Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers/Schonung von Kunstschätzen im Kriege
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Die deutsche Kriegsführung ist wiederholt angeklagt worden, unnötigerweise Kunstschütze zerstört zu haben. Auch aus neutralen Staaten ist sie deshalb auf Grund einseitiger Berichte voreilig in Protesten mit Vorwürfen überhäuft worden, die meines Erachtens unbegründet waren. Freilich, das ist nicht zu bestreiten, daß die deutschen Heeres- und Truppenführer, so wenig wie die Gegner, Kunstgegenstände schonen, wenn der Kriegszweck deren Zerstörung erfordert. Sie würden ein Verbrechen an ihrem eigenen Volke begehen, wenn sie anders handelten. Wenn der Feind den Turm einer Kathedrale als Beobachtungsposten benützt oder hinter ihr seine Batterien ausstellt, so beschieße ich diese Kathedrale, mag ihre Zerstörung hundertmal als Barbarei bezeichnet werden. Eine viel größere Barbarei wäre es, wenn ich als verantwortlicher Truppenführer anders handelte und dadurch vielleicht Hunderte braver Krieger dem Verderben preisgäbe und die eigene Kriegskraft schwächte. Krieg ist Krieg, und wer seinen Endzweck erreichen will, muß die Vernichtung des Feindes wollen. Wenn [96] der Feind sich in einer Ortschaft eingenistet hat und daraus unsere Truppen beschießt, so habe ich als Truppenführer das Recht und die heilige Pflicht, ihn und die Ortschaft zu beschießen, auch wenn dabei die wertvollsten Kunstschätze zugrunde gehen. Handelte ich anders, so gehörte ich vor das Kriegsgericht und verdiente schmähliche Strafe. Diese Grundsätze des Kriegsrechts, die so gut für den Schweizer wie für den Deutschen und Franzosen gelten, sind so selbstverständlich[WS 1], daß man kein Wort darüber sollte verlieren müssen. Aber es sind, selbst von Leuten, denen man ein Urteil zutrauen dürfte, in dieser Hinsicht so unbesonnene und ungerechte Worte gefallen, daß es sich wohl rechtfertigte, hierauf zurückzukommen.
Zu verurteilen ist im Kriege die Zerstörung von Kunstgegenständen nur dann, wenn sie zwecklos, wenn sie durch den Kriegszweck nicht geboten ist. Ich glaube nicht, daß die deutsche Kriegführung sich gegen diesen Grundsatz verfehlt hat, jedenfalls nicht mehr als die ihrer Gegner. Wiederholt sind auch in der neutralen Presse urkundliche Zeugnisse dafür veröffentlicht worden, daß die deutsche Kriegführung, von den höchsten Stellen aus, das Mögliche tut, um Kunstschätze vor Zerstörung zu bewahren, wenn es die Rücksicht auf den eigenen Vorteil und den eigenen Schutz erlaubt. Heute sei diesen Zeugnissen eine Urkunde beigefügt, die beweist, daß auch in den mittleren und unteren Graden des deutschen Offizierkorps der gleiche Geist herrscht und sich auch selbst tätig äußert. [97] Aus dem Gouvernement in Metz überbrachte heute in meiner Gegenwart eine Ordonnanz aus einem Orte in der Woevre einen Brief, der nachstehend in Abschrift, selbstverständlich unter Weglassung von Ort, Namen und Bezeichnung des Truppenverbandes, veröffentlicht sei. Er lautet:
V . . ., 18. Nov. 1914
Ein Notschrei findet vielleicht bei Ihnen ein Ohr. In Etain liegen im Gebiete unserer Division unschätzbare Kunstschätze. Sie befinden sich in dem Hause eines Notars, der Sammler gewesen ist. Vor allem soll die Bibliothek sehr wertvoll sein und auch einige Porzellangegenstände. Das Haus ist zerschossen, der Regen vernichtet alles. Kann das nicht durch das Metzer Museum dem Besitzer und der Menschheit gerettet werden?
Vielleicht können Sie das veranlassen. Ich bitte um Nachricht, wenn Sie etwas abholen lassen und werde dann zur Stelle sein.
Ihr sehr ergebener
F . . ., Hauptmann im Stabe der . . . R. D.
Die zuständige Abteilung des Gouvernements Metz wird das Nötige veranlassen, damit dem Notschrei Folge gegeben wird. Wir können beifügen, daß auf Anregung eines Offiziers des zuständigen Divisionskommandos schon vor einiger Zeit das Gemeindearchiv von Etain mit alten [98] wertvollen Urkunden nach Metz geschafft wurde, um es vor Zerstörung zu bewahren. Es wird nun im Metzer Bezirksarchiv verwahrt, um nach dem Kriege der Gemeinde Etain wieder zugestellt zu werden. Und der Herr Notar wird seine Bibliothek ebenfalls wiedersehen.
Vielleicht trägt die Veröffentlichung dieser urkundlich beglaubigten Tatsachen dazu bei, Vorurteile gegen die deutsche Kriegführung zu beseitigen und ungerechten Anschuldigungen gegen das deutsche Offizierkorps den Boden zu entziehen. Denn wie der Hauptmann, der die oben abgedruckte Eingabe verfaßt hat, so denkt und handelt sicherlich das ganze deutsche Offizierkorps, das sich aus den gebildeten und kunstsinnigen Kreisen des Volkes zusammensetzt.
Es widert mich daher förmlich an, wenn ich in der Pariser Zeitung Le Journal folgende in allem Ernste erhobene Anklage lese: Die deutschen Antiquare in Paris hätten beim Ausbruch des Krieges nur deshalb so schnell Paris verlassen, um während des Krieges um so rücksichtsloser die französischen Kunstschätze ausbeuten zu können. Jetzt stehe nämlich bei Reims hinter jedem deutschen Richtkanonier ein Antiquar, der das Ziel bezeichne, das heruntergeschossen werden und alsdann in Deutschland verkauft werden solle. Abgesehen von dem technischen Unsinn, der in dieser Behauptung liegt, sollte die Achtung vor der Urteilskraft der eigenen Leserschaft ein Blatt, das sich an die Bevölkerung einer Weltstadt wendet, [99] vor solchen Abgeschmacktheiten bewahren. Der Krieg scheint aber auch in gewissen Redaktionsstuben arge Verwüstungen angerichtet zu haben.
Ich erinnere mich bei diesem Anlaß mit Vergnügen einer kleinen Begebenheit, die ich erlebte, als ich mit meinem Kollegen Georg Queri in die Woevre fuhr. In jenem von seinem Besitzer verlassenen Schlosse, wo wir ein Lazarett für Schwerverwundete besuchten, lernten wir einen Stabsarzt kennen, der sich als großer Kunstliebhaber und auch als bedeutender Kunstkenner auswies. Unter den vielen Hausgerätschaften von Kunstwert, die in dem alten Schlosse aufgespeichert lagen, befand sich auch eine wertvolle Sammlung von Porzellangeschirr, für die der Stabsarzt besondere Aufmerksamkeit bekundete. Er erzählte uns, daß er selbst Sammler derartiger Kunstgegenstände sei. Als wir uns aber eine scherzhafte Andeutung erlaubten, hier wäre ja Gelegenheit, seine Sammlung zu vergrößern, da doch in Abwesenheit des Besitzers diese Kunstschätze vielleicht zugrunde gingen, da wollte der sonst recht fröhliche Herr durchaus keinen Spaß verstehen und wies jeden solchen Gedanken als mit der Ehre eines deutschen Offiziers unvereinbar von der Hand.
So äußert sich im Kriege die Achtung des deutschen Offiziers vor der Kunst.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: sebstverständlich