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Karpathen-Menschen (Die Gartenlaube 1880)

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Textdaten
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Autor: F. Sch.
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Titel: Karpathen-Menschen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10–12, S. 166–168, 179–182, 198–200
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Karpathen-Menschen, 1877
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[166]
Karpathen-Menschen.
2. Paulu, der Vergeßliche.
Von F. Sch.


Nach mehrwöchentlichem Umherwandern hatte ich wieder einmal festen Wohnsitz auf einem der zahl- und namenlosen, tief in’s Rumänenland sich erstreckenden Ausläufer der Karpathen genommen, einem gar heimlichen, erquickenden Stück Erde. Die gleich einer ruhenden Meereswoge gestaltete Bergkuppe selbst, auf welcher ich hauste, bot den anmuthigsten Wechsel von sammtgrünen Wiesenteppichen und dunkelschattigen Waldpartien, durch welche reizende Pfade neben lustig plätschernden Silberbächen führten, ringsum aber gab es prächtige Bergformen, grotesk zerklüftete Felsenwände und brausende Sturzquellen zwischen Triften mit weidenden Heerden und idyllischen Hütten. Was letztere betrifft, so wußte ich freilich aus Erfahrung, daß sich das „Idyllische“ derselben auf ihre Außenseite beschränkte, wie denn das Innere der von mir zum Aufenthalt erkorenen Hütte mir beim ersten Eintritte eher dem Gedeihen räucherungsbedürftiger Speckseiten, als demjenigen menschlicher Wesen förderlich erschien.

Als mir jedoch Margita, ein wunderhübsches Kind der Berge, das hier als rumänische Vestalin den ewigen Rauch des Herdfeuers unterhielt, frisch und rosig wie eine von der Sonne reif geküßte Aprikose entgegenlächelte, erkannte ich meinen Irrthum, rieb die brennenden Augen und blieb.

Diesen Entschluß bereute ich nicht; denn so widerwärtig das zweite weibliche Wesen in der Hütte, die Mutter Dordona war – Margita’s heiteres Walten bewirkte, daß ich das stete Rumoren der Alten schließlich gleichmüthig hinnahm.

Ueberdies hatte ich in dem Diener des Hauses, auf welchem Dordona’s Knochenhand mit voller Schwere lastete, ein wahres Muster von christlicher Ergebung vor Augen. Dem gutmüthigen Burschen, der sich trotz seines etwas einfältigen Gesichtsausdruckes als einer der tüchtigsten Führer in den Karpathen erwies, schien das Gekeife der Alten kaum störender, als dem Müller das Klappern der Mühle, und selbst wenn die Alte dem Kleingewehrfeuer scharfer Worte das grobe Geschütz von Feuerbränden oder eisernen Kesseln folgen ließ, wich er diesen mit demselben verbindlichen Lächeln aus, mit dem etwa der galante Städter einer ihm auf den Fuß tretenden Dame sein „Bitte, es war mir ein Vergnügen!“ erwidert.

An Veranlassungen zu solchen Gefechtsübungen fehlte es um so weniger, als Paulu an einer wirklich hochgradigen Vergeßlichkeit litt, deren Ueberraschungen, an und für sich nur komisch, Frau Dordona aus irgend welchem mir damals noch nicht erklärbaren Grunde stets in unbeschreibliche Wuth versetzten.

Saß der arme Bursche während der Mittagsruhe beim Herdfeuer, gedankenvoll und schweißtriefend, bis ihn Margita [167] lächelnd an den ihn ganz und gar einhüllenden Schafpelz erinnerte, so gab es schon der giftigen Scheltworte genug, vergaß er aber den Vorrathssack zur Bergfahrt oder die Axt, wenn er Brennholz bringen sollte, dann galt es gewandt zu sein, sollte ihm nicht der Sack oder gar das Beil an den Kopf fliegen.

Es war auf der Heimkehr von einer jener Bergfahrten. Wir hatten ein tüchtiges Stück Arbeit hinter uns und badeten nun nach des Tages Hitze, behaglich abwärts schlendernd, Stirn und Brust in den kühlen Lüften, welche im Hochgebirge die sich neigende Sonne begleiten.

Paulu, mein treuer Gefährte und Führer, schritt schweigend neben mir her. Er war tagsüber heiter gewesen wie immer, jetzt aber zeigten auch die stumpfsinnigen, obschon hübschen Züge des Hirten einen Ausdruck von Schwermuth, der mein Interesse erweckte.

„Du scheinst Dich eben nicht nach dem Herde der Frau Dordona zu sehnen,“ fragte ich, seine trübe Stimmung deutend.

„Doch, Herr, es geht mir nur wie dem Hunde, den die volle Schüssel erwartet, aber auch die Peitsche.“

Sonderbar, das klang keineswegs einfältig, im Gegentheile deutete der Ton der Antwort auf einen tieferen Sinn der Worte.

„Höre, Junge,“ sagte ich, das Schweigen des Burschen zu brechen, „an Deiner Stelle litt’ mich’s nicht acht Tage in Frau Dordona’s Hütte; solch flinkem Hirten stehen wohl noch andere Thüren offen.“

„Richtig, Herr! Könnte auch frei leben, wie der Fisch im Wasser, aber – ja so ist’s: wenn die Forelle nach der Fliege schnappt, muß sie sich auch den Angelhaken gefallen lassen.“

„Und die Fliege ist?“

„Margita, Herr. Ihr habt’s wohl längst bemerkt.“

„Wahrlich, nein! Ihr thut eben nicht wie Verliebte.“

„Ja nun, Herr, Frau Dordona’s Feuerbrände sind nicht von Butter; man schickt sich; ich bin der Knecht und weiter nichts bis zum Hochzeitstage – so lautet die Abrede.“

„Und der Hochzeitstag?“

„Nach dem nächsten Wurfe.“

„Nach dem nächsten Wurfe?“ wiederholte ich verwundert.

„Ja so, Ihr versteht mich nicht,“ erwiderte Paulu, dem wohl die süße Abendfeierstunde der Natur das Herz auf die Zunge legen mochte; „seht, Herr, Margita war fast noch ein Kind, als ich zum ersten Male um sie warb, denn der alte Golo, Dordona’s Eheherr, war mir gut und hätte mich gerne zum Schwiegersohn gehabt. Der alte Narr hatte aber ein Weib gefreit – na, Ihr kennt sie ja, Herr – das um dreißig Jahre jünger war, als er, und ihn vom Hochzeitstage an so kurz an der Stange hielt, wie der Fuhrmann einen blinden Sattelgaul; als er mir also als Brautwerber einen Sitz am Tische anweisen und durch Margita Eier und Milch auftragen lassen wollte, da ergriff Dordona den glühenden Feuerhaken und jagte den Hausherrn sammt seinem Gaste zur Thür hinaus, mir höhnisch nachrufend, wenn ich einmal so viel Schafe mein nenne, wie Margita zur Mitgift bekomme, dann möge ich wieder anfragen. Es war ein schlimmer Tag, Herr, aber ich dachte: guter Käse braucht Zeit, und endlich findet sich zu jeder Hacke ein Stiel.“

Es dunkelte schon ein wenig, weshalb Paulu die Heiterkeit, welche seine drastischen Vergleiche und Sprüche in Erinnerung des guten Sancho Pansa bei mir hervorriefen, nicht bemerkte und nach kurzer Pause fortfuhr:

„Nun hört, Herr, was noch selben Herbst geschah! Der alte Golo zog, wie alljährlich, mit seinen Heerden hinab in’s Türkenland, wo es im stärksten Winter noch Weide giebt, im Frühjahr aber kam statt seiner die Nachricht heim, er sei dort von Räubern erschlagen worden. Viele beklagten den guten Alten, Andere aber meinten – und ich halte es mit ihnen – er sei nur seinem bösen Weibe durchgebrannt, bei welcher es für ihn mehr Scheltworte als Speck zur Malaia (eine Art Maisbrod) gab. Na, Gott der Herr allein weiß es! Dordona aber zerriß vor Schmerz ihr bestes Hemd, als jedoch auch die Knechte mit den Schafen ausblieben, da raufte sie sich gar den halben Scheitel so kahl, wie der des Dialu Pietru (Steinberg) ist. Fällt das Holz im Walde, so ist gut Hütten bauen, dachte ich, und klopfte abermals an Dordona’s Thür. Hei, Herr, da hättet Ihr das süß-saure Gesicht der Wittwe Golo’s sehen sollen! Wahrhaftig, es glich auf ein Haar dem des hungernden Geiers, welchem statt des entgangenen fetten Hasen eine magere Maus unter die Krallen läuft. Ich sei ihr ganz willkommen, meinte sie, doch als Schwiegersohn nicht eher, als bis die Nachkommen meiner und der wenigen Schafe, die Golo daheim gelassen, die Zahl der Tage im Jahre erreichten. Was konnte ich dagegen thun, Herr? Margita’s liebes Gesicht winkte mir so appetitlich roth und weiß wie – ach, Herr, ich meine, fast wie einst der Apfel im Paradiese unserm Herrn Stammvater, Gott habe ihn selig!“ „Amen, mein Junge!“ sagte ich, nun doch herzlich auflachend. „Hoffen wir jedoch, daß Dir Margita’s Gesichtchen besser bekomme, als Adam der Apfel.“

Auch Paulu[WS 1] lachte, fiel indeß bald wieder in sein früheres trübes Schweigen, bis ihn meine weitere Frage, wie lange seine Dienstzeit bei Golo’s Wittwe währe, auf’s Neue anregte.

„Hundert Jahre, Herr,“ rief er seufzend, „denke ich an die Mutter; kaum eine Stunde, gedenke ich der Tochter, es mögen aber ihrer sieben Jahre sein, und weiß Gott, Herr, ich hätte darüber graue Haare bekommen, wäre Margita nicht; denn seht, Herr,“ fuhr er eifrig fort, „es giebt viele hübsche Mädchen hier in den Bergen, doch der Margita kommt keine gleich, und blicke ich in ihre großen schwarzen Pechaugen – dann vergesse ich Alles.“

„Auch den Pelz am Leibe, den Vorrathssack und die Axt obendrein,“ schloß ich heiter, erschrak aber im nächsten Moment über die seltsame Wirkung meiner Worte, denn Paulu war plötzlich stehen geblieben und starrte lautlos vor sich hin, während seine Hand krampfhaft in dem langen Haare wühlte.

„Herr des Himmels,“ stammelte er, „meine Tabakspfeife!“

„Nun, was ist’s mit ihr?“ fragte ich erleichtert aufathmend.

„Sie liegt auf der Spitze des Dialu Pietru.“

„Sonst nichts?“

„Doch, Herr, auch das lange hohle Ding, das ich hinauftrug und mit dem Ihr die Berge und Häuser heranzaubert,“ gestand Paulu kleinlaut.

Das war freilich schlimm, denn das Diopter-Perspectiv war ein kostspieliges Instrument, und bis zur Höhe des Pietru war ein beschwerlicher, vierstündiger Marsch zurückzulegen. Paulu jedoch wandte sich schon zum Rückwege.

„Gute Nacht, Herr!“ sagte er; „meines Vaters Pfeife soll nicht zum Spiele der Winde werden, und auch Ihr sollt bis morgen Euere Zauberröhre wieder haben.“

„Unsinn, Paulu, bedenke die Wölfe und daß Du heute schon acht Stunden marschirtest!“

„Fürchtet nichts, Herr! Das müßten dumme Wölfe sein, die nach Menschenfleisch jagten, so lange auf jeder Alpe fette Hammel weiden, was aber das Marschiren anbelangt, so sollt Ihr sehen, daß Paulu’s Füße mehr taugen als sein Kopf.“

Damit ging der Bursche leichten hurtigen Schrittes von dannen, als gäbe es für seine Muskeln weder Müdigkeit noch Abspannung, während ich, dem häuslichen Herde der Frau Dordona zuwandernd, Gedanken nachhing, welche der unerwartete Einblick in das Geistes- und Gemüthsleben eines anscheinend so stumpfen Menschen hervorgerufen.

Die natürliche Folge von Paulu’s Mittheilungen aber war meine erhöhte Theilnahme für ihn und eine Art von Protectorat, welches damit begann, daß ich denselben Abend des verliebten Burschen Vergeßlichkeit auf mich nahm und damit den Grimm seiner künftigen Schwiegermama beschwichtigte, wofür mich ein dankbarer Blick aus Margita’s großen, schwarzen „Pechaugen“ lohnte. Schon im Laufe der nächsten Tage aber erweiterte sich der Wirkungskreis dieser Protectorstelle derart, daß ich Frau Dordona’s Aufmerksamkeit während eines ganzen Abends durch die kühn erfundene Beschreibung einer mörderischen Schlacht von dem kosenden Paare abzulenken suchte; ja, so viele Todte und Verwundete gab es in jener Schlacht, daß Dordona mehr als einmal die Hände über dem Kopf zusammenschlug, während Margita die ihrigen um den Hals des glücklichen Paulu schlang und – nun, Gott Amor möge das Opfer vergelten!

Allein Tage und Wochen schwanden, und so mußte es endlich – trotz meiner wachsenden Theilnahme und Spannung auf das Resultat des von Paulu als entscheidend bezeichneten „Wurfes“ – geschieden sein.

Eines heiteren Augustmorgens verließ ich Frau Dordona’s Hütte, nachdem mich deren trübe Abschiedsmiene bei Empfang meines gemünzten Dankes lebhaft an Paulu’s Gleichniß vom

[168] Geier erinnert und Margitens schaffensharte, doch wunderhübsche kleine Hand traulich in meiner Rechten geruht hatte.

Von Paulu hatte ich schon Tags zuvor Abschied genommen, da er die Nacht über bei seiner Heerde weilte, deren Ueberwachung er jetzt nur ungern einem anderen Hüter überließ. Doch sah ich ihn auf dem Wege gegen Norden, in welcher Richtung mein neuer Wohnsitz lag, mitten unter seinen Pflegebefohlenen auf einem Felsstücke sitzen.

Die schlichte Gestalt des einfältigen Hirten erschien mir durch den Zauber der Liebe wie poetisch verklärt, und als bald darauf die Töne eines nationalen Liedchens aus Paulu’s eigenhändig angefertigter Hirtenflöte das Echo der Berge weckten, erst wehmüthig klagend, dann feurig triumphirend, wie im Vorgefühle naher Erfüllung heißer Wünsche, da sprachen diese einfachen rauhen Naturlaute – ich gestehe es offen – beredter zu meinem Herzen, als die künstlichsten Sonette Petrarca’s, die glänzendsten Liebesarien unserer Primadonnen.

Armer Junge! Und doch war ihm der verdiente Lohn seiner Treue noch keineswegs gesichert; denn Dordona war, nach verschiedenen Aeußerungen zu schließen, auch nach Erfüllung ihrer Bedingung durchaus nicht geneigt, den fleißigen, willigen Knecht zum Herrn zu erheben, und spielte mit ihm, wie Paulu sagen würde, das Spiel der Katze mit der Maus.

Selbstverständlich behielt ich diese Erkenntniß für mich – wozu auch vorzeitig das Glück zweier Liebenden stören, diesen schönsten und leider flüchtigsten Theil des flüchtigen Lebenstraumes! – –

Etwa vierzehn Tage später erhielt ich durch einen Landboten das allmonatliche Post-Aviso aus Rimnik zur Behebung der dort eingelaufenen Verpflegungsgelder, welches Geschäft ich in Ermangelung einer verläßlichen Verbindung stets persönlich besorgte. Von meinem jetzigen Aufenthalte aus mußte ich zwar – zumal mir der größere Theil des Weges neu war – zwei Tagereisen mit unterlegten Pferden rechnen, doch blieb mir keine Wahl, und so wollte ich an einem der nächsten schönen Morgen eben mit meinem Diener zu Pferde steigen, als ich auf dem schmalen Saumwege, welcher zu der von mir bewohnten Hütte führte, einen Menschen herankeuchen sah, dessen Gang und Haltung ebenso sehr höchste Eile wie äußerste Ermüdung verrieth. Fast bestürzt zog ich den Fuß wieder aus dem Steigbügel; denn der Ankömmling, der nun bleich und verstört vor mir stand, war kein Anderer als – Paulu.

[179] „Was ist's, Junge? Hat's ein Unglück gegeben?“ sprach ich.

Paulu schüttelte verneinend den Kopf mit den langen Haarlocken, welche wie die Zweige eines vom Sturme zerzausten Baumes umherhingen.

„Ist der Wurf mißglückt?“

Abermaliges Kopfschütteln folgte; erst als der sichtlich Erschöpfte ein Glas Rum, das ich ihm reichen ließ, in hastigen Zügen getrunken, lösten sich gleichsam die Worte von der schwer athmenden Brust.

„Es ist nichts, Herr – nur ein Narr, und ein altes schlechtes Weib – aber glaubt mir, das Geschwätz der Elster oder das Knarren der Windfahne ist verläßlicher, das Gekrächz des Todtenvogels glückbringender als –“

Armer Junge! Er lachte auf wie geistesverwirrt, und in der Einfalt seines Gesichtsausdruckes lag nun ein Zug von Wildheit, der mich fast erschreckte.

„Wohl, Paulu, aber was kann ich für Dich thun?“ meinte ich begütigend.

„O Herr!“ rief er plötzlich, um im nächsten Augenblicke wieder mit stier auf einen Punkt gerichtetem Blicke hinzuzufügen: „Nichts, Herr – ich kam nur, weil – ja weil ich hörte, Ihr wolltet nach Rimnik heimreiten, und ich dachte –“

„Nun, was dachtest Du?“

„Ja seht, Herr, es ist ein weiter Weg für Fremde; darum nehmt mich mit! Und ich will des Teufels sein, wenn –“ Und wieder hielt er inne mit wirrem Blicke.

Sein Geist glich einem Uhrwerk, dessen beschädigte Räder nur noch stoßweise fungiren, doch war dies nach dem Fehlschlagen jahrelang gehegter Hoffnung leicht erklärlich und die Anhänglichkeit des armen Burschen um so rührender, der bei alledem so weit hergelaufen war, um mir als Führer zu dienen.

Es wäre thöricht und grausam zugleich gewesen, das Anerbieten [182] war; zwar wußte ich, daß Hirten und Bauern, welche nicht zugleich – berechtigt oder unberechtigt – Schützen waren, der Wölfe, Bären und Hexen wegen Nachtmärsche nur im Drange der Noth und dann truppweise vereint unternahmen, weshalb Paulu’s Vorschlag mich einigermaßen überraschte, indessen der Bursche hatte sich schon als ungewöhnlich muthig erwiesen, außerdem aber schien mir die Idee eines Nachtrittes in diesem wild-romantischen Gebirge so reizend, daß ich ohne weiteres darauf einging und ihn beauftragte, die Pferde Abends wieder bereit zu halten. Die Aussicht, auf dem Rückwege den sengenden Strahlen der Sonne zu entgehen, erleichterte die Leiden des Burschen so sehr, daß er mehr wie einmal zu einem fröhlichen Liedchen anhub, um jedoch jedesmal nach wenigen Tönen kurz abzubrechen, ähnlich dem verwundeten Vogel, der gleichwohl den gewohnten Gesang nicht ganz zu unterdrücken vermag.

Dagegen schien der Himmel mit unserem Plane keineswegs einverstanden. Kurz nach unserer Ankunft in Rimnik ballten sich gewaltige Wolkenmassen am Horizonte zusammen, und eben als ich meine Geschäfte beendet, ging ein so wuchtiger Gewitterregen nieder, daß ich meinerseits die nächtliche Rückkehr aufgab.

Paulu war jedoch anderer Meinung. Kaum daß der heftigste Regen nachgelassen, erschien er im Wirthshofe mit den nach meinem Befehle gesattelten und gezäumten Pferden und wartete dann, sich mit nachlässiger Behaglichkeit an seine stämmige Stute lehnend und seiner geliebten Pfeife Rauchwolken entlockend, gerade so, als lachte der blaue Himmel über uns.

Es donnerte, als ich zu ihm hinaustrat, während der Wirth und die anwesenden Gäste neugierig in die Veranda an der Hofseite des Hauses eilten.

„Schlimmes Wetter, Paulu!“ sagte ich bedauernd.

„O, nur etwas naß, Herr!“ erwiderte er, gleichmütig den Steigbügel an meinem Sattel zurecht rückend.

„Hm, und Du meinst, daß es morgen wieder heiß werden wird?“ fragte ich als letzten Versuch, das unerfreuliche Douchebad abzuwenden.

„Sehr heiß, Herr! So ’n paar Tropfen sind eine wahre Wohlthat dagegen,“ versicherte Paulu, mir die Zügel übergebend.

In diesem Augenblicke erhoben sich gleichzeitig ein halb Dutzend warnende Stimmen von der Veranda her. Wirth und Gäste beschworen mich, ein Vorhaben aufzugeben, dessen Ausführung unter allen Umständen ein Wagestück, bei solchem Wetter jedoch geradezu eine Tollheit wäre.

„Stadtleute und alte Weiber schwätzen viel,“ versetzte Paulu auf meinen fragenden Blick. „Doch wenn Ihr glaubt, Herr?“

In der Miene des Burschen lag bei dieser Frage ein Ausdruck des Spottes, dessen ich diese einfältigen Züge nicht fähig gehalten hätte. Meine Antwort bestand darin, daß ich mich in den Sattel schwang und zum Thore hinausjagte; es war doch gar zu ärgerlich, daß ein Hirtenjunge an meinem Muthe zu zweifeln wagte.

Und als ob die Berghexe, deren Zaubermacht nach Paulu’s Versicherung das Unwetter herbeigeführt, unserem entschlossenen Vorgehen gegenüber das Vergebliche ihrer Bosheit eingesehen hätte, zertheilte sich, als wir das Städtchen im Rücken hatten, das dunkle Gewölk, um uns nochmals das strahlende Antlitz der Frau Sonne erblicken zu lassen, welche eben mit warmem Abschiedslächeln hinter den Bergen verschwand. Auch die erst von dichtem Nebel verhüllten Höhen prangten wieder in blauer oder violetter Feiertracht, und der rasche Ritt in der ozonreichen reinen Luft war so erfrischend, daß ich mit Paulu’s Hartnäckigkeit vollkommen versöhnt war.

In der würzigen Abendfrische schien der arme Bursche Kopf- und Leibschmerzen gleichzeitig vergessen zu haben; denn während des munteren Trabes unserer Thiere war er geradezu unerschöpflich an lustigen Liedchen.

So erreichten wir das Bergdorf in heiterster Stimmung. Im Hause des Richters, wo wir unsere ursprünglichen Pferde wieder eintauschten, wiederholte sich die Scene vom Gasthause in Rimnik. Der alte Mann und dessen Hausgenossen schilderten die Gefährlichkeit des Riu rou (Wilder Bach) nach solchem Wetter und die Blutgier der Wölfe, gerade jetzt, wo die Schafheerden ihre Hauptnahrung, von den Alpen abgetrieben seien, in den lebhaftesten Farben, und Ersterer drang in gutmüthigster Weise in mich, die Nacht in seinem Hause vorlieb zu nehmen. Auch war ich nahe daran, auf den gutgemeinten Vorschlag einzugehen, als Paulu mir leise zuraunte:

„Wahrlich, Herr, die braune Suppe dort im Mamaligakessel des Richters scheint mir noch gefährlicher als das Wasser des Riu rou, und was die Wölfe anbelangt, so müßt Ihr selbst schon verspürt haben, daß es hier im Hause von Thieren wimmelt, die noch weit blutgieriger sind.“

Des Burschen Bemerkungen waren leider treffend; das würdige Oberhaupt des Dorfes mochte ein herzensguter Mann sein, allein in seinem Hause waltete keine Margita.

Vorwärts also! Die Gefahren, über welche Paulu so heiter scherzte, konnten nicht schlimmer sein als eine schlaflose Nacht.

Unter den Segenswünschen der Männer und eifrigem Kreuzeschlagen der Weiber ritten wir in die dunkle Nacht hinaus, auf immer rauheren Wegen zwar, doch ungehindert, bis nach etwa einstündigem Ritte sich das Rauschen des Riu rou vernehmen ließ und bald darauf die Pferde weiteres Vorschreiten hartnäckig verweigerten. Als wir dieselbe Stelle Vormittags passirten, wurden kaum die Hufe derselben benetzt, jetzt aber sahen wir, so weit unser Blick in die Dunkelheit drang, nur eine bräunlich schmutzige Wassermasse, welche unheimlich wirbelnd und gurgelnd an uns vorüber toste.

Paulu trieb sein Pferd so ungestüm dem Wasser zu, daß es, sich hoch aufbäumend, jeden Augenblick zu überschlagen drohte.

„Höre, Paulu, das Thier scheint klüger zu sein, als sein Reiter,“ sagte ich unwirsch über die Quälerei.

„Oh, oh,“ protestirte jedoch dieser, „behext ist es, und darum wasserscheu wie ein altes schmutziges Weib, doch Gott schlage mich, wenn Ihr es nicht gleich wie eine Ente plätschern seht.“

Damit sprang der Bursche aus dem Sattel und bis zum Gürtel in die reißende Fluth. In der That wirkte das gute Beispiel derart, daß nun beide Thiere willig in das nasse Element stiegen und uns – Paulu hatte sich sofort wieder in den Sattel geschwungen – muthig vorwärts trugen. Ich hatte den glücklichen Einfall, meine Pistolen aus dem Halfter zu ziehen und in der Brusttasche zu bergen, um sie vor dem Naßwerden zu schützen. Sie wären, wie sich sofort zeigte, diesem Schicksal sonst zweifellos anheimgefallen.

Es war ein unheimlicher Ritt. Durch den Schleier dunklen Gewölkes sandte der Mond sein mattes Licht in das einsame Karpathenthal, auf die hastenden, schäumenden Wogen um uns, die bald in Dunkel versanken, bald wieder aufblitzten; es war, als tummelten sich gnomenhafte Unholde mit unförmigen, schmutzigen Köpfen in phantastischem Reigen, das ringsum herrschende Todesschweigen durch ihr heiser kluxendes Gelächter unterbrechend. Mitten durch dieses wilde Getriebe aber brachen sich unsere braven Thiere Bahn, hart an einander gedrängt, als gelte es, sich gegenseitig beizustehen in dem gefährlichen Gange.

Daß die Gefahr keine geringe war, bezeugten die bleichen Züge meines Gefährten, seltsamer Weise aber – und bezeichnend für die dunkeln Irrgänge des Menschenherzens – fühlte ich weit weniger Sorge als Befriedigung, wenn unsere Pferde strauchelnd oder einsinkend bis an den Hals in die Wogen geriethen und ich in Paulu’s angstvoller Miene die gerechte Strafe für seinen fast unbegreiflichen Starrsinn lesen konnte. Oder war dieses Vorwärtstreiben um jeden Preis nicht Starrsinn, sondern gleich jener Empfindlichkeit für die Hitze ein Symptom beginnenden Wahnsinns?

Ich hatte nicht Muße, darüber nachzudenken, sondern vollauf zu thun, nicht von dem Wasserschwall aus dem Sattel gehoben zu werden, kaum aber hatten wir, dank der Muskelkraft unserer Pferde, das jenseitige Ufer glücklich, wenn auch wassertriefend, erreicht, als Paulu in lautes Jauchzen ausbrach und dann, sein Pferd liebkosend, rief:

„Ho, ho, Bräunchen, morgen sollst Du Malaia fressen bis zum Platzen, ich aber will nimmer eines Richters Kesselwasser verachten, wäre es auch braun wie Deine Haut!“

Während der närrische Bursche so schwatzte, lenkte er seine Stute, die Führung wieder übernehmend, in ein enges Seitenthal, dessen Gerinne zwar mit abgeschwemmtem Gerölle bedeckt war, jedoch leidliches Fortkommen ermöglichte, bis abermals mächtiges Rauschen ein neues Hinderniß ankündigte.

Wie sich nach näherer Untersuchung ergab, war durch die Gewalt des abstürzenden Regenwassers eine Erdlawine niedergegangen, die Thalsohle aufwärts in einen See verwandelnd, [198] „Gott schlage mich, Herr! Wölfe haben uns den Rückweg abgeschnitten,“ rief Paulu mit dem Ausdrucke höchsten Schreckens.

„Abgeschnitten? Die gemüthlichen Gesellen, mit welchen Du so trefflich umzugehen verstehst?“

„Ach, Herr, unter den Wölfen giebt es, wie unter den Menschen, gute und schlimme, diese aber gehören sicher zu den schlimmsten – hört nur, wie sie grimmig heulen! Der Satan mag mit ihnen umgehen!“

„Meinst Du daß die Bestien unsere Spur verfolgen?“

„Weiß nicht, Herr, fürchte aber, sie sind im Stande, uns auch ganz zufällig zu verzehren.“

Der Bursche meinte es offenbar sehr ernst, weshalb ich nach den Pistolen fühlte.

„Richtig bemerkt, Paulu, da müssen wir uns eben unserer Haut wehren.“

„Wie Ihr befehlt, Herr, aber ich wollte es lieber mit den bissigsten alten Weibern – oh, oh“ unterbrach sich Paulu, mit der Faust auf die Stirn schlagend, „wie dumm man doch wird vor Angst! Folgt mir, Herr! Es ist da noch ein anderer Weg, zwar nicht gerade der beste, doch kann uns nichts Schlimmeres passiren, als das Genick zu brechen.“

Mit diesen Worten ritt Paulu den steilen Hang zu unserer Rechten aufwärts, wo sich in der That ein schmaler Steig zeigte, welchen unsere Pferde, von der Angst getrieben, katzenbehend erklommen.

Auf der Höhe angekommen, bemerkte ich eine einsam stehende, vom Blitze gespaltene Tanne, welche einen einzigen Ast wie klagend gegen den Himmel streckte und mich durch ihre galgenartige Form erinnerte, daß ich diesen Weg schon einmal betreten hatte. Derselbe war, wie ich mich nun genau entsinnen konnte, wenig mehr als schuhbreit in die schroffe Felsenwand gekerbt und namentlich an einer Stelle so brüchig, daß ich dieselbe damals als Fußgänger und bei Tage nur mit höchster Vorsicht Schritt für Schritt passirte.

Sofort wollte ich vom Pferde steigen.

„Bleibt, Herr!“ rief aber Paulu, „unsere Gäule haben den Weg näher am Auge und außerdem vier Füße – bleibt also, Herr, und ist nicht Hexerei im Spiele, dann sind wir im Sattel so sicher, wie ein Kind in der Wiege.“

Der Bursche hatte trotz seines kühnen Vergleiches Recht; es war mittlerweile ganz finster und die Wegspur für menschliche Augen völlig unkennbar geworden, während unsere vierfüßigen Kletterer dieselbe langsam zwar, aber sicher verfolgten, indem sie gefährliche Stellen Zoll für Zoll mit den Nüstern an der Erde untersuchten.

Schon hatten wir die schlimmste Strecke hinter uns, schon glaubten wir uns geborgen, als unsere Pferde plötzlich schnaubend stehen blieben, und abermals, nur weit näher, jenes wilde Geheul ertönte, während eine Reihe von glühenden Augensternen von dem Felsengrat vor und neben uns herabfunkelte.

„Aus ist's, Herr,“ stöhnte Paulu leise, „den Teufeln gelüstet's gerade heute nach Menschenfleisch; o Herr, ich wollte, wir wären im Riu rou ertrunken.“

„Unsinn, Paulu! Du selbst sagtest, die Bestien seien dem Menschen gegenüber feige; wollen einmal sehen.“

Wie segnete ich meine Vorsorge wegen der Pistolen! Ich nahm eine derselben aus der Tasche und feuerte sie in der Richtung gegen die Leuchtkugeln ab. Der Knall hallte zehnfach in den Bergen nach, und wüthendes Geheul folgte. Aber was war das? Rothe Feuerballen leuchteten jetzt von der andern Seite über den Abgrund herüber, die Nachtlandschaft plötzlich erhellend, und ein Schreien vieler Menschenstimmen scholl durch die Luft, das in unserer Brust das lauteste Echo fand.

Die unheimlichen Gluthaugen waren verschwunden, und während nun unsere geängstigten Thiere vorwärts jagten, der schützenden Nähe der Menschen zu, gab sich Paulu der ausgelassensten Fröhlichkeit hin. „Herr, Herr, diese Nacht vergesse ich nicht und lebte ich tausend Jahre. – O Du braves Kind einer Hexe! Hei wie gut, daß wir nicht ertranken!“ So rief er durch einander, und dann liebkoste er wieder die braune Stute und versprach ihr nicht nur Malaia, sondern auch einen Hochzeitskuchen, so groß wie die Mondscheibe.

Der rasche Ritt brachte uns in wenigen Minuten in die Nähe unserer Retter, und was erblickten wir?

Einer ganzen Schaar von Fackelträgern voraneilend, schritt Dordona's Tochter, doch nicht wie sonst als ein unter der harten Zucht der Mutter verschüchtertes Mädchen, sondern hochaufgerichtet, sichern Schrittes, und als sie Paulu's Gesicht im Scheine der Pechspähne erkannte, da jauchzte sie laut und schwang ihre Leuchte, daß die Funken einen Strahlenkreis um das liebliche Mädchenhaupt bildeten.

Das fehlte gerade noch. Wie toll sprang Paulu aus dem Sattel und preßte die Geliebte an seine Brust, unbekümmert um die schmunzelnd zusehenden Männer.

Unterdessen hatte sich mir der Führer des Zuges, der langbärtige Dorfpope, unter vielen Bücklingen genähert, worauf er in wohlgesetzter Rede die Gnade Gottes pries, welche ihn als das unwürdige Werkzeug erkoren, einen so großmüthigen Herrn vor dem unangenehmen Tode des Zerrissenwerdens zu bewahren.

Welche Großmuth! Es ist also alle Welt verrückt, dachte ich, und war im Begriffe, dieser meiner Ueberzeugung dem „unwürdigen Werkzeuge der Gnade Gottes“ gegenüber Ausdruck zu geben, als Paulu, der dritten verstärkten Umarmungsauflage sich entreißend, rief: „Freunde, Ihr alle seid Zeugen, daß ich dieses [199] Halsband Margiten rechtzeitig übergeben!“ Seine hocherhobene Hand ließ das glühende Roth einer Korallenkette im Fackellichte spielen.

Lauter Zuruf folgte den Worten Paulu's, worauf der Pope sprach: „Ja, mein Sohn, und nun soll die alte Dordona wohl oder übel Wort halten und einen Hochzeits –“

Der „Schmaus“ blieb dem guten Manne im Halse stecken; denn die verscheuchten Wölfe machten sich – wahrscheinlich durch Zuzug ermuthigt – abermals in höchst beunruhigender Nähe hörbar, Alle zur Heimkehr mahnend.

Rasch ordnete sich der Zug, in dessen Mitte nun das Brautpaar Hand in Hand schritt, während an der Spitze neben mir der Pope auf Paulu's Pferd meine Fragen bezüglich der noch unklaren Details des kleinen Liebesromans mit endlosem Wortreichthume beantwortete. Nur wenn ein Windstoß den brennenden Spähnen glühenden Funkenregen entlockte und in deren Lichte seltsame Nebelgestalten sichtbar wurden, welche über unseren Köpfen dahin huschten, wurde der Redestrom durch zahllose Bekreuzungen und Anrufungen mächtiger griechischer Heiliger unterbrochen, wobei der würdige Seelenhirt jedoch auch irdische Vorsicht nicht außer Acht ließ, sondern sein Pferd möglichst dicht an das meine hielt.

Der Kern dieser weitschweifigen Mittheilungen aber war folgender:

Als Frau Dordona trotz des glücklich ausgefallenen, ihre Bedingungen erfüllenden „Wurfes“ ihr Versprechen nicht einlösen wollte, legte sich der alte Pope aus Mitleid für die schöne Margita in's Mittel und machte der Alten die Hölle so heiß, daß sie endlich in seiner Gegenwart den Hochzeitstag bestimmte und Paulu zum Einkaufe des nöthigen Staates für ihn selbst und Margita nach Rimnik schickte.

So glaubte der würdige Diener der Kirche alles in bester Ordnung und unterwarf seinen wohlgepflegten Leib – wie er mir sub rosa anvertraute – in Erwartung des Hochzeitsgelages einer ebenso verdienstlichen wie in diesem Falle praktischen Bußübung dreitägigen Fastens, als Margita am dritten Abend weinend in seine Hütte trat und ihm erzählte, Paulu habe in seiner Glückseligkeit gerade das Wichtigste, das Korallen-Brautgeschenk – ohne welches kein anständiges Mädchen jener Gegend an den Traualtar tritt – zu kaufen vergessen und sei deshalb von der erzürnten Mutter mit dem Bedeuten aus dem Hause gewiesen worden, entweder den Halsschmuck rechtzeitig herbeizuschaffen, oder sich eine andere Braut zu suchen. Paulu aber sei trotz ihres Abredens in höchster Verzweiflung fortgeeilt, um das Unmögliche, die Zurücklegung des weiten Weges bis zum nächsten Morgen, zu unternehmen.

„Das war eine schlimme Nachricht, bester Herr,“ schloß der Redelustige seine Mittheilungen; „denn die Nacht ist des Menschen Feind, zumal in so vorgerückter Jahreszeit, wo die Wölfe, diese heulenden Kinder Belial’s, so heißhungerig sind, als hätten sie – drei Tage gefastet,“ platzte er im Eifer der Rede heraus, um nach gutmüthigem Selbstbelachen zu enden: „Da gürtete ich denn meine Lenden, wie einst Tobias der Sohn, und nahm so viele Männer mit mir, als in der Eile aufzutreiben waren, um den meiner Meinung nach Verunglückten aufzusuchen, ohne zu ahnen, daß dieser durch die Vermittelung Gottes und seiner Heiligen in Ihnen, bester Herr, einen so muthigen Beschützer und Retter in der Noth gefunden hatte.“

Blieb mir nach all dem auch noch immer räthselhaft, wie Paulu von meinem Reisevorhaben wissen konnte, so war mir doch vollkommen klar, daß ich all die Gefahren dieser Nacht eigentlich nur der Vergeßlichkeit eines einfältigen Hirten wegen bestanden, und diese Erkenntniß versetzte mich eben nicht in die rosigste Laune.

Aber auch dies schien der „dumme Junge“, wie ich meinen treuen Führer in Gedanken taufte, sehr genau zu wissen, denn als wir Frau Dordona's Hütte erreicht hatten, um daselbst den Rest der Nacht zu verbringen, verschwand er mit Margiten und überließ es mir allein, mich an den Geierminen und den grünfunkelnden Augen der über das Mißlingen ihres tückischen Anschlages wüthenden Alten zu ergötzen.

Schon mit Sonnenaufgang weckte mich der Jubel der Hochzeitsgäste, was meine Stimmung in Anbetracht der kurzen Nachtruhe nicht verbesserte. Schlaftrunken kleidete ich mich an, im Innern Amor und Hymen sammt ihren ruhelosen Schützlingen in’s Pfefferland verwünschend; da knarrte die Thür, und ein heller Lichtstrahl fiel in das Dunkel des Raumes. „Endlich Paulu,“ dachte ich mit einem Donnerwetter auf den Lippen; es war aber wieder nicht der einfältige Bursche, sondern Margita, bräutlich geschmückt, die rothen Korallen um den weißen Hals geschlungen. Mit einem Knixe überreichte sie mir einen Strauß frischer Alpenblumen, worauf sie mit bewegten Worten und einem Kusse, der leider nur meiner Hand zu Theil wurde, für meinen „großmüthigen“ Beistand dankte, ohne welchen sie jetzt vielleicht eine Braut in Thränen statt in Freude wäre.

Abermals „großmüthig“ – also auch Margita wußte nicht, daß ich – o Spitzbube von einem einfältigen Schafhirten! – da kam er endlich geschlichen und wühlte in den Haaren mit einem Gesichte, als könne er nicht fünf zählen, während Margita mit einem ermuthigenden Blicke davon hüpfte.

„Du leidest wohl nicht mehr an Kopfschmerzen?“ sagte ich möglichst ernst, denn die Mischung von Scheu, Verlegenheit und Pfiffigkeit in Haltung und Wesen des Burschen war doch gar zu drollig.

„Bestens zu danken, Herr, nein,“ erwiderte er, fügte aber, sich besinnend, hinzu: „das heißt, manchmal brummt es noch immer darinnen, und dann ist's, als hörte ich Wölfe heulen.“

„Sieh, sieh, aber nun sage mir, Bursche, wie kamst Du eigentlich auf den Gedanken, mit mir nach Rimnik zu reiten?“

Paulu schnitt ein Gesicht, wie ein von Leibschmerzen Befallener, ehe er antwortete:

„Ja seht, Herr, das war so ein dummer Gedanke, der unser Einem so in den Kopf kommt, wie eine Fliege in's leere Spinnennetz; auf der Heimkehr von der Stadt begegnete mir der Landbote, und so wußte ich, daß auch Ihr, wie sonst, dahin gehen würdet – na und dann hatte ich die rothen Teufelsdinger vergessen, weil ich eben nur an Margita dachte, und dann sollte ich die Dinger bis heute schaffen, als ob eines Mädchens Hals ein Faß wäre, das ohne Reifen ausrinne, aber es ist so der Brauch – na, da erinnerte ich mich an Euere Pferde und an Euch, Herr, und was für ein guter Herr Ihr seid –“

„Bestens zu danken, Paulu; aber, was meinst Du, wäre es nicht hübscher von Dir gewesen, mir die Wahrheit zu sagen und mich um ein Pferd zu bitten?“

„Mag wohl sein, Herr, aber seht, in der Nacht zählt der beste Mann nur für Einen, Zwei aber machen immerhin ein Paar, nicht zu vergessen die kleinen Schießgewehre in Eurer Satteltasche – na und –“

„Und da zogst Du es vor, mich zum Narren zu halten.“

„Gott schlage mich, Herr, wenn ich daran dachte!“ versicherte Paulu kleinmüthig, indem er nach dem dicken Tschibukrohr in meiner Hand schielte, das mir zugleich als Spazierstock diente – ich glaube, der arme Bursche würde es ganz in der Ordnung gefunden haben, hätte ich seiner stillen Erwartung nach Landessitte und Bojarenart kräftigst entsprochen. Doch schien er auch nicht unangenehm enttäuscht, als das Rohr nicht in Bewegung gesetzt wurde, und aufathmend meinte er:

„Auch dachte ich, Herr, Ihr werdet meine Dummheit um Margitens willen, und da wir doch weder ertranken noch zerrissen wurden, nicht allzu übel nehmen.“

„Nun denn, Du hast Recht,“ rief ich, meine Heiterkeit nicht länger verbergend, „man muß dankbar sein, und da Du Dich bei all dem als ein braver Führer benommen, so sei Dir dieser Streich verziehen – unter einer Bedingung jedoch.“

„Unter welcher, Herr?“ fragte Paulu, aus seiner gedrückten Stellung emporschnellend.

„Du erinnertest mich an Margiten, die heute Dein Weib wird,“ versetzte ich ernst, „Ihr Karpathenmenschen seid aber ziemlich rauhe Eheherren, und an Verdruss wird es in Deinem Hause nicht fehlen – willst Du mir versprechen, die Bosheit Deiner Schwiegermutter nie Margiten entgelten zu lassen?“

„Das will ich, Herr!“ rief Paulu eifrig, „ja, noch mehr, von morgen an bin ich Herr im Hause, und soll es jemals Verdruß geben zwischen mir und meinem guten Weibe, beim Himmel, Herr, die Alte soll's entgelten.“

Und wie der Bursche so sprach, die nervige Rechte schwingend, da schien seine Gestalt plötzlich um einige Zoll gewachsen, in den [200] dunklen Augen blitzte es drohend auf, und der Ausdruck von Stumpfsinn und Einfalt fiel wie ein Schleier von den energischen Zügen – der Knecht war zum Herrn geworden. – –

Ob Paulu sein drastisches „Recept gegen Schwiegermütter“ zur Anwendung brachte, blieb mir unbekannt, ist jedoch bei dessen gutmüthiger Charakteranlage um so weniger anzunehmen, als sich Frau Dordona, wie ich gelegentlich eines späteren Besuches bemerkte, mit echt rumänischer Geschmeidigkeit in die neue Ordnung der Dinge fügte, ja es ganz natürlich zu finden schien, wenn der junge Herr seine Rechte ihr gegenüber nicht allzu schonend geltend machte. Die merkwürdige Veränderung aber, welche mit Letzterem an jenem Hochzeitsmorgen vorging, war eine bleibende, was übrigens nur so lange befremdet, als man das bedingende Gesetz solchen psychologischen Processes nicht in’s Auge faßt. Knechtschaft erzeugt bei Individuen wie bei ganzen Völkern jene Hülle von Stumpfsinn und Einfalt, unter welcher Energie und Geist nothgedrungen sich birgt, wie Feuer unter todter Schlackenschicht. Wohl dem Herrn, der freiwillig die drückende Last der Knechtschaft mäßigt! Wehe dem Despoten, dessen gewaltthätige Faust plötzlich erlahmt!



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Paula