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Kritische Bemerkungen zum Process des Templerordens

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Autor: Hans Prutz
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Titel: Kritische Bemerkungen zum Process des Templerordens
Untertitel: Zur Abwehr und zur Verständigung
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 11 (1894), S. 242–275.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. B. und Leipzig
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Quelle: Scans auf Commons
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[242]
Kritische Bemerkungen zum Process des Templerordens.
Zur Abwehr und zur Verständigung.
Von
Hans Prutz.


I.

Wenn es für den Kundigen noch eines Beweises dafür bedurft hätte, dass trotz der lebhaften und zum Theil leidenschaftlichen Erörterung, welche das in der Entwicklung und dem Untergang des Templerordens vorliegende Problem während der letzten Jahre gefunden hat, die einander entgegengesetzten Ansichten von einem Ausgleich noch weit entfernt sind, und dass daher die hochinteressante, aber auch überaus schwierige Frage, um die es sich dabei handelt, einer befriedigenden Lösung noch immer harrt, so wäre derselbe allerdings durch den neuesten Zuwachs, den die Templerliteratur erfahren hat, als besonders eindringlich erbracht zu erachten. Denn so zuversichtlich er auftritt, und so streng sein Urheber in dem Gefühl sieghafter Ueberlegenheit mit den früheren Bearbeitern dieses Gegenstandes ins Gericht geht, es bleiben doch auch bei ihm noch wichtige Punkte ungelöst und in anderen geräth er mit seiner eigenen Deduction, ohne es selbst recht zu merken, in einen Widerspruch, an dem wir sogar diejenigen lebhaft Anstoss nehmen sehen, die, im übrigen mit ihm einig, die These von der völligen Unschuld des Templerordens verfechten. Denn sie sehen, was ihm entgangen zu sein scheint, dass die Einräumung auch nur gewisser Möglichkeiten und an sich recht unscheinbarer Zugeständnisse in vermeintlichen Nebendingen in ihren ganzen [243] kunstreichen Bau Bresche zu legen droht und denen, welche die Schuld des Ordens behaupten, erwünschte Blössen darbietet.

Verfasser dieses neuesten Beitrages zur Templercontroverse ist Dr. phil. Julius Gmelin, Pfarrer in Grossaltdorf. Schon an dem Titel seines Buches „Schuld oder Unschuld des Templerordens. Kritischer Versuch zur Lösung der Frage[1] könnte man Anstoss nehmen. Ist er nämlich als Frage gemeint, so steht er mit dem Inhalt des Buches in Widerspruch, den ein einziges stürmisches Plaidoyer für die Templer ausmacht. Wird der Titel aber nicht als Frage gefasst, so erregt er die Erwartung, es werde eine unparteiische, erschöpfende Darlegung der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente geboten, schliesslich aber dem Leser überlassen werden, wofür er sich entscheiden und was er demnach für sich als Ergebniss der erneuten Prüfung gelten lassen will. Ist darin vielleicht das in dem Verfasser sich dunkel regende Gefühl zum Ausdruck gekommen, dass es mit der zwingenden Richtigkeit seiner Beweisführung doch nicht ganz so steht, wie er geglaubt hat? Kann man sich doch eines gewissen Staunens nicht erwehren, diesen überzeugten Vertheidiger des Ordens, den er völlig schuldlos einem nichtswürdigen Attentat der Kirche und des französischen Königthums erliegen lässt, bei der Ziehung des Schlussergebnisses an dem bisher im Glorienschein des Martyriums gesehenen Orden Gebrechen entdecken und Verirrungen als möglich zugeben, ja als wahrscheinlich bezeichnen zu hören, denen gegenüber der von ihm eingenommene Standpunkt kaum zu halten sein dürfte.

Gmelin’s Arbeit ist einer Anregung entsprungen, die Bernhard v. Kugler ihm während seiner Studienzeit gegeben hat, indem er ihn zu einer Nachprüfung meines 1879 erschienenen Buches „Geheimlehre und Geheimstatuten des Tempelherrenordens[2] aufforderte. Ehe Gmelin aber mit seinen Forschungen zum Abschluss kam, erschienen Schottmüller’s „Untergang des Templerordens[3] und mein „Entwicklung und Untergang des Templerordens[4], ferner aber H. Ch. Lea’s „History of the Inquisition of the Middle ages[5]. [244] Jedenfalls lag ihm also eine Fülle von Vorarbeiten vor, die, abgesehen von der Verschiedenheit des Standpunktes, das Quellenmaterial ausserordentlich bereichert hatten. Dazu kamen die zum Theil sehr werthvollen Aeusserungen, welche jene Werke in der Deutschen und namentlich in der Französischen Literatur veranlasst hatten. Dass er das alles fleissig benutzt und nach Kräften zur Förderung der historischen Erkenntniss zu verwerthen gesucht hat, wird man Gmelin gern zugestehen. Nur begegnet es doch auch ihm, dass er, statt unbefangen zu prüfen und sich in die gegnerischen Argumente hineinzudenken, diese vielmehr mit allgemeinen Wendungen abthut und sich unbesehen die Darlegung derer zu eigen macht, die bisher den von ihm verfochtenen Standpunkt eingenommen haben. So beruht sein Werk neben sorgsamem Studium der Acten des Templerprocesses in der Hauptsache auf Lea und Schottmüller. Höchst eigenthümlich freilich ist sein Verhältniss zu letzterem. An welch schweren Mängeln Schottmüller’s Werk leidet, wie derselbe einmal durch seine Unkenntniss des mittelalterlichen Lateins zu den verkehrtesten Uebersetzungen („sprachlichen Uebersetzungsfehlern“, sagt Gmelin S. 4) verleitet, wie er durch das Streben nach „Rettung“ Clemens’ V. auf einen Standpunkt gedrängt worden ist, der ein rechtes Verständniss der Hauptmomente in der grossen politisch-kirchlichen Action eigentlich ausschloss (S. 5), und was an dem Buche sonst noch für „Blössen und Unvollkommenheiten“ zu tadeln gewesen: – daraus macht Gmelin auch seinerseits kein Hehl und er begründet sein Urtheil gelegentlich auch im einzelnen. Nichtsdestoweniger wirft er sich mit Emphase zum Vertheidiger, ja zum Rächer Schottmüller’s auf; er will ihm eine Art von Satisfaction bereiten (S. V.) und einen Kranz der Anerkennung auf das Grab legen. Namentlich an mir will er Schottmüller rächen, obgleich er, wie gesagt, die Ausstellungen, die auch ich seiner Zeit an jenes Arbeit machen musste (und machte ohne Schelten und Schmähen, rein sachlich, indem ich meine Bemerkungen geflissentlich aus dem Text in die Noten und Excurse verwies, mich damit also nur an die fachgenössischen Leser wandte) – auch seinerseits macht und obenein (S. 3) urtheilt, dass weitaus am schärfsten von K. Wenck gegen Schottmüller vorgegangen sei.

Besonders anstössig aber findet es Gmelin, dass ich meine Ansicht über die Art und den Grad der templerischen Verschuldung [245] im Laufe von neun Jahren fortgesetzter Forschung modificirt habe, indem ich in meiner 1879 erschienenen „Geheimlehre“, welche zunächst durch eine Untersuchung der eben von Merzdorf veröffentlichten gefälschten templerischen Geheimstatuten veranlasst war, im Anschluss an Loiseleur, La doctrine secrète des Templiers[6], die Existenz einer templerischen Geheimlehre (katharischen Ursprungs und luciferianischer Färbung) zu erweisen suchte, späterhin aber auf Grund des inzwischen beträchtlich vermehrten Materials diese Ansicht zwar fallen liess, jedoch im Gegensatz zu Schottmüller daran festhielt, dass in dem Orden höchst anstössige und für die Kirche durchaus unduldbare Bräuche, insbesondere die Abnegation und die Entweihung des Kreuzes, sowie arge Zuchtlosigkeit anderer Art geherrscht haben, und das zu erklären suchte aus dem Gegensatz, in den der Orden einmal im Osten durch den unglücklichen Ausgang der Kreuzzüge, und dann im Westen durch albigensische Einflüsse zu der orthodoxen Papstkirche gerathen war.

Selbst wer Süddeutscher Lebhaftigkeit und Schwäbischer Derbheit viel zu Gute hält, wird doch überrascht sein durch den in wissenschaftlichen Werken bisher kaum erhörten Ton, den Gmelin in dieser Polemik anschlägt. Er klagt, meine Arbeiten seien im Vergleich mit dem Schottmüller’schen Buche viel zu günstig recensirt und parteiisch geschont worden (wofür er sich doch nicht an mich, sondern Loserth, Langlois u. s. w. zu halten hätte) und erachtet desshalb eine durch ihn zu vollziehende „gründliche Zurechtweisung“ nicht bloss für „eine Pflicht der Wahrheit und Gerechtigkeit“ (S. 11), sondern es scheint ihm auch eine Lösung der Frage nach der Schuld oder Unschuld der Templer so lange unmöglich, als man mir „noch so viel Ehre anthut, wie dermalen geschieht“, „so lange man meine Aufstellungen noch so ernsthaft nimmt, und eben damit ihnen noch so viel Berechtigung oder auch nur den »Schein des Rechten« zugesteht, als von mancher Seite jetzt noch der Fall ist“. Macht er dann den Vertretern einer Schuld des Ordens überhaupt die „unverantwortliche Weise“ zum Vorwurf, in der sie verfahren seien, und rügt er die Luftigkeit und die Widersprüche der von ihnen construirten Gebäude, so meint er doch (S. 11) „nicht leicht einen dankbareren [246] und glücklicheren Angriffspunkt“ finden zu können als eben mich, den bedeutendsten Vertreter „von nicht bloss einer, sondern eigentlich zwei entgegenstehenden Auffassungen“ (S. 12). Mich zu widerlegen hält er nicht für ein überflüssiges Werk, wie es (um eine Probe von der gebildeten Ausdrucksweise des Herrn Pfarrers [S. 12] zu geben) eins sein würde, „einen Todten noch tödter zu machen, denn als todt gebärdet sich Prutz weder selbst, noch wird, dass er todt ist, allgemein genügend erkannt“. Diese Widerlegung scheint ihm aber nicht einmal eine negative Arbeit, weil durch sie zugleich die wichtigsten Beweise für die Unschuld des Ordens zu gewinnen seien.

Meine gesellschaftlichen Gewohnheiten bewahren mich davor, in den Ton zu verfallen, den Gmelin hier und an vielen anderen Stellen anschlägt. Auf derartige Expectorationen, die wissenschaftliche Beweisführung durch Schmähen des Gegners ersetzen, wäre vielleicht Schweigen die beste Antwort. Aber die Achtung vor der Wissenschaft, die durch eine sachliche Erörterung der Controverse gefördert wird, nöthigt mich, die Gmelin’sche Darstellung nicht ungeprüft zu lassen, zumal durch etliche der dabei vorzubringenden Momente die Erkenntniss der in diesem Punkte noch so heiss umstrittenen historischen Wahrheit vielleicht gefördert wird. Nur sei es mir gestattet, im Anschluss an die Charakteristik des von Gmelin beliebten Tons eine allgemeine Bemerkung vorauszuschicken, die ich – und mit mir, glaube ich, mancher Fachgenosse – schon lange auf dem Herzen habe, und für die ich daher bei allen denjenigen auf Zustimmung rechnen zu dürfen hoffe, denen unsere Wissenschaft über alle persönlichen Interessen geht.

Ehemals genossen bekanntlich die Philologen des zweifelhaften Rufes leidenschaftlicher Heftigkeit und ausfallender Grobheit bei der Ausfechtung ihrer wissenschaftlichen Controversen: dermalen sind sie darin von gewissen Kreisen der jüngeren Historiker weit überflügelt. Ich brauche nicht Namen zu nennen und nicht bestimmte Beispiele anzuführen, um verstanden zu werden, wo man der Entwicklung der literarischen Kritik im Gebiete der Geschichtschreibung während der letzten Jahre aufmerksam gefolgt ist. Statt unbefangener Prüfung des Versuchten, ehrlicher Anerkennung des etwa Gelungenen und sachlicher Widerlegung oder Berichtigung des Verfehlten läuft die [247] Kritik nur allzu oft hinaus auf ein kleinliches Eifern um Nebendinge und weiterhin auf ein Schelten oder gar Schmähen des Gegners und kommt damit, wie gewisse Vorgänge gelehrt haben, leicht in einer Weise auf das persönliche Gebiet, welche die Ausfechtung des wissenschaftlichen Streites mit den üblichen literarischen Waffen unmöglich macht, während es bisher doch noch an einer Instanz fehlt, welche als berufen und berechtigt anerkannt wäre, solche Verletzungen der guten literarischen Sitte und der wissenschaftlichen Würde in die gebührenden Schranken zurückzuweisen. Diese Erscheinung ist um so unerfreulicher, als natürlich diejenigen, welche in diesen Ton nicht einstimmen, den ausserhalb Stehenden als Vertreter der minder berechtigten Sache erscheinen. Ich stehe mit der Ansicht wohl kaum allein, dass wir alle zusammenwirken sollten, um diesem Unwesen, das nicht bloss einzelne Fachgenossen, sondern das ganze Fach in den Augen der Gebildeten herabsetzt, nach Kräften zu steuern.

Insbesondere ist es Sache der akademischen Lehrer, ihre Schüler zur Beobachtung der guten alten Sitte einer persönliche Ausfälle meidenden sachlichen Discussion anzuleiten und zu gewöhnen. Dazu müssen sie es freilich zunächst als ein Gebot der Selbstachtung erkennen, auch bei verfehlten oder minder gelungenen Arbeiten die redliche Absicht und das ehrliche Streben des Verfassers nicht leichtfertig anzuzweifeln und damit die literarische Discussion alsbald auf das sittliche Gebiet hinüberzuspielen. Wer einem historischen Seminar vorsteht oder historische Uebungen leitet, kommt ja oft genug in die Lage, begabtere oder strebsamere Schüler zu den ersten Versuchen in eigener Forschung und literarischer Production anzuregen, indem er sie zur kritischen Prüfung einer neu erschienenen Specialarbeit veranlasst. Ich habe es mir dabei zum Gesetz gemacht, die Herren dazu anzuhalten, dass sie sich zunächst darüber klar werden und auch bestimmt davon Rechenschaft geben, was sie ihrerseits aus der zu[WS 1] kritisirenden Arbeit gelernt haben; erst auf Grund der so gewonnenen Einsicht in das eigene Vermögen sollen sie ihre Einwände erheben und ihre Berichtigungen vorbringen. Statt dessen suchen heute nicht selten gerade jugendliche Kritiker in ihrer Freude über die eben gewonnene Herrschaft über ein engumgrenztes Specialgebiet durch recht rücksichtslose Behandlung älterer Fachgenossen sich gewissermassen die Sporen zu verdienen. Das ist schon [248] schlimm, auch wenn die Erörterung auf fachwissenschaftlichem Boden und in fachwissenschaftlichen Kreisen bleibt. Wenn aber eine solche Polemik nun gar hinaustritt vor das grosse Laienpublicum, dem jedes Mittel zur Gewinnung eines auf eigene Einsicht gegründeten Urtheils fehlt, wenn dabei obenein mit der dem Laien imponirenden Unfehlbarkeit des allein competenten Fachmannes ganze wissenschaftliche Richtungen abgethan und als auch von allen anderen abgethan dargestellt werden und so geflissentlich der Schein erweckt wird, als ob in der betreffenden Frage ein anderer Standpunkt als der eben vorgetragene nicht möglich, weil mit dem gesunden Menschenverstande nicht vereinbar sei: so hört da nicht bloss die wissenschaftliche Polemik, sondern die Wissenschaft überhaupt auf, um einem bloss von persönlicher Animosität beherrschten agitatorischen Treiben das Feld zu überlassen.

Nach dieser allgemeinen Bemerkung, die nicht erst durch die Polemik veranlasst ist, die Gmelin in Sachen des Templerproblems gegen mich geübt hat, sondern sich mir und gewiss auch manchem Fachgenossen im Lauf der letzten Jahre aufgedrängt hat, verzichte ich darauf, die wider mich gerichteten Angriffe in dem gleichen agitatorischen Ton zu beantworten, oder auch nur die billigen scurrilen Wendungen nachzuahmen, mit denen Gmelin die Heiterkeit seiner Leser zu erregen beflissen ist[7], in der Meinung, die wissenschaftlichen Argumente eines [249] über ein wissenschaftliches Problem Andersdenkenden dadurch zu widerlegen, dass er ihn scheinbar dem Gelächter preisgibt.


II.

Den Weg zu dem Beweise für die Unschuld des Templerordens bahnt sich Gmelin durch eine eingehende Kritik erst meiner „Geheimlehre u. s. w.“ und dann meiner „Entwicklung u. s. w. des Templerordens“. Verzichte ich aus den Eingangs dargelegten Gründen auf die gebührende Würdigung des dabei angeschlagenen Tones und lasse ich demnach Gmelin auch das Vergnügen, den von mir in dem erstgenannten Buche eingenommenen Standpunkt in der von ihm beliebten scurrilen Manier als „Proto-Prutz“ und den davon abweichenden der zweiten Arbeit als „Deutero-Prutz“ zu bezeichnen, so muss ich ihm doch in sachlicher Hinsicht mit aller Entschiedenheit entgegentreten.

Zunächst ist es doch wohl nicht etwas so ganz Ungeheuerliches, dass Jemand in der Beschäftigung mit einem so schwierigen und verwickelten Problem wie dem Templerprocess – (es ist noch viel schwieriger und verwickelter als Gmelin selbst wähnt) – im Laufe von neun Jahren fortschreitender und sich vertiefender Forschung seine Ansicht modificirt. Das haben auch schon Andere gethan. Der loyale Kritiker freilich wird sich in einem solchen Falle füglich an die letzte wissenschaftlich begründete Aeusserung des Betreffenden halten, wie ja auch wohl Niemand bei der Recension eines Buches statt der neuesten Auflage eine der älteren zu Grunde legen wird. Wenn Gmelin nicht müde wird, seinen Lesern entrüstet zu versichern, ich hätte in der „Geheimlehre“ und in der „Entwicklung u. s. w.“ zwei völlig unvereinbare, einander völlig ausschliessende Ansichten vertreten, so verschiebt er damit die Streitfrage sehr wesentlich. Denn gerade in Betreff des wichtigsten von den controversen Punkten, der Frage nach der Schuld des Ordens, ist das nicht der Fall. Im Gegensatz nämlich zu den Vertheidigern des Ordens, die an demselben überhaupt kein Fehl finden, halte ich in der „Entwicklung“ so gut wie früher in der „Geheimlehre“ an einer Verschuldung der stolzen Genossenschaft fest und finde demnach auch das [250] Vorgehen gegen dieselbe, in dem jene eine aus schnöder Habgier entsprungene, jeden Scheines der Berechtigung entbehrende frevelhafte Gewaltthat sehen, von dem Standpunkte jener Zeit aus begreiflich, ohne desshalb etwa die dabei angewandten Mittel zu billigen. Insofern stehe ich in der Sache noch auf dem ursprünglich von mir eingenommenen Standpunkt, als ich nach wie vor behaupte, dass ein wirkliches schweres Verschulden des Ordens seinen Gegnern die Handhabe und den sonst nicht erreichbaren Rechtstitel zum Einschreiten geboten habe, mag ich auch die Art und den Grad dieses Verschuldens anders als früher bestimmen. Wie Gmelin ja schon durch den Titel seines Werkes zu erkennen gibt, handelt es sich aber doch nach wie vor um die Schuld oder Unschuld der Templer, die möglichen Nuancirungen der ersteren, falls sie nachgewiesen ist, sind nebensächlich. Das hat, besorgt wegen der Zugeständnisse, die Gmelin, wie später zu berühren sein wird, am Schlusse in Bezug auf die Entartung des Ordens macht, neuerdings auch B. v. Kugler[8] ausgesprochen, indem er meint, es sei gleichgültig, ob man eine förmliche templerische Geheimlehre oder bloss häretische Verirrungen innerhalb des Ordens zugebe.

Und mit der Behauptung von einem thatsächlichen Verschulden des Ordens, mag man dieses auch nur darin sehen wollen, dass er gegen die von vielen Mitgliedern geübten anstössigen Bräuche nicht einschritt, sondern das Uebel im Geheimen weiter um sich fressen liess, stehe ich ja nicht allein, sondern darf mich der Uebereinstimmung nicht bloss mit Hermann Reuter, sondern namentlich auch mit Ranke freuen. Das hätte Gmelin doch zu einiger Vorsicht mahnen sollen; aber er findet sich mit beiden Autoritäten ebenso schnell wie einfach ab. Gegen Reuter, der die Templerfrage in seiner „Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter“ II, S. 33 ff., berührt, bemerkt er (S. 63, Anm. 1) unter rühmender Anerkennung seiner sonstigen Verdienste, dass er in dem Streben, religiöse Aufklärung im Mittelalter nachzuweisen, zu weit gehe und mehr Aufklärung finde als zugestanden werden könne; Reuter’s Urtheil über die Acten des Templerprocesses (sie gewährten keine sichere Unterlage, seien aber nicht für völlig kritisch werthlos zu halten) erledigt er durch die Bemerkung: [251] hätte Reuter das ganze Material gründlicher kennen gelernt, so würde er wohl zu einem anderen Ergebniss gekommen sein.

Noch überraschender ist die Art, wie (S. 14 Anmerkg.) Ranke’s Autorität abgethan wird, indem seine Behauptung von dem Vorhandensein eines häretischen Zuges bei den Templern[9] einmal dem Mangel an Kenntniss des vollen Materials entsprungen sein soll, dann aber wörtlich fortgefahren wird: „Als tieferer Grund erscheint uns allerdings auch bei Ranke ein gewisser Mangel in Bezug auf das Verständniss des religiösen Factors; auch bei ihm verbirgt sich nicht, dass er eben in erster Linie Profanhistoriker ist, dagegen mit der Kirchengeschichte von Hause aus weniger vertraut“. Das ist jedenfalls ein neues Urtheil über den Altmeister unserer Wissenschaft, in dem wir den Geschichtschreiber nicht bloss der Deutschen Reformation, sondern auch der Päpste bewundern, und der sein Lebenswerk krönte mit einer vorzugsweise der Entwicklung des religiösen Gedankens nachgehenden Weltgeschichte grösster Conception. Auch ihm gegenüber wird also auf das Vorrecht des Theologen, der seine kirchengeschichtlichen Collegien hörte, gepocht, ähnlich wie Gmelin anderer Leute Auffassung widerlegt zu haben glaubt durch die Behauptung ihrer Unfähigkeit, „sich wirklich auf den Boden der mittelalterlich-kirchlichen Auffassung zu stellen“ (S. 145). Das ist freilich immer noch milder, als wenn er (S. 261) eine gegnerische Ansicht dadurch beseitigt, dass er auf ihre Erörterung verzichten zu müssen erklärt, weil die bisher von ihm vorgebrachten „Gründe für jeden vernünftigen und rechtlichen Menschen genügen“ müssen, den noch nicht Ueberzeugten also diese beiden Eigenschaften höflicher Weise abspricht. Trifft hier nicht genau das zu, was ich über die neuerdings Mode gewordene Art der Kritik und Polemik bemerkte?

Aber noch eine andere Seite der Gmelin’schen Kritik und Polemik muss vor dem Eintritt in die sachliche Discussion hier durch ein paar Beispiele gekennzeichnet werden. Der Wiedergabe meiner beiden Arbeiten über den Templerorden erklärt Gmelin desshalb so grossen Raum zugestanden zu haben (S. IV), um mir „so viel als möglich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und [252] den Vorwurf einseitig auszugsweiser Darstellung zu vermeiden“. Leider hat ihn gerade sein Uebereifer dazu an einigen recht wichtigen Stellen unfähig gemacht. Ich lege dabei kein Gewicht darauf, dass er bei Wiedergabe des Inhalts der „Geheimlehre“ die Darstellung von dem ursprünglichen Verhältniss zwischen Christenthum und Islam reproducirt, die ich erst in der „Culturgeschichte der Kreuzzüge“ (Berlin 1883) vorgetragen habe. Aber gegen die von ihm beliebten Entstellungen muss ich Verwahrung einlegen. Wenn er mich (S. 18) sagen lässt, „seinem ursprünglichen Wesen nach weise der Islam weit mehr Verwandtschaft mit dem Christenthum auf“, als man gewöhnlich annehme, so ist das doch etwas ganz anderes, als ich (Culturgesch. S. 22) sagte: „Seinem ursprünglichen Wesen nach ist der Islam dem Christenthum nicht unversöhnlich verfeindet“. Weiterhin habe ich dann die schnelle Ausbreitung der Lehre Mohammed’s zu erklären gesucht aus der Entartung des Byzantinischen Christenthums jener Zeit, das „jedes höheren geistigen und sittlichen Gehaltes entbehrte und eigentlich nichts war als eine wüste Mischung von Heidenthum, unverstandenen christlichen Gebräuchen und inhaltlosen Formeln“ (Culturgesch. S. 24). Daraus liest Gmelin heraus, dass nach meiner Meinung „dem sittlich Höherstehenden“ der Islam sich „als eine höhere Religionsstufe geoffenbart habe“. Meine Auffassung des Byzantinischen Christenthums, die er hier bekämpft, trägt er dann aber S. 60 selbst vor und macht ganz das gleiche Moment für die rasche Ausbreitung des Islam geltend. An derselben Stelle (Culturgesch. S. 23) habe ich zum Erweis dafür, dass schon früher die mancherlei Berührungspunkte zwischen Islam und Christenthum erkannt worden sind, das charakteristische Factum angeführt, dass ein eifriger Vorkämpfer der katholischen Orthodoxie die Reformation als eine Tochter Mohammed’s bezeichnet, ein Spanischer Schriftsteller aber diese Parallele zwischen der Kirche der Reformation und dem Islam in allen Einzelnheiten durchgeführt habe. Das Ausserordentliche und Verkehrte eines solchen Vergleichs habe ich durch ein ! gekennzeichnet. Das hindert aber Gmelin nicht an der Insinuation (S. 18): „Und zwar führt Prutz diesen Vergleich offenbar mit zustimmender Absicht an“. S. 62 aber geht er in der Entstellung noch einen Schritt weiter, indem er behauptet, ich „bringe es fertig“, „im Anschluss an Loiseleur“ (der damit absolut nichts zu thun [253] hat, wie ein Blick in die Anmerkungen S. 501/2 gelehrt haben würde!), mit einem Spanischen Schriftsteller den Islam nicht nur mit dem Arianismus, sondern geradezu mit der Reformation zu vergleichen – und dann wirft er sich mit einem „Was sollen wir dazu sagen?“ in die Brust, um auf Grund einer solchen unwahren Angabe mir wie Ranke (!) jedes religiöse Verständniss abzusprechen und fortdauernde Verkennung des „religiösen Factors in der Geschichte“ Schuld zu geben. Vollends glaublich gemacht wird das dann dem flüchtigen Leser, indem S. 59 meine Bemerkung betreffend die Ueberlegenheit des Islam gegenüber dem Byzantinischen Christenthum auf das orthodoxe Christenthum des Mittelalters überhaupt gedeutet wird.

Aehnliche Willkürlichkeiten oder – Flüchtigkeiten in der Wiedergabe der gegnerischen Ansichten finden sich bei Gmelin noch in Menge. Es soll sich z. B. wunderlich ausnehmen, wenn ich bei Besprechung des Verhörs der ursprünglich vor dem Papste zu erscheinen bestimmten Ordensoberen in Chinon gegen Schottmüller bemerkte, er gebe S. 195 ff. „ohne Beweis die Folgen der Folter als Grund“ ihres Nichterscheinens vor Clemens V. zu Poitiers an, während S. 199 und 200 Schottmüller ausführlich darzuthun sucht, man müsse die Differenz zwischen der ersten und der zweiten Aussage etlicher der dabei Verhörten „auf zwischen dem ersten und dem zweiten Verhör liegende Gewaltmassregeln“ zurückführen. In der Note S. 64 gibt Gmelin mir Schuld, die Vermuthung Reuter’s betreffend das Vorkommen von Disputationen zwischen christlichen und Mohammedanischen Gelehrten über die beiden Religionen „begierig als feststehende Thatsachen zu verwenden“, um in gesperrtem Drucke hinzuzufügen: „Wenn das Schottmüller gethan hätte!“ Dass ich aber Culturgesch. S. 28 und 503 die Beweise dafür bringe und eine Reihe von uns erhaltenen Denkmälern der Art nachweise, lässt er unerwähnt. – S. 101 meint er bei Besprechung der Regel von Troyes, es sei kein Gewicht darauf zu legen, dass in der Französischen – d. h. ursprünglichen – Fassung, abweichend von der Lateinischen, Art. 13 den Templern aufgegeben werde, sich an excommunicirte Ritter zu halten, vielmehr liege wohl ein einfaches Versehen vor, wie er denn auch S. 165 die Worte des hl. Bernhard, in denen er auf die in dem Orden vereinigten schwierigen, verwahrlosten Elemente hinweist, nicht als eine [254] buchstäblich zu nehmende Urkunde über den Charakter der anfänglichen Bestandtheile des Ordens gelten lassen will, sondern darin nur einen etwas zur Hyperbel neigenden Erguss findet: unerwähnt aber lässt er, wie diese Bestimmung eine überraschende Bestätigung erfährt durch die (Entwicklung S. 281) von mir mitgetheilte Urkunde Alexander’s III., welche den Templern von Mons Gaudii die Aufnahme excommunicirter Brabançonen, Aragonesen und Basken erlaubt, während man darin füglich doch nur eine Reminiscenz an die für die Anfänge des Ordens geltenden merkwürdigen Verhältnisse wird sehen können.

Zuweilen lässt auch bei Gmelin das sprachliche Verständniss der Quellen zu wünschen übrig: S. 228 in dem Gutachten Molay’s gegen die Union der Templer mit den Hospitalitern ist nicht die Rede von einer „schweren Verletzung der Religion und des Gewissens“, sondern des Ordensgelübdes (religio) oder des Ordens. In der Denunciation, die Porchard de Gisis bei seinem Verhör gegen den Orden einreichte, soll Art. 7: comunement estoient larron gent qui autre gent avoient mis a mort, se il avoient un pou d’argent, sil estoient frères (Michelet, Procès I, S. 38), nach Gmelin S. 244 heissen „insgesammt seien es räuberische Leute, welche andere um ein Bischen Geld umbrächten, wenn es nicht Brüder sind“, denn „hier wird wohl die Negation durch Versehen weggefallen und so zu ergänzen sein: s’il n’estoient frères!“ Vielmehr will der Satz besagen: „gemeinhin sind es räuberische Leute, die schon Jemand todtgeschlagen hatten; wenn sie (d. h. eben die Todtschläger) Geld hatten, so wurden sie dennoch Brüder“.

Diese Beispiele genügen wohl, um nicht bloss die ganze Art der Gmelin’schen Kritik und Polemik zu kennzeichnen, sondern auch ein Bild von seiner Methode zu geben. Auf andere Seiten seiner Arbeit lasse ich mich nicht ein: die Unklarheit und Verworrenheit der sich vielfach wiederholenden, aber auch vielfach widersprechenden Darstellung, die Breite und Ungelenkheit des Ausdruckes, der bis zur Unverständlichkeit schwerfällige Stil und die Neigung zu recht gewöhnlicher Redeweise werden sich ohnehin jedem Leser aufdrängen, nicht minder die Neigung zu der Sache völlig fremden allgemeinen Ergüssen, in denen sich zuweilen der Theologe wohlgefällig ergeht. Nur der Curiosität halber sei noch angeführt, [255] dass Gmelin S. 3 und 5 alles Ernstes glaubt, die Protokolle des Templerprocesses seien in der Vaticanischen Bibliothek aufbewahrt.

Nach dieser schon allzu lang gerathenen Einleitung mag es mir vergönnt sein, einige Punkte sachlicher Natur zu erörtern, nicht sowohl zur Abwehr gegen Gmelin, als um in weiteren Kreisen die Verständigung über gewisse Controversen zu befördern und damit einen Beitrag zur Lösung des hier vorliegenden grossen Problems zu liefern.


III.

Trotz des absprechenden Urtheils, das er über Schottmüller’s „Untergang des Templerordens“ fällt und das ähnlich wie bei K. Wenck noch dadurch verschärft wird, dass als Motiv für Schottmüller’s Bemühen, Clemens V. „weiss zu waschen“, seine Beflissenheit angegeben wird, sich seinen Vaticanischen Gönnern dankbar zu erweisen (S. 5), hat Gmelin im einzelnen viel von demselben entlehnt. In der Gesammtauffassung aber und dem Gesammturtheil trifft er im wesentlichen mit Lea zusammen und pflichtet der Darstellung bei, welche dieser in seiner History of the Inquisition in the Middle ages, Bd. II, S. 238–334 von dem Templerprocess gegeben hat. Wird der hochverdiente Amerikanische Kirchenhistoriker doch überhaupt neuerdings als Autorität ersten Ranges angerufen, wo es Zweifel zu erledigen oder Einwände abzuweisen gilt. Ich bin gewiss der Letzte, das Verdienst und die Bedeutung des Lea’schen Werkes anzuzweifeln, doch will es mir scheinen, als lägen beide mehr in der einheitlichen Erfassung und Durchdringung des gewaltigen Stoffs und in der Klarlegung der Entwicklung jenes furchtbaren kirchlichen Instituts von einem leitenden Gesichtspunkte aus, als in der geleisteten Detailarbeit, so achtungsgebietend diese auch dasteht. Es wird daher dem Lea’schen Buche nicht anders ergehen als den meisten Werken ähnlicher Art, die grosse Zeiträume und schwer übersehbare Massen von Einzelthatsachen zusammenzufassen versuchten: die nachprüfende Einzelforschung wird an Berichtigungen und Nachträgen noch genug beizubringen haben.

Im Anschluss an Lea stellt Gmelin S. 253–254 den Satz auf, so wenig wie das Asylrecht der Kirche und die Exemtion der Bettelorden habe der Inquisition gegenüber das Vorrecht der [256] geistlichen Ritterorden eine Ausnahme begründet, vielmehr seien auch diese dem Einschreiten der Glaubenswächter jeder Zeit schutzlos preisgegeben gewesen. Das soll, wenn wir auch keinen Erlass haben, der sie ausdrücklich der Inquisition unterwarf, schon folgen aus der allgemeinen Aufhebung aller Exemtionen durch das Decret von Verona vom Jahre 1184. Die Frage ist für den Templerprocess von fundamentaler Wichtigkeit. Ist die These Gmelin’s und Lea’s richtig, so war das Einschreiten des Inquisitors Wilhelm Imbert gegen die Orden in Frankreich vom Standpunkte des einmal geltenden Rechts aus unanfechtbar. Wie entscheidend das für die Beurtheilung sowohl Clemens’ V. wie Philipp’s des Schönen in die Wagschale fällt, liegt auf der Hand: war die Inquisition zum Vorgehen befugt, dann war des Papstes wiederholt erhobener Anspruch, er allein sei berechtigt, den Orden abzuurtheilen, nicht begründet, und man würde darin nur einen Versuch zu sehen haben, die stolze Genossenschaft, die sich um den Römischen Stuhl Verdienste genug erworben hatte, vor dem drohenden Verhängniss zu retten. War die päpstliche Forderung berechtigt, so wird die Art, wie Clemens V., nach einigem Sträuben zwar, sich dem Vorgehen des Französischen Inquisitors und des Französischen Königs anschliesst, in Bezug sowohl auf ihre Bedeutung wie auf ihre Motive doch anders zu betrachten sein als unter jener Voraussetzung.

Nun heisst es ja allerdings in dem von Lea, I, S. 313 ff., angezogenen Veroneser Decret von 1184, das man als den Ausgangspunkt für die Organisation der Inquisition anzusehen pflegt: Praesenti nihilominus ordinatione sancimus, ut quicunque manifeste fuerint in haeresi deprehensi, si clericus est vel cuiuslibet religionis obumbratione fuscatus, totius ecclesiastici ordinis praerogativa nudetur – et secularis relinquatur arbitrio potestatis. Es mag dahingestellt bleiben, ob der dem clericus entgegengesetzte cuiuslibet religionis obumbratione fuscatus ohne Weiteres auch auf die Ritterorden zu deuten und nicht vielmehr bloss auf die geistlichen Orden zu beziehen ist, und ebenso, ob diese für die 1184 geplante bischöfliche Inquisition erlassene Bestimmung auch für die spätere, doch wesentlich anders geartete gegolten haben muss. Jedenfalls gibt Lea, S. 314 und 322, selbst zu, dass das Decret von Verona thatsächlich nicht in Kraft getreten ist. Auch lässt – abweichend von seinem [257] Benützer Gmelin – Lea keinen Zweifel darüber, dass er die Templer für eximirt von der Inquisition hält, indem er sie wiederholt (III, S. 241, 243) bezeichnet als „justiciable only by Rome“ oder „in the Roman curia“ (vgl. S. 253: the Templars were subject to no jurisdiction save that of the Holy See).

Um so überraschender ist es, dass er sie bei Beginn des Verfahrens in Frankreich plötzlich als der Inquisition unterworfen behandelt (S. 259): „while his aweful authority overrode all the special immunities and personal inviolability of the Order“. Welche von den beiden sich ausschliessenden Thesen Lea’s die richtige ist, kann nicht fraglich sein gegenüber der Bulle Clemens’ III. vom 14. Februar 1190, welche alle den Privilegien des Ordens zuwiderlaufenden päpstlichen Erlasse dem Orden gegenüber für ungültig erklärte[10]. Im Einklange damit hat sich auch die um ein Gutachten über die streitige Competenzfrage angegangene theologische Facultät der Pariser Hochschule am 25. März 1308 dahin ausgesprochen, dass ein weltlicher Fürst Häretiker zwar ohne bischöfliche Vollmacht nicht aburtheilen, wohl aber der Häresie Verdächtige, wenn Gefahr im Verzuge, gefangennehmen dürfe, um sie der Kirche auszuliefern, dass aber die Templer in jedem Falle eximirte Leute seien, deren Güter nur ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäss verwendet werden dürften[11]. Augenscheinlich suchte die Facultät sich mit dieser Aeusserung zwischen den in dieser Sache vorliegenden Schwierigkeiten hindurchzuwinden, ohne es mit einer der beiden concurrirenden Gewalten zu verderben: sie hielt fest an dem ausschliesslichen Recht des Papstes zur Aburtheilung der Ordensritter in Betreff der ihnen Schuld gegebenen Häresie, erkannte aber andererseits die Befugniss des Königs an, dieselben auf das erfolgte Anrufen der Inquisition festzunehmen.

Was die Motive, die Philipp den Schönen zur Vernichtung des Ordens bestimmt haben sollen, angeht, so sucht Lea (III, S. 253–254) diese allerdings in der niedrigsten Sphäre menschlicher Leidenschaft, indem er den König nur von Geldgier geleitet sein lässt. Gegen die Templer und nicht gegen die – angeblich – noch reicheren Hospitaliter soll er sich gewandt [258] haben, weil er sie als die schwächeren erkannt hatte, und die öffentliche Meinung gegen sie erregt wusste. Diese Auffassung befremdet um so mehr, als doch Lea auch den Punkt wenigstens streift, von dem aus füglich der ganze Vorgang aufgefasst werden muss. „Eine solche Körperschaft von gewaffneten Kriegern“, sagt er (III, S. 253), „war eine Anomalie in der feudalen Organisation; da die Templer ihre militärische Thätigkeit im Osten aufgegeben zu haben schienen, mag Philipp in ihnen ein Hinderniss gesehen haben für die Entwürfe zu monarchischer Machterweiterung, die er bei der ersten günstigen Gelegenheit zu verwirklichen dachte“. Ich möchte fast meinen: hätte Lea das reiche Material gekannt, das ich über den Besitz und die Macht des Ordens in Frankreich zusammengebracht habe, er würde dieser Seite der Sache vielleicht noch weiter nachgegangen sein. Denn es ist doch wohl nicht bloss zufällig, dass wir den Orden Generationen hindurch mit Consequenz und Energie eine Politik verfolgen sehen, die darauf ausging, seine Güter und deren Einsassen den staatlichen Verpflichtungen zu entziehen, die staatlichen Rechte in seine Hand zu bringen und diese eximirte Stellung durch weitreichende Schutzverhältnisse auf einen möglichst grossen Kreis ihm eigentlich nicht angehöriger Personen zu erstrecken.

In grösserem Massstabe und mit grösserem Erfolge als sonst irgendwo hat der Orden dieses Verfahren gerade in Frankreich durchgeführt; schärfer als sonst irgendwo hat sich in Folge dessen dort auch der Gegensatz zwischen dem Orden und dem Königthum, dessen Gerichten und Beamten zugespitzt. Unerträglicher als irgendwo musste dieses Verhältniss für das erstarkende Königthum in Paris selbst werden, von dem ein guter Theil sich nicht bloss thatsächlich, sondern von Rechts wegen in der Gewalt des Ordens befand. Gewiss war damit noch kein Ordensstaat geschaffen, wohl aber ein Zustand, der mit einem geordneten, sich centralistisch ausbildenden monarchischen Staat unvereinbar war. Gmelin sucht das (S. 230 ff.) zu entkräften durch den Nachweis, dass die Templer, längst nicht mehr stark genug, ihren ursprünglichen Beruf im Kampfe gegen den Islam zu erfüllen, schon numerisch viel zu schwach gewesen seien, um dem Französischen Staate unter Philipp dem Schönen gefährlich zu werden. Die Zahl der Tempelritter abzuschätzen, [259] ist ein vergeblicher Versuch: auch kommt es auf sie gar nicht an, sondern auf die Zahl der in Frankreich von dem Orden abhängigen Leute und auf den Umfang der ihnen dort unterthänigen Gebiete. Mit wie wenig Rittern hat der Deutsche Orden den von ihm an Weichsel und Pregel errichteten Staat beherrscht? Auch ist nicht recht erfindlich, wie Gmelin erst die Behauptung von einer Gefährdung des Französischen Staates durch die Templer als „kaum ernsthaft zu nehmen“ bezeichnen (S. 230) und dann (S. 236) von „einer eigenen ziemlich selbständigen Politik des Ordens“ sprechen und zugeben kann, dass derselbe der alles nivellirenden monarchischen Gewalt „ein steter Dorn im Auge gewesen sei“, dass diese daher auf Repressivmassregeln gegen ein solch störendes Element habe sinnen müssen. Wenn nun Gmelin dann weiter darthut, wie „der Orden im Vergleich mit seiner verhältnissmässig bescheidenen Mitgliederzahl ein durch seinen Besitz jedenfalls in die Augen fallendes Bevölkerungselement bildete“, so fragt man mit Recht, wo denn der fundamentale Gegensatz eigentlich liegen soll, in dem seine Auffassung von diesen Dingen angeblich zu der meinigen steht. Vielmehr scheint es, als ob er die politische Seite des Verhältnisses zwischen dem Orden und Philipp dem Schönen im wesentlichen so auffasst und beurtheilt wie ich.


IV.

Solcher Widersprüche aber finden sich bei Gmelin nun noch etliche und zum Theil ärgere. Doch bin ich weit davon entfernt, ihm gegenüber daraus in solcher Weise Capital zu schlagen, wie er aus den Abweichungen, die sich bei mir zwischen zwei neun Jahre auseinander liegenden Arbeiten finden, obgleich sich in einem und demselben Werke mehrfach zu widersprechen, und zwar in recht wichtigen Punkten zu widersprechen, doch bedenklicher sein dürfte als jene mir zum Vorwurf gemachte Aenderung der Auffassung. Denn den Schlüssel zu der an ihm selbst zu beobachtenden Thatsache giebt Gmelin (S. 175) in der freilich nicht allzu tiefsinnigen Bemerkung: „Ja, so kommt es immer wieder nur darauf an, wie man eine Sache ansieht“.

Es begegnet ihm nämlich mehrfach, dass, was er als gestrenger Kritiker an meinen Arbeiten verworfen hat, ihm nachher, wo er selbst positiv wird und aus den Quellen zu einem einheitlichen [260] Bilde der in Betracht kommenden Vorgänge und Zustände zu gelangen sucht, ganz ebenso oder doch sehr ähnlich erscheint. Es geht ihm da wie eben mit der Gefährlichkeit des Templerordens für den Französischen Staat: in seinem „positiven“ Theil behauptet Gmelin, was von Anderen behauptet in seinem „polemisch-kritischen Theil“ als „nicht ernsthaft zu nehmen“ kurzer Hand abgethan ist. Der Grund davon ist jedoch nur zu einem Theil ein persönlicher oder individueller, zum andern liegt er einmal in der eigenartigen Beschaffenheit des grössten und wichtigsten Theiles des Quellenmaterials, dann aber in der Natur der geschichtlichen Erkenntniss und dem Wesen der geschichtlichen Methode. Mit anderen Worten: es ist leicht, an einem historischen Bilde, das aus einer ungleichartigen und ungleichwerthigen und obenein vielfach lückenhaften Ueberlieferung construirt ist, die Fugen und Risse und die von dem Urheber zu deren Ergänzung beigefügten Zuthaten nachzuweisen und anzufechten. Wenn dann aber der Kritiker seinerseits aus demselben Material ein einheitlich angelegtes und durchgeführtes Bild zu geben unternimmt, dann schliessen sich ihm die einzelnen Theile in der Hauptsache ebenso zusammen, und wo es Uebergänge zu ergänzen und fehlende Zusammenhänge herzustellen gilt, da weiss er das in den meisten Fällen doch nicht viel anders zu machen als der erst von ihm so abfällig Kritisirte. Wir sehen darin einen erfreulichen Beweis für die Richtigkeit gewisser historischer Anschauungen und für die Sicherheit gewisser von ihnen aus gewonnener Resultate.

So ist Gmelin S. 22 ff. bemüht, die von mir und Anderen vorgebrachten Beweise für den Eigennutz der Ordenspolitik zu entkräften. S. 139 ff. legt er sie nicht bloss selbst dar, sondern meint auch, dass die Templer darin ihren eigenen Weg zu gehen berechtigt gewesen seien, weil sie bei ihrer genauen Bekanntschaft mit den Verhältnissen im Osten am besten wussten, was das Richtige war. Aehnlich wird S. 117 gegen meine Bemerkung polemisirt, die Regel von Troyes habe praktischen Werth gar nicht gehabt, „weil sie eigentlich in nichts zu dem thatsächlich Gegebenen gepasst habe“, und dann S. 118 behauptet, dass sie den Rittern nachmals so gut wie unbekannt gewesen sei – was doch in Bezug auf ihre Bedeutung für das Leben des Ordens genau auf das von mir Gesagte hinausläuft.

[261] Hier mag gleich noch ein anderer Punkt zur Sprache gebracht werden, der damit zusammenhängt. Hat nämlich Gmelin Recht mit der Behauptung, dass zur Zeit ihres Untergangs den meisten Templern die Regel unbekannt war, so fällt alles in sich zusammen, was er S. 104 ff. und 117 ff. aus dem unanfechtbaren, löblichen Inhalt der Regel gegen die Möglichkeit der den Templern schuld gegebenen Verirrungen folgert. Die Regel hatte eben aufgehört, die Norm zu sein für das Leben der durch die Masse, namentlich der Servienten, ins Ungemessene gewachsenen Genossenschaft, man kannte sie vielfach gar nicht mehr, konnte folglich auch nicht nach ihr leben und wurde sich daher des Widerspruchs gar nicht bewusst, der zwischen ihr und der weithin eingerissenen Verwilderung bestand. Wohl aber ist es denkbar, dass man gewissen Worten und Wendungen aus der Regel, die in Uebung blieben, unter dem Einfluss der herrschenden Zuchtlosigkeit eine unziemliche Deutung gab.

Zu den Wendungen, welche, wie die Processacten erweisen, auch als die Regel im übrigen längst vergessen war, bei der Aufnahme neuer Genossen noch gebraucht wurden, gehört der Hinweis des Recipienden auf die schweren Pflichten, die er zu übernehmen habe, auf die harten Dinge, die er zu sehen bekommen werde (toutes les duretés aussi qui li sauront mostrer), und die Ermahnung, solche geduldig zu ertragen (qu’il souffrira volontiers tout, in den Processacten gewöhnlich in der Formel „oportere eum multa aspera et dura sustinere“ – z. B. Michelet, I, S. 416, 488 u. s. f.). Dass diese Worte ursprünglich in dem reinsten Sinn gemeint gewesen, in diesem auch vielfach festgehalten und später noch gebraucht worden sind, ist zweifellos. Aber ebenso kann man, steigt man einmal in diese unlautere Sphäre hinab, sich denken, dass bei Aufnahmen, die unter Uebung der nachmals incriminirten Bräuche stattfanden, die ersten aspera et dura, die ersten duretés, welche die neuen Genossen über sich ergehen zu lassen hatten, eben in dem Vollzug jener Bräuche bestanden.

Der Verrohung, in die wir einen grossen Theil des Ordens verfallen finden, würde diese Deutung einer aus der längst vergessenen ehrwürdigen Regel unverstanden noch fortlebenden Phrase nur zu gut entsprechen. Diese Auffassung erhält selbst durch Lea eine Stütze. Gibt man aber mit Lea die obscönen [262] Küsse – denn um diese handelt es sich – als im Charakter der Zeit und vieler der damaligen Ordensbrüder zu, dann wird man sich auch gegen die Annahme nicht sträuben können, dass ein übereifriger Inquirent die Vorschrift der Regel, dass der Recipiend sich zur Duldung aller „duretés – qui li sauront mostrer“ verpflichten muss, mit diesem Brauche in Verbindung brachte und eben in ihm eine der Härten fand, welche zu ertragen die Regel den Templern zur Pflicht machte. Diese einfache Schlussfolgerung wird durch Gmelin’s sittlich entrüsteten Ausruf: „Was sollen wir nun dazu sagen? Unglaublich!“ nicht widerlegt. Und wenn sie dadurch nicht widerlegt wird, so wird es auch erlaubt sein, zu vermuthen, dass die Templer dieses Schlages, als sie jene nun so verfänglich erscheinende Bestimmung in der bisher nicht gekannten Regel vorfanden, dieselbe aus dem ihnen zugänglichen Exemplar entfernten. Diese Annahme ist wohl weniger gewagt als die jedes Anhalts entbehrende Vermuthung Gmelin’s S. 118, dass die päpstliche Bestätigung der Regel, die bekanntlich nicht vorliegt, unter Clemens V. durch die Curie aus dem Wege geschafft sei, da diese wünschen musste, ein so beschämendes Denkmal für alle Zeit beseitigt zu sehen.

Während ich dem Provençalischen Theil des Ordens einen besonderen Einfluss zugesprochen habe, sucht Gmelin S. 82 ff. darzuthun, dass im Gegentheil der Nordfranzösische der tonangebende gewesen sei. Die Statistik aber, die er dazu aufmacht, beruht auf einem zu unvollständigen Material, um für ihre Ergebnisse irgend welche Sicherheit beanspruchen zu können. Auch zieht Gmelin eben diesen Punkt späterhin wieder in Zweifel, und S. 442 betont er, „dass in diesen Gegenden der Orden allerdings nicht gering an Zahl und Besitz gewesen sein könne“ – S. 472 nennt er die Provence (wegen des Albigenserthums) gar „gerade den gefährlichsten Theil Frankreichs“. Er hebt hervor, dass die Aragonischen Templer den Grafen von Toulouse gegen Simon von Montfort Hilfe geleistet haben und dass die Erinnerung daran noch in späterer Zeit mächtig genug gewesen, um bei dem Provençalischen Adel den Gedanken an den Abfall zu Aragonien aufsteigen zu lassen. Sollten dann aber die Provençalischen Templer ihren Aragonischen Brüdern entgegen zu Montfort und nicht vielmehr ebenfalls zu dem Toulouser Ketzerbeschützer [263] gestanden haben? Mag diese Parteinahme auch durch politische Motive veranlasst sein: daraus auch auf die kirchliche Denkweise dieses Theils des Ordens einen gewissen Schluss zu ziehen, wird nicht allzu gewagt sein. Dass den Aragonischen Templern häretische Verirrungen nicht nachgewiesen sind, ist doch kein ausschlaggebendes Moment dagegen. – Auch das wird man doch wohl als einen Widerspruch anführen dürfen, in den Gmelin mit sich selbst geräth, dass er S. 142–43 dem Streit, der über die von Clemens IV. geforderte Absetzung des Ordensmarschalls Stephan de Sissy ausbrach, den ich (Entw. S. 99 ff.) als ein Symptom der Spannung zwischen der päpstlichen Curie und dem Orden geltend gemacht, keine Bedeutung beimessen will, S. 225 aber die Nachgiebigkeit des Papstes „höchst instructiv“ findet und auf „die zurückgebliebene Verstimmung“ hinweist.

Ganz besonders schweren Anstoss nimmt Gmelin endlich daran, dass ich von der päpstlichen Commission, die nach dem Abkommen zwischen Philipp IV. und Clemens V. zur Führung der Untersuchung gegen den Orden eingesetzt wurde, geurtheilt habe, sie sei von einer den Templern feindlichen Tendenz nicht beherrscht, vielmehr eher darauf aus gewesen, sie zu retten oder wenigstens glimpflich abkommen zu lassen. Ist es aber sachlich nicht eigentlich dasselbe, wenn er S. 390 eben dieser Commission das Zeugniss nicht vorenthalten zu können erklärt, „dass sie der Unparteilichkeit, die ihre Aufgabe erforderte, soviel, als es solchen Männern möglich war, sich bestrebte, dass sie ihrer heiklen Aufgabe mit ziemlichem Geschick nachgekommen ist, und dass insbesondere die Milde, deren sie sich gegenüber den Angeklagten befleissigte, wirklich einen Lichtpunkt in dem düsteren Gemälde des ganzen Processes bildet“, und wenn er ihren Mitgliedern nachrühmt, sie seien „auserlesene und aufgeklärte Männer“ gewesen, „so viel man das in dieser Periode sein konnte“. Wenn sie dennoch voller Unabhängigkeit dem König gegenüber ermangelten, so lag das nach Gmelin nur daran, dass die Ereignisse stärker waren als sie. Auch S. 399 erkennt Gmelin ihre Milde und grössere Unparteilichkeit an und erklärt, die durch sie geführte Untersuchung sei in Folge dessen „zu einer Art von Gegenbeweis gegen das bisherige Verfahren“ geworden, was sich, wie mir scheinen will, wenn auch nicht den Worten, so doch dem Sinn nach mit der von mir ausgesprochenen Ansicht deckt, [264] die päpstliche Commission habe im Gegensatz zu den königlichen Beamten und den Bischöfen, die ganz im Geiste der Inquisition von Anfang an nur darauf ausgingen, die den Templern anhaftende Diffamation als begründet darzuthun, eher das entgegengesetzte Ziel verfolgt.

Trotz der überaus scharfen Kritik also, die Gmelin an meinen Aufstellungen übt, nähert er sich denselben doch beträchtlich, wo er an der Hand der Quellen die in Betracht kommenden Vorgänge und Zustände zu reconstruiren versucht, und trifft in einzelnen Punkten geradezu mit mir zusammen. Das wirft ein eigenthümliches Licht einmal auf die Berechtigung seiner Kritik, dann auf die logische Consequenz und innere Einheitlichkeit seines Standpunkts. Ehe ich zum Schluss darthue, wie das besonders gerade in der Schuldfrage der Fall ist, erlaube ich mir nur noch eine kurze Bemerkung über einen Punkt, der ihm zu ganz besonders heftigen Ausfällen Anlass gegeben hat. Es handelt sich um die Templerische Bibelübersetzung oder Bibelparaphrase, die ich auf Grund der S. 317 ff. mitgetheilten Proben besprochen habe.

Ueber die Vermuthung, die ich über ihre Entstehung ausgesprochen habe, lässt sich gewiss streiten; sie beruht auf einer Combination, die wahrscheinlich, aber nicht zwingend ist, jedoch unterstützt wird durch den Umstand, dass die Sprache des merkwürdigen Denkmals nach sachkundigem Urtheil allerdings dem Ausgange des 12. Jahrhunderts zuzuweisen ist. Gmelin aber läugnet (S. 153–54) überhaupt den Templerischen Ursprung des Werkes und sucht ihn bei den Albigensern. Ich will mich dem gegenüber nicht auf eine Autorität wie Leopold Delisle berufen, der die betreffende Handschrift für die Pariser Nationalbibliothek erworben und zuerst als Templerisch in Anspruch genommen hat.

Dass es sich nicht um eine Albigensische Arbeit handelt, wird jeder erkennen, der den poetischen Prolog aufmerksam liest. Man mag auf die starke Hervorhebung der Tugenden der charité und humilité, die bereits Bernhard von Clairvaux an den Templern gerühmt, kein Gewicht legen und auch zugeben, dass der Ausdruck „ordre“ auf eine Katharische Gemeinschaft gedeutet werden kann. Wie aber Gmelin behaupten kann, der Wunsch des Uebersetzers, er möge als Lohn die „Zulassung zu dem Mitgenuss [265] der Wohlthaten jener Gesellschaft“ erhalten, passe einzig und allein auf die Stellung, welche die „perfecti der Katharer einnahmen“, wird Niemand verstehen, der sich die Mühe gibt, jenen Prolog durchzulesen, namentlich die Verse 35 ff. Wendungen wie

Ou moult porront grant bien trover
De cens et de bele voudie,
Quant fier alors chevalerie,
Et ileuc reporront oyir
Quel honor est de Deu servir
Et quel guerredon a siens rent
Qui par sa mort nomément
Ce veulent as perils livrer
Por sa loy deffendre et garder,
Come cil de votre ordre font,
Qui ses eslis chevaliers sont.

passen einzig und allein auf einen geistlichen Ritterorden. Und wenn Gmelin in der Bitte um „Zulassung zu dem Mitgenuss der Wohlthaten jener Genossenschaft“ eine solche um die Aufnahme unter die Albigensischen perfecti sehen will, möchte ich doch daran erinnern, dass die von dem Uebersetzer gebrauchte Wendung sich vielmehr wörtlich deckt mit derjenigen, deren sich nach Art. 660 der Templerstatuten (ed. de Curzon S. 338) der um die Aufnahme in den Orden Bittende bedienen solle – indem er den Receptor ersuchte, „que vos m’accuelliés en vostre compaignie et en vos bienfaits de la maison“. Der Templerische Ursprung jenes Werkes wird dem gegenüber vergeblich angefochten werden.

Wenn Gmelin ferner S. 149 behauptet, die durch die Regel gebotene Schriftverlesung „fand natürlich in Lateinischer Sprache statt“, obgleich die allerwenigsten Templer diese verstanden, so wäre doch auch dafür der Beweis erst zu erbringen. Sollte es bei den Trägern des rothen Kreuzes nicht ebenso gegangen sein, wie nachmals unter gleichen Umständen und aus gleichen Gründen bei den Deutschen Herren zu St. Marien? Auch da fand bei Tisch Schriftverlesung statt, auch da war natürlich die Mehrzahl der Brüder nicht gelehrt genug, um die Lateinische Bibel zu verstehen, auch da hatten die Oberen den begreiflichen Wunsch, jene Vorschrift der Regel nicht zu einer [266] rein mechanisch geübten Formalität werden zu lassen, sondern für ihre Genossen dadurch möglichst nützlich zu machen, dass sie zum Zwecke derselben solche Bücher der Bibel übersetzen liessen, deren Inhalt dem ritterlichen Vorstellungskreis besonders entsprach und ritterlichen Sinn zu nähren geeignet erschien: so hat Hochmeister Lothar von Braunschweig (1331–35) Paraphrasen der Bücher Daniel und Hiob veranlasst und selbst ein poetisches Leben der h. Barbara aus dem Lateinischen übersetzt; um dieselbe Zeit bearbeitete Heinrich Hesler die Offenbarung Johannis für den Deutschen Orden, und ein Karthäuser Philipp widmete demselben sein Leben der Jungfrau Maria. Dass der Meister Richard und Bruder Othon zu gleichem Zweck gerade das Buch der Richter paraphrasiren und das neue Werk mit älteren Bearbeitungen der Bücher Moses und Josua vereinigen liessen, kann demnach nichts Befremdliches haben.


V.

Weitaus die wichtigste, aber auch zugleich die schwierigste Frage, über die daher auf eine Verständigung zwischen den entgegenstehenden Ansichten am wenigsten Aussicht sein dürfte, ist die nach dem Werthe und demgemäss weiter nach der Verwendbarkeit der in dem Processe gemachten Aussagen. Von ihrer Beantwortung hängt die Entscheidung ab über das letzte in dieser verwickelten Sache zu lösende Problem, die Schuld oder Unschuld des Ordens.

Von Ranke liegt eine Aeusserung darüber leider nicht vor. Aber aus der bereits[12] angeführten Darstellung, die er am Schlusse der Weltgeschichte VIII, S. 621 ff. von der Katastrophe der Templer gibt, indem er dieselben als Gesinnungsgenossen etwa Friedrich’s II. und Manfred’s bezeichnet, auf ihre vielfache Berührung mit dem Mohammedanischen Wesen und ihre besondere, zuweilen auch gegen christliche Fürsten gerichtete Politik hinweist und schliesslich sogar die in ihren Kirchen sich findenden unchristlichen Symbole erwähnt, lässt sich der Schluss ziehen, dass er den Orden für schuldig gehalten, also auch die Processacten „nicht ohne alle Glaubwürdigkeit“ gefunden hat: er nimmt an, dass eine Verschuldung der einzelnen Ritter vorgelegen und [267] Philipp deren Bestrafung gefordert habe, während erst die päpstliche Commission gegen den ganzen Orden die Anklage auf Ketzerei in Gang gebracht haben soll. Dabei möchte ich noch auf einen bemerkenswerthen Umstand aufmerksam machen.

In den Vorträgen, die Ranke im Herbste 1854 König Maximilian II. von Baiern in Berchtesgaden gehalten hat[13], bemerkt er: „Philipp der Schöne war überhaupt ferne davon, die päpstlichen Anschauungen der früheren Jahrhunderte zu theilen und zeigte dies auch in seiner grausamen Procedur gegen die Tempelritter, obwohl er ihnen die Schändlichkeiten nicht nachweisen konnte, die er ihnen zur Last legte“. Damals also war er von einer Schuld des Ordens nicht überzeugt. Wenn er sich dann in den Vorlesungen, deren Nachschrift uns als 8. Theil der Weltgeschichte vorliegt und die 1869/70 von ihm vertretene Auffassung wiedergibt, für eine Schuld des Ordens ausspricht, so erhellt daraus, dass auch ein Ranke in dieser Frage seine Meinung im Laufe der Jahre geändert hat, und sicherlich hat er dies nicht ohne schwerwiegende, durch erneute Prüfung als zwingend erkannte Gründe gerade zu Ungunsten des Ordens gethan[14].

Hermann Reuter[15] erklärt auch nach den ihm bekannt gewordenen Untersuchungen Havemann’s, „dass die Processacten zwar keine sichere Grundlage geben“, kann sie aber „nicht für völlig kritisch werthlos halten“. Er hält daher den Brauch der Abnegation für erwiesen und sucht seine Entstehung und seine ursprüngliche Bedeutung psychologisch zu erklären.

Im Gegensatze dazu haben nun namentlich Lea und Gmelin den Protokollen jede Glaubwürdigkeit abgesprochen, indem sie auf das bei der Inquisition übliche Verfahren hinweisen und alle im Sinn einer Verschuldung des Ordens ergangenen Aussagen als erschlichen durch Einschüchterung oder erzwungen durch die [268] Folter verwerfen. Sie legen dabei namentlich auch darauf Gewicht, dass bei dem Inquisitionsprocess eine Aufzeichnung aller von dem Angeklagten gemachten Aussagen nicht üblich war, sondern nur diejenigen schriftlich festgehalten wurden, die dem Inquisitor oder seinen Beauftragten wichtig schienen. Aber auch wer das alles zugibt, braucht eben darum doch noch nicht zur Verwerfung dieses ganzen Materials zu kommen. Sollten bei einem Inquisitionsverfahren, wie diesem, das sich in verschiedenen Stadien vollzogen hat und an dem doch auch Männer betheiligt gewesen sind, denen selbst Gmelin das Zeugniss der Unparteilichkeit und des Wohlwollens gegen die Angeklagten nicht versagen kann, wirklich alle wie auf geheime Verabredung auf ein und dasselbe Ziel hingearbeitet haben und überhaupt nur unwahre Aussagen gemacht sein?

In einem gewöhnlichen Inquisitionsprocess, wo es sich um einige wenige Diffamirte handelte und nur ein kleiner Kreis von Inquirenten mitwirkte, da war es wohl möglich und vielleicht nicht allzu schwer, einen Unschuldigen durch die Folter zum Bekenntniss und dann durch die Furcht vor dem, was auf dem Widerruf desselben stand, zum Beharren dabei zu bringen: aber so viele Hunderte von Angeklagten des verschiedensten Standes, der verschiedensten Bildung und der verschiedensten Vergangenheit zum Eingeständniss von Verirrungen, die von sich aus zu erfinden es einer ganz wunderlich abirrenden Phantasie bedurft hätte, zu vermögen, und zwar so, dass schliesslich in den wichtigsten Punkten eine völlig ungezwungen erscheinende Uebereinstimmung herrschte, – solche Verschuldung aus so vielen Hunderten von Angeklagten herauszuinquiriren, die sich thatsächlich gar keiner Schuld bewusst gewesen wären, sondern von alledem erst durch die Anklage selbst Kenntniss erhalten hätten, das wird auch dem unmöglich erscheinen, der sich von der Fertigkeit der Inquisition in der Ueberführung Diffamirter die allergewaltigsten Vorstellungen macht! Aus dem Nichts solche Schuldbekenntnisse hervorzuzaubern, trauen wir selbst einem Wilhelm Imbert und Genossen nicht zu.

Denkbar ist, dass unter den Schrecknissen des Inquisitionsverfahrens Verirrungen, deren ein Theil der Ordensbrüder sich schuldig gemacht, auch von solchen, die davon frei waren und sie bloss vom Hörensagen kannten, als von ihnen getheilt [269] bekannt wurden. Aber eine Genossenschaft von der Mitgliederzahl, der Macht, dem Besitz und der Stellung des Templerordens, der Ketzerei zu überführen oder – um ganz vorsichtig zu sprechen – vor den Augen der Welt in dem Masse als der Ketzerei verdächtig darzustellen, wie es in diesem Fall geschehen ist, ohne dass auch nur die geringste Berechtigung dazu vorhanden gewesen, ohne dass wenigstens in einigen Punkten die Begründung der Anklage gelungen wäre, wird man füglich auch der angeblich zu allem fähigen Inquisition nicht zutrauen können.

Anders stellte sich die Sache, wenn in einer Reihe von Fällen wenigstens die vornehmsten der auf Grund der umlaufenden Gerüchte erhobenen Anklagen erwiesen und eingestanden waren; eingestanden, wie es ja mehrfach geschehen, in einer Form und unter Umständen, welche die Bedenken ausschliessen, die gegen von der Inquisition erwirkte Eingeständnisse sonst erhoben werden. Dann mag die inquisitorielle Technik den Kreis der Schuldigen erweitert, oder den Grad der Schuld bei diesem und jenem gesteigert haben. Dadurch aber wird der Kern der thatsächlich gegebenen Schuld des Ordens oder eines Theils desselben nicht alterirt und kann nicht einfach in Abrede gestellt werden.

Für diese Auffassung der in den Processacten uns vorliegenden Aussagen sprechen, was ich schon früher geltend gemacht habe, namentlich die individuellen Züge, mit denen das sonst gleichmässig Wiederkehrende in höchst charakteristischer Weise durchsetzt ist. Wer mit Lea und Gmelin die Aussagen in ihrem sachlichen Theil als erzwungen einfach verwirft, der muss consequenterweise auch diese individuellen Momente, die sie von einander oft recht wesentlich unterscheiden, ebenfalls verwerfen. Gewiss wird es auch für solche, die das nicht thun wollen, sondern unsern Standpunkt theilen, Fälle geben, wo sie nach ihrer subjectiven Auffassung die Grenze verschieden ziehen und jene individuellen Momente verschieden schätzen. Handelt es sich hier doch gleichsam um die Abwägung von Imponderabilien, um einen Act des psychologischen Nach- und Anempfindens, der ja nach der Natur des Einzelnen verschieden ausfallen kann. Mit dem tabellarischen Rubriciren nach gewissen äusserlichen Gesichtspunkten und dem Abzählen der so entstehenden Gruppen, wie das Gmelin in den seiner Arbeit beigegebenen [270] 30 Tafeln thut, ist hier nichts gethan; viel grösseren Gewinn ergibt eine eingehende, gleichsam innerliche Erwägung und Prüfung der einen oder der anderen besonders individuell gefärbten Aussage für das Verständniss des ganzen so unendlich complicirten und schwierigen Vorgangs.

Sehr häufig statten die verhörten Templer die Schilderung ihrer unter den anstössigen Bräuchen geschehenen Aufnahme mit ganz speciellen Zügen aus, die den Stempel des Erlebtseins an sich tragen. Sollen auch diese erfunden, auf der Folter erdacht sein, um ein fälschlich abgelegtes Geständniss glaubwürdiger zu machen, dem Inquirenten gegenüber mit grösserer Wahrscheinlichkeit auszustatten? Das wäre doch wahrlich eine ebenso absonderliche, wie überflüssige Sorgfalt! Häufig geben die sich schuldig Bekennenden an, dass sie, in ihrem Gewissen beunruhigt, das Erlebte Geistlichen in der Beichte anvertraut haben, nennen Zeit und Ort, Namen und damalige und spätere Stellung des Beichtigers: soll auch das von ihnen erfunden, ja einem ohne jede Schuld abgelegten Schuldbekenntniss hinzugelogen sein? Nur bei gänzlicher Verkennung der menschlichen Natur wird man das behaupten! Gewährsmänner für seine Schuld, die im Nothfall befragt werden können, und seine Schuld belegende Umstände, die sich doch zuweilen leicht constatiren lassen, anzuführen, wird einem in Wahrheit Schuldlosen niemals einfallen! Hier liegt eine psychologische Unmöglichkeit vor. Oder möchte wirklich jemand behaupten, dass z. B. die Angaben des Hugo von Peraud[16], er habe die ihm bei seiner Aufnahme gestellten und von ihm erfüllten Zumuthungen zur Zeit der Krönung Papst Clemens V. in Lyon dem päpstlichen Pönitentiar, dem Minoriten Johann von Dijon gebeichtet, von ihm erfunden seien, bloss um sein wider besseres Wissen abgelegtes Geständniss von den anstössigen Aufnahmeceremonien u. s. w. glaubhaft zu machen? Das anzunehmen ist ebenso unzulässig gegenüber der Aussage des Robert le Brioys[17], welcher von der ihm durch die Aufnahmeceremonien bereiteten schmerzlichen Enttäuschung in S. Germain des Prés bei Paris ebenfalls einem Minoriten, Johann, dem Beichtvater des Erzbischofs von Bourges, Simon (seit 1281, Cardinalbischof [271] von Präneste seit 1294, † 18. August 1297), Mittheilung gemacht zu haben erklärt. Solche Angaben, bei denen, was über die genannten Personen gesagt wird, genau zutrifft, können unmöglich zur Beglaubigung einer Unwahrheit erfunden sein!

Diese Beispiele könnten leicht vermehrt werden. Häufiger noch enthält die Schilderung der unter den anstössigen Ceremonien geschehenen Aufnahme rücksichtlich des Orts und der besonderen Umstände so ausgeprägte und durch ihr Detail charakteristische Züge, dass sie den Stempel des wirklich Erlebten an sich trägt und unmöglich erfunden sein kann, um ein erlogenes Schuldbekenntniss durch die angeblich begleitenden besonderen Umstände dem Inquirenten glaubhaft erscheinen zu lassen. Von hier aus aber kommt man dann doch auch in Betreff der Schuldbekenntnisse selbst zu einem andern Ergebniss. Es mag ja sein, dass einer oder der andere von den inquirirten Templern sich dessen, was, wie er vernahm, von dem und jenem seiner Genossen gestanden sein sollte, schuldig bekannte, um die von einer Leugnung zu befürchtenden üblen Folgen abzuwenden: gegenüber aber den so stark individuell gefärbten Aussagen vieler können nicht alle Bekenntnisse ohne Ausnahme auf diesen Ursprung zurückgeführt werden.


VI.

Dass Philipp der Schöne, als er dem Rufe des Inquisitors von Frankreich zum Einschreiten gegen den der Ketzerei verdächtig gewordenen Orden Folge leistete, nicht ausschliesslich aus Eifer für die Erhaltung des reinen Glaubens handelte, ist wohl von Niemandem bestritten. Wenn selbst Gmelin zugibt, dass die Beseitigung der Templerischen Macht innerhalb seines Gebietes für den König eine politische Nothwendigkeit war, so wird man es darum doch nicht für ausgeschlossen halten, dass dabei auch kirchliche oder religiöse Motive mitwirkten, wenn auch vielleicht nur insofern, als der König Zweifel, die bei ihm selbst gegen die Rechtmässigkeit seines Handelns aufstiegen, durch die starke Betonung einer ihm obliegenden Pflicht gegen die Kirche und deren Lehre zu beschwichtigen suchte. Auch hier handelt es sich freilich um Momente, denen gegenüber die subjective Auffassung alle Zeit einen weiten Spielraum und über die daher eine allgemeine Verständigung ihre Schwierigkeiten haben wird.

[272] Dass Gmelin einen Glauben Philipp’s an die ketzerische Schuld des Ordens (S. 285) für gänzlich ausgeschlossen erachtet, ist doch füglich kaum recht vereinbar mit seinem Urtheil (S. 269), der König zeige sich „dogmatisch durchaus als ein in der Bahn seines Jahrhunderts erzogener und theoretisch in keiner Weise darüber hinausstrebender Kopf“ und „dogmatisch sei seine kirchliche Correctheit ausser allem Zweifel“. Ich möchte meinen, mit einer solchen, die ganze geistige Beschränktheit seiner Zeit widerspiegelnden Denkweise des Königs über religiöse Dinge wäre der bornirte Glaube an die durch die Inquisition erwiesene häretische Verirrung des Templerordens besonders gut vereinbar, liesse sich viel ungezwungener und natürlicher daraus herleiten als die ihm von Gmelin (S. 270) zugesprochene „religiöse Bedürfnisslosigkeit“ und das mit dieser zusammenhängende „rücksichtslose Unfehlbarkeitsbewusstein“, vermöge dessen Philipp „die Formeln, die theoretischen Principien der Kirche“ mit um so grösserer Meisterschaft zur Beherrschung derselben verwandte, „je weniger er selbst davon inwendig ergriffen war“.

Für die Frage, ob man von einer Schuld des Ordens sprechen kann oder nicht, ist das freilich gleichgültig; sie wird nicht gelöst durch ein Eindringen in Philipp’s geistige und sittliche Eigenart, welche, wie sie sich in dem Vorgehen gegen die Templer darstellt, jedenfalls von dem von Gmelin dem König nachgesagten (S. 270) „weiblich-katzenartigen“ Wesen weit entfernt war.

Förderlicher für eine Verständigung in der Schuldfrage ist es, auf die Zugeständnisse einzugehen, welche die beiden neuesten und eifrigsten Verfechter der These von der völligen Unschuld des Ordens in dieser Hinsicht gemacht haben, und die zwischen ihrer Ansicht und der ihrer Gegner eigentlich keinen principiellen, sondern höchstens noch einen graduellen Unterschied übrig lassen.

Lea sagt III, S. 276: „Uebrigens ist es keineswegs unwahrscheinlich, dass die im Volk umlaufende Rede, der Novize müsse bei der Reception seinem Receptor den Hintern küssen, in etwas begründet gewesen ist. Wie wir gesehen, bestand die überwiegende Mehrheit des Ordens aus dienenden Brüdern, auf welche die Ritter mit unendlicher Verachtung herabsahen. Ein gelegentlicher Befehl der Art von Seiten eines leichtfertigen Ritters, um das Princip des absoluten Gehorsams geltend zu machen, indem er einen gemeinen Mann zu angeblicher Brüderschaft und Gleichheit [273] zuliess, würde den Sitten jener Zeit nicht fremd sein. Und wer möchte wohl ferner sagen, ob nicht Männer, erbittert durch die ihnen von dem Leben im Orden bereiteten Enttäuschungen, gleichsam wundgedrückt von den Fesseln ihres unwiderruflichen Gelübdes und vielleicht inmitten der Zuchtlosigkeit des Ostens von allen religiösen Ueberzeugungen gelöst, gelegentlich den Gehorsam eines Neulings auf die Probe gestellt haben, indem sie ihn aufforderten, das Kreuz auf dem Mantel zu bespeien, das ihnen selbst ein Gegenstand des Hasses geworden war“.

Im Gegensatz zu seiner künstlichen Theorie von der Unschuld des Ordens trifft Lea mit dieser Aeusserung den Nagel auf den Kopf, zieht damit aber zugleich sich selbst den Boden unter den Füssen weg. Denn wenn jene anstössigen Aufnahmeceremonien überhaupt vorkamen, wo bleibt dann das Kriterium, um zu unterscheiden, in welchen Fällen die sie bekennenden Aussagen begründet, in welchen sie nur gemacht sind, um die Folter zu meiden und der dem rückfälligen Häretiker drohenden Todesstrafe zu entgehen? Aber selbst zugegeben, dass ein Theil der vorliegenden Bekenntnisse wirklich auf diese letzteren Motive zurückgeht, also der thatsächlichen Begründung entbehrt, ist mit dem Anerkenntniss der doch jedenfalls nicht ganz vereinzelten Uebung solcher Bräuche die These von der Unverdorbenheit, der kirchlichen Makellosigkeit und der sittlichen Tüchtigkeit des Ordens noch vereinbar?

Eine Genossenschaft, wo dergleichen vorkam und als berechtigter Brauch dem jüngern Nachwuchs zur Weiterübung übermittelt wurde, war ihrer Bestimmung völlig entfremdet und verdiente die Auflösung, mochte es in ihr auch noch Kreise geben, die sich von der in jenen Aufnahmeceremonien zu Tage tretenden Verwilderung frei gehalten hatten. Denn da man eine absolute Geheimhaltung solcher Verirrungen in einem enggeschlossenen, allein eingeweihten Kreise füglich kaum annehmen kann, so wird die moralische Verantwortung dafür, dass dergleichen möglich, dass es geduldet und nicht bei dem ersten Bekanntwerden unbarmherzig ausgetilgt wurde, heute so wenig wie damals irgend eines Advocaten Kunst von dem Orden als solchem abzuwälzen vermögen.

In einen ganz ähnlichen Widerspruch mit sich selbst wie Lea geräth auch Gmelin, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Denn [274] während er in seinem ersten, kritisch-polemischen Theil nicht nur das Bild, das ich von der äusseren und inneren Entwicklung des Templerordens gegeben habe, fast in allen Hauptpunkten anficht und als unzutreffend zu erweisen sucht, gibt er in dem zweiten, positiven Theil dann seinerseits eine Darstellung, die sich von der meinigen doch nur in sehr untergeordneten Dingen unterscheidet. Weiterhin aber schränkt er das Lob, das er dem Orden ertheilt hat, nach allen Seiten hin mehr und mehr ein und lässt ihn im ganzen und grossen von denselben sittlichen Mängeln behaftet sein, die ich an ihm gefunden hatte. Einer selbstsüchtigen Politik hatten sich nach ihm die Templer ebenso schuldig gemacht, wie der ihnen anhaftende Ruf der Habsucht begründet war. Auch Stolz und Hochmuth sind ihnen darnach (S. 239/240) mit Recht zum Vorwurf gemacht. Ferner meint Gmelin, freilich ohne einen Beweis dafür erbringen zu können, Philipp der Schöne sei durch die Verbündeten, deren er nicht wenige im Orden gehabt, nicht bloss von der in dessen Innern herrschenden Uneinigkeit und Zwietracht genau unterrichtet gewesen, sondern auch „von den mancherlei sonstigen üblen Dingen, die in ihm umgingen und seine Reformbedürftigkeit bewiesen“ (S. 287).

Trotz dieser Zugeständnisse hat es nun aber bei Gmelin’s Standpunkt doch etwas höchst Ueberraschendes, dass er wegen der Masse der in diesem Punkte übereinstimmenden Aussagen dem Brauch der unanständigen Küsse wenigstens nicht alle und jede Wahrscheinlichkeit absprechen zu können erklärt, freilich nur um hinterher die vermeintliche Werthlosigkeit sämmtlicher in den Protokollen vorhandenen Eingeständnisse mit den bekannten Argumenten zu verfechten. Nur kann er in diesem Punkte selbst nicht zu einer bestimmten Meinung kommen, sondern wird bald von neuen Zweifeln heimgesucht. So findet er es (S. 365 N.) auffällig, dass die Cardinalcommission die Fragen in einer andern als der sonst eingehaltenen Reihenfolge stellt, und zwar nach den unanständigen Küssen meist früher fragt als nach der Verleugnung. „Sollte dies darauf hinweisen, dass dem Papst weniger die Verleugnung, woran er doch schwerlich glaubte, als jene Unsauberkeiten als das Wichtigste erschienen? und dass letzteren auch thatsächlich mehr Wirklichkeit zu Grunde lag?“

Man sieht, mit seinem sonst so zuversichtlich vertretenen Glauben an die Unschuld des Ordens kommt Gmelin gelegentlich [275] ins Schwanken. Jedenfalls wird, wer den Anfang seiner Rettung der Templer gelesen, über deren Schluss einigermassen erstaunt sein, denn da werden Verirrungen als vorgekommen, ja als üblich eingeräumt, die mit seinen sonstigen Lobeserhebungen und namentlich mit der Behauptung von der ungeminderten Geltung der Regel von Troyes völlig unvereinbar sind. Von den dem Orden vorgeworfenen Unsittlichkeiten meint er (S. 508) manche, selbst die Sodomiterei als begründet anerkennen zu müssen; namentlich im Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht scheine arge Laxheit geherrscht zu haben. Selbst die schmutzigen Küsse sind nicht ganz zu bestreiten, ja „sie lassen sich“ – hier folgt er nun Lea – „zum Theil auch nicht allzu schwer begreifen als Ausgeburten einer etwas verrohten Soldateska, wo zudem der Hochmuth der ritterlichen Elemente, über welchen vielfach geklagt wird, gegenüber den vielen niederen Verwaltungsbeamten, die mit jenen doch ein Gelübde haben und den Bruderkuss tauschen sollten, zu mancher Verhöhnung dieser Brüderlichkeit geführt haben mag“. Auch von häretischen Dingen kann, wie Gmelin schliesslich zugibt, „aus Frivolität manches vorgekommen sein, z. B. Bespeiung oder sonstige Misshandlung des Kreuzes, auffallende frivole Redensarten in der Opposition und im Aerger über die übernommenen religiösen Pflichten, die offenbar vielen sehr lästig fielen“.

Diese principiellen Zugeständnisse werden dadurch nicht entkräftet, dass die in dem Process vorkommenden einzelnen Fälle zum Theil als unglaubwürdig angefochten werden. Sie räumen in Bezug auf die Entartung des Ordens in mehr als einer Richtung viel mehr ein, als mit der Behauptung völliger Unschuld desselben irgend vereinbar ist. Höchstens der Grad der Verschuldung kann darnach noch streitig sein. Damit aber ist bereits für die Beurtheilung des Verfahrens, dem der Orden erlag, und des Antheils sowohl Clemens’ V. wie Philipp’s des Schönen daran ein ganz anderer Boden gewonnen als der, auf dem Lea und Gmelin stehen zu müssen meinen, und die Frage zum mindesten im Sinne der Unschuld des Ordens noch nicht gelöst.



Anmerkungen

  1. Stuttgart, Kohlhammer. 1893.
  2. Berlin, Mittler u. Sohn. 1887.
  3. 2 Bde. Berlin, Mittler u. Sohn. 1887.
  4. Berlin, Grote. 1888.
  5. 3 Bde. New-York. 1888.
  6. Paris u. Orléans. 1872.
  7. Nur ein paar Beispiele mögen zur Kennzeichnung der Gmelin’schen Ausdrucksweise hier angeführt werden: S. 72: „die reinste Ketzerbrauerei“; S. 146: „Müssiggang ist aller Laster Anfang, da sind wir nun drinnen!“; S. 147: „wie er (Prutz) uns in einer Anmerkung verräth“; S. 150: „Ob das etwas so über allen Zweifel Erhabenes ist? Indess, auch wenn, was ist denn da weiter dabei? Vernimm denn, o Leser, was Prutz darüber zu sagen hat“; S. 151: „diesen Riesensatz wagte doch auch Prutz nicht!“; S. 168: „Prutz aber will das scheints so lange nicht glauben, als er nicht irgendwo ein königliches oder päpstliches Document findet mit dem naiven Eingeständniss solcher Politik! Ja, da wird er wohl lange warten können: so schlau war man damals schon, dass man nicht alles dem Papier anvertraute, was man dachte“; S. 187: „dass Schottmüller Prutz auch in der Etymologie ‚über‘ ist“. – Hierher gehört auch die wunderliche, kaum recht verständliche, aber doch wohl als Witz gemeinte Bemerkung S. 17, Anmerkg. über den Gebrauch von „Tempelherr“ und „Tempelherrenorden“ und den von „Templer“ und „Templerorden“. Inwiefern in letzterem eine „entgegenkommende Stellung“ sich offenbaren soll, ist mir unerfindlich, ebenso, warum man nicht – z. B. mit Lessing – Tempelherr sagen soll. – Diese Proben mögen genügen!
  8. Allg. Zeitung. 25. December 1893.
  9. Weltgeschichte VIII S. 621 f.
  10. Entwicklung u. s. w. S. 264 Nr. 39.
  11. Baluze, Vitae pap. Aven. I, S. 591.
  12. S. oben S. 251.
  13. Weltgesch. IX, 2, S. 119.
  14. Einem der letzten und intimsten Schüler Ranke’s, der auch in späteren Jahren noch mit dem Meister in mannigfachem Verkehr stand und das Neuaufleben des Templerproblems besprach, verdanke ich die Mittheilung, dass Ranke sich damals in derselben Weise darüber geäussert hat, wie nach Loiseleur a. a. O. S. 1/2 Napoleon I.: wo schon die Zeitgenossen so entgegengetzter Meinung gewesen seien und nichts Sicheres gewusst hätten, würden wir nach so langer Zeit das Geheimniss zu durchdringen sicher nicht vermögen.
  15. Vgl. S. 250.
  16. Michelet I, 401.
  17. Ebend. S. 449.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zur