppe vor. Einmal sah er Mann und Frau im activsten Handgemenge. Als sie sich gehörig zerbläut hatten, wetteiferten Beide in Zerschmetterung aller irgend zerbrechlichen Hausgeräthe, von Tellern, Schüsseln, Stühlen, Betten, Pfannen, Tiegeln u. s. w. Eine suchte die andere Hälfte zu übertreffen. Der Mann, um sich in dieser Concurrenz nicht besiegen zu lassen, holte endlich eine Holzaxt, um damit einen großen kupfernen Kessel zu zertrümmern. Als Beide erschöpft aufhörten, frug ihn ein Nachbar, warum er nicht lieber die Frau todtgeschlagen? Der Mann antwortete ganz geschäftsmäßig, er sei alt, deshalb werde es ihm zu viel Geld gekostet haben, sich eine andere Frau zu kaufen. Die Wiederherstellung der zerbrochenen Sachen koste jedenfalls weniger. Man sieht, daß sonach ein bischen christliche Duldsamkeit den Herren Chinesen nichts schaden kann.