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Kriegs- und Familienscenen 1813

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Autor: Carl Baumann
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Titel: Kriegs- und Familienscenen 1813
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Erscheinungsdatum: 1815
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Erscheinungsort: Dresden
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[I]
Kriegs-
und
Familienscenen
in und bey Dresden erlebet,
oder
Ergießungen meines Herzens
bey
dem Rückblick und bey der Erinnerung an
das Jahr 1813
gewidmet
meinen Kindern und allen meinen Leidensgefährten
zum Denkmal dieser unvergeßlichen Zeiten
von
Carl Baumann.




Dresden, 1815.
Gedruckt auf Kosten des Verfassers.

[II]

[1]
Meine Empfindungen bey dem mächtigen Ausspruch Friede!




Es ist Friede! Friede! So jauchzt das lang gebeugte Land neu belebt auf, und der Kanonendonner der nahen Königlichen Residenz verkündiget laut die Ankunft des Ueberbringers dieser erfreulichen heilbringenden Nachricht. Friede! hallte es in meiner Seele wieder; Thränen des Entzückens füllten die feuchten Augen, namenlose, nicht zu sagende Gefühle erschütterten das Innerste und der Geist versank in freudiger Betäubung. Ich erwachte, mein Herz sehnte sich nach Mittheilung; da verwandelten sich die Thränen der Freude in Thränen des Schmerzes, und heißer rollten sie über meine Wangen. Die sehnlich erwünschte Gegenwart, die freudige Hoffnung der schönern Zukunft riefen die Tage der Trauer, des Schmerzes zurück. Es ist Friede! rief ich aus, goldner, gesegneter Friede! [2] was kostest du auch mir, was meinem Herzen? – und ich fühle tief, daß der Stern meines Lebens untergegangen sey – doch sey ruhig mein Herz, und ehre durch stillen Kummer die Geschiedene. –

Schwesterlich boten mir Vergangenheit und Gegenwart die Hand, das Geschehene war geschehen, das Unmögliche war zum Möglichen geworden, und das Ersehnte zur Gewißheit. Doch die Vergangenheit entfaltete sich in ihren Schreckensscenen immer mehr und mehr, ich sahe und hörte den Jammer und das unaussprechliche Elend von Tausenden, ich hörte die nicht einmal laut gewordenen Seufzer der Verlaßnen, die nur zu gerechten Klagen der Verarmten, das Ach- und Wehgeschrey der Verwundeten, und die Geister der Erschlagenen, und die Geister der von der Pestilenz Dahingerafften und die Geister der im entsetzlichen Hungerstod Verschiedenen richteten sich empor; es verfinsterten sich die Lüfte, und ein hundertfaches schneidendes Weh erschallte braußend in diesem Elemente – da entzückte mich plötzlich ein wohlthätiger Strahl von Osten, die goldne Zukunft that sich meinen Blicken auf, alle meine Lieben, die mich Vater heißen, umgaben mich, sie fühlten mit mir in ihrer jungen weichgeschaffnen Brust die Bedeutung dieser Zeitepoche, die Herzen verschmolzen, und der Engel des Friedens, der Hoffnung und des Trostes schwebte über uns! –

[3] Noch sind die Wunden nicht verharscht, die ein mehr denn zwanzigjähriger Krieg ganz Europa schlug, jene Wunden, die vorzüglich in dem letzten unheilbringenden, menschenverderbenden 1813ten Jahre bey uns, in unserm geliebten Sachsenlande, so sichtbar wurden – noch bluten sie, und lange noch werden sie bluten – nur der Gedanke, die Hoffnung einer bessern und schönern Zukunft, die sich vorzüglich in einer beglückten Nachkommenschaft bewähren soll und muß, ja diese Hoffnung lindert für jetzt den Schmerz, und die wohlthätige Zeit wird jene endlich heilen.

Herzerleichternd war so der Anblick meiner Kinder, jüngste Zeitgenossen! die sich noch in spätern erfreulichen Jahren dieser verlebten wichtigen Tage und Stunden erinnern werden, denen aber dann die Wirklichkeit nur in schwachen Schattenbildern erscheinet, die in der Länge der Zeit zu kaum mehr bewußten Traumgebilden sich umwandeln. Aber, nein! so soll und muß es nicht seyn: deutsche Kinder deutscher Aeltern! ihr müsset Rechenschaft geben können von dem, was ihr sahet, was ihr höret, was geschah! – Für euch, ja für euch will ich diese ewigen Denkwürdigkeiten aufzeichnen. Klio schreitet mit Riesenschritten über ganze Zeitalter hinweg; das Erhabene verschwindet vor dem Erhabensten, und das Große vor dem Größten. –

[4] Zu schwach ist der Griffel in meiner Hand, der Euch diese Bahn bezeichnen könnte, nein, ihr sollet nur wissen, was ich und ihr in unsern Umgebungen erfahren und erlebet haben. Ein bleibendes Denkmal will ich euch stiften, ein Denkmal, das sich von Jahrzehnten zu Jahrzehnten forterbe auf Kind und Kindeskinder, ein Denkmal, das in der Familie bleibe, das euch aufmuntre, wenn auch nicht zu ähnlichen großen Thaten, doch euch stärkend beherzige zur künftigen Ertragung des Kreuzes in Noth und Tod!

Wann ihr also, meine Kinder! in diesen Blättern leset, die euch zum Leitfaden dienen, und auf die höhere Geschichte dieser ewig denkwürdigen Zeiten hinweisen sollen, wann eure Brust im Gefühle des Rechtes und Unrechtes erzittert, wann sie dann erglühet von dem Erhabenen, Schönen und Wahren, das sich so mannichfaltig in unsern Tagen bestätigt, wann ihr dann im ächten deutschen Geiste selbst diese Zeiten wünschet mit erlebet zu haben, um für deutsche heilige Freiheit mit streiten, mit wirken zu dürfen, ja dann werdet ihr mit Stolz ausrufen: Unser Aeltervater lebte in jenen verhängnißvollen schweren Zeiten, doch war ihm das Glück bescheret, die Heroen seiner Zeit zu sehen; nicht seine Kniee beugten sich allein vor einem Franz, Alexander und Friedrich Wilhelm, sondern auch sein Herz! – [5] Ja! glücklicher Zeitpunkt, laut jauchze ich auf, alle meine Noth und Elend sey vergessen, – laut preise ich mein Geschick, ich war Zeitgenosse, ich sahe und hörte die glänzendsten Thaten, welche die Nachwelt in Erstaunen setzen werden, befreyt von Tyranney sehe ich mein großes Vaterland neu entstehen; das alte Joch der Sklaverey ist zerbrochen, mit Ehrfurcht werden Fremdlinge wieder deinen Namen aussprechen – heilige Germania!

So meine Empfindungen bey dem mächtigen Ausrufe: Friede! Gott senke auch Frieden in meine Brust, Frieden mit mir selbst, Frieden mit den Menschen! – Und der letzte Kanonenschlag verhallte! –


[6]
An den Leser!

Freundlicher Leser!

Der Du würdigest, dieses Büchlein in die Hand zu nehmen, ich bitte Dich den Gehalt desselben mit dem Zwecke, der Dir nun nicht unbekannt seyn kann, gütigst auszugleichen. Ich wünsche, wie gesagt, diese Blätter als Familienpapiere betrachtet zu sehen. So sey es! – Staats- und Militärgeschichten mögen der Göttin würdigern Dienern aufgehoben seyn und bleiben. Aber erzählen und sagen will ich Dir, als ehrlicher Privatmann, was im Bezug dieser Jahresbegebenheiten ich erlebet, gehöret und gethan habe.

Also Rückerinnerungen an das Erlebte politischen und nicht politischen Inhaltes, Familienscenen, kriegerische Begebenheiten, Bemerkungen, Anekdoten, Beschreibungen und Charakteristik des Geistes verschiedener Nationen, in, vor und während den Schlachten, mögen diese Blätter füllen. Nimm sie freundlich auf, geneigter Leser! ich bitte Dich. –


[7]
Meine eigene Beurtheilung dieses Werkchens.

Man sollte niemals eine Vorrede, sondern jederzeit eine Nachrede schreiben; und wenn auch Riß und Plan dem Bauherrn gefallen, so sieht doch der verständige Meister die Mängel und die Fehler des aufgeführten Gebäudes, wenn es da stehet, und jene nicht mehr ohne Verpfuschung des Ganzen, abzuändern sind – so auch hier. Man wird vorzüglich finden, daß die etwas romantische Sprache, die ich hie und da angenommen habe, nicht durchgehends sich gleich bleibet, dieses liegt aber theils in der Schwierigkeit der Aufgabe der angenommenen Geschichtserzählung selbst, theils lag es auch in der Niedergeschlagenheit meines Geistes, in den Lasten und Bürden, womit die Nachwehen des Krieges mich überhäuften und noch zu dieser Stunde mich nicht verlassen können.

Doch wünsche und hoffe ich, das man diese Blätter, die keinen literarischen Werth haben können, nicht ganz unbefriedigt aus der Hand legen möge. Zu mehrerer Verständigung des Localen erwähne ich, daß ich nahe bey Dresden eine kleine Pachtung habe; dieß möge den Fremden genügen.


[8]
Der Neujahrstag.

Der schreckliche Schlag von Osten war geschehen; auf große Ereignisse mußten große Dinge erfolgen, dies fühlte ein Jeder in tief beklommener Brust. Meine Kinder überreichten mir die gewöhnlichen Glückwünsche; Gott gebe, daß ihr wahr gesprochen haben möget, sagte ich gerührt und mein Arm umschlang unwillkührlich die traute Gattin. Eine feste Burg ist unser Gott! erwiederte in Ergebung die Fromme. Wohl verstanden wir einander und unsere Herzen bedurften keine weitern Erläuterungen. Ich fühlte den Drang, die Gefühle meines Innersten aussprechen zu hören.

Nicht dich erwählte ich, Gotteshaus! wo der Geist zum Geiste spricht, wo erhabene Worte, geläutert und gereiniget, ewige Wahrheiten bestätigen, Worte, die das Tiefe und Dunkle, was in der menschlichen Brust verborgen liegt, so schön, so hell und klar zu Tage fördern – dich wählte ich nicht; auch dich nicht! – wo Geist und Sinne zugleich angesprochen werden, wo andachtsvoll die gläubige Seele sich im Staube niederwirft, die jede Umgebung vergessend, nur der Gottheit sich weihet, wo sie durch das Anschauen des Heiligsten sich wieder erhebend, von Sphärentönen umschwebet, in höhere [9] Regionen schwingt, wo die Wunder der ergrauten heiligen Vorzeit noch so kräftig im Glauben wirken, wo das Gnadenbild wahr verehret, Seelenwunden heilet, wo der Christ Rang und Stand vergessend, nur als Christ erscheinet – auch dich wählte ich nicht. Deine heilige Schwelle betrat ich, Anspruchlose! die du dich so demüthig in den Schatten deiner Mitschwestern verbirgest. Ein reiner melodischer Gesang empfieng mich, in leisen Tönen mischte sich mein Geist mit dem Geiste der Gemeinheit, und das Gemüthe bereitete sich allmählig vor, das Göttliche zu vernehmen. Die Rede begann, und das Undeutliche, das in uns lag, wurde verdeutlichet, aber es waren schwere, verhängnißvolle Worte, die der Redner aussprach, deren Inhalt leider nur zu wahr in Erfüllung ging, sie verwandelten sich endlich in Worte des Trostes, in Ermahnung zur Duldung und Standhaftigkeit, und giengen über in Verheißungen des Heils. Die Rede kam vom Herzen, sie drang in die Herzen, und das Gesagte verklärte sich in den Gesichtszügen der Andächtigen.

Ich war befriediget, aber nicht beruhiget, meine Besorgnisse waren gegründet, die Nachzeit bestätigte sie auch an dir, du Geheiligte! in deinen Mauern selbst giengen jene Weissagungen in traurige Erfüllung über.

Ich sahe dich nach wenig Monaten wieder; Gott! wie hatte sich alles so schrecklich verändert, da, wo sonst die Seufzer, Wünsche und Gebete zur [10] erhörenden Gottheit emporstiegen, die beruhigend in der Brust der Geber sich wieder niedersenkten, da ertönten jetzt lauter Verwünschungen und Verfluchungen; da, wo sonst das Wort des Evangeliums geprediget wurde, an dieser Stätte wurde der Gefangene nicht getröstet, der Hungrige nicht gespeiset, und der Durstige nicht gelabet. Das rohe Gemüthe, die wilde Kriegesnatur sprach sich laut aus, und selbst jene einfachen Wände, die meinem Innern immer so wohlthätig erschienen, bezeugten den Gräuel der Verwüstung und Unsauberkeit. – Doch ich will weiter nicht der Jahresgeschichte vorgreifen, sie wird richtig das Geschehene in ihren Tagen und Stunden erzählen.


Januar und Februar.

Dies waren so zu sagen die Vorbereitungsmonate zu dem großen Schauspiele, welches ganz Europa gegeben wurde, und an welchem ganz Europa mehr oder weniger Theil nahm. Und immer mehr und mehr bestätigten sich die dunklen Sagen über die großen Ereignisse im Norden, und hohe französische Militärpersonen, die in schnellen Postzügen dem Beyspiele ihres erhabensten Gebieters folgten, verbürgten die nun nicht mehr zu läugnende Wahrheit. Wie schwarze sich aufthürmende Gewitterwolken, furchtbar in der Erscheinung, schrecklich in der Erschütterung, wohlthätig in der [11] Wirkung, rückte immer näher und näher der russische Koloß. Der Uebergang über den Niemen, die Besetzung von Königsberg, die Einnahme von verschiedenen kleinen Festungen, Mürats klügliche Uebergebung des Commandos an den Vicekönig von Italien und dergleichen mehr machten die vorzüglichsten politischen Hauptbegebenheiten aus.

Für des Sehers Augen lag aber noch viel verborgen, doch auf dich, edle Borussia! war unser aller Augenmerk gerichtet, und Yorks mannhafter Entschluß und That ließ ahnen, was geschehen mußte, was geschah. – Friedrich Wilhelm! nimm es huldvoll auf, daß mein Geist sich erkühnet, diesen ewig großen Namen auszusprechen, daß er es wagt, die Ergießungen seines Herzens laut zu verkündigen. Großer Fürst! groß durch dein Vaterhaus, größer aber noch durch dich selbst, nimm gnädig wahr, daß in Verehrungen der Mensch dem Menschen sich nähere, erlaube, daß der Geist der Geschichte das Zeitalter bezeichne.

Wer kannte nicht Preußens Lage, wer kannte und bewunderte nicht den Heldenmuth, die ausdauernde Standhaftigkeit der in Ertragung der mannichfaltigen Leiden, die seit mehrern Jahren die ganze Nation ertrug und ertragen mußte, die doppelt traurig sich bewährend, auch selbst die Herzen des hohen Königshauses nicht verschonte? Doch, daß jetzt, wenn etwas geschehen müsse, jetzt geschehen müßte; daß der rechte Zeitpunkt gekommen sey, [12] fühlte und wußte auch der Unverständige. Jetzt, oder nie! – dieß war die Stimme Gottes, die Stimme der Nation, die Stimme des Königes! Aber Preußens Lage war schwieriger als je; noch waren die bedeutendsten seiner Festungen von Franzosen besetzet, noch waren bedeutende Armeen derselben im Innern des Landes, Dörfer und Städte wimmelten von ihren Truppen, selbst der Hauptstadt längst bewährte Gastfreundschaft wurde aufs höflichste und beste wieder angesprochen. Preußens eigene Streitkräfte waren noch nicht entwickelt, die im dunkeln Chaos verborgen, in wenig Tagen so herrlich und hervorstrahlend sich auszeichneten. Ein herzhafter Entschluß und Ausführung geschah; eine officielle Bekanntmachung verkündigte die Verlegung der Königlichen Residenz nach Breslau, und die Resultate heiligten diese Thatsache: unter den Fittigen des einfachen schwarzen Adlers versammleten sich dort die Getreuen. Der erste Schritt war nun geschehen, ihn verewigte der 22te Tag des Monats Januar. – Doch auch in hoher Rührung erwäge den Vorgänger dieses Tages, deutsche gelehrte Geschichte – ein heller Stern an deinem Horizonte erbleichte, das Unsterbliche verließ das Sterbliche – Wieland entschlief! – Der Aufruf an Preußens hochherzige Jünglinge erscholl, strömend eilten diese den einst so sieggewohnten Fahnen zu, im Angesichte und in der Mitte des zu werdenden Feindes erhob Borussia [13] ihr Haupt; Vormauer und Schutzwehr waren gebildet; gerüstet stand sie da! – Aber auch Europa rüstete sich, um den großen Weltkampf von neuem zu beginnen.

In Sachsen wurden ebenfalls Mannschaften ausgehoben um die verlohrnen Truppen zu ergänzen.

Der 25. Februar war für uns ein wichtiger Tag; auch unser König verließ, von Zeitereignissen nothgedrungen, seine Residenz. Traurig sahen wir ihm nach, aber unsre Wünsche begleiteten ihn.

In unserer Gegend, das ist, in den Umgebungen von Dresden, fiel in diesen Monaten nichts bedeutendes vor, wir lebten bloß in der Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Einquartierungen sächsischer Truppen waren an der Tagesordnung. Ein Kürassierregiment lag bey uns und in den benachbarten Dörfern im Quartier. Es bestand größtentheils aus nur vor wenig Wochen geworbenen jungen Mannschaften. Das Rohe ihrer Natur, das Schwerfällige und Unbehülfliche in ihrem Benehmen, sprach sich in jeder Art aus. Schade, dachte ich oft bey mir selbst, um dieses junge Blut, diese Mannschaften sind gleich bey der ersten ernstlichen Attaque verlohren. Ich sahe sie nach einigen Wochen wieder; welche Veränderung, welcher Anstand und Gehalt! Mann und Roß bezeichneten nun den vollkommenen Reutersmann.

Bey diesem Anblicke drang sich mir die Bemerkung auf, daß die Militairschule doch wohl die [14] beste sey – der, Pestalozzische Grundsätze und Salzmannische Anstalten, weit nachstehen; jene entwickelt sich schnell und bewährt sich noch im spätern Alter; sie ist von der Schule der Erfahrung unzertrennbar, und mit ihr schwesterlich verwandt. Selbst das ungeübteste Auge erkennet den alten Kriegsmann, der zum ländlichen Beruf zurückgekehret unter hunderten seiner Mitbrüder sich auszeichnet, die der höhern Bildung sich nähernd, nur die Steuer und die Stola ruft.


Der Monat März.

So nahe dich denn, o März! der Vorhang ist gefallen, eröffne deine Scenen. Schon betraten Frankreichs Kohorten, kühn über den Rhein schreitend, Deutschlands längst entweiheten Boden. Frankreichs Streitmassen waren aufs Neue gesammelt, Gehalt und Menge übertrafen in der Folge die gespannteste Erwartung eines Jeden. Man bewunderte und staunte der Rüstung und der Menge.

Doch keinen Stand, kein Alter durfte das schreckliche Kriegssystem verschonen; daß Gewalt der Gewalt müsse entgegen gesetzt werden, daß die Früchte der vieljährigen Siege nicht dürfen verlohren gehen; dieser enthusiastische Gedanke entflammte den Geist der, wie das Schlachtvieh, zusammen getriebenen Menge einer Nation, die noch [15] zutrauungsvoll dem Sieg- und Glückgewohnten Kaiser blindlings folgte, und alle jene vorjährigen traurigsten Ereignisse, nur den nördlichen Naturbegebenheiten zuschrieb. Das Concordat war nun geschlossen, die Regierung übergeben, die Nachfolge gesichert, die innere Ruhe Galliens provisorisch hergestellet. Die feierliche Versicherung Napoleons, daß feindliches Donnergeschütze selbst auf den Anhöhen des Montmarters aufgestellet das alte Lutetia nicht bedrohen dürfte, verscheuchte auch die gerechtesten Besorgnisse der kleinlichsten ihrer Gemüther. – Mächtig dröhnend erscholl dem nun nicht mehr erstaunten Europa Preußens Kriegstrompete, das Manifest war verlautet, die Bundesacte unterschrieben, und die Herzen der Armeen vereinigten sich zum großen einzigen Zwecke. Breslau’s und Kalisch’s Mauern bezeugten die längst bewährte Verbrüderung der hohen Monarchen. – Schon nähern sich die feindlichen Truppen den Grenzen des unglücklichen, aufgeopferten Sachsen. Reynier zog am 7. März mit seinem geschwächten 7. Armeekorps in unsrer Hauptstadt ein.

Reynier.[1]

Doppelt merkwürdig mir, – und Gerechtigkeit dem Gerechtigkeit gebühret; also auch Dir – [16] und Deinen Manen mögen diese wenigen Schriftzüge gewidmet seyn. Freundlich war Deine Erscheinung, und willkommen für so viele Deine Ankunft. Das köstlichste Geschenke bestand in Deiner Begleitung; Du brachtest unsere braven Sachsen wieder, die in diesem Feldzuge fruchtlos, wie jederzeit, sich aufopfern mußten, die durch Vergießung ihres Blutes uns keinen Vortheil gewinnen konnten, die jedoch noch mit seltner blutiger Ausdauer die geflügelten Schritte der eilenden Franzmänner bey Kalisch deckten. Und der Bruder umarmte den Bruder, der Sohn den Vater, das Weib den Gatten, der Freund den Freund. Die Tage der Trauer verwandelten sich in Stunden des Entzückens, [17] ja! die Wonne des Wiedersehens erfreuete selbst die im Blute nicht verwandten Herzen. – Euch aber, ihr Verlassenen! Euch tröste Gott, und Trost und Beruhigung kann Euch in der Würdigung und Erkenntniß des Göttlichen niemals fehlen; und selbst des Kameraden Aussage, daß schnell und plötzlich den Geschiedenen der Tod anhauchte, linderte den gerechten Schmerz! –

Reynier! Dich verkennen wir nicht, der eiserne Marschallstab des Fürsten von Eckmühl beschwichtigten Deine bessern Gesinnungen. Davousts hochlautenden theatralischen Aeußerungen, die gewagte, fast lächerliche, schwache Besetzung des Elbstromes, die selbst dazumal der gemeine Franzose laut verhöhnte, mußten Deine Handlungen bestimmen.

Vorkehrungen und Maasregeln wurden nun getroffen, und über dich, edelste und schönste Zierde Dresdens, ehrwürdiges Denkmal hoher Baukunst des Mittelalters, war das Loos geworfen, der Verurtheilungsspruch gesprochen. – Da erwachte aus tiefem Schlummer das deutsche Kraftgefühl, die längst verborgene Flamme kam zum hellen Ausbruch. Euch, ihr Kühnen! durften und konnten Dresdens Edlere nicht unterstützen; der Zeitpunkt war nicht gewählet, zu gering waren die Streitkräfte, die Stunde der Erlösung noch ferne, doch wir alle fühlten tief mit euch den gerechten Unwillen. – Reynier bedauerte ich, doch der Geist [18] der Nation, zu frühzeitig nur ausgesprochen, erfreute mich! Dresdens Bewohner ertrugen schon seit Jahren jedes Kriegsübel und Ungemach, sie ertrugen in der Folge mit Muth und Ausdauer des schweren Krieges große Noth, große Lasten; aber daß die Herzen der Vereinigten sollten gespalten, daß Dresdens schönes Ganze sollte zerstückelt, daß der Vorzeit schönes Denkmal zerstöret, daß selbst des hohen Fürsten Fürwort nicht sollte geachtet werden, dies empörte die Gemüther für die gerechte Sache, und kein schonungsloses Urtheil verdamme das Ganze; – So wie doch jeder einsichtsvolle Bürgerliche die Einmischung in fremde, vorzüglich militärische, Händel verwerfen wird und muß. –

Der Pallast des französischen Generals empfand noch am Abend dieses unruhigen Tages die Wirkungen des gerechten Zornes. Fensterscheiben erklirrten von den Steinwürfen des Pöbels; und selbst das herbeygerufene sächsische Militär, die ihren braven Feldherrn, der sie aus so mancher Schlacht und Gefechte glücklich ein- und ausgeführet hatte, liebten und verehrten, blieben stumme, unwirksame Zeugen. Reyniers männliche, menschenfreundliche Gesinnungen äußerten sich blos in den schuldlos sich bewußten Worten des Welterlösers: – „Vater! vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.” – Doch bald wurde durch Polizeybehörden die Ruhe wieder hergestellet, und [19] die sogenannten Verbrecher schnell gerichtet, nach der Festung Königstein abgeführet, welche aber sogleich[WS 1] nach Einzug der Russen wieder befreyet wurden. So kurz berühret, Dresdens tumultuarische Geschichte, die der 12. und 13. März in den Annalen aufbewahret.

Erste Einquartirungen.

Sorgenlos und ruhig, zwar der traurigen Zukunft schwerere Ahnung nicht verhaltend, verflossen die stillen Wintertage. Meine Winterabende! Zeugen meines innern selbst geschaffenen Glückes, nie könnet ihr zurückkehren, nie können wir uns wieder nähern – lebet auf ewig wohl! – ja, im stillsten trautesten Verein ergossen sich da die Herzen, und das Bestreben, des äußern Sturmes Macht zu lindern, war Ersatz für des Frühlings schönste Sprossen. Was das Gesagte nicht vermochte, wo die Tagesgeschichten nicht hinreichten, da entzückte der Vorzeit Heiligthum, und selbst des Dichters wohlgewählte Worte umschufen in gereizten Phantasien die Ideenwelt zur Wirklichkeit. Und wie oft beschämte des Weibes hohes zartes Gefühl des Mannes auftrabende Anmaßung, die Kindschaft mengte sich ein, staunend horchten sie des Vaters Rede, aber der Mutter Worte machte ihnen alles dies deutlich und klar. Meine Winterabende! nie könnet ihr wiederkehren. –

Der Lerche Frühgesang, der Sonne höheres Steigen, von den Kleinen so wohlgefällig an den [20] nördlichen Wänden bemerkt, ermunterte uns wieder zur Betreibung der gewöhnlichen Geschäfte. Doch der 15.[WS 2] März erweckte uns plötzlich aus der jährigen Lethargie. Husaren kamen in den Hof gesprengt, die Dorfgerichten überreichten mir die höhere Verordnung: das Glück und die Ehre Reynier zu bewirthen, wäre mir beschieden, erscholl von Mund zu Mund – und Bellona trat nun ein zum erstenmale in die ländliche friedliche Wohnung, um sie so bald nicht wieder zu verlassen, um jetzt und in der Folge alle ihre Nichtsegnungen gänzlich über sie auszuschütten. – Lauter und lauter wurde der Tumult, der General kam im glänzendsten Gefolge. Eröffnet waren die ländlichen Zimmer des schönen Gartenhauses, das noch jetzt im Ruin seinen ehemaligen Glanz betrauert; hell loderten die Feuer der Kamine, und diese Wohlthat ergötzte sehr den genügsamen Gast, der den ganzen Tag über seinen dort gewählten Posten nicht verließ. Er war ein langer hagerer Mann, die behagliche Gutmüthigkeit lag auf seinen Gesichtszügen. Er sagte kein Wort und nahm mit allem vorlieb. Freylich das französische System, sich nicht allein selbst köstlich bewirthen zu lassen, sondern auch Andere auf Kosten des Wirthes zu bewirthen, wurde in 17 Gedecken nicht verläugnet. Selbst der General Greßot glaubte dessen Gastfreundschaft in Anspruch nehmen zu dürfen, der, obgleich er seinen Sitz im größten Bauerguthe [21] aufgeschlagen hatte, doch Reyniers nicht zu verschmähender Tafel den Vorzug gab. Sechs Hausoffizianten[2] machten mir desto mehr zu schaffen, diese kujonirten nach ächt französischer Sitte. Mit der übrigen Bedienung, 14 an der Zahl, war ich mehr zufrieden. Zum Glücke galt der nicht gebetene Besuch nur auf 24 Stunden. Am andern Morgen machte ich meine Berechnungen, und ich fand mit tausend Schrecken, daß ohne Fourage, Weine, Lebensmittel und dergleichen, fast ein halber Schragen Holz und ein Schock Lagerstroh aufgegangen war. Indem ich dieses schreibe, bewundere ich Sachsens Reichhaltigkeit; diesen Aufwand verursachte nur ein General in einer Nacht bey einem Einzigen – wie hast du es aushalten können, mein Sachsenland?

Des Sonntags heilige Feier sollte uns die gewohnte Ruhe wiedergeben und heimlich erquickten wir uns Erhohlende an des nahen Ofen wohlthätige Wärme. Doch die Ruhe sey nun verbannt, des Karmels[3] ewige Rastlosigkeit sey Euch selbst [22] in Euren engen Kreisen nun beschieden! so des Schicksals Ausspruch. Noch verzehreten wir gemächlich die Ueberreste der Generalstafel, als neuer Hufenschlag auf dem Hof erklang. Da, wo Reynier ist verpfleget worden, können auch wir Quartier und Verpflegung bekommen; so sprach der egoistische Sinn des sächsischen Commandeurs, dem 2 Majors, 2 Capitains, 2 Ober- und Unterlieutenants nebst Stabssekretair und Wachtmeister richtig theilten. Kurz, das Haus wurde voll, Wirth, schaffe an! Nicht konnten wir uns über sie beschweren, daß diese aber nach einmal eingeführten Gebrauch auf französische Art wollten verpfleget seyn, wer konnte dies ihnen verdenken? Noch am selbigen Nachmittage sollten die leichten Kosaken, die als Vorläufer der nahen feindlichen Armeen Dresdens Haiden durchschwärmten, bekundschaftet werden. Mein Major, ein Lieutenant und ich weiß nicht, wie viel Lanziers, brachen auf. Spät am Abend kamen sie wieder, der schwer verwundete Lieutenant blieb in Dresden zurück, aber ein Baskiren-Pfeil, von allen bewundert, war die Trophäe und bezeugte das leichte Handgemenge.

Doch aus des dunkelgrünen Waldes Höhen, die das rechte Elbufer zieren, leuchtete nun hoch am Abend die Kriegesflamme, Dresdens friedliche Thäler staunten der ungewohnten Erscheinung, aber die Bänglichkeit der schweren Zukunft lag in den Gemüthern.

[23]
Sprengung der Brücke.

Verberge dich, o Tageslicht! sey nicht Zeuge der die Geschichte ewig schändenden nutzlosen That! – Schon entweihen profane Hände des Heiligsten Heiligthum, des Erlösers Bild entgieng den Frevel nicht, und Jahrtausende wiederhohlten im Bilde, vielleicht unter Hohn und Spott, was in frommer Rührung im Gebete in heißen Thränen einst geschah. Schon verklaget dich, o Davoust, Misnias loderndes Hängewerk; schon flammet auf- und abwärts der Elbestrom, brausend vermählen sich die Elemente, und vernichtet war der Wohlstand Vieler, die ihr bürgerliches Daseyn in stummer Verzweiflung untergehen sahen. – Da schlug die Stunde, und Dresdens Brücke sank. Oede waren die Straßen, kein Laut, kein Ach, kein Wehe! erscholl. Verschlossene Thüren und Fenster erinnerten uns, nur durch der Vorzeit Sage uns bekannt, an die verderblichste Contagion. Des großen Fürsten große That war geschehen. Dich, zweyter Herostrat[4] segne Gott, — — und uns segne unser Gott!

Die so furchtbar angekündigte Explosion gieng in der Wirkung schonend vorüber, nicht heftig erschütterte sie die Vorbereiteten. Wer erinnert sich aber hier nicht an jene Explosion, die im folgenden [24] den Jahre fast zur nehmlichen Stunde Dresdens Bewohner in so tiefe Trauer setzte?[5] [25] Der Marschall, seine Heldenthaten nun verrichtet zu haben glaubend, verließ schnell, den Kommandostab [26] an den General Dürütte übergebend, das von ihm gemißhandelte Dresden. Noch am nehmlichen Tag wurde von den verschiedenen Armeekorps der gegenseitigen Truppen die Uebereinkunft getroffen, 2 Stunden über und unter Dresden alle Feindseligkeiten einzustellen. Und schon am 21. May besetzten die Russen die vom Mutterherzen gewaltsam geschiedene Neustadt.

Mit wehmuthsvollen Blicken suchten Theuere die Theuern aus der Ferne zu erspähen. Die Flußgöttin empfieng huldvoll die heißen Wünsche, die in reiner Sympathie sich in der Mitte des verlassenen [27] Stromes vereinigten, der bis jetzt noch schiedsrichterlich den Ausbruch der feindseligen Gesinnungen hemmte, und der Vereinigungstag war nicht mehr fern. – Ein schöner Morgen tagte; Dürütte mit 10 bis 12tausend Mann verließ am 22. März die alte edle Stadt. –

Venedigs Golfo! was in Pracht und Uebermuth einst bey dir geschah, verewigte hier der Bürgersinn; der Elbestrom wimmelte von den Kähnen der Ueberschiffenden, und sein Strand bezeugte die herzlichste Verbrüderung, den Ausbruch der höchsten Freude über ein glückliches Wiedersehen. – Unseres Lebens höchstes Erdenglück bezeichnet kein Zeitpunkt schöner und beglückender, als die Stunde des Wiedersehens, deren Zauber der Fürst mit dem Aermsten theilet. Meine Hoffuung des einstigen Wiedersehens, stärkende beruhigende Hoffnung! verlasse auch du mich nicht. –

Und dieser Tag ward zum Tage des Jubels, und die Erzählungen des glücklichen Ueberstandenen verbreiteten gegenseitig Leben und Wonne. Noch am nehmlichen Tage sahen wir bey uns die in der bängsten Ungewißheit erwarteten Kosaken,[6] die sich freundlich bezeugten.

[28] Der Tag der Erlösung sey nun nicht mehr fern! war der einstimmige Aufruf der fremden Krieger, den vorzüglich die alte Hansea in ihrer Legion, im schönen Beyspiel hervor und Genüge leistete. – Auch wir empfingen in diesem Sinne Tag für Tag wohlgemuthet unserer Sitten und Gebräuche ungewohnten Krieger, die, ihrer alten religiösen Verordnungen eingedenk, jeder Fleischspeise sich versagend, das Göttliche im Auslande‚ selbst in des Krieges Unordnung nicht entehren zu dürfen glaubten.

Der verlebte März gieng nun hinüber zu seinen Brüdern, und der sich am höhern Elbfluß leidend verhaltende April erschien.

April.

Sey mir gegrüßet, Monat April! der du sonst mit Sturm und Wetter freundliche Tage verbandest, und des Gemüthes Empfänglichkeit reizend, in höchster Vegetabilität und Wirksamkeit, das schönste Jugendleben vorbereitend, der Schöpfung höchste Stufe nur ahnend fühlen ließest – sey gegrüßet! – Ja, ich grüße dich herzlicher als je! und friedlich zogen Preußens und Rußlands Krieger ein, sie kamen und verschwanden; in ihrer Mitte strahlte der Brüderstern, mächtig und groß, [29] rein und klar; er, der vielleicht in Jahrhunderten nur einmal glänzend wieder erscheinet. Sachsens Festungen waren von sächsischen Truppen abermals besetzet, und gesäubert war das Land, ach, wollte Gott! von den nicht wieder Zurückzukehrenden. –

So friedlich es aber auch bey uns hergieng, so erfolgten doch noch manche Unruhen und Gefechte in Niedersachsen. Preußens neuerrichteter Landsturm hatte mehrmals Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Magdeburgs eisernes Bollwerk war beynahe noch der einzige Punkt, den die Franzosen am Elbstrom inne hatten.

Auch in Dresden wurde eine Werbeanstalt für die muthigen Jäger des Lützowischen Freykorps errichtet, das sich mannigfaltig in diesem Kriege auszeichnete.[7]

[30] Die gegründete Sage, daß Carl Johann, der schon als General Bernadotte die Achtung und Verehrung eines jeden Biedermannes genoß, mit seinen schwedischen Männern Theil nehme an die gerechte heilige Sache, erfreute eine jede deutsche Brust. –

Kanonendonner und feyerliches Glockengeläute verkündigten am 24. April die Ankunft der nordischen Monarchen; und das Heldenpaar zog im Triumpf und in Siegesbogen ein, und was den hohen Behörden Dresdens festlicher Empfang, was der laute Volksjubel nicht besagte, da huldigte man im Stillen; und wo der beglückten Nacht Glanz und Wiederschein nicht hinreichte, da flammten tiefempfunden im Herzen heller und schöner [31] die Schriftzüge: Alexander und Friedrich Wilhelm! – Kehre ich zu meiner Tagesgeschichte zurück, erwähne ich meinen kleinen mir beschiedenen Wirkungskreis, da ertrug ich gerne die Bürden, die nur das kleinliche Leben beschweren. Ich betrachtete mich als ein Mitglied jener unübersehbaren Kette, wo ein Jeder nach Stand und Würden das Seinige beytragen sollte und müßte. – Daß Ganze sollte vereiniget werden, um das Höchste zu erringen. Nicht zu gering war die Zahl der Einquartirten, der Beschwerden viele; doch was soll ich Großes und Erhebliches davon sagen, wir haben sie ja Alle getheilet, wir wissen es. – Doch ehrenvoll mögen diese Blätter den Namen Lissonnewitsky erwähnen. Seine gehaltvollen prophetischen Worte entzücken mich noch heute. Dieser russische General lag einige Tage bey mir im Quartier. Ich machte ihm bey der Tafel, mich seines Wohlwollens empfehlend, meine Aufwartung, und überreichte ihm, da mehrere Offiziere von seinem Gefolge, nach dem selbst im Auslande nicht ganz unbekannten plauenschen Grunde, sich erkundiget hatten, eine Beschreibung desselben, die in seinen Charten und illuminirten Kupfern zum Wegweiser nach Tharand dienet. Der General nahm diese kleine Aufmerksamkeit sehr gütig auf, er bedankte sich, in französischer Sprache, sehr höflich, sowohl für das Ueberreichte, als auch für die gute Bewirtung, und in der Ueberzeugung meiner patriotischen [32] Gesinnungen schloß er mit den Worten: „Wir werden siegen!" – In dieser Erklärung lag eine Bestimmtheit, und der gehaltvolle Ausdruck im Tone und Sprache ließen keinen Zweifel übrig; die Folge der Zeit rechtfertigte diese Aeußerung mehr wie zu sehr, und wurde mir dadurch merkwürdig. –

Am 28. April endigte Kutusorw Smolenski, der Einäugige, zu Bunzlau, im 72. Lebensjahre seine glorreiche thatenvolle Laufbahn. Fürst Wittgenstein übernahm nun die russische Feldherrnwürde.


Monat May.

Hörest Du den Donner rollen? siehest Du wie die Blitze sich durchkreuzen? zitternd stöhnet der Boden von des wilden Rosses Hufschlag, des Kriegers Kriegsgeschrey erfüllen die Lüfte, und schrecklich feyernd begehen in Rauchsäulen Lützens Ebenen das Castrum doloris eines Gustav Adolphs!

So Deine Ankündigung? sonst Freudenbringer, so Deine Erscheinung, – was haben wir wohl dann von Dir zu erwarten? – Weinend entfliehet Sachsens Genius, und der Würgengel nähert sich, ein weites Grab thut sich auf, kein Lebensalter, kein Geschlecht wird verschonet, des Jünglings und des Mannes Blüthe wird in wenig Stunden gewaltsam vernichtet; doch es sinkt auch [33] der Knabe, es sinkt der Greis; mähend schreitet nun der Tod im Sachsenlande einher.

Krieg, Schlacht! bald sind diese Worte niedergeschrieben, leicht sind sie ausgesprochen. Die Geschichte erwähnet in ihren Tagesblättern: an dem und dem Tage war da und da ein fürchterliches Treffen, wir verlohren so und so viel, der Feind aber dreymal mehr. Aber Du erwägest nicht, Herzlose! daß in einem einzigen Gefallenen ganze Generationen untergehen, – wohl Dir Entschlafener; doch die jammernde überlebende Mitwelt, ihre Seufzer, ihre Thränen sind der Geschichte nichts. – Allwaltende Vorsehung! liegt es tief in der Natur verborgen, so zu schaffen, so zu zerstören, gehört des Krieges Elend zur Ordnung der Dinge, die von Ewigkeit zu Ewigkeit in ihrer Richtschnur den bezeichneten Weg umkreisen; so geschehe Dein Wille.

Retirade.

Blutig roth ging am 2. May die Sonne unter, und die dunkle Nacht bedeckte mit ihrem Schleier das Schaudern erregende Feld. Die Schlacht bei Lützen war geliefert, und beyde Theile schrieben sich den Sieg zu; doch die Verbündeten, von der nimmermehr geglaubten Stärke der französischen Armeen nun überzeugt, hielten es für rathsam ihre Stellungen am rechten Elbufer wieder einzunehmen. Schon Abends am 5. May kamen einzelne Wagen, [34] und an beyden folgenden Tagen und Nächten geschah der völlige Rückzug. Die Folge lehrte in der Kürze dieser kriegerischen Zeit, wie einsichtsvoll und heilsam Plan und Operation war. Der 8. May bricht an; Vorbote jedes nur zu treffenden Uebels, sey unvergeßlich auch mir.[8]

Zug an Zug, die ganze Nacht hindurch dauerte der Uebergang der Nordarmeen, die ersten Sonnenstrahlen begrüßten uns, die bängliche Nacht verscheuchend. – Doch welche Veränderung! Ueberall rings umher standen mit drohenden Mienen die leichten Kosakenpulks. Wie wird es werden? wie wird es enden! rief Eins dem Andern zu. – Es gehe wie es gehe! aber Du kaum Wiedergenesende, meine Gattin! Du seyest nicht Zeuge des zu erwartenden Bösen. Und von der traurigen Nothwendigkeit überzeuget, umgeben von ihren Kindern, begleitet von der weiblichen Dienerschaft, verließ die Theuere die theuere Behausung, um in der Folge sie mehrmals wieder zu verlassen, um sie endlich nie wieder zu betreten. Ich und mein Diener, jetzt mehr mein Freund, der mit mir jede folgende Kriegesnoth und Elend ertrug, und alle Beschwerden im rastlosen Beystande ertragen half, wir beschlossen den Sturm zu erwarten. Siehe! es bewegen [35] sich die Höhen, sie nähern sich nun den Thälern, und die Truppen kamen, begnüglich empfing der Einzelne das Labende dargereichte, und eilte sofort zu seiner fernern Bestimmung.

Horch! – der Kanonendonner brüllt, die Fensterscheiben zittern, vor unserm Angesichte beginnt das Cavallerie-Gefecht, und französische Chasseurs drängen die Kosaken. Ich sahe aus meiner Wohnung die Einzelnen fallen, der Kameraden Bruderliebe half den Verwundeten auf und verfocht ihn. Doch wie in einer Zauberwelt verschwand das Ganze. Gottlob! rief ich in meiner erweiterten Brust aus, es ist glücklich überstanden;[9] und ich, der Sorgsame, eilte mit diesen Worten, die von bangen Sorgen Erfüllten zu beruhigen. Wir kehrten zurück; die Gewitterwolken hatten sich verzogen, und nur aus der Ferne hörten wir noch dumpf den Donner rollen.

Plünderung.

Doch welch ein Lärmen, welch Getöß? – Wehe uns! der Franzmann dringt in Haufen ein, erbrochen werden Thüren und Schlösser und der nicht ganz unbedeutende Weinkeller war der Plünderung erster Gegenstand, dann zogen die Unbarmherzigen her über alles, was zur Leibes-Nahrung und [36] Nothdurft gehörte, nichts blieb verschonet, nichts ununtersuchet. Mein Posten war indessen in der Kellerey, um die aufgelaßnen Hähne jederzeit wieder zuzumachen.[10]

Mein armes krankes Weib hatten die Schrecknisse aufs Neue auf das Bette geworfen. Aber du sollst nicht ruhen noch rasten, sprach der raubgierige Sinn. „Du krank? nicht gut, aber wir viel Hunger haben;“ diese nicht ganz barbarischen Worte mußten die Arme bewegen, das Lager zu verlassen und die letzten zwey hausbacknen Brode theilten im Hunger die Fremdlinge. In des Elendes höchster Beschreibung möchte ich Ovids an den Wipfeln der Bäume hängende Fische erwähnen; und ich mußte lachen, wie der Nimmersatt statt der zu begeisternden Liqueurflasche den Fliegentod ergriff, wie er seines Raubes sich erfreuend, eiligst entwich. Wohl bekomme es dir! – Das zu erschöpfende war nun erschöpft, rein von allen Lebensmitteln nun ausgeplündert, aber die traurigen Folgen bezeugen heute noch mir Aermsten diesen Tag. [37] Die thierische Natur verlangte das schon den ganzen Tag über Versagte, und des zweyjährigen Kleinen natürliche Aeußerung: Vater, nun hast Du wohl keine Bemme mehr; füllte die Augen mit Thränen.

Alle meine Nachbarn, alle Dorfbewohner hatten mehr oder weniger das nehmliche Schicksal mit mir getheilet; in einer entfernten Mühle erhielt ich noch auf mein dringendstes Ansuchen ein Brod, und speiste damit meine hungrigen Kinder.

Das Geläute aller Glocken, blind abgefeuerte Kanonen verkündigten die Ankunft Napoleons und seines Stiefsohnes, des Vicekönigs von Italien. Die interimistische Brücke war wieder abgeworfen, und der Fluß trennte abermals in Feindseligkeit das Freundselige. Um das Nothdürftige herbeyzuschaffen, ging ich nach Dresden; lauter Jubel empfing mich bey meiner Wiederkehr; das Haus war voll von Einquartirung. – Ach des Kreuzes schwere Last lag nun doppelt schwer und drückend auf uns. – Nicht Lavaters schon vergessene Physionomik, nicht Galls Schädellehre durfte die Spitzbubenseele bezeichnen; sie sprach sich selbst aus, und das einäugige Antlitz des Nachzüglers wird mir immer und ewig merkwürdig seyn und bleiben. Scheulos waren auf einer langen Tafel die heiligen Opfergewande und Altarbekleidungen zum öffentlichen Verkauf ausgestellet. Festlich dickgefaltene Weiberröcke, die reichen Gold und Rauchwerk gehaltvollen Mützen, mit denen jetzt [38] und in der Folge der alte Gardist sowohl als jeder Krieger nicht scheueten, sich öffentlich am Pranger zu stellen, – des Landmannes so ehrwürdiger schwarze Abendmalsrock, der vielleicht schon oft mit diesem Freud’ und Leid theilte, seidne Tücher, Bettüberzüge, Uhren, ja selbst spanische Röhre, deren silberner Knopf die Gediegenheit der Vorzeit uns bewies, und tausend andere Sachen bildeten die bunte Reihe. Wer kauft? –

Dies geraubte Gut, sprach meine Gattin, kann unmöglich Segnungen ins Haus bringen, wer weiß, wie viel Thränen darüber vergossen worden sind? setzte sie im dunklen Vorgefühl eines ähnlichen traurigen Schicksals hinzu. Doch es fanden sich der Käufer viele. –

Gefechte und Uebergang.

Warum schweiget ihr, ihr friedlichen Glocken? warum rufen eure einfachen Töne, die mich zu jeder Tageszeit entzückten – den sonst beglückten Landmann nicht zur herzlichsten Andacht? Ist die heilige Sabbathsfeyer schon entheiliget? jede bürgerliche Ordnung nun schon verscheuchet, sollen schon jetzt verschlossene Kirchthüren diese Wahrheiten bestätigen? – Nur zu wahr! die Feindseligkeiten beginnen von Neuem. Des Stromes Vermittlung wird nicht geachtet, und nichts verschonend bringen Tod und Verderben die sich begegnenden Kugeln aufs beyderseitige Ufer. Denkwürdig [39] wird Dresden dieser Sonntag bleiben, den der 9. May nicht verläugnet.

Napoleons einzig kriegerische Natur gab am folgenden Tag ein noch nicht gesehenes Schauspiel: auf langen schwachen Leitern bestiegen leichte Truppen ab- und aufwärts der Brücke Ruinen‚ und verfolgten ihre kriegerische Bahn. Der Held sah in seiner gewöhnlichen Stellung mit verschränkten Armen wohlgefällig das Beginnen, und der vorläufige Uebergang geschah. Doch das schwere Geschütz sollte auch hinüber gebracht werden; Baugewerke wurden befraget, wie viel Zeit sie wohl nöthig fänden, die Brücke zum Uebergang wieder herzustellen? Diese, in der Meynung, daß dieser Bau auch nach Jahren noch dauerhaft sich bewähren solle, versicherten die Nothwendigkeit von drey Wochen. Nicht drey Stunden! rief Napoleons Kraftgenie, und innerhalb eines halben Tages Frist hatten tausend Hände das Werk beynahe vollendet, das im währenden Kriege jede Last ertrug, und alsdann erst nach der Schlacht bey Leipzig und der Uebergabe von Dresden von den rußischen höchsten Behörden fürsorgend in Stand gesetzt wurde.[11] Ober- und unterhalb der Brücke wurden nun zwey Schiff-Brücken geschlagen, die jedoch nur für das Militär zugänglich waren; Truppen ohne Zahl marschirten hinüber, und das rechte Elbufer seufzte. –

[40]
Französische Garde.

Herrlich schoßt die Aehre, es prangt der Acker, es prangen die Wiesen, der Bäume Blüte verspricht güldene Früchte ohne Zahl. Heilige Natur! schüttest du deine Gaben in diesem Jahre darum so segnungsvoll, so reichlich aus? ist die Verkettung der Dinge so stark? – wolltest du nur einigermaßen ersetzen, was in Tollkühnheit vernichtet wurde? wolltest du die leidende Menschheit vor gänzlichem Verderben bewahren; sollten nicht in höchster Hungersnoth ganze Geschlechter untergehen? Ha! so bewundere ich deine Geheimnisse, und mein Geist wirft anbetend sich im Staube nieder. – Sieh! von diesen Fenstern aus, mein Zeitgenosse, siehe diese Fluren, heute noch des Landmannes Lust und Freude, morgen sind sie schon den höchsten Verwüstungen preiß gegeben, Abbild der Nichtigkeit des menschlichen Lebens, so wie der menschlichen Hoffnung. Ein denkwürdiger Tag nach dem andern erscheint, und Tag für Tag häufet sich das Uebel, und es erwächset das Böse in dem Bösen, bis in der höchsten Höhe der Mensch das Gute und das Böse nicht mehr zu unterscheiden und zu erwägen weiß. –

Am 11. May kamen Kaiserliche Artillerie-Garden und überschwemmten rings umher unsere Dörfer. Und welche Scenen eröffnen sich? in wenig Minuten waren jene viel versprechenden Fluren verwüstet, und des trauernden Bauern schönste Hoffnungen [41] vernichtet. Dreyhundert Kanonen und Munitionswagen erstickten die junge Saat, die selbst noch in den angrenzenden Feldern durch die an Rasttagen gehaltenen Manövers und Uebungen frevelhaft von Roß, Mann und Wagen zu Boden gestampft wurde, und da, wo sonst der Lerche Gesang und der Wachtel Schlag das ruhige Herz ergötzte, wieherte nun das Roß, der Schmiedeamboß erklang, und des Franzmannes sacre nom de Dieu schallte. Die kaum vom Staube entsproßte Aehre verwandelte sich wieder zum Staube, den Zweck ihres Daseyns nicht erfüllet zu haben.

Acht sauere Tage meines Lebens begannen, jene des Monats August waren zwar fürchterlicher, aber diese waren mit mehr Beschwerden und Aufopferungen verknüpft[WS 3]; dort kamen Feinde, aber hier waren seyn wollende Freunde. Bedauernswürdiges Sachsen! entsetzlicher Krieg! wir haben keine Freunde gesehen. Vor wenig Tagen rein ausgeplündert, an jedem Tage neue Einquartirung richtig habend, kündigten sich nun der Commandeur von der Artillerie-Brigade, 4 Offiziers, 50 Mann Gemeine richtig zur Einquartirung an. Garde, französische Garde! schon dein Name besagt alles; zu jeder Anmaßung, zu jeder Forderung hältst du dich im stolzesten Wahne berechtiget; und dein Betragen verläugnet dich nie. – Entschlafene ruhe wohl, ruhe aus! ach die Lasten waren zu drückend! – Kindliche Augenzeugen! ihr sahet es; [42] das nimmer Geglaubte geschah; um die Unersättlichen zu befriedigen, wurden die höchsten Opfer gebracht und der vom Geschmeide entblößte Hals der Mutter bezeugte diese traurige Nothwendigkeit. – War das Mittagsmahl, Gottlob! vorbey, bezeugen keine herabgeworfenen Teller die Unzufriedenheit der nicht leicht zu befriedigenden Gäste, so tritt die Sorge um den Abend wieder ein, und schlaflose Nächte bereiten die Bedürfnisse des andern Tages vor. – Ihr Götter dieser Erden! glaubet ihr des Krieges höchstes Elend nur auf dem Schlachtfelde zu finden, so betretet die Hütten der Aermsten, Thränen und Seufzer werden euch empfangen, und des Jammers schleichendes Gift bewirket da schmerz- und schmachvoller, was dort gewaltsam und plötzlich geschiehet.

Der 12. May kündigte die Ankunft unseres Königes an; feyerlichst empfing ihn Napoleon und der festliche Einzug unter den gewöhnlichen Ehrenbezeugungen geschah. Die Anrede Napoleons an den Magistrat, sie zur schon bestätigten Treue und Anhänglichkeit an den König ermahnend, erschien öffentlich.

Bischoffswerda.

Was flammet im Norden, warum färbet sich der Himmel zur ungewohnten Zeit in so hochrother Röthe? Sind die strafenden Götter durch der heiligen Moskau Brand noch nicht versöhnet? Soll auch Sachsen noch mehr Opfer bringen? genügen [43] euch nicht, ihr Zürnenden, Lützens Ebenen, ist noch an keine Versöhnung zu denken? – Lange noch ruhe auf Euch der Fluch; zahllose in Blut getauchte Opfer, von Schuldigen und Nichtschuldigen dargebracht, können kaum versöhnen; so des mächtigen Schicksals Spruch. Ich sehe, Bischoffswerda! deine Thürme wanken; ich sehe schon das Metall deiner Glocken zerfließen, prasselnd stürzen jene zusammen, und ein Haus nach dem andern ergreift die wüthende Flamme. Erbarmungswürdige gemishandelte Menschheit, das elende Leben sich nur zu retten, fliehest du in das Weite: aber die verstummten bleichen Gesichter verklagen nicht, Gegenwart und Zukunft ist ihr jetzt eins; blos die matten Schläge des fast verstorbenen Herzens beweisen noch das Daseyn. Und soll ich dies schreckliche Bild weiter ausmalen? soll ich der Betäubung, ihr Elenden! euch entreißen? so brich an, Tageslicht, Besonnenheit kehre wieder! schrecklich rauchend liegen die Ruinen vor euch, und euch helfe Gott!

Du, unter allen am schwersten heimgesuchte Stadt, keine nachbarliche Hülfe kann dich in deinem Trübsale retten und trösten. Geda, Bautzen, Wurschen, Reichenbach, das in der Geschichte schon längst bekannte Hochkirchen theilen mit dir ein ähnliches doch minder trauriges Schicksal, sie empfinden alle des unglücklichsten Krieges unglückliche Folgen, auch das seitwärtsliegende Hoyerswerda [44] hemmet den Berlin bedrohenden Lauf, des Fürsten von der Moskau, Reyniers und Lauristons. – Die angenommene Weise der Verbündeten, Krieg zu führen, selbst bey errungenen Vortheilen sich in feste Stellungen zurückzuziehen, um sich da wieder in Macht zu zeigen, und aufzustellen, bestätigte jetzt Tag für Tag der Feldzug dieser Monatsgeschichte. Auch die Görlitzer Brücke entbrannte, der Liegnitz Gewässer konnte die mit Macht Vordringenden nicht mehr aufhalten, neue Gefechte geschehen, und in unwillkührlichen Verbeugungen bewillkommet Breslau die nicht längst sie verlassen gehabten Krieger.

Die am 16. May erfolgte Ankunft des österreichischen außerordentlichen Bothschafters, des Grafen Bubna, erfreuete uns alle. Sie ließ in dessen vermittelnden Unterhandlungen die ersten Friedensfunken glaubend spühren.

Napoleon verließ am 18. May Dresden, um auch andere Städte, Dörfer und Flecken zu beglücken. Auch uns erlösete er von allem Uebel, durch die stets ihn begleitenden Garden.

Wie erquickend war die Ruhe, wie behaglich die lange entbehrte Stille; zwar gellten uns noch die Ohren von den verworrenen Getöse, und wir konnten uns nicht gleich in die alte Ordnung der gewohnten Dinge finden. Doch es wurde beschlossen, diese Ruhe zu benutzen, um uns endlich einmal vereint ein Genügliches zu thun. Schon dampft [45] die Schüssel auf der Familientafel, die Kinder ehren im Gebete den alten heiligen Brauch, da gieng abermals der alte Fluch in Erfüllung und die ersehnte Schüssel wurde den sehnsuchtsvollen Blicken der uns am Herzen liegenden Kinder entzogen, um mehr denn hundert Meilen von hier entfernte Fremdlinge damit zu speisen. Neue Einquartirung war gekommen. – Davoust und Vandamme hausten jetzt in Niedersachsen, das sich schon befreyt geglaubte Hamburg nebst andern Hanseaten erlag dem nicht zu vermeidenden Schicksal, am 30. May besetzten Franzosen wieder jene berühmte Handelsstadt, und die vorjährigen Strafruthen verwandelten sich nun in die Peitschen der Scorpionen. –

Die endliche Landung des Kronprinzen von Schweden, – in seinen Fregatten und Transportschiffen, – überwog bey weitem Dännemarks Erklärungen. Die Zusammenkunft der alten erhabenen Kaiserstämme, belebte uns noch einmal mit frohen Hoffnungen, vertrauend waren unsere Blicke auf diese gerichtet – täuschet uns nicht!

Napoleon und seine Generale fühlten, daß auch bey und nach den blutigsten Gefechten für sie und der Gegenpart für jetzt nichts zu erkämpfen sey. Einen ehrenvollen dauerhaften Frieden, gebe uns Gott! schrie das Land, und selbst der Krieger stimmte in dieses Flehen ein, des Todschlagens, des Raubens und Mordens müde und satt. –

[46] Unter deinen wenigen erfreulichen Tagen, o Monat! erfreuetest du doch noch in deinem Scheiden Dresdens Gebildete. Unser sehr verehrter, allbeliebter Oberhofprediger, Doctor Ammon, hielt in diesen schweren verhängnißvollen Zeiten – am 30. May – seine Antrittsrede.

Der ambrosianische Hochgesang, unter Trompeten und Paukenschall, unter Kanonendonner und Gewehrfeuer abgesungen, verherrlichte oder sollte verherrlichen am nehmlichen Tage die französischen Siege. –

So wie nach einer fürchterlichen Gewitternacht, die noch blassen Sonnenstrahlen das dicke Gewölke durchbrechen, nach und nach die Bläue des Himmels erweitern, und einen schönen jungen Tag verkündigen: So du

Junius.

Der Kaiser Napoleon bot selbst einen Waffenstillstand an, der schon den 4. Junius zu Gebersdorf und Pleiswitz zwischen dem Herzoge von Vizenza französischer Seits, und dem Grafen von Schuwaloff und Herrn von Kleist andern Theils auf 2 Monate abgeschlossen wurde. – Prager Congreß, Traumgebilde! in bunten Seifenblasen erreichtest du, wie im Kinderspiele, nur eine mäßige Höhe – diese zerplatzen, und man lachet oder betrauert diese nichtige bunte Erscheinung.

[47] Aber das Wohl und das Wehe der Völker wird nicht erwogen, Staatsinteresse; das nur in unersättlicher Haab- und Vergrößerungssucht bestehet, die falsche Politik, hunderttausend Seelen mehr zu besitzen, ja selbst der Wahn, sich in seiner Hoheit nichts vergeben zu dürfen; alles dieses vernichtete unsere Hoffnung, und Caulincourt trat sie spottend nieder. –[12] Die noch entfernten Streitmassen an sich zu ziehen, um die ungeheuern Rüstungen zu [48] betreiben, möchten wohl die Hauptfedern der französischen vorgeblichen hinterlistig versteckten Vorschläge gewesen seyn.

Napoleon traf wieder in Dresden ein, und bezog das Gräflich Marcolinische Gartenpalais zu Friedrichstadt. Funfzehn Schauspieler, aus Paris kommend, mußten den Kaiser dann und wann belustigen, und die Saulischen Grillen vertreiben. Täglich besahe er seine Paraden. Die sonst verödete Friedrichstadt glich nun gänzlich einer kleinen Residenz, und es wimmelte und jubelte die Volksmenge.

Das kaiserliche Decret: Auf den Höhen von Montcennis einen Coloß zum ewigen Denkmal der jetzt erfochtenen Siege aufzurichten, der aber wohl bloß, wie die Siege selbst, in der Einbildung bestand, wurde in Pomp in Paris angekündiget, und 25 Millionen Franken dazu bewilliget. Sollten die Petersburger und Moskauer Monumente dadurch in schwächern Lichte gestellet, oder sollte die eigene Nation, das In- und Ausland dadurch getäuscht werden? genug; 25 Millionen wie viel Thränen hättet ihr trocknen können? ein Denkmal war dann errichtet, das vor Gott und der Welt bestand, das die Vergänglichkeit der Dinge nie auflösen, noch vernichten konnte! –

In Exsequien feyerten mehrere Ortschaften den blutigen Hingang des Großmarschalls Dürok,[13] [49] Herzog von Friaul Markersdorf sahe ihn fallen und das Grabmal des Ingenieur-General Kirchners bezeuget dort heute noch das hitzige Gefechte. Napoleons Trostbrief an des Herzogs hinterlassene Gemahlin enthielt bloß und allein den höchsten Trostgrund in den nicht ciceronianischen Trostworten; „Der Verblichene wäre auf dem Bette der Ehre gestorben.” Ach wenn diese Worte trösten könnten, wie viel tausend Briefe möchten da nicht geschrieben werden? Ein Tagsbefehl des Kaisers bestimmte jetzt bey uns das Ziel und das Maas der zu gebenden Lebensmittel. Guter Gott! – hättest Du aber auch in die Brust Deiner Krieger Menschlichkeit und Genügsamkeit eingepräget, in Reihe und Glied gehorchten sie Dir in deiner Maschine, aber außerhalb derselben glaubte ein Jeder thun und machen zu dürfen, was er wollte, und diese Maxime theilte der Große mit dem Kleinen, und in Schimpfreden nur ertönet dann von ihren Lippen der Name:

Napoleon!

Meine Sinne verirren sich, indem ich diesen in der Geschichte ewig unvergeßlichen Namen niederschreibe. [50] Schon im Jahre 1807, als im schnellsten Laufe des Kaisers siegrollender Wagen vorübereilte, da ergriff mich ein heftiger Schauder, die Nerve erbebte, das Blut erstarrte. Sechs blutige Jahre waren abermals vergangen, und das siebente sollte blutiger als je enden. Ich sahe Dich wieder, Napoleon! ja ich war gezwungen Dich zu sehen, – beynahe eine ganze Stunde lang standest Du vor mir. – Mitten auf Dresdens Brücke wurden durch Volksmenge meine Berufsschritte gehemmet; Garden bildeten die Ketten, Truppen ohne Zahl marschirten vorbey; ich schlage meine Augen auf; der einfache Napoleon, umgeben von seinen glänzenden Getreuen strahlte in der einfachsten Kleidung aus ihrer Mitte.

Geist meines Geistes! verleihe mir Kräfte, gieb dem Wesenlosen einen Namen; erschöpfe die Tiefe der höchsten Rede, aber betagen kannst du das nicht, was in meiner Seele vorging. –

Mann Gottes? oder wer Dich erschaffen hat, – bist Du nur darum erschienen, um in Deinem Ehrgeitze, wie ein Giftbaum, alles was sich Dir nähert, zu zerstören? Oder bist Du das Werkzeug einer höhern Hand? bedürfen die Völker Deine strafende Geißel zur Besserung, zur Buße, zur Veränderung ihres Lebenswandels? sollte Sodoms Sündenregister durch Dich getilget werden, damit durch Feuergluth, geläutert und gereiniget, die Menschheit der Schöpfung Zweck entsprechend, wieder dastehe? – [51] Oder bist Du ein Spiel der unergründlichen Natur, das sich nach Jahrtausenden nur einmal vielleicht spielend wiederhohlet? Ergründe wer es will, mein Geist ist zu schwach, um alles dieses einzusehen.

Das Vive l’Empereuer! ertönte unaufhörlich von den Lippen der Vorüberziehenden, die ihn aber doch vielleicht im Herzen verfluchten. Im Wahne, Gott zu seyn, stand er da, sein kräftiges Machtwerk überschauend. – Gnade mir, Gnade Dir, Gnade allen Völkern! rief ich bey mir selbst aus; laß ab von Deinem verderblichen Wahne, gieb uns allen die Ruhe wieder, sprich aus das einzige Wort, ach, es ist hoch an der Zeit! ehrenvoll alles zu enden, stehet noch jetzt in Deiner Hand, gieb uns Frieden! siehe, im Namen der ganzen Menschheit liege ich zu Deinen Füssen, und es bitten Dich mit mir Millionen. – Schenke diese Vorüberziehenden ihren gewaltsam entrißnen Familien wieder, tröste die Mutter, erfreue den Vater, opfre sie nicht; gieb uns Frieden. – Da verfinsterten sich die Lüfte, schwindelnd drehete sich mit mir der Erdkreis; ist mein Gebet zum Fluche geworden? was entsteiget in grauer Ferne dem dunkeln Gewölke? bist Du es, Rachgöttin, bist Du es, Nemesis? verlässest Du jetzt schon mit Deinem Strafgefolge die unterirdische Behausung; sind die hohen Götter nicht zu erflehen, ist Napoleons felsenhartes Herz nicht zu erweichen? ist an keinen Frieden zu denken? – Wehe, dreyfaches Wehe! rief die Geisterschaar. – [52] Napoleon war meinen Blicken verschwunden, und die sich auflösende Volksmenge endigte die Ideenwelt, sie gab mich mir selbst zurück.

Nur zwey Stunden möchte ich Napoleon seyn; nicht Habsucht, nicht Ehrgeiz erregen diesen vergeblichen Wunsch, aber das tief versteckte seiner Natur zu erkunden, seine Gefühle, seine Gesinnungen richtig bezeichnen zu können, ja um zu wissen, ob nicht manchmal und oft schauderhafte Reue bey dem Anblicke des höchsten menschlichen, von ihm zubereiteten, Elends seine Brust durchwühlet, dazu genüge die eine Stunde, und die zweyte segne der Weltfriede. –

Sächsisches Lazareth.

Schauderhafte Scenen eröffnet euch noch einmal in der Rückerinnerung meines Lebens! selbst die Ruhe des Waffenstillstandes sollte uns nicht beglücken, jedes Kriegsübel uns treffen; jede mögliche Erfahrung dieser oder jener Art uns jetzt und in der Folge zu Theil werden. Da, wo sonst die Göttin der Freude ihren Sitz aufgeschlagen, wo in langen Zügen der Städter sich erholend, der schönen Natur huldigte; da, wo man sonst bey frohem Male, bey Gesang und Becherklang, jede Sorgen vergessend, nur der Gegenwart sich erfreuete, da ertönten jetzt in wimmernden Tönen die Seufzer und Verwünschungen der Verwundeten und Sterbenden. – Ich glaube, nichts kann des Menschen höchstes Elend so wahr bezeugen, als ein [53] Militärlazareth. Hier liegst Du, armer Verstümmelter, Deines Schicksals unbewußt, verlassen von den Deinigen, ach verlassen vielleicht von der ganzen Welt. Deine Leiden, Deine Körperschmerzen lassen dich fühllos, wohl Dir! – Doch mit starren Blicken siehst du die Träger kommen, und den verschiedenen Waffenbruder von Deiner Seite nehmen, Du siehest an jedem Morgen die nehmliche Scene sich wiederholen – und der Gedanke: morgen trift Dich ein ähnliches Loos! – ist fast noch der einzige, den die Seele noch zu denken fähig ist. Errettet Dich Gott, schwer Verwundeter! da stellen sich die Seelenwunden ein, und die traurigste Zukunft thut sich Deinen Blicken auf; verblühet ist die einst so viel versprechende Blüte des noch jungen Lebens – nutzlos das Erbarmen deiner Brüder ansprechend irrest Du nun einher, bis einst im späten Alter der erwünschte Tod das traurige Daseyn endet. Ja, nie werde ich euch vergessen, ihr Jammergestalten, und stets werden eure bleichen Geistergesichter mich an diese Tage des Elendes und Abscheues erinnern. Der Morgen graute, das Leichenbegängniß wurde gehalten, ein einz ger[WS 4] Sarg empfing die Todten alle, aber das noch nicht gefüllte Grab erwartete, alles verschlingend, noch des andern Morgen Lieferungen. Verbundne Köpfe, Stelzen, im Bunde getragene Arme, Aussätzige, das Gehen verlernte Nervenkranke, diese waren es, die mich in der schönsten Jahreszeit erfreuen [54] und trösten sollten, deren Anblick mein Innerstes noch in dieser Stunde mit dem herzlichsten Mitleid erfüllet. Es waren Sachsen; wohl ihnen, daß es Sachsen waren; die größte Sorgfalt des Oberarztes, den ich hier laut verehre, seine unermüdete, mit der größten Geschicklichkeit verbundenen Anstrengungen rettete die zu Rettenden. Hoffnungsvoll sah auf dich der Kranke, und segnete dich in der Wiedergenesung. Der Ruhm ist Dein, aber die Herzen sind verschwistert – empfange von mir den Bruderkuß![14]

Leipzig.

Mein Jugendleben; – ihr in des Jünglingskraftgefühl so froh verlebte Tage; haben 13jährige Entfernung, ein bedeutender Zeitraum im Menschenalter – euch in der Erinnerung so geschwächt, daß ich nur mühsam die Bedeutendsten auffinden kann? – Wo seyd ihr, meine Freunde! derer Namen mich nur noch die Innigsten erfreuen? Mancher ruhet schon in des Grabes kühlen Schoos, mancher erliegt des Schicksals Tücke, aber manchen [55] lächelt auch beglückend die Göttin. – Sollten diese Blätter einem oder dem andern meiner Jugendgefährten in die Hände kommen, so empfange er von mir den geistigen Gruß! –

Leipzig! schon seit Jahrhunderten Weltbekannt, in diesem Jahre gründetest du deine Unsterblichkeit; ja selbst in Ruinen wird und kann dein Name nun nicht untergehen! – aber auch dir konnte der Waffenstillstand die Ruhe nicht wiedergeben, doch rettete er dich noch von dem Ueberfalle der Kühnen, die von Dessau aus dich bedrohten. Der Herzog von Padua, jetzt Leipzigs Tyrann, unterließ nicht, die hin und wieder geäußerten patriotischen Gesinnungen der Bewohner dieser Stadt, selbst in den kleinlichsten Kleinigkeiten und diese noch im schwärzesten Lichte dargestellet, seinem Kaiser, der sich mehrmals über die kleinlichen Klatschereien des Herzogs ärgerte, anzuzeigen. Jedoch die Folge war das Decret vom 21. Junius, und das friedliche offene Leipzig, nur von seinen Lindenbäumen umgeben – wer glaubet es – wurde mitten in der Waffenruhe – in Belagerungszustand erklärt. Militärisch sollte nun alles abgehandelt und bestrafet werden. Doch welche Großmuth! – die Versorgung der Einquartirung, die Herbeyschaffung der Lebensmittel und Fourage, die Verwaltung der Hospitäler; diese erfreuende Geschäfte blieben den Stadtbehörden, die von der Publicität überwiesen, das Misfallen des Kaisers nicht mehr läugnen konnten. [56] Die für das Wohl des Einzelnen so nachtheilige Bürgermiliz, die in ihren Folgen die Moralität des Bürgers schwächet, seinen Wohlstand verringert, und selbst alle seine bürgerlichen Verhältnisse, für ihn und seine Familie zum höchsten Nachtheile umschaffet, diese Miliz wurde schnell errichtet.

Der Colonialbefehl streng wiederholet, und die jüngere Schwester sollte Hamburgs trauriges Schicksal im mindern Grade theilen. Doch der 16. Julius ließ in allerhöchsten Gnaden die beängstigte Stadt wieder frey aufathmen, Napoleons Gegenwart gab ihr die alten Rechte wieder. Normanns Auszug gegen das Lützowische Freykorps, dessen Zusammenkunft, Treffen und Gefechte bey Pegau, mögen mit diesem Monate Leipzigs Hauptbegebenheiten schließen.

Pohlen.

Poniatowsky Ankunft in Zittau mit seinem vier und zwanzig tausend Mann starken Armeekorps hatte auch auf mich einen bedeutenden Einfluß. Eine starke Abtheilung derselben mehrentheils aus Offizieren und Unteroffizieren bestehend, kamen in unsere Gegend, um sich zu remontiren. Ich bekam mehrere von ihnen zur Einquartirung, und die mehrsten benachbarten Offiziers gingen tagtäglich bey mir aus und ein, und verschafften mir Gelegenheit, ihren Sarmatischen Nationalgeist immer mehr und mehr kennen zu lernen. Selbst ihr wohllautendes nicht ganz unangenehmes Geknätschere war mir [57] lieber, als die brüllenden Töne des unersättlichen Franzmanns. Einige Fertigkeit, mich in lateinischer Sprache auszudrücken, der, wie bekannt, jeder vornehmere Pohle mächtig ist, Pohlens ältere und neuere Geschichtskunde; Würdigung ihrer Wlademirs, Sobieskys und dergl. mehr verschafften mir in kurzer Zeit ihr Wohlwollen und ihre Freundschaft. Nur mußte man den verjährten Glauben, daß auch jetzt noch ein gemeiner Edelmann König werden könne, nicht antasten, und mit ihnen Napoleon, als ihren Messias und Wiederhersteller des ehemaligen Königthums, laut verehren.

Ihr Nationalstolz ging zwar ins Weite, doch wohl dem Volke! das noch in diesen Zeiten auf seine Tapferkeit und Bürgertugenden stolz seyn kann! –

So wäre nun des Jahres Halbschied vollbracht; viele haben schon der Leiden viele gelitten und ertragen, viele sind schon schlafen gegangen, doch der herbe Becher beginnt von Neuem die fürchterliche Runde. Mancher durfte nur kosten, Mehrere trinkten, doch Viele mußten diesen bis auf den letzten Tropfen leeren. So des Schicksals Wille! –


Julius.

Zwar erfülltest du noch unsere Herzen mit schöner Hoffnung, aber in deinen Verzögerungen ließest du des tobenden Vulkans Ausbruch wieder spühren; – Des Kaisers Napoleons Hin und Herreisen, [58] Besichtigungen der verschiedenen Festungen; die verschanzten Feldlager bey Königstein, die Wiederbeglückung Leipzigs, die Zusammenkunft des erlauchten Paares zu Mainz, die Verlängerung des Waffenstillstandes, die endliche Abreise des Herzogs von Vizenza nach Prag, Hamburgs Zahlungstermine, Verstärkungen der Truppen aller Völker, war der Inhalt deiner Tage, o Julius!

Dresden glich einem Orte der Freude! Sachsens schöne Mädchen huldigten öffentlich und im Geheim den schönen kraftvollen Gardisten; manches Ehebündniß wurde schnell geschlossen, um in der Folge der Zeit desto schneller aufgelößt zu werden. Napoleonsd’ore[WS 5] kamen muntern Weibern und leicht zu besiegenden Mädchen in den Schoos geflogen, Hetären nahmen mit fünf Frankenstücken vorlieb, alles jubelte und lebte. Wer Geld sich verdienen konnte und wollte, verdiente sich in mannichfaltigen Gewerbe Geld; und wohl Dir mein Dresden! wie hättest Du jetzt und in der Folge alle jene Bedrückungen und Lasten aushalten können? – Doch Wehe denen! denen Zeit, Raum und Verhältnisse nicht gestatteten, die Einquartirung selbst übernehmen zu können, und doppeltes, dreyfaches Wehe! jenen Hausbesitzern, deren Häuser nicht schuldenfrey waren, die bloß von ihrem Gehalte leben mußten, diese seufzen jetzt noch in den Nachwehen dieses unglückseligen Krieges, und das väterliche oder [59] sauer erworbene Erbtheil ist beynahe ganz in fremden Händen.

Doch ich eile zu Dir,

Monat August.

Welche Anrede soll Dich empfangen, welche Worte Deine Thaten schildern? – Am 4. erfolgte die Ankunft des Kaisers, und gleich den andern Tag darauf wurde bekannt gemacht, daß die hohe Feyer seines Geburtsfestes schon am 10. statt finden sollte. Und Abends, den 9. August verkündigten Kanonenschüsse den folgenden feyerlichen Tag. In mehreren Abtheilungen wurden an diesem Tage die Garde gespeiset, und den übrigen Truppen doppelte Löhnungen ausgezahlet, alle Offiziers trefflich in den verschiedenen Hotels und Gasthäusern bewirthet. Auch ich hatte die Ehre und das Glück, einen General von der Infanterie nebst hundert Offizieren, worunter vorzüglich viele Westphalen waren, doch diesmal gegen Bezahlung, zu traktiren. Der Wein erfreuete die Herzen und der Franzosen leichtes Blut rollte schneller in den Adern. Toasts wurden ausgebracht und unter Trompetenklang und Paukenschall lebte hoch Napoleon und seine Verbündeten! Die Tafel war geendet und mit der sehr richtigen Bemerkung: unser Caputessen! sprangen die jungen Offiziere begeistert über Tische und Bänke.

[60] Meine Herren Pohlen, die den altdeutschen Namen Polaken nicht vertragen wollten, empfanden es übel, nicht zum fetten Schmauße mit eingeladen worden zu seyn. Doch unter sich selbst begingen sie ihr Napoleonsfest. Lustbarkeiten aller Arten, Bälle, Erleuchtungen, Feuerwerke und dergl. beschlossen diesen verherrlichten Tag. – –

Weinet, ihr Mädchen! ich beklage euch, ihr Bethörten. Das Licht eurer Lampen ist verloschen, der zum Krieg Eilende verlachet eure treue Anhänglichkeit, einsam betretet ihr eure Kammer wieder, ach! der erwartete Bräutigam kehret nimmer zurück. – Am 12. zogen junge und alte Garden aus, die Straße nach Bautzen verfolgend, betraten diese ihren kriegerischen nun ruhmlosen Pfad.

Am 14. verließ Graf Bubna abermals Dresden, um als General mit dem Schwerte in der Hand das zu entscheiden, was die Feder nun nicht vermochte. – Narbonne[15] kam am 15. von seinem Gesandtschaftsposten zurück, und zwey Stunden darauf folgte über Pirna nach Bautzen der Glück- und Sieggewohnte Kaiser, um in der Saiten höchste Spannung sich und die Menschheit zu verderben. Westphäl sche[WS 4] Truppen, Caulincourts Cabinet, Offizianten jeder Art, Lazarethe und Hospitäler blieben in Dresden zurück. Noch freuen mich eure Lagerstätten, ihr Westphalen! blühende, selbst geschaffne Gärten, künstliche Springbrunnen, Musik [61] und Tänze wechselten in euren leinenen Wohnungen mit einander ab, sie ließen euch während des Waffenstillstandes die Drangsale des Krieges vergessen.

Vandamme zog mit 40tausend Mann nun auf das linke Elbufer hinüber, von Niedersachsens Segnungswünschen warlich nicht begleitet, um in Eilmärschen sein Schicksal zu ereilen. – Dresden wurde zur vollkommenen Festung, rings umher waren und wurden Redouten, Schanzen und Pallisaden angeleget. 30 bis 40tausend Mann Besatzung vertheidigten dieses große Bollwerk.

Die Franzosen drangen zwar über Rumburg und Gabel in Böhmen vor; aber nicht glücklich waren ihre Gefechte an der Lausitz Gewässer. Oesterreichs Erklärungen gaben nun den Ausschlag, dessen Krieger betraten schon, über Kommothau kommend, Sachsens unglückliche blutige Fluren; Napoleons Stellung in der Stirn und Flanke ist nun bedrohet, und der große Adlerkrieg beginnet. – So brich an, erster Tag der Prüfungswoche, ich ruffe dich hervor, erscheine! Verheele mir nichts, 22. August! reiß auf die noch nicht verharschten Wunden, sie mögen in der Rückerinnerung noch einmal bluten, laß von nun an Tag für Tag die traurigsten Begebenheiten meines Lebens vorüberziehen, laß mich meinen Zweck erreichen, laß Gegenwart und Zukunft mich vergessen, versetze mich in eine andere Welt, entreiße mich dem elenden Leben, [62] entreiße mich dem Bewußtseyn meiner selbst; ja, brich an 22ster August! –

Gouvion St. Cyr besetzte an diesem Tage mit seinen Truppen unsere Hauptstadt, um diese sobald nicht wieder zu verlassen. –

Die Sonntagsfeyer wurde begangen, und der friedliche Beruf erfüllte noch im Gewerbe die Pflicht; tanzend empfingen die Horen die Huldigung der Neuvermählten und der sich noch zu Vermählenden; der Tonkunst Mysterien, ausgesprochen von Mozarts Genius, veroffenbarten sich in ihren verschiedenen Aeußerungen; alles athmete Freude und Vergnügen – da erscholl plötzlich das Gerücht: die Thore und Schläge der Stadt würden gesperret, und wie bey dem großen Auferstehungstage erhob sich im bunten Gewühle die Menge, und strömend eilte sie der Stadt zu. Nur du, bange Ahnung der Zukunft, fürchterliche Besorgnisse – ihr bliebet bey uns, zitternd blickten wir den Ereignissen entgegen, die bald unser Loos entscheiden sollten. –

Des Montags frühe Dämmerung rief schon im Trommelwirbel und Trompetengeschmettere die nun kriegerischen Scenen herbey. Mantelsäcke und Tornister wurden eiligst gepackt – das Frühstück verschlungen, und das Schwert umgegürtet. Reihe an Reihe stellte sich der edlen Pohlen Schaar auf, der ernstlichen Vertheidigung jedoch im Ernste sich vielleicht nicht erkühnend. Und die Fluren [63] wurden wieder zum Feldlager, die Wagenburg war geschlagen, fünf Stunden lang stand vor uns diese unbewegliche Masse. Unsere Gefühle, unsere Empfindungen kann nur der würdigen, der mit uns in gleicher Lage gewesen ist. – Des Weibes Sorgsamkeit schied nun das Theuere von dem minder Theueren, das Entbehrliche von dem Unentbehrlichen, im Chaos empfingen die zu verbergenden Kisten das nicht wieder zu Sehende. – Der zehende Glockenschlag erhob die Herzen, und verscheuchte alle und jede Besorgnisse. Blinder Lärm! mit diesen Worten kehrten meine Pohlen zurück; Staabs- und andere Offiziere erhohlten sich an der Wirthstafel, der Wein erfreuete diese Unzertrennbaren, und nur des frivolen Junkers Ausruf: die Kosaken sind da! endigte unwillkührlich im Lachen das fröhliche Mahl; und im Jubel verflossen die folgenden Mittagsstunden: da erdonnerte plötzlich gegen sechs Uhr die Lärmkanone, ein zweyter und dritter Signalschuß erfolgte. Sämtliche Offiziere stürzen, um sich von der Wahrheit des Geschehenen zu überzeugen, zum Hause hinaus. Im Galopp kehren sie zurück, sie werfen sich auf ihre Pferde, die Retirade beginnt – und ich war bezahlet. – Nie habe und werde ich etwas Aehnliches sehen als diese Retirade. Tschakos, Mützen, Hüthe giengen verlohren, hier purzelte einer vom Pferde, dort ereilte ein Anderer den schnellen Leiterwagen, um im Fluge ihn zu besteigen. Gesattlete und ungesattlete [64] Pferde irrten herrenlos einher, manche folgten im Instinkt dem flüchtigen Zuge, manche vergnügten sich aber auch an der fetten Weide. In Koschütz, – einem eine halben Stunde von uns entlegenen Dorfe – drangen zu erst die flüchtigen Kosaken ein, und verjagten die fleißigen Commißschneider von ihren Werkstätten, auf dem großen plauenschen Weg ereilten jene schon die mit Tuch beladenen Wagen, sie begnügten sich aber nur mit den ausgespannten Pferden, und überließen gerne die innere Beute den nächsten Dorfbewohnern, die sich im Hinzueilen des fremden herrenlosen Gutes bemächtigten, um dieses in den folgenden nächsten Tagen den Plünderungen der Oesterreicher wieder aus- und abzuliefern; doch mancher erfreuet sich heute noch des Glückes, einen Sonntagsrock erobert zu haben. Jetzt sprengten 3 Kosaken in den Hof; – Ha! wie bänglich klopfte da die Brust – sie fragten nach dem sich etwa versteckten Feinde, mäßig verlangten sie dann Brandtwein, und ich gab ihnen im reichlichen Maaße.

Schlange des Paradieses, Versucherin! – warum zeigtest du mir diese verlassenen Schätze? konnten nicht die in der zurückgelassenen Regimentskasse mir vielleicht zuständig gewesenen 6000 Thlr. die Glückseligkeit meines Lebens, wenn auch nicht erkaufen, doch befördern? sind die mehreren Tausenden, welche die Pohlen in ihren Effekten zurückließen, in dem Leben und Treiben der menschlichen [65] Gesellschaft nichts zu rechnen? Noch hatten wir des Krieges Wuth nicht empfunden, noch wohnte die Rechtlichkeit des sich begnügenden Gemüthes in unsrer Brust; nicht des Goldes Glanz, nicht Ehrgeiz, nicht Habsucht waren es von jeher, die unsere Herzen im schleichenden Uebergewichte so gerne besiegen möchten; doch kühn schlugen wir gegen Jedermann die Augen auf, und das Gefühl der Rechtschaffenheit erhob den Menschen zum Menschen, dieses gleichte den Stand, aber huldigend empfingen wir jederzeit in seiner Würde den Fürsten und den Bauer.[16]

Der Dienstag – der 24. August – damit ich auch das kaum zu Bemerkende in diesen Tagen mit Sorgfalt bemerke, – war in seiner Ruhe einer der fürchterlichsten Tage dieser Woche. Dem kriegerischen Anakondenhauche zu entgehen, wurden Thüren und Fenster verschlossen, leer waren alle Straßen, nur die Vögel in den Lüften bezeugten noch die alte Ordnung der Dinge. Und ihr Stunden meines Lebens! stets so schnell verflossen, warum schleichet ihr euch jetzt so martervoll dahin? Giebt es keinen Ausweg zwischen der tiefsten Ruhe und des Orkans wüthenden Sturm? ach schon schwellen [66] die Meereswogen, der Lebensschiffer ziehet seine Segel ein, schwarze Gewölke bedecken den Abendhimmel. – Der Mittewoche war es aufbehalten, beyde Extreme zu verbinden; lauter und lauter wurde es in unsern Gegenden, auf den Koschützer Anhöhen standen nun die feindlichen Massen; seitwärts links donnern schon die Kanonen und das kleine Gewehrfeuer hallte prasselnd im Wiederhalle wieder.

Noch einmal, jedoch mit blankgezogenem Schwerdte stürmten die Pohlen in mein einst so gastfreundliches Haus, um sich zum letztenmale an den Anblick ihrer Schätze zu ergötzen. – Ich begreife heute noch nicht, warum sie es nicht wagten, diese in Sicherheit zu bringen; die Straße nach Friedrichstadt war zu sicher, und zwey Mann Bedeckung reichten vollkommen zur Begleitung hin. Wollten sie sich die Berechnung ersparen? opferten sie deswegen im Einverstande das nicht unbedeutende Eigenthum der Einzelnen, oder glaubten sie nicht an das Gewaltsame des zu Geschehenden? Genug, sie besahen abermals ihre Schätze, und ritten wieder fort. –[17]

[67] Hoch wehete nun das Pannier des doppelten Adlers! Kaiserlich österreichische Offiziere kamen, forderten, erhielten und bezahlten. „Eure Sclavenketten zu zerbrechen, euch von der Tyranney zu befreyen, nicht aber um zu rauben und zu plündern sind wir erschienen! euer Eigenthum ist gesichert.“ Tröstliche Worte, die leider nicht in Erfüllung gingen und mich ins Verderben führten. Aus der Ferne sahen wir nun dem kriegerischen Schauspiele zu, und im Prologe eröffneten Centauren, die nicht mehr zu verbergenden Trauerscenen, die aber heute weder Stadt noch Land, nur den kriegerischen Gliedern verderblich wurden. – Mein Name wurde nun gerufen, ich trat hinaus; und in liebevollen Worten empfing mich ein einst in sächsischen Diensten stehender, jetzt österreichischer Offizier. „Wie gehet es, kennen Sie mich noch?“ war die herzliche Frage, die mein Händedruck in Verbeugung bejahend beantwortete. – Lebensmittel aller Art wurden nun gefordert, Weine, Getränke, gekochte und ungekochte Speisen verlanget; jedoch mit der Aufforderung, dieses selbst mit meinen Leuten ins kaiserliche Hauptquartier gegen [68] zu erfolgende Bezahlung abzuliefern. Meiner Gattin Besorgnisse: daß es nicht wohlgethan sey, in diesen kriegerischen bedrängten Zeiten den Hausvater von seiner Familie abzurufen und zu entfernen, beschwichtigte die Betheurungen und Verheißungen des Offiziers, mich selbst wohlgemuthet ihren Armen wieder zu überbringen, und wir betraten, in Begleitung der tragenden Dienerschaft, den steilen Weg.

Großer Stein!

wie dich vorzugsweise die umliegende Gegend also benamet, den ich jederzeit in der tiefsten Ehrfurcht betrachtet habe; heilig schon in der alten deutschen Mythenlehre, geheiliget durch die dann in ächt römisch katholischem Sinne zu dir geführten Betfahrten, aber mehr denn dreymal heilig in deinem Panorama, in der kräftigen Aussprache der überglückten Natur, der Gottheit Näherung uns fühlend überzeugend; ehrwürdiger ergrauter Denkstein! vor Jahrtausenden Zeuge der furchtbarsten Naturumwälzungen, in diesen Tagen erhieltest und gründetest du deine Ewigkeit. – Mit thränenden Augen, jedoch kühn ergreife ich den Meißel, und der einfache Name: „Moreau!“ verewige das nun nicht mehr zu verherrlichende Gestein.[18]

[69] Doch heute ragtest du stolz hervor, Oesterreichs Held – der Fürst von Schwarzenberg – hatte um dich sein Lager aufgeschlagen. – Ich wurde eingeführet in das fürstliche Zelt um auszusagen das mir nicht Bewußte.

Die Aeußerung, daß ich, bey meinen besten patriotischen Gesinnungen, nicht im Stande wäre, befriedigende Auskunft geben zu können, daß ich durch ungegründete falsche Aussagen vielleicht mehr Schaden, als Nutzen bewirken möchte, schien zu befriedigen. Da bildeten sich plötzlich in zwey Reihen die glänzende Versammlung – ein Gott trat ein, und im ehrfurchtsvollen Schweigen wurde er empfangen. Während der beynahe einer Stunde langen Unterredung mit dem Fürsten, fragte mich leise einer der mir nahestehenden Offiziere: „ob ich wohl wüßte, wer dieser Herr wäre?“ Ich bejahete die Frage mit den Worten: „wenn ich nicht irre, so sind es Ihro Majestät der Kaiser von Rußland.“ „Ja,“ sagte dieser, „Sie haben die höchste Gnade, ihn zu sehen.“ Nach des Kaisers Entfernung wurde ich wieder herbeygerufen, und gefragt: „ob ich mir wohl getraute, die Bewirthung des Herrn Feldmarschalls zu übernehmen, der morgen sein Hauptquartier nach Plauen verlegen würde?“ Freudig bekräftigte ich es, jedoch mit der nöthigen Erinnerung, daß sie die herbeyzuschaffenden rohen Lebensmittel und Producte selbst besorgen möchten. Eine einzige erbetene [70] Sauvegarde begleitete mich nach Hause, jedoch mit Tausenden, vorzüglich Cavallerie, marschirten wir in Kolonnen in das nun unglückliche Thal hinab. – Im Freudenrufe empfing mich nun meine getröstete, bald geschäftige Martha, und was Küche und Keller noch vermochte, empfing in wenig Stunden der genügsame Fürst.

Am Abend, ha! welche neue Erscheinung. Truppen an Truppen kamen, sie stellten und lösten sich, und mehr als 300 Mann hatten sich im ansehnlichen Garten gelagert, schon brennen die verschiedenen Wachtfeuer, die lodernde Flamme, die im Wiederschein der dickbelaubten Bäume erglänzte, gab dem Auge kein unangenehmes Schauspiel. „Sie müssen schaffen!“ mit diesen Worten trat der Befehlshaber dieser Truppen in das Haus, „wir werden nicht plündern, nichts rauben; aber gebet was ihr habet, wir müssen es haben, dieß fordert die eiserne Nothwendigkeit des Krieges.“ Der Oeconomiepachter gab das Schlachtvieh, der Bäcker das Brod, um eiligst wieder frisch zu backen, ich Getränke und andere Lebensmittel, was vorhanden war; dann war Ruhe und unser Eigenthum gesichert. Der Feind war nun unser Freund, und wir gingen mitten durch die Gelagerten, die uns die Hauptbegebenheiten ihrer Tagesgeschichten treu erzählten. – Ein sanfter Schlaf verscheuchte heute noch unsere Besorgnisse. Der Fürst war ja unser hoher Gast, und seine Getreuen unsere [71] Beschützer. Ja, selbst die von des weisen Schicksals Willen uns versagte Divination ließ uns noch ruhig schlafen.

Die Morgenröthe verkündigte kaum den schrecklichen Tag, da ertönte schon, auf zum Leben, oder zum Sterben! das kriegerische Machtgebot. Dieser Donnerstag verläugnete seinen Namen nicht, er war ein wahrer Donnerstag! Kanonen donnerten im halben Monde, vom Elbstrande bis wieder zum Elbstrande, von Osten bis wieder zum Westen, überall in rauchenden Blitzen verbreiteten sie Tod und Verderben. –

Gott mit uns! mit diesen Worten brachen um 9 Uhr meine Krieger auf, und mein menschlicher Befehlshaber war unter ihnen das erste kriegerische Opfer. Blutend brachten ihn zwey seiner Kameraden geführt, – Lebensgefahr machte jetzt alle gleich – eine Kugel war ihm durch den Kopf gefahren – zwanzig Schritte noch von meiner Behausung sank er nieder. „Ich werde sterben,“ sprach er mit matter Stimme zu uns Hinzugetretenen, „doch die Beruhigung, weder an euch, noch meinen Untergebenen schlecht gehandelt zu haben, versüßet die Todesstunde.“ Er verschied, die Raubgierde zog ihn aus, und man erkannte nicht mehr den Herrscher oder Beherrschten – unsere Hände begruben in der Folge den nackenden Leichnam.

[72] Wir befanden uns nun mitten im Schlachtfelde, und vom plauenschen Grunde bis beynahe nach Blasewitz erbebte die Erde, schneidend trennen im Geheule Kugeln die Lüfte. Im Keller und hinter den dicksten Mauern waren die Theuersten versammlet und verborgen, der sorgsame Vater aber scheuete nicht die Gefahr und sahe in mannichfaltigen Scenen noch muthvoll die verschiedenen Auftritte. Minder schrecklich war es heute nach Westen zu, einzelne Attaquen bloß bewiesen nur hier die Schlacht. – Wilder aber erschienen nun uns die Krieger, Lebensmittel aller Art wurden genommen. Gute, Böse und Minderschlechte gingen aus und ein, ihre Thaten und ihre Aeußerungen verriethen ihren Geist. Doch öffentliches Lob jedem österreichischen Offizier, sie waren ohne Ausnahme beynahe alle gut. – Das Hauptquartier kam nicht zu uns, und diese unsere einzige Hoffnung sank. –

Nach Jahr und Tag, indem ich alles dieses niederschreibe, denke ich noch mit Entsetzen an diese und die folgenden Begebenheiten. Alle unsere Vorräthe waren aufgezehret, nichts war mehr vorhanden und das Elend ergriff uns nun gewaltsam. In Mishandlungen glaubten nun die Barbaren das Unmögliche zu erpressen, und in Zittern und Zagen sahen wir nun Einzelne kommen und gehen.

Laßt uns fliehen; doch wohin? überall tobte der Orkan. Messina’s traurigstes Schicksal war [73] beynahe beneidenswerth – wenig Minuten hatten da entschieden – uns warf aber die Länge der Zeit auf die Folterbank. – Der Hoffnungsfunke glimmte noch einmal auf; ein Offizier erschien uns als tröstender Engel, der gemeinen Noth sich erbarmend, gab er uns zwey Beschützer. Jetzt loderte wieder in Flammen der verlassene Heerd, in großen Kesseln sieden die im Sturme und im Gebrause der Lüfte der Erde zu frühzeitig abgewonnenen Kartoffeln, in zusammengefügten Händen werden diese heiß ausgetheilet, und die Hungrigen ergötzen sich an die leckere nicht einmal mit Salz gewürzte lose Speise. –

Allmählig entfernte sich das Gekrache der Kanonen, schon sind Dresdens Schanzen bedrohet; einzelne Kugeln erschrecken die Bewohner der Altstadt, die Vorstädte zittern, aber die äußersten vor dem Schlage gelegenen Gartenhäuser sind schon durchbohret; – „der Sieg ist unser, alle Fehd’ hat nun ein Ende; die Stadt ist so gut wie erobert,“ sprach der eintretende Offizier, und alle Militärs, selbst die wohlbelohnte Sauvegarde, verließen nun schnell das unbeschützte Haus, um sich von der Wahrheit dieser Dinge zu überzeugen, oder vielleicht um Theil zu nehmen an der Plünderung der versprochenen Güter.

Ruhe war uns nun beschieden, doch wie lange? Ja, so wie im schwersten Gewitter schwangere Wolken vorbeyeilen, der furchtbaren Ladung schnell sich [74] entledigen, am steilen Felsen anprallen, keinen Ausweg mehr gewinnen, sich zurückziehen, um in alter Stellung, doppelt schwer, die ganzen electrischen Massen verderbend herabzuschleudern, so nun uns.

Mein Herz erstarrte, ich glaubte zu träumen, als ich am Abende die Truppen sich zurückziehen, und von französischen Chasseurs verfolgen sah. Wehe nun uns! und die Brust schwoll von den bängsten Besorgnissen hoch auf. – Menschenblut trank im Ueberfluß die Erde, das Abendroth war zwar verschwunden, doch im widernatürlichsten Lichte leuchtete der Osten. – Brennet ihr Dörfer! sinket in Aschenhaufen zusammen; beleuchte, o Strießen! die große Mordthat, die am Tage begangen, die schwarze Nacht nicht einmal verbergen mag, gieb diesem Meisterstücke gehöriges Licht und Schatten, du erfreuest doch wohl manch Menschen- manch Tigerherz! –

Napoleons und des Königs von Neapel Ankunft in Dresden, und dessen Folgen, sind zu bekannt, um etwas weiteres darüber zu erwähnen.

Bey verschlossenen Thüren und Fenstern saßen wir im finstern Zimmer beysammen – kein Licht, kein Brod waren mehr vorhanden, Rüben und Krautstrünke sättigten die hungrigen Kleinen; nicht einen Laut wagten wir von uns zu geben, und nur unwillkührliche Ach! tönten bald hier und bald dort. „Aufgemacht!“ brüllte es jetzt aus hundert Kehlen, und das Blut in den Adern stockte. [75] „Gott sey bey uns!“ mit diesem Ausrufe eröffnete ich die Pforte, und mehr denn funfzig Mann stürzen ein. „Schaffts Lebensmittel! oder das Kind im Leibe wird nicht verschonet!“ meine Haare sträubten sich empor. Da erblickte ich den Offizier, ich nahm ihn bey der Hand. „Kommen Sie,“ sprach ich, „alles was Sie treffen ist ja so das Ihrige, aber Sie werden nichts finden.“ Bey Feuerbränden wurden nun Keller, Boden, Küche und Speisegewölbe untersuchet, ihre Bemühungen waren umsonst, und die Hungrigen verfluchten ihr Schicksal. Eine starke Parthie von ihnen eilte fort auf die Felder und brachten in kurzer Zeit Kraut, Rüben und Erdbirnen, der Heerd brannte von neuem; Leben und Thätigkeit kehrte zurück, Salz und Geleuchte wurden, ich weiß nicht wie, herbeygeschaffet, und die Hungrigen alle gesättiget, die sich sogleich dann wieder entfernten. Eine lahme Gans, letzter Rest des sonst so befiederten Hofes – lächelt ihr Glücklichern! – war der Kriegswuth, ich mag nicht sagen wo? entgangen; gereiniget, gebraten, geviertelt, opferte sie jetzt die Dankbarkeit dem noch dableibenden und beschützenden Offizier und zweyen seiner Unterbefehlshaber, zu denen sich ein Wachtmeister, dessen Pferd in der Bataille erschossen war, gesellet hatte. Die Gans wurde nun aufgetragen und Kartoffeln vertraten das Brod. „Warlich!“ sagte in Fortsetzung des Tischgespräches der beynahe schon Ergraute: „diese [76] Art Krieg zu führen hat der Teufel erfunden; ihr seyd zu bedauern, wir aber auch. Ungeheuere Armeen werden ins Land geschmissen, und Kraft muß der Kraft, Massen den Massen, Gewalt der Gewalt entgegengesetzet werden; die einmal eingeführte Art zu streiten, erfordert die traurige alles verderbende Nothwendigkeit, diese nehmliche Art angriffs- oder vertheidigungsweise wieder anzunehmen. Keine Zufuhren können statt finden, wo sollte bey der ungeheuern Zahl der Krieger die Menge der Wagen und des Gespannes aufgetrieben werden; schnelle Durchzüge lassen in der Breite und in der Länge schnell das Ungemach vergessen, aber wehe den Ortschaften, wo sich freund- oder feindliche Truppen konzentriren, um wie im vergifteten Raupenfraß, das noch Möglichste zu verwüsten und zu verheeren.“ – So der verständ ge[WS 4], einsichtsvolle Wachtmeister. „Ja wir stehen nun,“ fuhr er fort, „schon zwey Tage unter den heftigsten Regengüßen im Feuer, den ganzen Tag erfreueten wir uns auch nicht eines einzigen Bissen Brodes – bis der Abend anbricht, wo der von der höchsten Lebensgefahr Errettete nur in Plündern, Rauben und Stehlen sich zu sättigen genöthiget siehet. Darf man sich wohl da wundern, wenn auch der menschlichste Krieger zum Barbaren ausartet, zu einer Zeit, wo Menschenglück und Menschenleben so gewaltsam mit Füßen getreten wird? Doch [77] seyd guten Muthes!“ wandte der Brave sich zu uns: „heute Nacht bin ich euer Gast, morgen wird Gott weiter helfen.“ Mit diesen Worten gürtete er den blutigen Säbel ab und hing ihn auf.

Wohlthätige Gans, Gans sonder gleichen! wie verehre ich dich; du schufest uns Beschützer und Freunde, das letzte, sorgsamer als Diamanten versteckte Brod, wurde, allen Besorgnissen überhoben, herbeygeholet; an deinen fetten Bemmen ergötzten sich Groß und Klein, und dein eigenes Fett beleuchtete das herrliche Mahl. – Ja, mein alter Wachtmeister hielt redlich Wort. Bey dem geringsten Lärm wurde schnell das Schwerdt umgeschnallet, jederzeit öffnete er selbst die Thüre und in kraftvollen Ausdrücken, die dem gedienten Krieger so wohl anstehen, entfernte er, was zu entfernen war; so verschwand in bangen Sorgen in Furcht und Gram die so unruhige Nacht, aber die wohlgebetteten Lagerstätten empfingen die der Ruhe nur zu sehr Bedürftigen nicht; ach! sie empfingen sie niemals wieder.

Ermanne dich, mein Geist; der Tag bricht an! verleihet mir, ihr Unsterblichen! die Kraft und die Macht zu verkünden, was nun geschah. Freytag, auch du ein wahrer Freytag, du befreytest uns von allem Möglichen, vom Guten und vom Bösen, von dem Ueberflüßigen, so wie von dem Nothwendigsten. „Lebet wohl, Gott stehe euch bey!“ mit diesen Worten entfernte sich von uns der edle [78] Beschützer, seine blutige Laufbahn abermals verfolgend. Blau strömte nun in Garden, Cohorten und Linientruppen der Franzosen Menge zu verschiedenen Schlägen heraus, und die ersten Schüsse dieses fürchterlichen für mich und so Viele so unglücklichen Tages fallen in unseres Garten Bezirk.

Ein Bataillon Oesterreicher hatte sich bey uns am linken Weiseritzufer aufgestellet, eine ähnliche Menge Franzosen am rechten Ufer, den niedern plauenschen Weg behauptend, erhielt die Schaale im Gleichgewichte, und das kleine Gewehrfeuer knallet. Kühn, nur 40 Schritte entfernt, sahe ich diesem die Menschheit empörenden Schauspiele aus einem Dachfenster zu, die Musketenkugeln konnten mir in meiner Stellung nichts schaden, und ich Entarteter sahe gleichgültig die Verwundeten und Sterbenden fallen. Die Armeen der Verbündeten hatten sich heute etwas enger zusammen gezogen. Schwarzenberg, Kleist und Wittgenstein kommandirten; gegenüber stand der König von Neapel mit dem Marschall Viktor, Napoleon mit seinen Garden und Gouvion St. Cyr. Die Stellung der verbündeten Armeen war ohngefähr folgende: Von der Obergorbitzer Chaussee bis am plauenschen Grunde bildete sich der Oesterreichische linke Flügel, im Centrum vom großen Stein über Räcknitz bis hinter dem großen Garten hatten sich österreichische und preußische Truppen vereinigt aufgestellet, die Russen schlossen sich an und dehneten sich beynahe bis zum Blaswitzer [79] Gehege, zum Elbufer hinunter, im Bogen aus. – –

Des Menschenwürgens noch nicht müde, spie nun Feuer und Flammen das noch nicht erkaltete Geschütze, – und näher und näher kam das Schlachtgetöse. Schon durchbohren Kugeln unsere Ziegeldächer, krachend, wie bey den wüthendsten Sturm-Wind fallen diese zerschmettert herab und in tiefsten Kellern verbirgt der sich nicht mehr zu retten Wissende.

Freund und Feind versammelten sich hier, um das traurige Loos gemeinschaftlich zu theilen;[19] unsere Herzen pochten in widernatürlichsten Schlägen! – Was hat dies zu bedeuten? Die Thore werden verrammelt, dies sahen wir Männer, die wir im obern Geschosse der größten Lebensgefahr uns aussetzend, verweilten. – Wasser zum Löschen hatten wir herbeygetragen, der augenscheinlichsten Feuersgefahr uns nicht mehr unbewußt. – Kolbenstöße eröffneten jetzt die wohlverwahrten Hausthüren, ganze Fenster stürzen ein, und das Haus wurde voll von Sclavoniens wilden Kriegern. „Schaffet! Schaffet! wo ist der verborgene Weinkeller? hier müssen wir uns vertheidigen! machet, daß ihr fort kommet; keine Rettung mehr für euch, entfliehet!“ so die verworrnen Stimmen. –

Kisten und Kommoden wurden nun gewaltsam erbrochen, und die lange beschützte Regimentskasse, [80] dänische Species enthaltend, empfingen in Mützen die Hocherfreuten.[20] Neuen Mißhandlungen war ich nun wieder ausgesetzet, um das nicht zu Habende zu geben. – So lasset uns fliehen, rief ich in Keller hinab, kommet herauf, errettet das Leben; Gott wird uns schützen! – Bleiche Leichengestalten kamen nun aus dem Dunkeln mir entgegen gestiegen, und mein Arm empfing und umfaßte die Theuern alle. Vor dem Hause, nach der Gartenseite zu, standen gegen 200 Mann Reserve, ha! mit wüthender Hand machte ich Platz, und selbst diese rauhen Krieger ehrten im Weichen diese nun unglückliche Familie. Unter den beynahe veralteten Kastanienbäumen machten wir halt; prasselnd stürzten zwar die Aeste herab, doch die Angst, die Zerstörung, die uns versagte Besonnenheit, ließen uns kaum dies bemerken. Doch der Ausruf der mütterlichen Gattin: Gott, ein Kind fehlet! erbebte mit electrischen Schlage unser Aller Innerstes. Noch einmal durchbreche ich die feindlichen Glieder, ich durchsuche alle Zimmer, der Pulverdampf von abgefeuerten Gewehren erfüllte schon im Rauch die nach den Abend hin gelegenen Gemächer, die erstarrten Augen sahen noch einmal den Greuel der Plünderungen, nach langen Suchen tief im Winkel des Kellers versteckt, finde ich die Kleine.

[81] Vorwärts, hier können wir nicht bleiben, rief ich den Meinen zu, als wir sie glücklich erreichet hatten. Aber auch die Elemente hatten sich gegen uns verschworen, Regengüsse stürzten über uns schlecht Bekleidete in Strömen herab, und selbst der sonst so seichte Bach verwehrte uns jetzt in seinen reißenden Fluthen den so sehnlich erwünschten Uebergang. Ha! wie das vom ruhigen Lager gewaltsam aufgescheuchte Wild in den enge beschränkten mörderischen Kreisen umherirret, keinen Ausweg sehend, zitternd in klopfender Brust nur noch den sichern Schuß als höchstes Glück sich erwünschet: So beynahe uns! Vom Baume zum Baume flohen wir Aermsten. Gottlob! riefen wir aus tiefer Brust, als wir das Gartenpalais erreichet hatten, dicke Mauern werden uns da schützen. Doch hoch über uns saußten die Kugeln, sie senkten sich und das Gebäude erschütterte. Hinaus, hinaus! hier kann unser Bleiben abermals nicht seyn; der wilde Oestreicher dringt herein und unser Asyl verwandelte sich zur Blokade. Im Geheule und Geschrey der Kinder, in der vermehrten Menge der Flüchtlinge, betraten wir die Brücke, die ich heute noch in der Erinnerung nicht ohne Graußen zu begehen vermag, aber auch da war uns der Uebergang verwehret, Reserven hatten sich Mann für Mann da aufgestellet, und nur die menschenfreundlichen Gesinnungen des Offiziers, die Herz angreifende Scene selbst, verschafften uns Platz, und glücklich gelangten wir [82] herzerleichtert zum jenseitigen Ufer. Gott mit uns! er wird weiter helfen; tröstete ich mit keuchender Brust. Wir ereilten den plauenschen Grund, hoch noch über uns flogen die Kugeln, aber des Vaters und der Mutter Arme erstarrten, ach! die Lasten der getragenen Kleinen wurden zur Centnerschwere. Noch mehreremale passirten wir nicht ohne Beben durch feindliche Truppen hindurch, nackende ausgezogene Leichname, verstümmelte Menschen und Pferde lagen zu beyden Seiten, athemlos, niedersinkend im Wirrwarr unserer Sinne, keines Schrittes mehr mächtig, erreichten wir die Neumühle. Und Dank, Dank, inniger, herzlicher Dank! der gütige Müller nahm in Freundschaft empfangend, die hülflose Familie auf, und dessen Gattin Liebe und Sorgfältigkeit gab uns nach und nach uns wieder selbst zurück.

Den Schiffbrüchigen gleich, zitterten und bebten unsere durchnäßten Glieder; jedoch das Leben hatten wir gerettet, unsere Theuern waren ja alle bey uns und nach der Zukunft schweren verhängnißvollen Tagen, wer fragte wohl jetzt? wir ergaben uns in höchster Resignation dem nicht zu vermeiden gewesenen Schicksale. –

Das tiefe enge Thal, die Höhe der stillen Felsenberge, die Krümmungen des Weges ließen uns Sicherheit hoffen: doch wehe uns! wenn einzelne Parthien in diesem Grunde sich verfechten; wehe uns, wenn diese Mühle sollte in Brand gerathen; [83] wehe schon, wenn Kanonenschüsse dieses für so Viele ersprießliche Werk vernichten. Hier den einzigen Ausgang besetzen Freunde oder Feinde, gleichviel. Das schäumende Wassergeflüthe versagte uns jede mögliche Rettung – und der Flammen oder Wassertod war mehr denn Hunderten in Greisen, Kindern und Weibern, beschieden. Entsetzliche Lage! – Auch in dieser Mühle erinnerte uns alles an die Kriegeswuth, zerbrochene Kommoden, ausgeleerte Schränke bezeugten das vorherige Daseyn der nichts verschonenden Krieger. – Frisch wurde Brod gebacken, einzelne Truppen kamen, der heiße blasse Teig wurde aus dem glühenden Ofen herausgerissen und im Heißhunger verzehrten diese die lose, nicht zu verdauende heiße Mehlspeise. Von Minute zu Minute vermehrten sich nun die Flüchtlinge, – ein Zimmer beherbergte uns Alle, der schweren Last sich entledigend, setzten Mütter ihre Körbe herab, und ihr Inhalt waren nackende, halbbekleidete schreyende Kinder und Säuglinge. Herr Gott und Vater! meinen Verstand mir erhalte; ich übertreibe nicht, doch laut rufe ich euch auf, ihr Jammergefährten! bezeuget diese Wahrheiten. – Die sich unserer erbarmende Wirthin speiste meine hungrigen, das Elend nicht so fühlenden Kinder, ein einziger Löffel beginnet zwar die Runde, eintheilend traten wir Aeltern hinzu, aber geschnürte Kehlen versagten uns selbst den Mitgenuß, ha! die an den Felsenwänden gewaltsam [84] getheilten Lüfte, die in ihren fürchterlichen Schoß so schütternd wiederhallten, verherrlichten das Mahl, der Kinder Gleichgültigkeit, ihr thierisches Streben war, bey Gott beneidenswerth, und verwandelte die so einfache Mahlzeit für sie zum Bacchanale. –

„Es brennt!“ mit diesen lakonischen Worten stürzte ein Mühlpursche herein, hoch schreckten wir auf: doch nicht die Mühle? das uns auf den Anhöhen gegen über liegende Dorf Döltschen ging jetzt in Flammen auf, und der sinkende Rauch erfüllte das Thal. –

Damit ich aber auch erzähle, was in der großen blutigen Weite heute geschah – und so wie ich es nachher erfahren habe. Es stürmte in Uebermacht der König von Neapel den feindlichen linken Flügel; ganzen Reihen versagte hie und dort das kleine Gewehrfeuer, nur mit Kolbenstößen und vorwärts gerichteten Bajonetts vertheidigten sich gegenseitig die Braven. Nauslitz, das benachbarte westliche Dorf, wurde mehrmals genommen und wieder erobert, jedoch das angrenzende im Feuer hochlodernde Döltschen konnte den sich nun zurückziehenden Oesterreichern weder Schutz noch Sicherheit mehr gewähren. – Im Centrum entschieden jetzt blos Kanonen, unbeweglich standen in Regengüssen bis am spätesten Abend die Reserven des österreichischen Armeekorps, die sich am plauenschen Grunde in ihrer Stellung von unserem Gesichtspunkte [85] aus, links sich angeleget hatten; keine vorwärts und keine rückgängigen Bewegungen waren den ganzen Tag über zu spüren, dies besage ich als Augenzeuge; nur die einbrechende Nacht entzogen diese unsern Blicken.

Moreau! noch einmal schreibet meine Feder, in Thränen niedergetaucht, Deinen überall verehrten Namen trauernd nieder; schon mir warest Du im Jünglingsalter, in meiner hochklopfenden Brust, dazumal schon jeder großen That mich fähig zu seyn glaubend, mein Ideal! – Du fielest, fielest an der Seite Deines Alexanders, Räcknitzens Fluren und der schon besagte große Stein waren Zeuge. Näthnitz, das Feldlager des rußischen Monarchen, nahm Dich auf, dort wurdest Du amputirt, aber Laun in Böhmen empfing Deine letzten Seufzer.[21]

[86] Napoleon stand an diesem Tage Preußens Heldenschaar gegenüber, und aufgethürmte Leichenhügel bezeugten hinter dem großen Garten die gegenseitige höchste Erbitterung.[22]

Plauen brannte, nur einige entschlossene Männer und Weiber, die noch da waren, löschten unter der fürchterlichsten Kanonade, von heftigsten Regengüssen unterstützet, die Feuergluth, sie retteten das ganze Dorf; aber es war und bleibt ein Wunder Gottes, das jetzt und in der Folge dieses Dorf nicht gänzlich in Feuer aufging.

[87] Komme ich auf unsere Lage zurück: so erhob sich jetzt vor unsern Augen ein erbarmungswürdiges Schauspiel! hoch, vom Döltschner steilsten Berge herab flüchteten sich Männer, Weiber, Kinder und Greise. Manche trugen unter den Armen ein elendes gerettetes Stückchen Federbette; andere führten nur ihre Kinder; mehrere keuchten unter der Last ihrer sogenannten Laden; aber einer trug auf seinem Rücken die Bürden des kranken sterbenden Weibes. Unsere Mühle nahm letztern und mehrere auf, enger und enger wurde der Raum in unserm gemeinschaftlichen Zimmer, und nur im großen weiten Mühlhause schöpften wir frischen Athen.

Der Abend nahete in der tödtensten Langeweile, in der bängsten Unruh des ungewissen Schicksals, denkend, doch uns unbewußt; rings am Horizonte flammte die Gluth und bestätigte abermals den scheidenden schrecklichen Tag; du aber, o Nacht! warest nicht geschaffen Trost, Beruhigung und Muth uns Vernichteten zu gewähren, um diese in unserer Brust wohlthuend niederzusenken! – Hallend seufzten die Töne der Sterbenden wieder, – ach von des Lebens Nichtigkeit waren wir schon seit Tagen überzeugt, doch die geschäftigen Frauen umgaben die Kranke, ihre Todesstunde ihr zu erleichtern; in der Mitternachtsstunde löste sich der Geist, ein Kriegsopfer war abermals vollbracht, und in Rührung und Gebete umgaben jene das Todtenlager; [88] das, weiß Gott! wie viele von ihnen in kurzer Zeit nach sich rufte! –

Das sehnlich gewünschte Tageslicht verscheuchte endlich die Schatten. „Nimmer, nimmer kann ich hier bleiben; Gewißheit meines Schicksals muß ich haben.“ Mit diesen Worten trennte ich mich von meiner Familie, um meine Behausung, das Fürchterlichste mir vorstellend, wieder zu sehen. Ha, welche Scenen! rechts und links auf diesem so traurigen Wege hatten sich Leichname an Leichname gehäufet, leblos lag das schönste muthvolle Roß darnieder und meine Brust schwoll hoch auf um das gräßlichste Erwartete in Ueberzeugung zu sehen. Und das was ich erwartete und befürchtete war in Erfüllung übergegangen; ich schickte einen Boten an meine Gattin mit der herzlichsten Bitte und Ermahnung: sie möchte mit ihren Kindern kommen, jedoch sich auf das Möglichste gefast halten. – Und sie kam, sie besah das Elend; weinend umschlangen uns unsere Armen, und das Schluchzen der nun schon verwaisten Kinder ließ in des Elendes höchstem Elende die traurigsten Folgen fühlen. – Der Todesstoß war gegeben, und die nun trocknen Augen meiner Gattin bezeugten den unbändigen Schmerz. – Du ruhest – aber warum ich nicht? sind meine Opfer den Göttern nicht angenehm? soll ich allein nur die Kürze unserer Glückseligkeit beweinen, um nur einzig und allein jetzt und in der Folge die froh mit Dir verlebten Tage [89] und Stunden ewig zu betrauern? – Ja, wenn ich sage, daß der Kinder Schulbücher der Plünderung nicht entgangen waren, sage ich hiermit des Entsetzlichen Entsetzlichstes, und selbst des langen Winters Trost, unser Kartoffelfeld, war vernichtet; kein Federzug kann so etwas beschreiben, ein jeder wird es fühlen; es fühlet es ja nach Tagen und Jahren immer und ewiglich mein trauerndes Vaterherz. Vom Schlachtfelde – in unserem Garten lagen 20 bis 30 Todte – über das große Schlachtfeld eilte ich der Stadt zu, um nur einige der unentbehrlichsten Lebensmittel einzukaufen. Nie hatte ich so etwas gesehen, und Schaudern, Entsetzen und Beben beflügelten meine Schritte. Dresdens Bewohner zogen jetzt in Menge aus, theils ihre Neugierde, theils ihre Habsucht zu befriedigen, und in wenig Stunden hatte die unterste und ärmste Klasse derselben das Schlachtfeld von allem, was nutzbar war, gereiniget und gesäubert, und nur die Cadaver von Menschen und Vieh ließen, Abscheu und Ekel erregend, an die sich niemand vergreifen wollte, diese waren noch Wochen und Tage lang Zeugen dieser traurigsten Begebenheiten. Wehe der verdorbenen Menschheit, Schande unseres Zeitalters, wehe den künftigen Generationen! wenn die im Inn- und Auslande ungegründete Sage wahr wäre, daß Dresdens Weiber und Mädchen in höchster Lüsternheit mit geilen Blicken die nackenden Männerschönheiten betrachtet, ja mit [90] ihren Sonnenschirmchen betastet hätten; nur von Einigen, und nur von den Verworfensten unter ihnen, könnte hier die Rede seyn; aber nein! so weit sind wir nicht gesunken; nein! nur höllische Verleumdung hat diese teuflische Lüge erfunden. –

Der Verbündeten Versicherungen, daß es ihr Ernst nicht gewesen sey, Dresden im Sturme zu erobern, nur Napoleon von der ihnen gefährlichen Stellung abzuziehen, in Eilmärschen seine hungrigen Truppen zu ermüden, dessen Hauptmacht zu schwächen, wäre der Zweck des jetzigen Angriffs gewesen, gaben jetzt schon einige Wahrscheinlichkeit wegen der glücklichen Gefechte von Großbeeren und an den Ufern der Katzbach. – Der Kronprinz von Schweden, und der ehrwürdige General Blücher – nachheriger Fürst von Wahlstadt – waren am 23. und 25. August die Helden dieser Tage. Die Herzoge von Reggio und Padua, die Generale Reynier und Bertrand flohen.

Die Bewegungen und Operationen der Armeen rechtfertigten auch in der Folge jene Behauptungen, aber daß der Verbündeten linker Flügel jetzt geschlagen war, können weder Zeitgenossen, noch Geschichte läugnen. Napoleons Glücksstern leuchtete zum letztenmale.

Werfe ich meine Blicke auf Dich, mein Dresden! so will ich Deine Spitäler noch nicht erwähnen, die Monate October und November lassen diese erst im höchsten verruchtesten Lichte erscheinen. [91] Aber Deine Kirchen werden und sind entweihet, die barmherzige Hülfe der sich so Vieler erbarmenden Bürger reichte nicht zu, keine Wunden werden verbunden, und an heiliger Stätte, Gott verlästernd, sein eignes Daseyn verfluchend, mitten in der bevölkerten Stadt, stirbt den entsetzlichsten martervollsten Hungertod der Unglücklichste der Gefangenen;[23] ihr Zetergeschrey dringet durch die Wolken, oder es sinket hinab in den Abgrund der Hölle!

So entfleuch, August! sinke zusammen, der Ozean verschlinge dich! ach! daß er dich auch in der Erinnerung verschlungen hätte! –


September.

Das dädalische nie wieder erreichte Kunstwerk zeigte sich jetzt im Großen; der zweyte Theseus – Ariadne[24] war schon geopfert – eilte nun fadenlos im Labyrinthe einher, aber bey jedem möglichen Ausgange stand der fürchterliche nicht mehr zu besiegende Minotauer.

September! kein Monat besaget in diesem Jahre so richtig sein Eigenthümliches, als du! der Waidmänner Abgott, und deine große und kleine [92] Jagd geht an; es wird nun stark getrieben und gehetzet. – Die letzten Tage des Augusts gaben schon durch Kulms Schlacht die Einleitung. Vandammes[25] Niederlage, dessen Gefangennehmung, die gänzliche Aufreibung seines Armeekorps, erfreuete öffentlich und geheim viele Herzen. Napoleons Plan und Operation war jetzt schon so gut wie vernichtet.

Uebersicht der Treibjagd.

Den 29. August. Der Kaiser gehet nach Pirna. Abends kommt er zurück.

Der König von Neapel über Freyberg,

Marmont, der Herzog von Ragusa, über Dippoldiswalda,

Souvion St. Cyr über Maxen, eilen den böhmischen Grenzen zu.

Den 30. August kommen die jungen Garden zurück und nehmen ihre Richtung nach Großenhayn.

[93] Den 1. 2. 3. September gehen Truppen nach Bautzen und Berlin hin.

Den 2. kehret Prinz Mürat von Freyberg zurück.

Den 3. folgen Napoleon und der ihn stets begleitende König von Neapel den vorausgeschickten Truppen nach Bautzen.

Den 6. kommt Napoleon wieder an. Marschall Ney bekommt an diesem Tage bey Dennewitz sein Kompliment.

Den 7. Marmont von Hoyerswerda.

Den 8. bereist Napoleon, in Begleitung des Königs von Neapel, Pirna.

Den 11. betritt Marmont das linke Elbufer.

Den 12. war zu Mittage der Kaiser abermals in Dresden.

Den 13. gehen Truppen nach Großenhayn.

Den 15. verläßt der Kaiser die Stadt.

Den 16. dringen Franzosen über Rossendorf vor, die Verbündeten ziehen sich nach Kulm zurück.

Den 21. kommt Napoleon von den böhmischen Grenzen zurück.

Den 22. gehet derselbe nach Hartha um über Bischoffswerda vorzudringen.

Den 23. ziehen sich die Verbündeten nach Bautzen zurück.

Den 24. war der Kaiser wieder in Dresden.

Den 25. gehen zahlreiche Truppen auf das linke Elbufer. Der Fürst Poniatowski kommt von [94] den böhmischen Grenzen; der König von Neapel von Radeberg.

Den 28. 29. 30. Gefechte des Marschalls Marmont zwischen Großenhayn und bey Meißen.

In den ersten Tagen des folgenden Monats marschirten alle Truppen auf das linke Elbufer; am 4. verließ der König von Neapel, am 7. Napoleon gänzlich Dresden.

Glaubest Du nun, September! Deine Abfertigung erhalten zu haben? o, nein! erscheine vor dem Richterstuhle der Menschheit! viel habe ich noch mit Dir abzumachen. – Ha! so laßt euch umarmen, ihr Freunde, die ihr nur in euren Boucres[WS 6] die Freundschaft erwiedertet, die ihr, einer großen privilegirten Räuberbande gleich, aus eurem Algier herausbrechet, keine Flagge verschonend, alles verheertet, verwüstet und raubtet. – Zu zwey, drey bis vier Hunderten zogen an jedem Morgen auf allen Landstraßen diese Räuber aus, und abscheulich! einige militärisch gekleidete Bewohner Dresdens, aber nur einige! – zeigten Weg und Steg. Diese Landesverräther verriethen die beste Beute. – Landes- oder Majestätsverräther! – merket euch diese ewige Lehre: man liebet den Verrath, aber den Verräther verachtet man, in der Zeit und in der Folge wird er nicht beglücket. – Doch wehe euch jetzt, ihr Landleute! Nicht allein eure Scheunen, eure Keller werden gewaltsam erbrochen, sondern auch euren Kisten, Stuben und [95] Kammern wird bey dieser Gelegenheit das Theuerste wählend entzogen. – Der Boden der leeren Wagen verbirgt den Mammon, und die gesegneten, nun zum Fluch gewordenen Garden bedecken die Schandthat.[26]

Stumm stehet der arme Landmann dabey, seines Wohlstandes auf mehrere Jahre beraubt, sich noch Glück wünschend, daß, wie oft geschah, Säbelhiebe den Körper nicht verletzten; und er ergiebt sich dem nicht zu vermeidenden Schicksale. – Und fanden diese Unmenschen schon die Beute so ergiebig, um diese auf ihren Wagen nicht fortschaffen zu können, so mußte der arme Bauer Pferde und Wagen hergeben, und dieser führte nothgedrungen, im glücklichen Wahne, das letzte zu retten, in eigner Person, der Raubstadt das Raubgut zu. – Ganz Dresden glich nun einer öffentlichen förmlichen Handelsstadt, es handelten mit allem Möglichen der General, die Oberoffiziere, die Commissarien, es jüdelten die Geringern und die Kleinen. [96] Geraubte, oder nicht zu berechnende Pferde, Ochsen, Kühe, Wagen, Eisenwerk, selbst Munition, Gewehre, Säbel u. dergl., Salz, gefüllte Mehlfässer, Heu, Haber, Stroh, Kleidungsstücke, Sachen aller Art wurden ausgeboten und höchstens im Drittel des Werthes ge- und verkaufet. Schnell bereicherten sich da Viele, und die Gewerbetreibenden verkauften in hohen Preißen an In- und Ausländer, gleich viel! die nicht zu entbehrenden Producte. Diese schnell Reichgewordene erkennet man heute noch an ihrem Uebermuthe. Hetären und Spieler fanden ebenfalls ihre Rechnung; nur der von allen Seiten bedrängte Landmann sah sich genöthiget, um sein Letztes nicht rauben zu lassen, sein im Schweiße des Angesichts erworbenes Gut zu verschleudern. – Unsere sächsischen Behörden durften und konnten diesem Unwesen nicht steuern, und die französischen Autoritäten nahmen von diesen Kleinigkeiten keine Notiz, oder indem sie sich selbst wohl dabey befanden, wollten sie keine nehmen. Ja, wie gerne hätte nicht in gehöriger Ordnung der Bauer zwey Drittel seiner Erzeugnisse geopfert, um sich nur das Eine zu erhalten; aber es war nicht also! die fürchterlichsten Folgen wurden schon fühlbar. Verheeret, verwüstet, in Boden getreten wurden die göttlichen Naturgaben, während schon einzelne Franzosen, in hungrigen abgezehrten Gestalten, nur um einen einzigen Bissen Brod flehten.

[97] Setzet eurem schändlichen Wesen die Krone auf; übergebt noch das letzte Magazin – am 25. September – den verzehrenden Flammen. Mit oder ohne Willen? ich wage nicht dieses oder jenes zu entscheiden; ob es Bosheit, höchster Leichtsinn oder die sich bereichernde Politik verschuldeten, genug! dieser einzige Trost wurde den Hungrigen entzogen, laut diese That verklagend; enden schon jetzt ermüdet und abgemattet im Hunger die Sterbenden.

Franzosen – alte Garden! warlich! ich bezeuge diese euch ewig schändende Wahrheit. Zu fünfhundert laget ihr in unserm Garten im Bivouake 8 Tage lang. Jeden Morgen zoget ihr aus mit Wagen, Sensen und Beilen und raubet von dem Felde, so wie aus den Scheunen, was zu rauben war; todtgeschlagene gestohlene Kühe, Hammel, Federvieh, im Fluge geschossene Tauben gaben eurer Zukost Fleisch und Würze. – Die eiserne Nothwendigkeit der Kriegsart verdammet euch zwar nicht; aber Gott verdamme euch! wehe, daß dieser Ausdruck über meine Lippen kommt! daß ihr eure jüngern Kriegsgefährten so schnöde und unbarmherzig mit Hohn und Spott behandeltet. Diese kamen bettelnd zu euren Fleischkesseln und flehten um die Ueberreste, die ihr nicht zu verzehren vermochtet, ihr stießet sie zurück, und lachend sahet ihr zu, wie die Aermsten aus den hingeworfenen Kartoffelschalen das noch Genießbare herausklaubten; [98] und diese Letzteren waren – wer glaubt es? – junge Garden.

So weit war schon jetzt die Hülflosigkeit[WS 7] der sich unbesiegbar glaubenden französischen Armee gestiegen; dieses geschah in einem Lande, wie Sachsen, zu einer Zeit, wo, nach der ergiebigsten Ernte, die Scheuern gefüllet waren, wo in richtiger Zumessung Millionen konnten gespeiset und gesättiget werden. Nachkommen, staunet dieses Zeitalter an; aber sehen und hören müsset ihr, dann werdet ihr begreifen!

Die Arroganz und der Hochmuth dieser alten Garden hatte sich etwas gelegt, nur bey Wenigen war sie noch sichtbar. Wunderbar war es, daß wir die nehmliche Artilleriegarde, die sich bey uns im May so schlecht benommen hatte, wieder zur Einquartirung bekamen. Was noch die Gebäude aufzunehmen vermochten, nahmen diese auf, jedoch sie reichten nicht hin, der Train war mit seinen Pferden im Garten gelagert und im kalten Grase, bey dem nur halb erwärmenden Wachtfeuer bereuete jetzt schon Mancher die voreilige vor wenig Monaten geschehene Unthat. – Wie gehet es? fragte ich den Schmiedemeister, der mit seinen acht Ouvriers[WS 8] das nehmliche Zimmer wieder bezogen hatte. Schlimm, viel schlimm! versetzte er kopfschüttelnd. Dieser nehmliche kujonirte uns dazumal am meisten. – „Ihr habet es nicht besser haben wollen, ihr habet es nur an uns verdienet, denket an [99] den Monat May, gedenket, wie ihr die besten Speisen sündlich unter den Tisch warft.“ So meine Frau zu ihm. Und der tief Beschämte war froh, daß meine Frau es ihm erlaubte, jetzt im Abwechsel seiner Kameraden ihre Speisen sich in unserer Küche selbst zubereiten zu dürfen. – Wir hatten einigen Vortheil dabey, der einst so begehrliche, jetzt genügsame Schmidt wurde nun unser Beschützer und unser Freund, er erlaubte es nicht, daß Fremde in gleicher Begehrung zu uns hereinkamen, ja er besorgte jederzeit das nöthige Holz, das des Wagners Betriebsamkeit in zusammengehauenen Rädern und anderm Holzwerk lieferte. Uebrigens seufzte er manche Tyrade uns vor. Doch wurden die Gebäude verschonet, und im Ganzen, das unendliche Geben ausgenommen, war ich mit ihnen zufrieden. Viele bezahlten, mehrere nicht, einige waren froh, daß sie noch für Geld etwas bekommen konnten.

Doch waren es abermals acht sauere Tage meines Lebens; vom frühesten Morgen bis am spätesten Abend nirgends Ruhe, keine Rast. – Fünfhundert Menschen giengen tagtäglich aus und ein, das Gedränge, das Getöße, das herausgestoßne Belfern ihrer Töne, das immerwährende toute – foudre – suite, und au sacre nom de Dieu! gellten lange noch in den Ohren schallend wieder. Unserm Oekonomiepachter wurden bey dieser Gelegenheit vierzig Schock, ja schreibe 40 Schock, gefüllte Garben entrissen – um nur Baraquen zu bauen.

[100] Das Mixtum Compositum des französischen Nationalgeistes, oder vielmehr Militairgeistes – man möchte wohl hier einen Unterschied zwischen dem Charakter des bürgerlichen Franzosen und dem des Kriegers, den ich nun schon seit Jahren und jetzt vorzüglich kennen gelernt habe, annehmen, – kann ich heute noch nicht ins gehörige Licht stellen. Auffallende, widersprechende Züge bey Mehrerern, so wie bey Einzelnen, zeigten sich Tag für Tag? –

Jeder gediente Franzose, vorzüglich der alte Gardiste, raisonnirte unaufhörlich auf seinen Kaiser, und gab ihm die empörendsten Beinahmen, jedoch ertrug er es nicht, daß der deutsche Wirth mit einstimmte – sobald aber die Trommel wirbelte, stand er wieder in Reihe und Glied, und ließ sich für denselben Kaiser, den er vor wenig Minuten verlästerte, todtschlagen. –

Nicht so der junge Gardiste, nicht so die in Kohorten zusammengetriebene Menge. Diese suchten so viel wie möglich nur ihr Heil in der Flucht zu gewinnen. Uniformen, Gewehre, gefüllte Tornister lagen öfters beysammen und der Eigenthümer war entflohen. Derselben Soldaten Unverschämtheit im Betteln gieng aber ins Weite. Erst verlangten sie nichts als Brod und Wasser, reichte ihnen dieses die Menschlichkeit, so erstreckten sich ihre Forderungen schon auf Fleisch und Bier, gab man ihnen dieses noch, so stiegen ihre Gesuche zum [101] Höchsten, und man mußte jetzt froh seyn, sie noch auf eine gute Art los zu werden. Zum Beweis folgende Thatsache: Ein französischer Infanterist stürzte in seiner Schwäche in unsere Hausflur herein. Tschako, Gewehr und dergleichen flogen weit hinweg, und ohnmächtig blieb er liegen. Wir erbarmten uns seiner und hoben ihn auf, ein gutes Strohlager wurde ihm bereitet, und dreymal des Tages speißte, mit den kräftigsten Brühen, diesen Elenden meine mitleidige Gattin. Beynahe mit jedem Empfang der Speise ließ ich ihn ermahnen, ins Hospital zu gehen, denn hier könne er ohnmöglich bleiben; aber der arme Mensch gab mit Stöhnen und gebrochnen Worten zu verstehen, dieß wäre unmöglich, und es würde bald mit ihm aus seyn. Eines Tages ward er, im Gedränge der überhäuften Bewirthungsgeschäfte, vergessen; schwach, kaum sich aufrechthaltend, kam er in die Küche getreten und mahnte um die nicht mit Willen ihm versagte Speise. Diese wurde ihm in sein Behältniß vorausgetragen, und mit raschen Schritten folgte er der dampfenden Schüssel. Aha! dachte ich, bist du so ein Mensch? und sogleich kündigte ich ihm, nach achttägiger Verpflegung, an, daß ihm nichts könnte mehr gereicht werden, und daß er noch in dieser Stunde das Haus verlassen müsse. Bald darauf kam er in unsern Winkel getreten – kein Zimmer war für uns leer, so voll war das Haus von Truppen, – und [102] da wir just Kaffee tranken, forderte er auch welchen; wir gaben ihm denselben und er forderte nun Tasse auf Tasse. Jetzt setzte er aber das Gewehr weg, und verlangte, wen empört es nicht? ein Fünffrankenstück, unter der Bedingung, wenn wir ihn los seyn wollten, und setzte hinzu, wir wären straffällig, ihn so lange – acht Tage – ohne Einquartirungszettel bewirthet zu haben. Von meinen Leuten wurde er, mit Unwillen über dessen Undank, zum Hause, auf die nemliche Art, wie er anfangs hereinstürzte, wieder hinausgeworfen. Meine Gardisten versammleten sich und lachten über diese Scenen. – Bemerkenswerth ist dieser Charakterzug, den man selten bey einer Nation, man gehe von Ost nach West, von Süd nach Nord, antrifft und der nur, nach meiner wenigen Bemerkung, den Franzosen eigen ist. Außer Reihe und Glied hatte der einzelne Franzose kein Herz, ja er ließ sich förmliche Prügel und Grobheiten gefallen, die hie und da, vorzüglich nach dem Waffenstillstande, ihnen nicht selten ertheilt wurden; fast nie mischte sich der Kamerad in diese Händel, schadenfroh sah er zu und rächte nicht die etwa zu glaubende Uebelthat. Anders war der Fall, wenn Soldaten in Menge auszogen, um Lebensmittel zu rauben, und da Widerstand fanden, da vereinigte sie ein Sinn; unsere Landleute haben es erfahren und empfunden.

Im listigen Stehlen waren diese Herren gleichfalls Meister, obgleich sie es sich zur höchsten [103] Schande rechneten, in ihren Quartieren auch nur das Geringste zu entwenden. Ja, ich könnte nicht sagen, daß auch bey der größten Einquartirung, bey dem größten Tumulte nur eine Kleinigkeit wäre verloren gegangen. Rauben und plündern war also ihnen erlaubt, listiges Stehlen kleinerer Sachen verboten, jedoch bey größern Dingen verschonten sie selbst nicht ihre eigene Kameraden.[27]

Zur fernern Würdigung ihres unbarmherzigen, gefühllosen Charakters gehören die Aeußerungen, deren sie sich gegen ihre im Blute liegenden, sterbenden Kameraden schuldig machten, die sie nur in ihren: c’est crepee, im Vorüberziehen gleichgültig und gefühllos wiederholten, von denen wir nur zu oft Augen- und Ohrenzeugen waren, und die selbst das tägliche Schauspiel der verwilderten Kriegsnoth kaum entschuldigen konnte.

Im Verfolge jener Würdigung der Franzosen, wie so oft die äußersten Extreme in ihrem Charakter abwechselten, erlaube man mir folgende Anekdote, die ich aus einem sehr verehrten Munde empfangen habe, meinen Lesern in ihren Hauptgrundzügen [104] mitzutheilen, sie möge den höchsten Dank und den schmerzlichsten Undank derselben beweisen.

Bey Barby befindet sich eine Herrschaft, die, nach dem Viehstande von 1600 Rindern und 12000 Schafen, sehr ansehnlich seyn muß. Der Pachtbesitzer D..tze hatte während des Waffenstillstandes, wer war davon verschont? außerordentliche Einquartirung, worunter sich mehrere französische Offiziere befanden. Die gute Behandlung, die Länge der Zeit, erzeugten zwischen ihnen eine Art Freundschaft, die in gegenseitigen Erwiederungen die Herzen immer mehr und mehr zu verbinden schien. Der Waffenstillstand endete, und der Tag des Scheidens erschien. Der Offizier, der sich am meisten einzuschmeicheln gewußt hatte, nahm den Amtsverwalter auf die Seite: „Freund!“ sprach er zu ihm, „ich will Ihnen in der besten Meinung etwas entdecken. Von Magdeburg aus werden alle Anstalten getroffen, um in Ravagen alles und jedes Schlachtvieh einzuholen; suchen Sie das Ihrige zu sichern, ihre Waldhutungen geben Ihnen keine Sicherheit, bringen Sie lieber Ihr Vieh in die Ställe, glauben Sie den Worten des ehrlichen Freundes, wir werden alles und jedes vermitteln.“ Wohl mir! daß ich mir einen so edlen Freund erworben habe! dachte der nun befriedigte Hauswirth, und sogleich erfolgten die Befehle an die verschiedenen Verwalter, alle mögliche Vieharten in die Ställe zu schaffen. Froh [105] wie ein Gott, setzte sich der gute Mann zu Tische, und erfreute sich nach lang entbehrter Ruhe, in der Stille und in der Einsamkeit an einem Glase Wein; doch der Gedanke, wie, wenn dieser Freund treulos an dir gehandelt hätte, fing an, ihn nach und nach zu beunruhigen. Ein anonymer Brief wird ihm eingehändiget. „Sie sind betrogen,“ lauteten die Worte, „schaffen Sie Ihr Vieh weit hinweg, heute Nacht um 12 Uhr erscheinet ein starkes Kommando, um dieses in Beschlag zu nehmen; retten Sie!“ Wem nun trauen – was anzufangen? Doch den letztern Rath befolgend, erfolgte sogleich der Befehl an alle Untergebene, das Vieh schleunigst wieder in die Wälder zu schaffen. Und wirklich um 11 Uhr des Nachts erschien ein starkes Commando, um den größten Theil des Viehes in Empfang zu nehmen. Auf des Amtsverwalters Versicherung, daß von demselben nichts da sey, daß schon alles Vieh abgeliefert und fortgetrieben sey, erwiederte der Offizier, „er wisse wohl, daß in diesem und jenem Vorwerke noch Vieh verborgen wäre;“ aus Vorsorge hatte einer der Verwalter einiges inne behalten. – Nothgedrungen mußte sich der Pachter mit auf den Weg machen; der Offizier übernahm zu seiner Legitimation nur einige Stücke, die ihm jener gern und willig überließ. „Freund! Sie waren schändlich verrathen!“ flüsterte ihm der scheidende Offizier zu – und dieser war auch einer der ehemals Einquartirten. – [106] Welch ein Widerspruch in einer einzigen Thatsache.[28]

Mehrere Garde-Cavallerieregimenter, unter andern auch nachgemachte Mamelucken, bekamen wir nun ins Bivouac. Machte es, daß der alte Stamm sich noch aussprach, oder daß sie sich auf ihre Mameluckenart etwas zu Gute thaten – kurz sie waren alle grob.[29]

Tag für Tag hörten wir übrigens bald in der, bald in jener Richtung, nähere oder entferntere Kanonaden, und rauchende Dörfer bezeugten in Flammensäulen Ort und Stelle. War es ja einmal einen Tag ruhig, so erstaunte und bewunderte man die Unordnung der Dinge. Es ging uns beynahe eben so, wie denen in der Nachbarschaft eines feuerspeienden Berges sich aufhaltenden Einwohnern; diese wundern sich höchlich, wenn jener von dem angenommenen Naturgesetze abweichend, einige Zeit zu rauchen aufhöret und ruhig sich verhält. Verfolge ich aber dieses Gleichniß, so ergreifet [107] uns und jene die wichtige Besorgniß und die Furcht nächstens doppelt schwer erschüttert zu werden. –


October.

Deine Pressen knarren nicht, der Raubvögel gab es zu viel, der Winzer ist hoch erfreuet, bloß im Nachgusse während der langen Winterabende einen Labetrunk sich erhalten zu haben.

Napoleon und der König von Neapel verließen, wie schon gesagt, im Anfange dieses Monats, in Begleitung unsers Königs, Dresden. St. Cyr, Dürosnell und Dümas, wie auch Serra blieben zurück, um die höchsten Gewalten auszuüben.[30]

Die sächsische Staatsverwaltung erhielten die Minister und Geheimenräthe von Globig, Ferber, Manteufel und Schönberg. –

Dresden wurde nun in Belagerungszustand erklärt. Schon thürmten sich abermals Gewitterwolken auf, und näher und näher kam das Schlachtgetöse. Am 8. October donnerte es auf den Straßen nach Bautzen und Berlin hin. Benningsen drohete von Dohna aus der Stadt, Tolstoi, Warkoff, [108] Iwanoff verkündigten ihre Ankunft, und wie ein Fichtenwald stand schon auf Recknitzes Höhen wieder die Kosakenschaar.

Nöthnitz und Keuditz, diese unglücklichen Dörfer, empfanden am 10. und 11. October zuerst um Dresden die Kriegswuth; ihnen und uns waren die Tage des Augusts noch zu sehr im frischen Andenken, aber wir und sie sollten abermals geopfert werden, ja, unter Hunderten und unter Hunderttausenden wurden wir vor allen in den ganzen umliegenden Gegenden zum Opfer ausersehen. – Mehrmals wurden jene Dörfer nun wieder genommen und wieder erobert – es floh was fliehen kann – doch die Gerippe der kleinern Häuser bezeugen heute noch die Anwesenheit der Franzosen, die ohnfern von diesen Dörfern ihre verwüstenden Baraquen aufgeschlagen hatten.

Baraquen und jeder mit euch verbundene Bivouac, ihr waret der Ruin des Landmanns und der Dörfer. Scheunen wurden ausgelehret, ganze Gebäude ruinirt, und vom möglichen Holzwesen entblößet, Thüren und Fenster wurden ausgehoben, selbst Ofen eingerissen und hinausgeschleppt, um vielleicht nur in einer einzigen Nacht dem Krieger Dach und Fach zu gewähren. Schändlich und schändlich! mußte der letztere seine Baraquen verlassen, so zündete dessen verruchte[WS 9] Hand, nur im Frevel, das Obdach an, um auch die letzten, zu retten gewesenen Ueberbleibsel dem jammernden Landmanne [109] zu entziehen. – Ja, ich werfe diese Frage auf: wer kann, nach Würdigung dieser einzigen That, noch Franzosen Freund seyn?[31]

Dresdens Bürger! glücklich seyd ihr, noch gegen uns arme Landbewohner zu schätzen, viele, viele der großen Einquartirungslasten habet ihr zwar ertragen – wir aber doch wohl nicht minder? bey euch galt doch noch einige Ordnung und Sicherheit – wer schützte uns? eure Häuser und euer Eigentum blieb euer – wo sind unsere? staunend kommt ihr und sehet die Brandstädten unserer eingerißnen Häuser. Die Betriebsamkeit in der menschlichen Natur, die Sorgsamkeit, der Eifer, den Nachkommen ein glückliches Loos zubereiten, füllte seit Jahren Kisten und Kasten, – wo sind diese geblieben? Des Mannes und des Jünglings Kraft und Muth, Arbeit und Thätigkeit, können diese wiederkehren? können die verlohrnen Tage wieder ersetzet werden? – wer füllet die Brust mit Trost und Muth dem frühzeitig des Lebens übersatt gewordenen Greise?

[110] Am Abende brannten die Baraquen, die Franzosen zogen sich in die Stadt zurück, wir hörten das kleine Gewehrfeuer, und stündlich erwarteten wir die Ankunft der russischen Heere nun in unserm Thale. Da schlug abermals die Stunde des Scheidens – meine geängstigte Frau floh mit ihren Kindern der nun bald bedrängten Stadt zu, sie verließ die einst so glückliche Behausung, ach! um sie nie wieder zu sehen.

Ich und meine beyden Nachbarn beschlossen, als Männer auszuhalten, und ein biederer Händeschlag verband uns, mit offener Stirne jedem Uebel ruhig zu begegnen; ja! daß ich diesen Ausdruck wähle, wir verbanden uns, nicht eher zu weichen, bis das Dach über den Kopf zusammen brenne, welches letztere, leider! nur zu wahr und zu bald in Erfüllung überging.

Schon am 12. October Nachmittags zeigten sich Kosaken auf unsern Fluren; Infanterie sahen wir auf Anhöhen sich bewegen, und bey allem uns vorgenommenen Muthe, erwarteten wir in den bängsten Besorgnissen den Eintritt der ersten russischen Truppen. – Sie kamen – die durch die hölzerne Brücke vom Garten geschiedene Wiese brannte voll Wachtfeuer, aber erst in des Abends tiefsten Dunkel drangen die Erwarteten ein. Sie kamen, sie gingen, sie durchsuchten, sie fanden, doch unbefriedigt verließen sie das ausgeleerte Haus. In einer kleinen Pause folgten drey [111] Offiziere, wovon der eine ein Curländer war, folglich sehr gut deutsch sprach.[32] Sie erkundigten sich vor allen Dingen, ob Franzosen da wären, und da ich ihnen dieses verneinte, verlangten sie gute Bewirthung, die ich ihnen nothgedrungen abermals abschlagen mußte. Von der Wirklichkeit überzeugt, brachten diese selbst eine Hammelkeule, um sie zuzurichten. – Diese Kleinigkeiten können unmöglich den verschiedenen Lesern Interesse gewähren, aber im Verfolge dieser Tage und dieser Nacht bleiben sie mir merkwürdig; warum sollte ich sie nicht erzählen?

Der Kommandant des Bivouacs – ein Major, der auch sehr gut deutsch sprach – vermehrte unsere Gesellschaft. Im Anfange drohete er mit barschen rohen Worten, doch meine Freymüthigkeit, selbst die Gleichgültigkeit, mit der ich da schon das Schicksal gewaltsam herausfordern wollte, das mich aber erst beynahe nach 400 Tagen in seinen Nachwehen gänzlich erdrücken sollte, schien ihn für mich einzunehmen. Er sondirte mich auf mancherley Art und Weise, das Gespräche lenkte sich auf verschiedene Militärgeschichten, um in Erkundigungen Sachen dieser und jener Art zu erfahren. Doch sie schienen zu erstaunen, als ich ihnen ungefähr die Menge der sich in Dresden befindenden [112] Truppen angab; der Major ließ sich nun über Sachsens Lage und Schicksal ausführlich aus. Aber wir, die Aufgeopferten blieben in ewiger Verdammung. Seine Rede beschloß er, indem er mir ein Glas Bier hinreichte, mit dem Refrain: Ihr König soll leben! Ja, er lebe! rief ich in der Wahrheit meiner Stimme, mein König lebe! Sie würden uns verachten, wir würden selbst in ihren Augen herabsinken; ja wir verdienten dann die Schmach, die unsern warlich! nicht undeutschen Gesinnungen und Gefühlen, ungerechter Weise zugefüget wird. Mein König lebe! mit diesen Worten gab ich ihm das gelehrte Glas zurück. – Die wenigen Speisen wurden nun aufgetragen, und mein Major war so gütig, mich zum Mitgenuß einzuladen.

Meine Bemerkungen, meine eigene Ansichten von diesem und jenem, erfreueten ihn, ja er forderte mich selbst auf, ihm die nicht ganz unbedeutende Geschichte meines frühern und meines jetzigen Lebens mitzutheilen, die ich ihm in gedrängter Kürze erzählte. – „Freund!“ sprach er zu mir, „was wollen Sie hier; gehen Sie zu ihrer Familie; Sie haben ja, wie Sie selbst sagen, nichts mehr zu verlieren. Glauben Sie jederzeit und allemal Offiziere zur Einquartirung zu bekommen, die so menschenfreundlich gesinnet sind, als wir? die deutsch sprechen können? O es stehet nicht allemal in unserer Gewalt, die wilden Krieger zu zügeln; doch heute Nacht werde ich Sie beschützen. [113] Sagen Sie mir Ihren Namen und zeigen mir ein Fenster, schließen Sie hinter mir die Thüre zu, wer aber diese Nacht kömmt, und nicht Ihren Namen ausspricht, wer nicht an dieses Fenster klopfet, dem machen Sie nicht auf. Ueberdieß stehen zwey Mann Wache vor der äußersten Thüre.“ Ich dankte mit den herzlichsten Worten. – Der Major fuhr fort: „Sie dürfen sich nicht wundern, wenn unsere Krieger wild, ja unmenschlich sind; es ist nicht die höchste Roheit der Gemüther, die diese dazu umschaffen, doch die Empörungen, die bei den Ruinen, bei den Aschenhaufen, die den langen Weg von der Moskwa bis zum Niemen begleiten, in ihnen entstehen, diese sind es vorzüglich, die in den Herzen einer Nation wo nicht Rache; doch Gleichgültigkeit gegen fremdes Menschenglück und Menschenelend herbeiruffen, die, bei Gelegenheiten aufgereizet, dann in Wuth übergehen. Meine Güter selbst, welche bei Moskwa liegen, sind alle zerstöret. – Sie sind noch glücklich, zu schätzen.“ – Gott! wie lange? dachte ich bei mir selbst. „Sie haben noch Dach und Fach – Jahre sind aber bei uns erforderlich, um nur einigermaßen etwas in Stand zu setzen. Eine Eisrinde hat sich dadurch, und durch den Anblick der graußendsten Kriegsscenen um mein Herz gezogen, die uns auf diesen Weg begleitet, nur meinen einstigen Studien in Petersburg verdanke ich es, daß ich nicht ganz habe verlernet, Mensch zu seyn. Morgen früh um 4 Uhr einen [114] Caffee!“ Mit diesen Worten begab sich der Wackere zu seinem Bivouack. – Während der langen Schlaflosigkeit dieser Nacht hatte ich Zeit, der Rede des Majors nachzudenken.

Dreizehnter October, Tag des Schreckens, der Angst und Vernichtung! verläugne auch du mir nichts. –

Früh 4 Uhr wurde schon mein Name geruffen, die Offiziers traten, der freundschaftlichsten Aufnahme gewärtig, ein, und labten sich an der dampfenden Schale. Es wird ein heißer Tag werden, sprach, mich nicht beruhigend, der Major, der nach schnell eingenommenen Frühstück uns wieder verließ. Schon grauete der Tag in seinem Dämmerlichte, rings umher wurden still die Posten aufgestellt, und auf den Feldern schwärmten die Kosacken. Ich trat, um das Ganze zu überschauen, vor die Pforte, die die rußischen Scharfschützen längsthin ober und unter der Mauer besetzet hatten; wunderbar, der erste Schuß dieses Tages wäre mir fast in meiner Voreiligkeit verderblich gewesen. Ein Franzose hatte sich auf der Löbdauer Anhöhe herangeschlichen, und zwischen mir und dem nachstehenden Russen saußte die Kugel hindurch. Mehrere einzelne Schüße erfolgten nun, das Gefechte im kleinen Gewehrfeuer begann nach und nach von allen Seiten. Die beiden Pavillons, die sonst so schön die Fronte des Gartens zierten, wurden diesem und uns zum Verderben. Ein steinerner Gang mit beinahe zwey Ellen [115] hohen Mauergeländer verband sie beide. Dieses Ganges bedienten sich, so wie der Gebäude selbst, die Russen zu ihrer Vertheidigung. Jenseits der Weiseritz hatten sich die Franzosen in verschiedenen Häusern und hinter Gartenmauern fechtend verborgen, und beynahe eine Stunde lang knallte das kleine Gewehrfeuer hin und wieder. Da führten die Franzosen eine Kanone auf den sogenannten Aueberg ohnweit des Kreutzweges auf, um unsere Russen aus ihren vortheilhaften Stellungen zu vertreiben, und feurige Granaten flogen unaufhörlich in und auf unsere Gebäude. So war es abermals an der Zeit zu fliehen! - den letzten entscheidenden Augenblick durften wir nicht abwarten, und selbst die Keller konnten uns bei zu befürchtender Feuersgefahr keine Sicherheit mehr gewähren. Doch auch unsere Flucht war mit Gefahr verbunden. Vor uns Gefechte, rechts und links Kosacken und Baschkiren, hinter uns Reserven und Truppen an Truppen erschwerten den schon längst gehabten Entschluß, jedoch die sich von Minute zu Minute vermehrenden glühenden Kugeln gaben demselben Kraft und Ausführung. Wer folget? rief ich laut, und ermahnte die Nachbarn, das Aeußerste nicht abzuwarten, um das mühseelige Leben zu erretten. In der Hoffnung, die Kleinigkeiten des noch wenigen Eigenthums zu erhalten, oder in der geringen Besorgniß der Gefahr, blieben zwey derselben zurück, und verbargen sich, während dem hitzigsten Gefechte, in einem Winkel [116] eines nicht weit entfernten Gartenhauses. Es brannten unterdessen die ansehnlichen Gebäude des Vorwerkes ab, ohne daß sie es wußten, - ja sie wußten es nicht, als am andern Tage nach dem Rückzuge der Russen, plauische Einwohner kamen, um sich zu erkundigen, was eigentlich in Flammen aufgegangen sey? Verwundernd staunten jene o[WS 10] der neuen Mähr, sie bestritten die Möglichkeit des geschehen seyn sollenden Brandes, die Augen reibend, sahen sie die Brandstätten vor sich liegen, und überzeugten sich jetzt erst, einige 60 Schritte entfernt, von diesen traurigen Eräugnissen, die gestern schon meilenweit die Gespräche dieses Tages waren. Wunderbar, diese beyden Leidensbrüder starben wenig Wochen darauf, beynahe an einem Tage. - Vorwärts schritten wir nun den langen Garten hindurch. Aller 30 Schritte standen russische Piquets, denen wir nur mit Mühe ausweichen konnten. Der aufgehobene Stock der Unteroffiziere, der hie und da einige Feige aus ihrem Versteck ins Feuer trieb, erinnerte mich an die Pudelnaturen, und ich warf bey mir selbst die Frage auf: ob diese durch den Hasel könnten so weit gebracht werden, freywillig sich todschlagen zu lassen? -

Glücklich erreichten wir nun den plauenschen Grund, und eileten rasch und angstvoll den Gebüschen zu. Von diesen verborgen, bestiegen und erreichten wir in wenig Minuten keuchend die Dölschner Anhöhen. Die Bewohner des Dorfes sahen über ihre Gartenmauern den kriegerischen Scenen [117] im Thale zu, ihre ruhigen Stellungen ließen auch uns nun Sicherheit hoffen. Wir wandten uns und übersahen nun, zwar nicht in Salzsäulen umgeschaffen, das ganze Gefechte. Daß es nicht auf Dresdens Eroberung abgesehen sey, vermutheten wir aus der wenigen Anzahl der fechtenden Menge. Noch einige Kanonen wurden nun auf den Löbdauer Anhöhen aufgefahren, und auch diese spieen ihr Feuer verderbend, über unsere verlassene Wohnung aus. Eine halbe Stunde später donnerte erst das russische Geschütze, und die Kanonen auf dem Aueberg wurden bald, aber für uns zu spät, zum Schweigen gebracht. Rauchsäulen wirbelten empor, und unsere Wohnungen giengen fast größtentheils im Feuer auf. Erlasset mir, meine Leser! jede Schilderung unsers damaligen Zustandes. Centnerschwere lag drückend auf dem Herzen, bleyern wurden die Bewegungen unserer Füße; aber kein Wort, kein Laut entfuhr den Lippen; den langen weiten Weg über Korbitz und Priesnitz der Stadt zu beschäftigten uns blos und allein die bängsten Besorgnisse der traurigsten Zukunft, die wir einander nicht mitzutheilen wagten. Das Vorwerk brennet - mit diesen Worten trat ich müde und abgemattet in mein einstweiliges Familienzimmer, das ich bloß der Güte einer edlen Frau verdankte. Ich weiß es, versetzte in höchster Resignation die Zärtlichste der Gattinnen, doch wohl mir, daß ich dich wiederhabe, daß ich von höchster Lebensgefahr [118] dich errettet weiß! mit diesen Worten tröstete mich in der Stärke ihrer Seele, herzlich mich umarmend, die Treue. Tage der Erinnerung, Tage der ewigen Trauer, Tage meines jetzigen Lebens! nur in euch finde ich das höchste Glück, das mir die gnadenvolle Gottheit noch gewähren kann. Gegen 4 Uhr schwieg die empörte Natur und Menschen waren abermals gerichtet. - Die Russen, ihren Zweck, den Uebergang Wittgensteins über den untern Elbstrom zu maskiren, glücklich nun erreicht zu haben glaubend, zogen sich ietzt zurück und der Weg nach meiner Behausung, welche die Feuersgluth noch verschonet hatte, war wieder gesichert. Aber schrecklich waren die Verwüstungen! Die Oekonomie-Gebäude lagen in der Asche, und selbst die Trümmer der, noch am Abend, frey und muthwillig von den Franzosen angezündeten hölzernen Brücke schwammen im Wasserwirbel brennend und rauchend umher.

Was noch von einigen Meublen vorhanden war, wurde nun gegen die Vergütung von 4 Thalern für die Fuhre schleunigst in die Stadt geschafft, alle unsere wenigen Ueberbleibsel aber, die das Wasser nicht verderben konnte, in die Keller, welche ich, vermöge geheimer Maschinerie, 4 Ellen hoch beynahe unter Wasser setzen konnte. - Von des Schicksals Spruch war es uns nun beschieden, auch die Schrecknisse einer belagerten Stadt zu fühlen, um Angst, Kummer, Hunger, Noth und Todt mit Tausenden zu theilen.

[119] Von allen Seiten und auf allen Wegen strömten die Landleute, ihre letzten Habseligkeiten auf den Rücken tragend, ihre verschiedenen Vieharten vor sich her treibend, der Stadt zu. Die Aermsten! sie wußten nicht, was sie thaten, sie befanden sich im Zauberkreise gähnend; mit aufgesperrtem Rachen freute sich schon das unersättliche Ungeheuer der rauhen bald zu verschlingenden Beute. Doch Dank dir, Gouvion St. Cyr! Dank auch dir, Dürosnel! Dank euch allen, ihr Edlen! ewiger Dank heute und immerdar. Ihr wußtet das Unthier zu bändigen, ihr ließet in eurer Menschlichkeit die höchste Raubgierde nicht zum Ausbruch kommen.

Der 17. October. Es war an einem Sonntage, der blutigste Tag, der in diesem Monate in unsrer Gegend vorfiel. Die Rußen mußten der Uebermacht weichen und das brennende Zschernitz deckte den Rückzug. Sechs eroberte Kanonen waren die Trophäen, welche die Franzosen im Triumphe ein- und aufführten, die sie in der Folge, wie bey dem Theater-Gaukelspiel, mehrmals um triumphiren zu wollen, zu gebrauchen wußten. Am 22. drängten die Rußen die Franzosen nach Lockewitz zurück; am 23. wurde Meißen erobert, und der Oberste Gußmann verstärkte die Besatzung Dresdens. Döltschen, Gorbitz, Pennerich, Priesnitz, diese Dörfer waren in den verschiedenen kleinen Gefechten dem Franzmann nicht hold, der nun immer mehr [120] und mehr auf allen Seiten eingeschränkt wurde. Von Töplitz rückte der österreichische General Chasteller gegen Dresden an, sogleich nach der Schlacht von Leipzig über Freyberg, Graf Klenau, und auf dem gegenseitigen Ufer stand der Fürst von Wied. Dies die Militärgeschichte von Dresden.

Komme ich nun auf dieses selbst zurück, so segnete ich jederzeit im Vorbeigehen bei den verschiedenen Thoren Napoleons göttlichen Einfall, den er jetzt vielleicht mehrmals verwünscht hatte, die Wälle und Mauern und Bastionen um die Stadt herum niederreißen zu lassen. Was würde aus Dresden geworden seyn, wenn Franzosen, nichts sich erbarmend, wie die Geschichte so vieler Festungen lehrete, hartnäckig diese Wälle und Mauern vertheidigten? - Wer erinnert sich hier nicht an jene ernstliche Vertheidigung dieser Stadt im siebenjährigen Kriege, deren unglückliche traurige Folgen funfzig Jahre kaum löschen und vergessen machen konnten? -

Konnte dann und durfte St. Cyr so geschwind die Stadt übergeben, ja selbst die große Völkerschlacht durfte und konnte den wohlthätigen Einfluß dann nicht haben, welchen sie jetzt hatte. Daß also, Dresdens Bürger! eure Häuser nicht in Aschenhaufen verwandelt, eure Vorstädte der Feuersbrunst, der Vernichtung, der vielfachen Plünderung nicht übergeben wurden - wie nahe euch vielleicht ein ähnliches Loos beschieden gewesen wäre, erkennet [121] heute noch an unsern Ruinen, an unserm traurigen Schicksale, das wir und alle, die wir außerhalb der Schläge uns befanden, ohne Ausnahme theilten - daß eure Kirchen-Heiligthümer verschonet blieben, daß sich nicht noch mehr Leichenhügel auf Leichenhügel thürmten, daß eure sonst so bevölkerten Straßen nicht gänzlich verödeten, daß eure Weiber und Kinder nicht verhungerten, und daß euch, in höchster Verzweiflung den gewaltsamen Tod vorziehend, die Fluthen nicht begruben, dieß danket Napoleon! der euch unwissend, vielleicht wider Willen errettete! - -

Zur Beherzigung und zur Bestätigung dieser Wahrheiten werfe ich die Frage auf: Was würde schon jetzt aus dem menschenreichen magazinlosen Dresden geworden seyn, wenn die Belagerung und die Sperrung nur noch 3-4 Wochen, ja nur 14 Tage angehalten hätte? In einer Festung müssen Magazine seyn, erwiederte der Soldat, aber wo diese hernehmen, und wenn auch diese wirklich bey den ungeheueren in Sachsen sich befindenden Armeen da wären, würde das Militär mit uns theilen, mit uns, die wir den letzten Bissen Brod mit ihnen theilen mußten? Wie Schafe würden wir dann, Hamburgs unglücklichen Einwohnern gleich, vom Altar und Heerd hinweggetrieben worden seyn; also Dank dir, Napoleon! Und hohes Dankgefühl der gütigen Vorsehung dargebracht, durchströme [122] uns jetzt und immerdar, wenn wir die Ruinen der ehemaligen Festungswerke erblicken und betreten! -

Schon mit dem frühesten Morgen drängen sich Menschen aller Classen, hohen und niedrigen Standes, an die Bäckerladen - das Jahre lang gesparte Geld wird nicht geachtet, es wird hingeworfen, der Nominalwerth sey gleich viel. Wir wollen essen! dieß war jetzt - und wird es wohl immer und ewig bleiben - der nervus rerum des Königes Midas[33] Die von so vielen Tausenden geachteten und gebilligten Grundsätze zeigten jetzt ihre Nichtigkeit. Nicht des Goldes Glanz, nicht des Silbers Reichhaltigkeit retteten mehr die menschliche Gesellschaft; den höchsten Egoismus behauptete blos und allein - der Magen. Unter Tausenden stehet ihr isolirt, ihr Unvorsichtigen! die, nur auf den Werth ihrer Geldbeutel sich verlassend, die Nichtigkeit des letztern nun anerkennen, und anerkennen müssen. Doch dreyfaches Wehe, euch ihr Armen! die ihr auch diesen leidigen Trost entbehren mußtet!

Im Ganzen jedoch genommen, war die gute Stadt Dresden noch nicht so bedränget, wie so viele ihrer befestigten Mitschwestern. Fleisch, Bier, Wein, Brandewein, einige trockene Gemüße, selbst Kartoffeln und dergleichen waren - wenn auch gegen theuere Zahlung, doch noch vorhanden, nur [123] Brod, Butter, vorzüglich Salz, welches die Franzosen in Beschlag genommen hatten, fehlten, sowie auch Holz; für das letztere sorgten noch die Franzosen, in Menge brachten sie es von den nächsten Umgebungen herein, gefällte Bäume, oder Beute der eingerissenen Häuser, Zäune und andere Holzarten wurden nur zu viel den Kauflustigen herbeygeführet.

Verordnungen erschienen jetzt auf Verordnungen: Wer sich und die Seinigen nicht auf zwey Monate verproviantiren kann, der meide die Stadt. Wer einen Franzosen beleidiget und antastet, wird nach den strengsten Militärgesetzen gerichtet, aber von dem entgegengesetzten Fall wird nichts erwähnet. Endlich wurde befohlen, alle und jede Vorräthe an Lebensmitteln richtig anzuzeigen, um in der Folge ein und zwey Drittel davon herzugeben. Bald mußten wieder Tonnen und Kisten abgeliefert werden, um auf den Straßen der verschiedenen Vorstädte Schanzen zu erbauen. Dem wenigen sächsischen Militär wurde angedeutet, wenn sie nicht als Privatleute bleiben wollten, Dresden sobald als möglich zu verlassen und ihr Gewehr abzugeben.

So weit war es nun mit uns gekommen, daß der teutsche Mann im Gefühle seiner Unwürdigkeit zurücktritt, sich verbirgt, und treiben ihn die höchsten Forderungen der Nahrungsbedürfnisse ins Publikum, drängt er sich hin zum Verkauf, so erwarten ihn Bruststöße, und wenn auch diese nicht, doch die [124] boucres! sind ihm gewiß. Doch Gott hatte gerichtet, die Schlacht bey Leipzig war geschlagen, Deutschland und ganz Europa gerettet. Noch wenig Tage Muth und Standhaftigkeit, dann sind auch unsere Leiden überstanden - die Leiden und Nachwehen dieser Kriege können viele Jahre nicht besiegen - doch athmet unsere Brust freyer; o möchten wir dann im innigsten Gefühle ausruffen dürffen: Wie schön leuchtet uns der Morgenstern!

Betrachte ich noch einige Belagerungsscenen, so war mir wunderbar die Verwechslung der Natur. Der in die Stadt geflüchtete Bauer ruhete, das Land war verlassen, aber die ewige Ordnung der Dinge dürffe nicht aufhören, so die Meynung der Franzosen. Und in Menge zogen sie aus mit Hacken und Sägen, um Holz zu fällen, andere wühlten mit Spaten die Erde um, um Kartoffeln zu gewinnen, und Krauthäupter sanken unter ihren Schwertstreichen, noch andere ergriffen ihre Feuergewehre, um Jagd zu treiben, andere bestürmten die Gewässer, um den betäubten Fisch zu haschen, mehrere verdungen sich an die nicht fertig zu werden glaubenden Schlächter, mit geborgten oder gestohlenen Winzermessern, verrichten viele die Weinlese, und 40 bis 50 Mann zogen tagtäglich und wöchentlich aus, um vorzüglich auf dem großen Ostravorwerke zu dreschen. -

Gehe hin October! reihe dich an deine Brüder, der Leiden gabst du viele, sie wurden gerne ertragen, [125] ach! deine beyden letzten Tage verrathen schon das unmöglich zu Glaubende; und nach Jahresfrist schreibe ich weinend deinen Namen nieder:

November.

- - Ha, Götter! - -
Wo fliehe ich hin? - wo öffnet ein Asyl
Dem wunden Herzen sich?

Sie, die Urania mir hold
Auf meinem Pfad entgegen führte,
An deren Brust das Leben mir,
Gleich einem Morgentraum im May,
So leicht, so süß vorüberwallte;
Sie welkt, welkt rettungslos dahin,
Und weiß es nicht, daß unerbittlich
Der Hauch des Todes sie berühret;
Und ahnet nicht, daß unsere Herzen
Auf ewig - ach! sich trennen müssen.

Nein, ewig nicht - o Theure - nein!
In schöneren Gefilden einst - wie bald
Umarmen liebend wir uns wieder. -
Und gebt, ihr milden Götter! gebt,
Wenn schweigend jetzt ihr Genius die Fakel
In Thränen niedertaucht - o gebt
Daß auch der Meine sie nun lösche.
Eint Staub zu Staub die Erdenhüllen,
Und treu, wie lebend wir es waren,
Laßt dort auch uns vereinet seyn. -


[126] Dumpf rollen jetzt in langsamen Schritten die Leichenwagen auf dem feuchten Pflaster hin, und Tag für Tag, von Stunde zu Stunde und Minute zu Minute schreyet laut auf die trauernde geängstigte Menschheit, verzweiffelnd, ja Gott es klagend, fliehet diese in die einsamsten Kammern, und sie errettet kein Engel des Lichtes. Thränen fließen, wenn das starre Auge Thränen fassen kann, aber ihre Ach! und ihre Wehe! brennend ruhen sie auf den Urhebern.

Acktäens[34] Gestalt, wünschenswerth jetzt mir! - ha: so laßt mich fliehen, nehmet mich auf, ihr dicksten Wälder! ihr Einöden und Wüsten, nur verbannet aus meinen Augen alles, was Mensch heißt! -

Und diese Särge werden hingeworfen, und wenn diese nach Tagesfrist der Erde Mutterschoß können übergeben werden, ist schon Wohlthat. Die Todengräber sinken hin, und nur der höchste Reiz des Geldes verbannet die Besorgniß des Neuangetretenen, des ungewissen Schicksals nur zu gewiß. -

Französische Lazarethe!

Schon längst erzitterte ich bey dem Gedanken, euch beschreiben zu sollen. Was Pandorens Büchse nur Schreckliches enthält, was die höchste Verruchtheit nur Verruchtes besagen kann, findet man da im Uebermaße. Zu Tausenden liegen da die Kranken, [127] die Verwundeten und Sterbenden; kein linderndes Oel wird in ihre Wunden gegossen, kein Balsam heilet sie, keine reinlichen Linnen werden angewendet, ja nicht einmal stärkende Lebensmittel geben dem erschlafften Körper Nahrung und Kraft, um auszudauern. Tagtäglich schwirren die Sägen, und die abgenommenen Glieder werden in Menge davon gefahren. Doch der Himmel erbarme sich eurer, ihr Unbedachtsamen! die ihr gedenket, mit eurem ersparten Golde etwa euch noch wohlzuthun, und euren Leiden in etwas abzuhelfen; der sichere Tod ist euch dann nur zu gewiß, Commissarien und Chirurgen theilen. — Laßt mich dieses Schreckensbild weiter ausmahlen! für 300 — in diesem Maasstabe werden Arzneymittel ausgegeben und berechnet; sie werden nur vielleicht in einem einzigen Geschirre gekocht, aber nur für 80 Mann reicht die Universalmedicin hin und die andern 220 Mann verschmachten. Weiter! die Oekonomie, die Verpflegung dieser Hospitäler werden verpachtet — und die schon große Noth, das hohe Elend treibt nun die Bereicherungssucht auf die höchste Stuffe. — Und doch zu dieser Mördergrube eilen die Aermsten zu Hunderten, und sind froh, wenn sie noch aufgenommen werden, um nur nicht auf freyer Straße zu sterben.

Auf einem Brückenbogen fand man einen jungen Franzosen tod, in seinem Tschako stack folgender Zettel mit den Worten: „Gute Nacht, ihr Eltern! [128] ihr dachtet wohl nicht, das ich hier verschmachten sollte? Ihr habet des Brodes so viel im schönen Frankreich. Wehe dem, der uns hieher führte. -“

Aber heute kann ich noch nicht die Möglichkeit begreiffen, wie Franzosen, zwar abgemattet, doch gesund, auf freyer Straße verhungern konnten. Wer speißte während der ganzen Belagerung beynahe 30,000 Mann? - Der Bürger. Alles gesunde Militär war ja einquartiret - dieses brachte zwar an jedem Morgen ihre Lothe Rind- oder Pferdefleisch, es brachte sein Zeisignäpfchen Gemüße und dergleichen, wer aber mußte dieses alles ergänzen und zum reichlichen Mahle umschaffen? - Der Bürger.

Scenen, wie sie nur in Abyßinien vorfallen können,[35] sahe ich jetzt mit meinen Augen. Zu zehn und zwanzig Franzosen stürzten sich über ein noch im Sterben liegendes Roß, um diesem bey lebendigen Leibe die besten Leckerbissen herauszuschneiden, in wenigen Minuten waren nur noch Gerippe [129] und Eingeweide zu sehen. Gouvion St. Cyr! Deine schon besagte Menschlichkeit rühme ich noch heute. War es Mangel an Fütterung, oder erheischte es deine eigne Rechtfertigung? Genug, des Landmanns in die Stadt geflüchteten Rinder, die man leicht auf 6000 berechnen konnte, wurden verschonet, aber manche Kracke, manches edle Roß tagtäglich niedergestoßen. Heil Dir!

Kehre ich zur Beschreibung der großen Pestgrube der Lazarethe zurück, so entsetze sich da die Menschheit. In einer weiten Schlotte werden die Cadaver herab und auf den Wagen geworfen, schlicht weiße, nackend aufgethürmt, Köpfe, Arme und Beine baumeln herunter, und der hungrige Bürger gehet gleichgültig vorbey, um im untern Geschosse sein Fleisch sich einzukaufen. Welch heterogene Erscheinung! unten verkaufte man noch alle mögliche Fleischarten, während im ersten und zweyten Stocke Viele verhungern, denen man auch nur einige kräftige Brühen versaget. -[36] Begleitet den Wagen [130] auf den Todenacker, und sehet der Greuel höchsten Greuel! wie Scheite Holz werden die Leichname von dem Wagen herabgeworfen, der sogleich wieder umkehrt, um sein edles Tagwerk zu vollbringen. Jetzt treten die Todengräber hinzu und sondiren das Gute und das Böse. Was noch nicht in Fäulniß übergegangen ist, wird mit den Händen in die große Grube geworfen, die andern mit eisernen Hacken hinein gezogen, unten erwartet sie Einer, den möglichsten Raum eindämmernd zu benutzen. - Hinweg, meine Blicke! die merkwürdigsten Tage der ganzen Belagerung waren nun die ersten dieses Monats November.

Die feuerfarbene rothe Fahne, die im Sturme bewegten Glocken ermahnten Dresdens Bürger, mit ihren Spritzen und Sturmfässern auszuziehen, um zu retten und zu löschen. Verschloßene zugemachte Schläge verwehrten dem eilenden Bürger den Ausgang, hoch loderte jetzt die [131] Scharfrichterey[37] am 3ten November - zum gräßlichen Vorspiele zu dem baldigen nämlichen Schicksale der umherliegenden Nachbarsgebäude.

Fünfter und sechster November, ihr habt gleichfalls zu viel Recht, euch in dieser Monatsgeschichte für und um Dresden, zu verewigen. Graf Mouton hielt es für nöthig, sich mit seinem Armeekorps durchzuschlagen, um mit Nardonne, dem Kommandanten von Torgau, sich zu verbinden, und hinter dem Rücken des siegenden Feindes, von den Bollwerken Torgaus beschützt, diesem den möglichsten Schaden und Abbruch zu thun. Alle Anstalten waren gemacht; alle Schätze wurden auf mehr denn zweihundert wohlbedeckten Wagen, begleitet von Moutons 12tausend Mann starkem Armeekorps, zu welchem sich noch eine Division von St. Cyr gesellte, [132] abgeführt. - Die Ausführung fiel, wie bekannt, unglücklich aus; die Franzosen wurden zurückgeworfen. In der Nacht vom 5. bis zum 6. Nov. machte ich die eigne Bemerkung, daß der Franzosenmuth zeither nichts mehr und nichts weniger gewesen sey, als blindes Zutrauen auf gewohntes Glück, - und so wie jener Feldherr sich noch nicht schlagen wollte, weil kein Brantwein da sey - ihre Begeisterung und Schlagfertigkeit jetzt bloß durch hitzige Getränke angefacht und gereitzt werden mußte. Schon früh um zwey Uhr begegneten mir - weil ich ärztliche Hülfe für meine kranke Frau suchte - starke Kolonnen ausziehender halbtrunkener Franzosen, große Stückfäßer Wein in ihrer Mitte habend - sie zogen trunken aus, um am Abend nüchtern, müde und abgemattet wieder zurückzukehren.

Fünfter und sechster November! fürchterlicher Abend, schrecklicher Morgen! Alle Häuser in meiner Nachbarschaft, Fabriken, Zierden altgothischer Baukunst, vernichtetet ihr in wenig Stunden. Am Abend des 5. Novembers entstand ein Gefecht. Die Vorposten der Russen trieben stürmend die feuergewohnten Franzosen aus der Pulvermühle heraus und besetzten diese. Die letztern warfen sich hinter die Mauern des Weiseritzholzhofes; nach einigem Gewehrfeuer zogen sich die Russen zurück und steckten, den Rückzug zu decken, ein schönes Vorwerk, [133] die Spiegelmanufaktur[38] und eine Mühle in Brand - Nun so brennt nur immer fort, Freund oder Feind! wir müssen und sollen ja einmal verbluten. War es nothwendig, gebot es des grausamen Krieges grausames Gesetz, die übrigen, schuldlosen Gebäude am andern Morgen den Flammen zu übergeben? - Beleuchte ich auch diese That von allen Seiten, so finde ich in ihr nichts mehr und nichts weniger, als ein würdiges Seitenstück zur Sprengung der Brücke. - Franzosen! wolltet ihr dadurch nur euren Ausfall masquiren? Graf Klenau konnte euch zwar nichts anhaben, wenn nur nicht schon der Fürst von Wiedrunkel auf der andern Seite der Elbe aufgestellet gewesen wäre, der, wie ihr erfahren habt, euch sehr gut empfing; und wollte General Klenau von dieser Seite angreifen, was hinderten ihn dann einige brennende Häuser? - Daß die Rasirung dieser Häuser und Fabriquen die Schußlinie der nahgelegenen vom Geschütze wohlbesetzten Schanzen nicht erforderte, besagen die längst geäußerten Worte St. Cyrs: derjenige Ingenieuroffizier, der dieses angegeben und befohlen hätte, müsse ein sehr unerfahrner Mensch seyn. - Doch dieses sollte erst jetzt geschehen? Gelang der Ausfall, so wurde Dresden übergeben, - und da er nicht gelang, mußte die [134] Stadt über lang oder kurz doch übergeben werden? Oder glaubte St. Cyr zu seiner Rechtfertigung, wegen der baldigen Uebergabe, noch etwas thun zu müssen?

Aber Anarchie und Zwiespalt waren schon bey den französischen Armeen eingerissen - ein Jeder glaubte zu thun sich berechtiget, was er nur wollte - der Marschall und sein gegebenes Wort galt nichts mehr, zum Beweiß folgende Unterhandlungen. -

Den schon mehrmals mit Abbrennung der Gebäude bedrohet gewesenen Pachtinhaber der Kunathmühle, Philipp, ganz den heiligen, wiederholten Versicherungen des Marschalls trauend, erschreckte am Morgen des fünften Novembers die Aufforderung, sogleich mit Habe und Gut die lange von ihm beschützte Mühle zu verlassen, denn auch diese müsse nun dem Feuer übergeben werden. Der Müller eilte, um Rettung und Hülfe zu suchen, zu St. Cyr, er wird abgewießen; nur 3 stündige Ausdauer lassen ihn endlich seine Wünsche hoffend erreichen. - „Sie haben Gnade gefunden.“ - mit diesen Worten überreichte einer der Adjutanten dem im Vorzimmer harrenden Müller den Gnadenbrief: dort und da lassen Sie sich ihn unterschreiben. Erfreuet - alle mögliche Besorgnisse waren nun aus der geängstigten Brust verscheuchet - eilte er zu allen möglichen Behörden, um jenen Brief hie und da nach Anweisung unterschreiben zu lassen, welches letztere [135] auch ohne Verneinung geschah. Froh wie ein Gott, getröstet mit des Intendanten Worten: Die Sache sey nun abgemachet, er könne nun ruhig nach Hause gehen, gab er auf Verlangen jenen Brief zurück. Doch wehe ihm! die Wachen lassen den guten Mann nicht zum Schlage hinaus; er verschwendet flehende Worte, er bietet Geld auf Geld, er eilet von einem Schlage zum andern. Umsonst! Er ist zwar durch jene Verheißungen beruhiget; wer aber tröstet indeßen die arme, zurückgelassene Familie? Nach und nach schleichen sich doch fürchterliche Besorgnisse ein, und die für ihn schreckliche Nacht vergehet. -

Schon brennen früh um 8 Uhr mehrere Gebäude, und noch nicht eine halbe Stunde darauf sieht der arme Müller die lodernden Flammen durch die Fenster seiner Wohnungen leuchten. Welche entsetzliche Lage! die Flammen erlöschen zwar, doch gegen 1 Uhr werden diese Gebäude, nebst der Oeconomie des Feldschlößchens, abermals in Brand gestecket, und nun giengen diese in Feuer auf. - Was kann und soll man hiezu sagen? - War es aber militärischer Instinkt? warum wurden und blieben von beyden Seiten unter so vielen Gebäuden und Fabriken fast einzig und allein Pulvermühle und Kanonen-Bohrwerk verschonet?

Immer mehr und mehr bestätigten sich nun die Gerüchte einer baldigen zu hoffenden Uebergabe, die Unterhandlungen waren schon angegangen und unsere [136] Blicke verfolgten segnens- und sehnsuchtsvoll die Vermittler, die ins Hauptquartier des Grafen Klenau nach Herzogswalde hinauseilten, um die Hauptbedingungen der Capitulation einzuleiten.

Zehenter November!

Tag der Freude, des Jubels und Entzückens! Denktag der Geburt des Gottesmannes Martin Luthers. Würdiger konntest du nicht gefeyert werden: vor 330 Jahren legtest du den Grundstein zur Befreyung der Seelenfesseln, 10ter November! heute sprengtest du unsere Kerker, das mehrjährige Joch der Erniedrigung und der Sclaverey ist nun auch bey uns zerbrochen. Deutsche Brüder umarmen deutsche Brüder; die Feßeln der Zungen sind gelößet; Wahrheit bleibet Wahrheit - und das Wort des Herrn bestehet immer und ewiglich! -

- Warum füllen sich meine Augen? - warum nimmt mein erstarrtes Herz keinen Antheil an diesen beglückenden Begebenheiten? - hat des Krieges Noth und Elend mich nicht dazu berechtiget? warum ist mir nur einzig und allein versagt, was Tausenden gewähret ist, Errettung? - So durchbohret mein Herz, ihr Unerforschlichen, häufet Lasten auf Lasten, wandelt den Tag der Freude für mich zum Tage meiner ewigen Trauer um, häuffet Leiden auf Leiden, lasset mich groß seyn im Uebermaße meines Schmerzes! - Sie war! - ja sie war! In der Nachtzeit sollte ich noch oft und schmerzlich daran [137] erinnert werden. Sie, meine Theuern, sanken alle dahin; unerbittlich ist der blasse Tod, desto schmerzhafter in jeder Erinnerung. Es starb die Mutter, es endete der Bruder, die Gattin und die Schwester waren vorangegangen, einsam stehe ich nun an der Grabesgruft.

Und darum schufet ihr dies weichgeschaffene Herz? - und nur darum legtet ihr den Keim der Menschlichkeit, der Bruder- und Gatten-Liebe so tief in die zerstörte Brust, um ewig und tief das Verlohrne zu betrauern? Ha! warum versagtet ihr mir jene Roheit des Gemüthes, um mit frecher Hand die Erbärmlichkeiten dieses Lebens nur hinweg schleudern zu dürfen? Sey jenes Größe oder dieses Schwachheit, kämpfend beginne ich nun den Riesenkampf; Tage, Monate und Jahre werden ihn nicht enden, nur meine letzte Stunde.

Was in den folgenden wichtigen Tagen rings um mich her vorgieng, sahen meine Augen, aber erkannten es nicht. Jammernd durchirrte ich die volkreichen Straßen, sie waren mir fremde; die tobende, geschäftige Menge begegnete mir, das Herz nahm keinen Theil, ich war allein. Nur später erfuhr ich, was geschehen war. - Diese durch ihre nachherigen Abänderungen äußerst wichtige Capitulation, vermöge welcher beynahe 30,000 Mann das Gewehr streckten, ist noch bey Jedermann in zu frischem Andenken, um etwas weiteres darüber zu [138] erwähnen.[39] Die gedienten alten Franzosen, wenn es ihnen vom Herzen gieng, murrten, aber die jungen Kameraden freuten sich auf den Tag der Erlößung.

Wurde je gehandelt, so geschahe es nun in diesen Tagen, was als Privateigenthum der Franzosen angesehen werden konnte, wurde um ein Spottgeld verkaufet, und nur die gerechten Besorgnisse, dieses Auferkaufte einst wieder hergeben zu müssen, hielten manche vom Einkauf ab, der es alsdann spät bereuete, ein so wohlfeiles Eigenthum sich nicht erworben zu haben. - Vorzüglich war der Pferdetausch im Schwunge, die alte Mähre wurde abgeliefert, aber das junge Roß blieb in den Händen der Kühnwagenden, die es eine Zeit lang verbargen, um es zu rechter Zeit an den Mann bringen zu können. Die jüdische Nation, im Speculationshandel gewiß nicht zu übertreffen, zeigte sich jetzt außerordentlich thätig; unter andern kaufte sie um den sechsten Theil des Werthes das Holzwerk der verschiedenen Baraquen, und um diesen [139] Kauf vor Jedermann zu rechtfertigen, traten die handelnden Mitglieder derselben - wofür ich sie segne, 200 Fuhren Holz an das verschiedene Armuth in Dresden ab, das es nur zu wohl bedurfte. Würde dieses, wenn diese Holzmasse in christliche Hände fiel, die vielleicht über jede Rechtfertigung erhaben waren, wohl geschehen seyn? - Man weiß überhaupt kein Beispiel von der jüdischen Nation, die als Zerstreuete doch nicht das nehmliche Interesse an Deutschlands Ehre und Glück haben können, denen nur Reichthum und Wohlstand ihr bürgerliches Daseyn allenthalben sichern und angenehm machen müssen, daß sie während der ganzen kriegerischen Zeit verrätherisch gehandelt hätte; die, wer kann es ihr verdenken? nur im Handel und Wandel die glücklichen Zufälle nur zu wohl zu benutzen verstand. Auch jenen Brief[40] den Dürosnel selbst mit höchstem Unwillen vorzeigte, glaube ich eben so wenig von ihrer, als von teutscher Hand niedergeschrieben worden zu seyn - nur ein verrücktes [140] manntolles wollüstiges Weib, in ihrer Geilheit jeder Schandthat fähig, konnte ihn abgefaßt haben.

Am 12ten November - ach! der frühe Morgen hatte mein Glück begraben - sahe ich, den Weg nach meiner Heimath suchend, ja nur suchen mußte man ihn, so hatte sich alles so schrecklich verändert, das nie gesehene glänzende Schauspiel der Uebergabe der Waffen.

Fluchend, zähneknirschend schrieen die Franzosen ihr Vive l'Empereur! ihre Drohungen aber, in einem halben Jahre wieder da zu seyn, wurden von dem Militär, so wie von der Volksmenge, die zu Tausenden versammlet war, mit Hohnlachen beantwortet.

Ein schwarzer Gedanke bemächtigte sich meiner trauernden Seele, als ich im glänzenden Waffenschmuck, in der schönsten Männerkraft die siegenden Krieger halten, als ich so die Franzosen hinziehen sah, und mein Blick die Tausende der neugierigen Zuschauer überschauete, als ich mich in den Betrachtungen der Wechsel der Zeiten verlor. Dreyhundert und fünf und sechzig Tage berechnet das Jahr, jene mit 10 mal 10 vermehret, bezeichnen die höchste Lebensdauer, aber die Hälfte dieses Zeitraums reichet schon zu, um alle diese Menge dem Grabesmoder, der Grabesduft zu übergeben. - Und die veralteten Kinder erzählen wieder ihren alten Kindern diese fabelhaften Begebenheiten, die den Eintagsfliegen gleich, diese gleichgültig mit anhören, [141] um im Treiben und Wesen ihres menschlichen Lebens, früh oder spät, gleichfalls zu erstarren. -

Nein! so nicht, so hatte ich es nicht geglaubet. - Und wie jederzeit im menschlichen Leben unsere Vorstellungen und unsere Erwartungen uns betrügen, indem sie stets die gereizte Phantasie unserer Wünsche und Hoffnungen in der Wirklichkeit so weit und in der Erfüllung hinter sich lassen, so stiegen diese jetzt, indem ich die verödete Wohnung betrat, zur unerreichbaren Größe der nur möglichst zu denkenden Verwüstung und Vernichtung. Nicht mir und uns allein war es also ergangen; alle meine Nachbarn in diesen umliegenden Gegenden hatten ein gleiches Schicksal; alle und jede, vorzüglich im Dorfe Plauen, mußten, um der Belagerungswuth zu entgehen, entweichen. Auch die Herzhaftesten konnten es in der Länge der Zeit nicht mehr aushalten, sie mußten entfliehen; nur eine junge starke Frau wagte es, sie wagte freylich viel! doch ihre Dreustigkeit, ihre Geistesgegenwart erhielt fast allein ihr einziges, von so vielen Zerstörungen verschontes Gebäude. Soll ich die Mißhandlungen erzählen, denen selbst die angesehensten Männer dieser Gegend ausgesetzt gewesen waren - hier schützte weder Rang noch Alter; - daß diese nackend auf die nächsten Dörfer entfliehen mußten, daß Säbelhiebe und Stiche andere aus ihrer Wohnung trieben, wer wundert sich da, wenn jede und alle [142] ihre Behausungen verließen und verlassen mußten, daß jetzt nun vorzüglich die russischen Belagerer ungescheut und ungestört ihr Wesen treiben konnten?[41] -

Meinem Gram zu begegnen, einige Zerstreuungen dem gebeugten Geiste zu gewähren, machte ich wenig Wochen hierauf eine Geschäftsreise nach Leipzig - auf dem langen weiten Weg entfernten sich von Stunde zur Stunde die Spuren der Kriegswuth, das Elend war blos in den Häusern selbst verborgen und nur bey der Annäherung Leipzigs, bey der Uebersicht der niedergebrannten Dörfer zeigten sich einzig und öffentlich des verwüstenden Krieges gewesenes Daseyn und Wirklichkeit. Doch so nicht, wie bey uns. - Ich sahe noch unversehrte Gebäude, ich fand darinn Treppen, Verschläge, Thüren und Fenster, Spiegel, Tische, Stühle und Schränke. Der Landmann besaß noch einiges Vieh, seine Scheunen, seine Keller waren nicht ganz geleeret und entblößet, sie enthielten noch Vieles, wenn auch nicht im Ueberflusse, was zur Leibes-Nahrung und Nothdurft gehörte. -

[143] Lege ich in die eine Schaale die verschiedenen Schlachtgefechte und Feuersbrünste, die in diesem Jahre leider! im unglücklichen Sachsen vorfielen, und in die andere die Belagerungstrübsale nur von Torgau, Wittenberg und Dresden; - die Schlacht bey Dresden war gleichfalls eine Folge der Belagerung - so hebet sich jene hoch auf, Wochen und Tage haben dort entschieden, hier Monate und Jahre. Und so wie der Elbstrom im Herabströmen schwillt, und zur bedeutenden Größe anwächset, so häufet sich und erwächset das Belagerungselend! Dresden, Torgau, Wittenberg, Magdeburg und Hamburg - man vergleiche![42]

[144] Dresden konnte sich nur seiner Errettung halb erfreuen: Der Gedanke, morgen oder übermorgen sinkest du auch ins Grab! ließ die Freude nicht zum höchsten Ausbruch kommen, und ein versteckter Gram umwölkte selbst die Stirne der Leichtsinnigsten. -

Fuhren an Fuhren, Wagen an Wagen, gefüllet mit Lebensmitteln jeder Art, zogen, so wie die Capitulation geschehen war, in die Hauptstadt ein. - Die Bereicherungssucht und der Spekulationsgeist, vorzüglich der benachbarten Böhmen, hatten längst auf diesen Augenblick gewartet und gehoffet; doch wunderbar! Der Bürger und Einwohner kaufte von diesen theueren Lebensmitteln etwas Weniges, und nur die hungrigen Franzosen, ihre Frankenstücke in der Hand haltend, umlagerten die Wagen. -

Von Tage zu Tage, mit jedesmaligem Abzuge der Franzosen, verminderte sich das Geräusch [145] auf den Straßen, diese wurden nun auf das sorgfältigste gereiniget, und die innern Wohnungen gefeget, um die neuen Gäste zu empfangen. Am 18ten November zogen die Oesterreicher mit klingendem Spiele und Gesang ein, diese besetzten die Altstadt, und die Russen die Neustadt. -

So war denn eine der fürchterlichsten Epochen Dresdens vorüber, die doch ja seine tausendjährigen künftigen Annalen nie wieder aufbewahren mögen! Eine zweyte beginnet: schonender wird zwar verfahren, jedoch die Kriegeswehen können nicht abgewendet werden, - sie liegen einmal in der Natur des angenommenen Kriegssystems, und bey dem besten Willen, Hülfe und Thätigkeit erseufzet der Bürger, das Land jammert, blutige Thränen werden geweinet- - Das arme und auch das reiche vom Wohlstande so weit herabgesunkene Dresden hatte nun binnen Jahresfrist 10 Millionen Mäuler gespeiset und getränket; ja sage: zehen Millionen Mundportionen richtig ausgetheilet.

Leget dieses einzige nur in die Wage, das Gegengewicht halten die blutigen Schlachten, welche Schale sinkt, welche steigt? -

Lebe wohl, mein Dresden! noch mein Dresden? ja Versöhnung; - doch laß mich mit meinem gebrochenen Herzen fliehen in meine Einsamkeit. -

Ehe ich scheide, erfülle aber auch du, meine Brust, die erste und die letzte Pflicht: Sie, verehrteste[WS 11] [144A] Frau! die Sie wärend der Belagerung mich mit meiner Familie aufgenommen haben! Sie, die Sie sich während dieser so unglücklichen Zeit als zärtlichste Mutter gegen mich und meine Kinder bezeugt haben, die während der Krankheit meiner Gattin, mit Aufopferung Ihrer selbst mich trösteten und so oft meine Hungrigen speißten, jedes Ungemach mir ertragen halfen, ja oft mich, den Trostlosen, der Besinnung wiedergaben - Ihnen! kein Schriftzug entweihe den theuern Namen! Ihnen danke ich in der Stille und in der Tiefe meines dankbarsten Gemüthes.

Arm jedoch reich im Herzen, verließ ich meine Wohnung, und arm, mit verarmten Herzen, betrat ich sie nun wieder. Angreifender und erschütternder weiß ich fürwahr keinen Zeitpunkt meines Lebens als diesen. Gott! welch ein Einzug; ich umfaßte meine fünf verwaißten Kinder, ich umschloß sie alle, und diese Libation meiner Thränen heiligte den nur zu gerechten Schmerz. Und die nackenden Wände, die von Thüren entblößten Schwellen, das Stürmen des Herbstwindes durch die zerklirrten Fenster, vereinte das Ganze zur gräßlichsten Harmonie. - Meine letzte Hoffnung, - der Keller - auch diese war vernichtet. Durch das Abschlagen des obern Plauenschen Röhrwassers. Um den Belagerten auch dieses zu entziehen, hatte sich das Wasser im Keller, keinen Zufluß mehr habend, nun verlaufen, und in Trümmern lagen Porzellain, Steinguth [145A] und Glaswerk unter einander; die übrigen Effekten waren geraubet. - Herkulische Arbeit gehörte nun dazu, den großen Miststall zu räumen, wir begruben 3 Franzosen, die in den verschiedenen Gebäuden ihr elendes Daseyn ausgehauchet hatten.

Einen armen Franzosen traf ich den Tag vor meinem traurigen Einzug, in Strohbucht gehüllet, auf dem großen Salon sterbend; er flehete und bat um Rettung, ich konnte ihm nichts reichen, als einen Trunk Wasser, den ich nur in einem Scherben schöpfen konnte. "Befiel dem Herrn deine Seele und stirb!" - mit diesen Worten verließ ich den Aermsten. Den Tag darauf - der Mensch erbarme sich des Menschen! so stehet es in unserer Brust geschrieben, brachte ich oder wollte ihm vielmehr einige Erquickung bringen; doch der Tod hatte sich seiner schon erbarmet, die frühe Blüthe war vernichtet, und das fürchterlichste Raubthier, Mensch genannt, hatte diesen in seiner Raubsucht schon ausgezogen; entblößt lag das Cadaver vor mir.

Bey dieser Gelegenheit ahnde ich schwer die Verbrechen einiger Menschen. Nichts zu verlieren habend, benutzten diese in Eil jede Gelegenheit, um in die verlassenen Gebäude einzudringen, um alles das, was der rohe Krieger - dem man noch verzeihet - verschonet hatte, zu stehlen, zu rauben und zu plündern; dankt es meinem niedergeschlagenen Geiste, daß ich euch mit euren Namen nicht öffentlich am Pranger stelle. Selbst noch das letzte, [146] Glasscheiben und Fenstergitter, wurden von ihnen herausgenommen und entwendet.

Was mehr ist, ihr Wenden! die ihr in eurer frühesten Jugend zu uns herausströmet, um Bildung, Nahrung und Erhaltung eures Lebens zu gewinnen - von denen Mancher in der Folge sein bestes Glück machte, einige von euch waren es, die der umliegenden Gegend so sehr zum Schaden und Nachtheile gereichten. Ihr Verräther! ihr verriethet eure Bauern, in russischen Soldaten- und selbst Bauern-Kleidern zoget ihr aus, und die Unmenschlichsten waret ihr. Zu Zeugen ruffe ich mehrere Dörfer auf - sie werden zeugen.[43]

December.

Nimm mich auf in deine Mutterarme,
Freundin meiner Thränen, Einsamkeit! -
Daß an deinem Busen ich erwarme,
Ungestört in deiner Dunkelheit.
Träufl' Erquickung auf den Müden nieder,
Gieb mir meinen stillen Frieden wieder,
Den ich im Getöß der Welt verlohr. -

[147]

Ach, es war einmal ein schöner Morgen,
Mild bestrahlt von Phöbus Flammengold,
Ungetrübt von Kummer und von Sorgen,
Da schon war ich Einsamkeit, dir hold!

Zu dir fliehe ich, da jetzt im Herzen
Ahnung beßrer Zukunft zweifelnd sich erhebt,
Zu Dir da im Drange wilder Schmerzen,
Ohne Lind'rung jede Nerv' erbebt. -

Dem Schiffbrüchigen gleich, sich Glück wünschend, nach so vielen tausend Gefahren sein Eyland erreicht zu haben, verlebte ich acht Tage meines jetzigen Lebens - und ich dankte dem Schicksal, daß sie verlebet waren. Kein Freund, kein Tröster, kein Nachbar erschien; und die geflügelte Zeit kroch mit langsamen Schritten vorüber. Ach! wie gerne hätte ich sie als Sturmesbraut umarmet! und das melancholische, schweigende Dunkel der frühen Nacht, das Düstre der brennenden Lampe, die die Ruinen der vorliegenden Brandstätten, wie in einer Geisterbeschwörung, nur spärlich erhellten, das Schnarchen der auf den Dielen um mich her liegenden Kinder, fürwahr! alles dieses war nicht geschaffen, um Trost und Muth in die geengte Brust zu senken.

Wer aber einmal eine gewisse Höhe erreichet hat, der schauet keck in die Tiefe des Abgrundes, so wie auf in das Helle des Lichtes. - Ahnung meines Lebens, Ahnung meines bessern Lebens! warum sollte ich dir nicht glauben - dieser Abend [148] drückte das Siegel der Wahrheit auf - Ist die Sympathie, der Einklang der äußern Dinge mit der Seele des Menschen so stark? - Warum nur allein an diesem Abend dieses Vorgefühl, warum jene Bänglichkeit, die vorher und in der Zukunft mich nicht wieder ergriff?

Unruhig warf ich mich auf dem harten Lager hin und her; Morpheus, der Gott des Schlafes, versagte mir die göttlichsten seiner Gaben, der auch dem Geringsten hold, diese nach Stand und Würden nicht auszutheilen pflegt, die aber der Herr und Fürst so gerne mit dem Geringsten ihrer Diener theilen möchten, welche Letztere der Verkehrtheit des wunderbaren Gottes lachen, der Schild und Wappen nicht zu unterscheiden weiß. Unter so vielen Tausenden war ich, der mich nun gerettet zu haben Glaubende, auserlesen, der vielleicht Einzige, da rings in der umliegenden Gegend die furchtbarste Stille, und eine schreckliche Ruhe herrschte; da, wo nur wenig Bewohner rings umher sich getrauet hatten, in die verwüsteten Häuser zurückzukehren, um noch einmal aufgeschreckt, abermals in das Kriegsgetümmel hineingeworfen zu werden.

Die verhängnisvolle Mitternachtstunde bricht an; von quälenden Besorgnissen beunruhiget, war schon eine Stunde vorher die verlöschte Lampe aufs neue entzündet; halb träumend schließen sich die matten Augen - horch! es donnern die Thüren, es klirren die Fenster, Getöse, Getrappel, verworrne [149] Stimmen schrecken mich und alle meine Angehörigen vom Lager auf. Gott sey uns gnädig und barmherzig! Fast 300 rußische Krieger, aus dem rohesten Stande zusammengeraffte Hauffen - Landwehr - umgaben von allen Seiten das Haus. Ich reiße das Fenster auf, aber unsere einander fremdartigen Töne geben weder Auskunft noch Beruhigung. Die Lampe wird meinen Händen entrissen und ein Theil entfernet sich; ich gebe nun Stücken Licht auf Licht, mit diesen eilten nach und nach die Haufen fort und bey jeder Entfernung beruhigte ich mich immer mehr und mehr, ich, der Geängstigte! - Doch der letzte Trupp verlangte Einlaß, die Thüren beben von den Faustschlägen, und mein Herz erbebte gleichfalls. Nichts mehr übrig, ermahnte ich meine Kinder zur Ruhe - ach!! diese Zitternden durften nicht erst dazu aufgefordert werden! beherzt ging ich nun dem zu erwartenden Schicksal entgegen und öffnete die Thüren.[44] Gegen 40 bärtige Männer traten ein, [150] ein Tambour an ihrer Spitze, ihre Blicke und Bewegungen suchten den Keller, dort wollten sie schlafen, aber dort waren auch einige neu angekaufte Lebensmittel, dort befand sich das wenige Gerettete, zwar verborgen, doch nicht vergraben. Wüthend ergriff ich den Tambour, und zog ihn von dem mir verderblichen Wege ab, und wies ihn und seinen Kameraden den rechten, verwüsteten Theil meiner Wohnung zu ihrem Aufenthalte an; ich eröffnete nun die von leichten Bretern zusammengeschlagene Thüre. Welch ein Anblick! lodernd schlägt mir die Flamme entgegen, und mehr denn zwanzig Bärtige hatten sich mitten im entdielten Zimmer um das erwärmende Feuer gelagert. In der Angst meines Herzens, in der Gegenwart meines Geistes, die mich in höchsten Drangsalen nimmer verließ, warf ich dem einen Rußen das Licht aus der Hand, und eilte in der Dunkelheit in den Keller hinab; ich suchte, fand und rettete - Bey meinem Heraufkommen sahe ich die wohlthätigste Erscheinung meines Lebens. Der Unteroffizier, der mir die [151] Lampe abgenommen hatte, brachte diese wieder und erweckte mein Zutrauen. Du dowri? dowri, versetzte jener und ein Speciesthaler verband im Augenblick die Annäherung. -

Diese Sprache verstehet man allenthalben in der Christen- und Nichtchristenheit; sie ist die reichhaltigste, deren Studium nur blos geschmolzenes Silber ersetzet. - Sogleich nach Opferung dieses und einer Bouteille Brandwein wurden und mußten die verschiedenen Feuer ausgelöscht werden, jedes Verderbliche wurde nun zwar auf den Augenblick verbannet, ja nur auf den Augenblick, denn so wie sich die Unteroffiziere entfernt hatten, trat die alte Unordnung, Verwüstung und Brandstiftungen wieder ein. Fünf Unteroffiziere und ein einziger Oberoffizier nahmen Besitz von meiner einzigen Stube, ich wurde, so viel ich vermochte, ihr Versorger und Ernährer, - doch den ganzen Tag mußten die Hausthüren verschlossen bleiben, jene konnten nicht alles abwehren; Knute, Prügel, Versprechungen, gütliche Worte, nichts konnte diese rohen Menschen von ihren Verwüstungen abhalten. Treibe man einen Haufen Menschen im cultivirten Sachsen, wo Dörfer an Dörfer und Städte an Städte angrenzen, zusammen, man weiß es, wie der Neuling sich benimmt, vergleiche man hiermit Rußlands innere Steppen, wo der Mensch, um Menschen zu sehen, Meilen zurücklegen muß; wer wundert sich da, wenn diese Nomaden uns in einem so grellen Bilde erscheinen?

[152] Fünf Tage mußte ich nun unter diesen Menschen aushalten.[45] Alles, was der Krieg in seinen verschiedenen Verheerungen noch verschonet hatte, wurde nun gänzlich verwüstet; ganze Treppen, Thüren und Glasfenster auf die immerbrennenden Scheiderhaufen geworfen, und in den Tiefen der mit Rauch füllten Keller brannten die obersten Geschosse der nun gänzlich zum Ruin gewordenen Gebäude. Der Tag der Erlösung, auch der erschien; die letzte Kriegesnoth war nun geendet, ach! daß sie sich auch in ihren Nachwehen und in ihren Folgen geendet hätte! -

Es brannten jetzt überall in den Gebäuden die schädlichen Feuer, unter Stroh und Mist vergraben, verwehrten die erstickten Flammen im Rauch und Dampf den erwünschten Eingang - keine Nachbarn konnten zu Hülfe kommen - es waren keine da, und nur die höchste Aufmerksamkeit, selbst die Anstrengung meiner Kinder, die in Kochtöpfen fast 3 Tage lang das Wasser aus dem Flusse mir zutrugen, erstickte endlich die gefährliche Flamme. Alle und jede Gebäude waren und wurden gerettet, - und der Dank? vielleicht jener lieblose Abspruch: - Warum seyd ihr so voreilig [153] oder so dumm gewesen, warum habet ihr dieses gethan? -

Gehe ich noch, zum Beschluß dieser ewig merkwürdigen Jahresgeschichte zurück, so folgen Bayerns schon längst bewiesene Hochherzigkeit, die kleinern und größern Fürsten des ehemaligen Rheinbundes, aber auch der Banner Sachsens wehete hoch empor, Schaaren an Schaaren, für die heilige deutsche Freiheit zu fechten, reiheten sich, die Jünglinge, der Sachsenmann, das deutsche sächsische Weib, das Mädchen, der Knabe, die nicht Theil nehmen konnten, opferten gerne. Wittekinds Zeitalter kehrte zurück: ein Gott! ein Vaterland! ein Sinn!

Leipzigs Weltenschlacht, furchtbar und erlößend für uns und alle, zeigte sich in ihren Folgen: der fürchterliche Napoleon wurde nun in verschiedenen Gefechten von Stadt zu Stadt, von Fluß zu Fluß gejaget, schnell war die Flucht, und noch in den letzten Tagen trug der alte Rheinvater, nach so vielen Jahren, auf seinem ergrauten Rücken deutsche Brüder, deutsche Söhne zu deutschen Brüdern und deutschen Söhnen hinüber. Torgau wurde übergeben, das unglückliche Wittenberg erstürmet, alle französischen Besatzungen gefangen genommen, und das Land war nun von den Franzosen gesäubert. Des Fürsten Repnins Generalgouvernement von Sachsen, die Errichtung der Landwehr, des Baron von Rosen polizeyliche Anstalt mögen in dieser politischen Erwähnung[WS 12] meine Blätter schließen!

[154]
Der Christabend.

Der äußere Sturm hatte sich geleget, eine fürchterliche Stille und Ruhe war eingetreten, aber beyder Uebermaaß verband keine tröstende Beruhigung. Den Unterirdischen hatte ich mich schon längst geweyhet: doch das Vaterherz, die Liebkosungen meiner Unschuldigen, ihr nicht laut gesagter Vorwurf, der in ihren Blicken das Herz erschütterte; Vater! was haben wir verbrochen? ist die Blüthe, sind die Freuden unserer Kindheit nicht schon zerknicket, willst auch du uns verlassen? dieses gab dem halb erstorbenen Geiste neues Leben und neue Kraft. - So widmete ich mich den Göttern, allem und jeden Lebensglück für mich jetzt und in der Zukunft entsagend, wollte ich nur mein Daseyn den Kindern opfern. - Der Christabend erschien: keine Kerzen erleuchteten das einst so glückliche Zimmer und kein Strahl der Freude das so finstere Gemüth. Aber das Herz erzitterte, als es verneinend die billigen gewohnten Forderungen der unverständigen Kleinsten von sich weißen mußte! -

Meine Kinder! frühzeitig habet ihr den Weg der Erfahrung, der Entbehrung und des Unglücks mit mir durchwandeln müssen. Heilsam für euer ganzes Lebensalter mögen diese Lehren seyn! Die spätern Lebenstage mögen euch beglücken; sie werden und müssen es, wenn Rechtschaffenheit, Fleiß, Liebe und Treue ihre Begleiter sind. Dieser Wunsch genüge euch zum Angebinde. -

[155] So kommt und laßt uns auch diesen Abend genießen! - In einer fröhlichen Runde erwärmte uns das wohlthätige Feuer; Einfälle, Launen und Schnurren vergnügten die Kleinern, und als diese entschlafen waren, beglückte meine größern Kinder die extemporirte Geschichtserklärung eines Oberons. Eine freudige gute Nacht! erscholl nun von allen Seiten. - Ha! welche Reichhaltigkeit, welch ein zufriedenes Wesen liegt in der menschlichen Brust! wer es doch jederzeit recht zu verständigen und recht zu benutzen wüßte? - Gute Nacht, mein Christabend! -

Die Neujahrsnacht.

Entflohene Tage meines Lebens!
Von der Vergangenheit Nebelduft umhüllet,
Nur ein schmerzliches Weh im Herzen sagt mir,
Daß ihr einst waret!

Waren - und nimmer, nimmer mir wiederkehren?
Ach! es liegen in eurem Schooße der Freuden
Viele begraben, und die kehrten nimmer,
Nimmer mir wieder!

Vater, du weißt es! aber meinen Blicken
Hellt kein tröstender Lichtstrahl jenes Dunkel,
Welches in ewiger Mitternacht der Zukunft
Pfade erhellet.

Finde ich dort wieder, was ich hier verlohren?
Meine Theuern, wenn ihr starrendes Auge
Scheidend mich segnet - ist sie mir dann ewig,
Ewig gestorben?

[156]

Vater, du weißt es! aber meinen Blicken
Hellt kein tröstender Lichtstrahl dieses Dunkel, -
Doch mit flammenden Zügen stehet am Himmel:
Glaube und hoffe! -


Nachruf.

Was ich suchte, habe ich nicht gefunden, meinen Zweck nicht erreichet, die toden Buchstaben liegen vor mir da, aber nimmer verließ mich mein finsterer Gram, mein brennender Schmerz. Doch wohl mir! wenn mir nur der Trost und Beruhigung bleibet, durch Niederschreibung dieser Blätter einige Freunde meinen Kindern erworben zu haben.



Berichtigung.

Diese Blätter wurden im vorigen Winter während des Wiener Congreßes niedergeschrieben; ein eignes unerwartetes Schicksal verspätigte die Herausgabe derselben. Dieß zur Würdigung mancher damals geschehenen Aeußerungen, und zur Beherzigung des Gesagten.




  1. Reynier Verfasser verschiedener Schriften – zog sich vorzüglich durch seine Beschreibung des Feldzuges in Egypten Napoleons Unwillen zu. Nach Abreise oder Flucht Napoleons kommandirten vorzüglich Kleber, Menou und Reynier. Der General Kleber wurde von den Mamelucken ermordet. Reynier gab bey seiner Zurückkunft in Paris obige Schrift heraus, und beschuldigte den General Menou nicht allein Klebers vorsätzlich veranstallteten hinterlistigen Mord, sondern zeih’ auch ihm einzig und allein durch sein unkluges Benehmen die Verunglückung des ganzen afrikanischen Feldzuges. Reynier wurde darauf exiliret, er ging in neapolitanische Dienste, wo er als Kriegsminister angestellet wurde. Im letzten österreichischen Kriege, im Jahre 1809, wurde er wieder herbeygerufen. Während der Schlacht bey Wagram war er Gouverneur der Insel Lobau; dann ging er nach Spanien, und kommandirte zuletzt im nordischen Kriege das 7. Armeekorps. Wie bekannt wurde er in Leipzig gefangen und starb im folgenden Frühjahre zu Paris.
  2. Bey der jetzigen und allen folgenden Einquartirungen machte ich die Bemerkungen, daß alles Mittelding zwischen Offizier und Gemeinen als Einquartirung nicht viel taugte, dieses machte die größten Ansprüche und ihre Forderungen gingen ins Weite. Gnade Gott dem armen Hauswirth, wenn Weiber mit ins Spiel kommen.
  3. Man erinnere sich hier an die fabelhafte Geschichte des ewigen Juden.
  4. Herostrat brannte den berühmten Tempel der Diana zu Ephesus im höchsten Frevel nieder.
  5. Marshall Davoust.
    So verhaßt den Deutschen auch sonst alle französische Heerführer im Allgemeinen seyn mußten, so hat sich doch Keiner ihren Haß in dem Grade zugezogen, als der Marschall Davoust. Niedersachsen vorzüglich empfand in diesem Jahrkriege die Gegenwart dieses Wütherichs, der im Vergleich die Geschichte der ehemaligen Niederlande, Albas Tiranney nur zu wahr wiederhohlte. Seine Verfolgungen gegen jede Geistes-Erhebung, seine Geringschätzung gegen alles, was deutsch hieß, die unerbittliche Ausführung aller und jeder Napoleonischen Decrete, die schnelle Verurtheilung der Patrioten, die namenlosen Bedrückungen Hamburgs edler Bürger, ihre Ausstoßung, wobey Tausende ihr Haabe und Gut schnell verlassen mußten, der große Räuberstreich, die Wegnahme der Hamburger Bank; alles dieß verewigte den famösen Marschall. Davoust, ein altadelicher Edelmann, gebohren zu Annau in Burgund, wußte sich in den ersten Revolutionszeiten, wo er als Unterlieutnant angestellt war, zu erhalten. Unter Dümouriez wurde er Chef eines Freybatalions und zeichnete sich aus, und als jener den Versuch machte, zu den Oesterreichern überzugehen, war er es, der es wagte, sich seiner zu bemächtigen. – Dies machte Aufsehen, und sein Glück war nun gegründet. – Unter Vichegru ward er General. In Mannheim wurde er gefangen und nach wenig Monaten, ausgewechselt. Mit Bonaparte gieng er nach Egypten, und unter Dessaix focht er gegen den nicht leicht zu besiegenden Murad-Bey. Nach der Rückkehr wurde Davoust nach Paris berufen und zum Divisionsgeneral ernannt, und erhielt endlich das Oberkommando der Consulargrenadier-Garde. Die Thronbesteigung des Kaisers ertheilte ihm die Reichsmarschallwürde. Einige für ihn glückliche zufällige Umstände in den Gefechten von Austerlitz und Jena erhoben ihn zum Range eines Fürsten.
    An der Schlacht von Aspern konnte er wegen Sprengung der Brücke keinen Theil nehmen, nur eine Division von seinem Armeekorps focht, deren Anführer General St. Hilaire blieb, und die fast gänzlich aufgerieben wurde. Bey Wagram kommandirte er den rechten Flügel, und bewirkte hauptsächlich den Rückzug der Oesterreicher. – So dessen Kriegsthaten; jedoch nach dem Frieden von Tilsit blieb er in Deutschland zurück, Erfurt war seine Residenz, und der Mittelpunkt, wo die Nachrichten seiner geheimen Agenten aus allen Gegenden Deutschlands zusammentrafen. –
    Nach dem Feldzuge vom Jahr 1809 blieb der Fürst von Eckmühl in demselben Wirkungskreise, und kam dann als Generalgouverneur der hanseatischen Departemente nach Hamburg. – Der Marschall Davoust ist von starkem, corpulenten Körperbau, mit einem glatten vollen Gesichte. Sein Auge ist schön, seine ganze Physiognomie deutet auf Ernst und Ruhe, ist aber keinesweges unangenehm. Wann sein Gemüth nicht von Zorn bewegt ist, wird man ihn nicht unbefriediget verlassen und eine gute Idee von ihm haben. Ganz anders aber ist es, wenn der Zorn sich seiner bemächtiget, welches bey seiner großen Reizbarkeit oft und plötzlich geschiehet, so daß derjenige, welcher auf so eine Verwandlung nicht gefaßt ist, davor zurückschaudert. Zwey Dinge gab es, bey denen er sich Alles für erlaubt hielt: nehmlich bey dem Verkehr mit England und bey politischer Schriftstellerey. Wie sehr er nach diesem Grundsatze handelte, bewies in der Folge die Einkerkerung des Raths Becker in Gotha – Napoleon hielt sehr viel Stücke auf seinen Davoust, und dessen innersten Gesinnungen bezeugen noch seine Aeußerungen, die jenem Sprichwort: kleine Diebe hänget man, große läßt man laufen, nicht entsprechen – Ehe der Marschall Davoust in diesem Jahre wieder in Hamburg einrückte, sagte er in Bremen: ich werde nur die Schuldigen strafen; und auf die Frage, wer diese wären? erwiederte er: dies sind die Reichen. – Man sagt jetzt: daß der Werth der Hamburger Bank soll wieder erstattet werden – von wem? –
  6. Kosaken! unter allen rußischen Truppen, waren diese so Gefürchteten beynahe mir die Liebsten. Der Kosake ist der Franzose des Nordens. Munter, stets heiter, gutmüthig, Liebhaber der Musik; jedoch nicht anmaßend, jederzeit sich begnügend nahm er mit dem vorlieb, was des Wirthes Kräfte darzureichen gestatteten.
  7. Theodor Körner, Sohn des Appellationsrathes Körners in Dresden, war einer der Ersten, der sich im Gefühl der gekränkten Nation, zu dieser schwarzen rächenden Fahne begab – er wurde ein Opfer seines deutschen Sinnes zu Gadebusch im Mecklenburgischen. Doch nicht dies allein, seine poetischen, litterarischen Verdienste, die in der Folge sich so schön ausgezeichnet haben würden, lassen uns heute noch unter so vielen diesen edlen Jüngling betrauern.
    Selbst noch auf seinem Sterbebette, auf Moos unter einer Eiche gelagert, sang der deutsche Barde sein Schwanenlied, welches ich meinen Lesern nicht vorenthalten zu dürfen glaube.

    „Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben;
    Ich fühl’s an meines Herzen mattem Schlage;
    Hier steh' ich an den Marken meiner Tage.
    Gott, wie du willst, dir hab ich mich ergeben!

    Viel goldne Bilder sah ich um mich schweben,
    Das schöne Traumbild wird zur Todtenklage.
    Muth! Muth! ‘was ich so treu im Herzen trage,
    Das muß ja doch dort ewig mit mir leben.

    Und was ich hier als Heiligthum erkannte,
    Wofür ich rasch und jugendlich entbrannte,
    Ob ich’s Freyheit, ob ich’s Liebe nannte,

    Als lichten Seraph seh’ ich’s vor mir stehen,
    Und wie die Sinnen langsam mir vergehen,
    Trägt mich ein Hauch zu morgenrothen Höhen.“

  8. Der 6. May war ein froher Tag für Gotha, ihr gelehrter Veteran, der Rath Becker kam aus seiner beynahe zweyjährigen Gefangenschaft von Magdeburg zurück.
  9. Ich und alle meine Nachbarn und Bewohner der umliegenden Gegend befürchteten jederzeit nichts mehr, als eine russische Retirade.
  10. Der Franzosen Verwüstungen giengen ins Weite; sie bedachten nie, daß ihre Nachfolgenden auch etwas haben wollten, wenn sie nur im Augenblicke befriediget wurden, die Andern mögen zusehen, wo sie etwas bekommen, dies war ihr unbarmherziger verwüstender Charakterzug, der ihnen schon im vorjährigen Feldzuge zum Verderben wurde, und der diese auch in diesem Jahre, spät erst bereuend, verdarb. –
  11. Das Christusbild wurde am 24. December wieder mit einer vermehrten Inschrift errichtet.
  12. Caulincourt, Herzog von Vizenza, Minister und Oberstallmeister Napoleons, Gesandter an mehreren Höfen, gehörte mit zu jenem großen verabscheuungswürdigen Kleeblatt, das Deutschland, so wie die eigene Nation, verdarb. Zur Würdigung seiner teuflischen Größe, folgender einziger Charakterzug: Er wurde als Page im Pallaste des Herzogs von Orleans mit dessen Sohn erzogen – sie waren Jugendfreunde, der Vater wurde guilliottonirt, und der Sohn mußte während den Schrecknissen der Revolution entfliehen. – Deutsche Fürsten gaben diesem letztern Aufenthalt und Sicherheit. Natürliche Rache kochte in der Brust des Sohnes. Napoleon glaubte sich nicht sicher. In ein neutrales friedliches Land, – Baden – drang eine Schaar Franzosen ein, Caulincourt an ihrer Spitze und verhafteten den jungen Herzog. „Caulincourt, du bist es?" waren die beynahe einzigen Worte dieses unglücklichen Prinzen, die die Empörung über den schändlichsten Undank auszustoßen ihn fähig ließen. Enghien wurde verhaftet, zu Mainz erschossen; aber laut verklaget heute noch die Geschichte diese That, Urheber und Vermittler verdammend. – –
  13. Dürok, Herzog von Friaul, Großmarschall des Pallastes, Sohn eines Notars, ward in der Revolutionszeiten Militär, als Capitain machte er den Feldzug in Egypten mit, wurde dann Gesandter in Berlin, schloß mit unserm verstorbenen Minister, Grafen Bose, den Frieden von Posen mit Sachsen und Pohlen, und blieb im Gefechte von Markersdorf bey Görlitz. – Er war ein einnehmender, schöner Mann, der schlechtesten keiner.
  14. Dieser wohlthätige und erfahrne Arzt, – ein geborner Sachse – war in rußischen Diensten, wurde gefangen, verlohr dabey seine nicht unbeträchtliche Bagage, und wurde vielleicht nur aus Mangel der Feldärzte bey dem Sächsischen Lazareth angestellet; er handelte da als braver Mann, errettete viele vom schmählichsten Tode – sein Sinn war jedoch jederzeit in sein zweytes Vaterland zurückzukehren. –
  15. Die Kriegserklärung Oesterreichs erfolgte am 15. Aug.
  16. Der Krieg bessert die Menschen nicht, er verschlimmert sie – der Beweis ergiebt sich täglich; ja ich glaube, jetzt wäre ich im Stande, dieses Geld selbst in höchster Lebensgefahr vom Altar zu nehmen und zu rauben.
  17. Was ich dazumal vermuthete, bekräftigten ihre eigenen Worte, die ich jetzt erst mehr denn nach Jahresfrist von dem Wirthe, bey dem mehrere dazumal im Quartier zu liegen kamen wieder erfuhr, nehmlich: daß ich gescheut genug seyn würde, meine Maasregeln zu treffen. Wer traue? kamen die Verbündeten am Donnerstage in die Stadt, wer weiß, vor Verantwortung gesichert, was geschehen wäre? Doch zum Opfer war ich einmal auserlesen; mich sollte der Krieg nicht beglücken. Ehrlichkeit, Dummheit oder Schwachheit, – wer entscheidet! – bestimmten meine Handlungen?
  18. Was ich anzudeuten glaubte, wurde am 8. November 1814 unter Fürst Repnins Leitung zwar auf eine andere Art, doch schöner und mit den größten Feyerlichkeiten erfüllet.
  19. Feind war der Name meines Nachbars.
  20. Außerordentlich viel böhmische Weiber mit Tragkörben und andere Nachzügler folgten den östreichischen Truppen, diese waren unsere größten Verderber.
  21. Moreau, ehemals Parlamentsadvokat – wurde gezwungen, während der Revolutionszeit Kriegsdienste zu nehmen. Durch seine ausgezeichneten Talente erhob er sich bald zur Würde eines kommandirenden Generals. Während der Abwesenheit Buonapartes, und während dessen Feldzug in Egypten übertrug man ihm den obersten Kommandostab über die Nordarmee. Im Jahre 1801 fragte Buonaparte den General Lannes: „an wen würden sich die Franzosen wenden, wenn ich stürbe?“ „An Moreau,“ entgegnete Lannes. Buonaparte wurde leichenblaß, und von diesem Augenblicke an ward Moreaus Untergang beschlossen – Dieses letztern Feldherrntugend, dessen Menschlichkeit wurde von allen, von Freund und Feind, anerkannt und gewürdiget. Die Höllenmaschine, Buonapartes eignes Werk – Pischegrues gewaltsame That, der sich, wie die Geschichte aussagte, erhing, stillschweigend, jedoch im Gefängniß, erdrosselt wurde; Georges Hinrichtung, führten im gerecht seyn sollenden Prozesse Moreaus Exilirung herbey. Dieser wendete sich, nothgedrungen, nach Amerika; die Leiden seiner unterdrückten Nation, die Leiden des ganzen Europas gingen ihm zu Herzen – er kam zurück – und endete auf unsern Fluren.
  22. Das Bemerkenswerthe in vorhergehenden, diesen und folgenden Gefechten war, daß Napoleon den Preußen nie zu viel trauen zu dürfen glaubte; er warf sich jederzeit mit seiner Uebermacht über sie her; er drängte sie zwar hie und da zurück, doch niemals siegte er, und zerscheiterte selbst an der hohen deutschen Felsenklippe, die nicht allein Preußen, sondern auch in der Folge Sachsen, Bayern und Würtemberg und andere mehr dem Tyrannen im deutschen Hochgefühl entgegenstellten, ja entgegenstellen mußten. –
  23. Erinnert Euch, Dresdens Bürger! an jene Tage. Diese Unglücklichen wühlten in Kothhaufen; ein Pferdekopf war ihnen ein köstliches Mahl.
  24. Die erste Gemahlin Napoleons, der er Alles zu verdanken hatte.
  25. Was Vandamme selbst bey seinem Kaiser galt, beweist Napoleons Unterredung mit dem gefangenen österreichischen General, Grafen Meerfeld. Jener äußerte nehmlich zu diesem, daß er sogleich aus seiner Gefangenschaft könne entlassen werden, wenn man dafür Vandamme zurückgebe. „Ich weiß gar nicht,“ setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, „was man eigentlich gegen Vandamme hat? – freylich, wenn ich zwey Vandamme hätte, den einen davon müßte ich erschießen lassen.“
  26. Wo kein Hehler ist, da ist auch kein Stehler; ein altes, wahres Sprüchwort, und die Entschuldigung: bin ich es nicht, so ist’s ein Anderer, konnte und durfte nicht statt finden. Die Bereicherungssucht der Wirthe der Einquartirten, kaufte ohne Unterschied alles zusammen; sie gereichte der ganzen umliegenden Gegend zum Verderben; der geldgierige Franzose wiederholte nun an jedem Morgen, des Absatzes gewiß, die nehmliche That.
  27. In unserm Hofe wurden von den französischen Metzgern 8 – 9 Stück Rinder todtgeschlagen und ausgeschlachtet; fast vor deren Augen, gingen im nemlichen Augenblicke, einige Gardisten hin, führten ein Stück Rind weg, und verbargen es in des Oeconomiepachters tiefen Keller. Die Metzger suchten überall und fanden es nicht; die Kuh blieb der Soldaten Beute.
  28. Im Dorfe Plauen geschah ein ähnliches Kunststück. Ein ehrlicher guter Franzose rieth den wohlhabendsten Bauern im Dorfe, ihr Vieh in die Hofmühle daselbst zu schaffen. Die beängstigten Landleute thaten es – und am andern Morgen führten die Franzosen 34 Stück Rinder weg. Wie mag jener ehrliche gute Freund gelacht haben? – ob er jetzt noch sich seiner Heldenthat erfreuen kann?
  29. Die mehrsten unter ihnen waren Rheinländer, Deutsche.
  30. St. Cyr war Commandant, Graf Dürosnel Gouverneur, Graf Dümas Generalintendant, der Minister Serra mit geheimen Instructionen alle drey beobachtend. Er starb, vielleicht zu Dresdens Glücke, in den ersten Tagen des Novembers – man sagt – aus Kränkung.
  31. Vergleiche man hiermit die von unsern Vorfahren so verschrieenen Scenen des siebenjährigen Krieges; dort blieb dem Landmanne Dach und Fach, der Soldat hatte das Seine; Magazine folgten den verschiedenen Armeen, und der mitleidige Soldat theilte oft mit dem hungrigen Landmanne; wie jetzt? – häuften sich die Ungemache, Bürger, Bauer und Soldat erlagen leicht dem gräßlichen Schicksale des Hungers Martertodt.
  32. Bey jedem russischen Armeekorps und einzelnen Truppen waren jederzeit Offiziere, die deutsch sprechen konnten.
  33. Der dumme Midas wünschte alles, was er anrührte, in Gold verwandelt zu haben. Die Götter erfüllten seinen Wunsch, und er mußte für Hunger sterben.
  34. Er wurde in einen Hirsch verwandelt.
  35. Bey den Gastmälern der Großen in Abyßinien wurde und wird bis jetzt noch ein gemästeter Ochse vor die Zimmerthüren geführet, die geschäftige Dienerschaft schnitt diesem armen Thiere bey lebendigem Leibe die besten Leckerbissen heraus, rauchend wurde das rohe Fleisch auf die Tafel gebracht, klein geschnitten und in eine Art Blinzen gewickelt; so fütterte nun die Dame den Herrn und der Herr die Dame. Man denke sich das Gebrülle des gemißhandelten Thieres. - -
  36. Wie viel Napoleon auf seine Soldaten hielt, beweißt folgende Anekdote, so wie auch, daß er seinen Bataillons die Wagen, die zu Arzneymitteln, Bandagen, Charpie und dergl. bestimmt waren, wegnahm, und ihnen bloß ein Packpferd bewilligte. Nähere Auskunft giebt die in der Arnoldischen Buchhandlung herausgekommene Schrift: „Napoleon in Dresden und dessen Gespräch mit dem Minister Darü.“ Die erwähnte Anekdote ist diese: Napoleon besuchte seine Lazarethe, und fragte nach allen möglichen, seyn sollenden Besorgungen. Die Inspectores, die Ober- und Unterübelaufseher versicherten, daß alles in sehr gutem Stande sey, an nichts wäre Mangel, nur an Charpie fehlete es. Wie? sprach entrüstet Napoleon, habe ich nicht so viel tausend Franken dazu hergegeben? - wo ist der Intendant? Zitternd kam dieser, und empfing die härtesten Schmähworte, der schweren Untersuchung nun gewärtig. - „Sie werden nicht gehenket, flüsterte ein Begleiter Napoleons ihm zu, denn er hat nicht einen Denar hergegeben.“
  37. Diese Scharfrichterei hatte ein trauriges Schicksal, gleichfalls mit uns allen zu erleben. Schon im Monat August von zwey Schanzen bestürmet, wo sich die Kugeln kreutzweiß begegneten, wurde diese zum Skelet. Nach der Schlacht wurde sie von französischen Chirurgen und Metzgern besetzt. In den Stuben wurde amputirt, indeß - man auf der Hausflur das Rindvieh schlachtete. Menschen- und Thierblut stoß zusammen. Die so rechtlichen Bewohner jenes Gebäudes mußten gleichfalls in den letzten Tagen des Monats October entweichen; auch sie betrauern mit uns jene Schreckens- und Vertilgungsscenen, wovon mancher Dresdner Bürger keinen Begriff haben kann. Wohl diesem! -
  38. Bey dem Abbrennen der Spiegelmanufaktur gingen nur allein an Glas für 30-40tausend Thaler am Werthe zu Grunde.
  39. Die Truppen bestanden aus 1 Marschall, 11 Divisionsgeneralen, 20 Brigadegeneralen, 1759 Offiziers, 27,714 Soldaten aller Waffengattungen, und außerdem 6,013 Mann, die sich in den verschiedenen Lazarethen befanden. Sie hinterließen 25 Haubitzen, 8 Mortiers und 69 Kanonen, ferner 26 Haubitzen und 117 Kanonen als Artillerie de la place; zusammen 245 Stück.
  40. Der Gouverneur Dürosnel erhielt einen anonymen Brief, in welchem er aufgefordert wurde, die Stadt ja nicht so bald zu übergeben! Man hätte mehrere Fälle des schleunigsten unverhofften Ersatzes, die Stadt selbst wäre in ihren Drangsalen noch nicht aufs Aeußerste gebracht, und er und die andern Behörden würden dann der größten Verantwortung schuldig und gewärtig seyn. - Wen empöret nicht der Inhalt dieses verruchten Briefes? -
  41. Die Dörfer, wo Oesterreicher standen, waren entfernter, sie empfanden gleichfalls der Belagerung Ungemach - doch so nicht, wie wir. Jene dürfen sich noch nicht beklagen, wo Planken, Thüren und Fenster sind, die Besitzer dieser Häuser mögen sich gegen uns Glück wünschen. -
  42. Narbonne, Commandant von Torgau, wie man sagt natürlicher Königssohn Ludwigs XV. - ähnelte in seinen Gesichtszügen nur zu sehr seinem unglücklichen Halbbruder Ludwigs XVI. bey dem er in hoher Gnade stand, wiewohl Antoinette ihn wegen seines beißenden Witzes nie recht wohl leiden konnte. Der Graf Narbonne erhielt sich wärend der ganzen Revolutionszeit. Und bey Stuffe zur Stuffe des steigenden Napoleons, stieg er gleichfalls. Zuletzt, im vorigen Jahre war er außerordentlicher Gesandter am Wiener Hofe, und endlich wurde ihm die Vertheidigung von Torgau übertragen. Als Commandant that er seine Schuldigkeit, doch er bedrückte nicht die Unschuldigen. Er starb in den letzten Wochen der Belagerung Torgaus an einem unglücklichen Sturze vom Pferde - und man bedauerte ihn allgemein. - 64 Jahre seines Alters erreichte er in Ehren. - Narbonne konnte nicht schmeicheln. Das einzige Lob Napoleons, das über seine Lippen kam, war: ihm glückt alles; oft sagte er von ihm: sein Kopf ist ein feuerspeiender Berg. Noch öfter: es ist ein Starrkopf ohne Gefühl. Bey aller Menschlichkeit dieses Generals hatten oder haben noch die Todtengräber die Anforderung von 15,000 Thlr. für Bestattung der Todten, an die höchsten Behörden. Man denke sich die entsetzliche Lage der armen Einwohner. Weit unglücklicher war Wittenberg unter seinem schrecklichen Lapoype.
  43. Die aus Gründen nicht ausführlich erwähnten Vorfälle und Mißhandlungen, die in der Königsmühle vorfielen, wurden einzig und allein von zwey anführenden wendischen Knechten verübet. Einer davon ist jetzt erst gefänglich eingezogen worden, der zweyte treibt sein versteckteres Wesen fort, aber welche Vergehungen mögen sie indessen begangen, welcher Greuelthaten auf Rechnung der Russen sich schuldig gemacht haben!
  44. Hier fallen mir einige Bemerkungen ein: Schon als ich im May ausgeplündert wurde, zuckte man die Achseln und bedauerte; als ich im Monat August gänzlich das Meinige verlohr, machte man mir die Verwürfe, warum ich da geblieben und nichts in die Stadt geschafft hätte? - als ich im Oktober bey der Feuersbrunst und Kanonade wieder flüchten mußte, gab man mir die Lehre: es sey nicht gut, seine Behausung zu verlassen. Ich eilte gleich nach aufgehobner Belagerung wieder zu meiner Wohnung, ich überstand diesen russischen Bivouaq, und man versicherte mir: man dürfe in seinen Dingen nicht zu voreilig seyn, und müsse alles erst gehörig und hübsch mit abwarten. Diese Bemerkungen erinnern mich wieder an die Aeußerung jener Fürstin, der man den Brodmangel und die Hungersnoth der Unterthanen vorstellte: „Du lieber Gott!“ rief jene im Gefühle ihres Herzens aus: „warum essen denn die Kinderchen nicht Semmel und holländischen Käse?“
  45. Dieser Bivouak übernahm einen Theil der französischen Gewehre, die die Franzosen bey der Uebergabe zurücklassen mußten, die dazumal im Spießischen Caffeehause aufbewahret waren.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. in der Vorlage: soleich
  2. handschriftlich korrigiert zu 13.
  3. in der Vorlage: verknüft
  4. a b c in der Vorlage so geschrieben, evtl. fehlt nicht gedrucktes "i" oder Leerraum ist zu viel
  5. Napoléon d'or: französische Goldmünze
  6. Schimpfwort, vgl. Heyse’ allgemeines verdeutschendes und erklärendes Fremdwörterbuch, 15. Auflage. Hannover 1873, S. 125 Google
  7. in der Vorlage: Hüflosigkeit
  8. Arbeitern
  9. in der Vorlage: vereuchte
  10. vermutlich: ob
  11. Die beiden folgenden Seiten sind fälschlicherweise wieder mit 144/145 nummeriert und werden als 144A bzw. 145A geführt.
  12. in der Vorlage: Erwähnnng