Karl von Piloty
Karl von Piloty.
Das Jahr 1886 ist für München ein wahres Unglücksjahr. Schon vor dem schrecklichen Pfingstsonntag gab es harte Verluste in wissenschaftlichen und künstlerischen Kreisen, und kaum beginnen sich die Wellenkreise der Aufregung über jener entsetzlichen Katastrophe etwas zu legen, so erfüllt eine neue Trauernachricht unzählige Herzen mit herbem Schmerz. Karl von Piloty ist nicht mehr! Der warmherzige, geniale Mann, der den Mittelpunkt des künstlerischen Lebens in München bildete und an dessen aufmunternden Blicken die Schüler mit Begeisterung hingen, er ist endlich den Leiden erlegen, die er jahrelang mit so unbegreiflicher Standhaftigkeit ertrug, daß man sich über ihre Schwere vollkommen täuschen konnte. Man wollte die Möglichkeit seines Verlustes nicht glauben, Jeder fühlte, daß er ein zu schmerzlicher wäre, daß mit Piloty wieder einer jener Großen sterben würde, für die es nur Nachfolger, keinen Ersatz giebt! Und nun ist der Schlag plötzlich gefallen, der ganz München in Trauer versetzt.
Karl Piloty gehörte zu den Glücklichen, die vermöge ihrer innersten Eigenart mit einem Bedürfniß der Zeit zusammentreffen und deßhalb zum Ausgangspunkt einer neuen Entwickelung werden. Die klassische Schule in München hatte sich überlebt, oder vielmehr, ihre noch lebenden Vertreter vermochten nicht, Schule zu machen, weil ihre eigentliche Technik auf schwachen Füßen stand, Genie aber bekanntlich sich nicht mittheilen läßt. Da kam Anfangs der fünfziger Jahre der junge Piloty, den die Unerfrenlichkeit des heimischen Kunstlebens in die Fremde getrieben, von Paris und Antwerpen zurück, und mit ihm kam eine neue Zeit für die Münchener Malerei. Der unerhörte „Realismus“ seiner ersten Bilder brachte die Alten in Harnisch, die Jungen aber in Entzücken, und binnen unglaublich kurzer Zeit war der Name Piloty, bisher nur durch die väterliche lithographische Anstalt bekannt, in Aller Munde.
Damals hatte er ein bescheidenes Atelier in den Gärten der Barerstraße inne, welches im Jahre 1855 seinen „Seni vor Wallenstein’s Leiche“ entstehen sah.
Das Bild machte auf alle Betrachter einen mächtigen Eindruck (es giebt heute noch Leute, die es für sein bestes überhaupt erklären), man kam nicht los von den beiden ergreifenden Figuren, von der düstern Stimmung in dem Todtengemach, die mit einer bis dahin unerhörten Technik hervorgebracht war. Das lebhafteste Interesse wandte sich aber dem Künstler selbst zu, dem schlanken jungen Mann mit den merkwürdig eindringenden dunklen Augen, zwischen denen eine tiefe Furche sich zeigte, die dem Gesicht einen Ausdruck leidenschaftlicher Willensenergie verlieh. Vielleicht gerade darum hatte sein Lächeln etwas Bezauberndes, er war jedenfalls eine Persönlichkeit, die den Reiz des Ungewöhnlichen in hohem Maße besaß.
Sein rascher und glänzender Emporweg ist bekannt; ein Artikel F. Pecht’s in der „Gartenlaube“ (1880, Nr. 40) legt ihn ausführlich dar. Es war ein reiches Künstlerleben, das sich nun entfaltete – die Professur an der Akademie brachte ihm der Erfolg des Gemäldes „Seni vor Wallenstein’s Leiche“ sofort, ein Aufenthalt in Rom gab ihm dann die Liebe zu antiken Stoffen, welcher eine Anzahl seiner Bilder entstammt; Piloty war selbst eine pathetische Natur, und der große Zug der alten Geschichte begeisterte ihn. Außer ihr war es die Zeit der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges, in die er sich mit Vorliebe versenkte, und hier ergänzt oft der frei schaffende Künstler sehr glücklich die historische Erzählung. Der „Zug Wallenstein’s nach Eger“ z.B. ist so aus der schicksalsschweren Atmosphäre jener Tage heraus gemalt, daß er den Eindruck vollster geschichtlicher Wirklichkeit macht.
So bedeutend nun Piloty’s Erfolge sind, unbestritten blieben sie nicht, und man könnte nicht mit Wahrheit sagen, daß er als Maler sein Zeitalter beherrschte. Die ungeheure Wirkung seiner Person, die ihn vor allen Anderen auszeichnet, liegt auf einem andern Gebiet: er war ein Lehrer, wie es keinen zweiten giebt und in dem Verlauf der Kunstgeschichte nur sehr wenige gegeben hat. Die Thatsache allein, daß so ganz verschiedenartige Künstler wie Lenbach, Max, Grützner, Defregger, Makart, Hellquist, Lossow u. A. aus seiner Schule hervorgingen, spricht für seine außerordentliche Begabung, Jeden nach seiner Art zu erkennen und ihm vollste Freiheit der Entwickelung zu lassen. Der hohe Enthusiasmus, mit dem er den Künstlerberuf auffaßte, theilte sich den Schülern mit und machte sie, wenn auch ihre spätere künstlerische Ueberzeugung von der seinen abwich, auf Lebenszeit ihm eigen. Man muß berühmte Männer wie Lenbach, Defregger, Makart vor ihrem alten Lehrer in Ehrfurcht und Liebe haben stehen sehen, um das Band zu begreifen, das unzerreißbar zwischen ihnen bestand. Die Jungen aber vollends hingen enthusiastisch an ihrem Direktor und sahen zu ihm als zu einem höheren Wesen empor.
[566] Seit dreißig Jahren war seine Persönlichkeit die bestimmende an der Münchener Akademie, erst als Professor, zu dem sich Alle drängten, dann nach Kaulbach’s Tod 1874 als Direktor. Jener erkannte sehr wohl, welchen neuen Lebensstrom diese junge Kraft in die stark ausgetrocknete Anstalt leitete. Er selbst erhob zwar Bedenken gegen die Kunstrichtung der „Naturalisten“, aber seinen eigenen Sohn Hermann wußte er doch nirgends besser unterzubringen, als in Piloty’s Schule, und die damit entstandene vollkommene Verständigung und Ausgleichung zwischen beiden Gegnern verschönerte Kaulbach’s letzte Jahre und war eine Wohlthat für Piloty’s nervös erregbare Natur.
Mit den Jahren wuchs die Zahl der Bilder und Schüler, wuchs auch das Familienglück in dem reizenden Hause der Briennerstraße, welches versteckt in Gärten hinter der Schack’schen Gemäldegalerie steht. Was so oft im Leben großer Männer fehlt, das ist Piloty zu Theil geworden: eine Frau, die nicht nur mit seltenen Charakter- und Herzenseigenschaften den Mann beglückte und Anmuth über sein Leben ergoß, sondern auch die treueste und theilnehmendste Gefährtin seines künstlerischen Strebens war. Sie hatte hierin keine leichte Aufgabe, denn Piloty war eine tiefleidenschaftliche, vielfordernde Natur, nie zufrieden mit den errungenen Standpunkten, in hohem Grade reizbar und oft genug gequält von dem Leiden, welches den einzigen Schatten in das sonst so glückliche Familienleben warf. Jedem, der einmal an diesem theilnehmen durfte, werden die Abende unvergeßlich sein, wo in dem prächtigen Saal des oberen Stockwerks ein Dilettantenquartett, darunter zwei Söhne des Hauses, Mozart und Beethoven spielte, während ein kleiner Kreis von Freunden die Wonne solcher Musik in solcher Umgebung genoß. Wohin das Auge fiel in dem dunkelgetäfelten Raum, überall traf es auf die Spuren der feinen Künstlerhand, die venetianisches Krystall, schwere einfache Möbel, Bronzen, Majoliken und alte Teppiche zu einem so behaglichen, so völlig unaufdringlichen Ganzen gestaltet hatte. Von den Wänden herunter leuchteten die von Lenbach und Makart gemalten Familienbilder, sechs schöne und kräftige Knaben und Mädchen mit blonden und braunen Köpfen die Eltern umgebend, und bis zur Decke hinauf stiegen die vielen Andenken von dankbaren Schülern; der schöne Salon war zugleich ein Erinnerungsmuseum für den Meister, der an solchen Abenden still im Lehnstuhl im Schatten saß und die Musik halbgeschlossenen Auges genoß, die seiner Seele ein tiefes Bedürfniß war.
Später ging es dann ins Speisezimmer hinunter zum Abendessen, und hier, unter vertrauten Freunden, entfaltete der seltene Mann die Heiterkeit, die bei ihm trotz seines schmerzlichen Magenleidens immer wieder hervorbrach, sobald er erträgliche Zeiten hatte. Er schien der Lebenslustigste von Allen, wenn er, die Cigarre in der Hand, lebhaft angeregt mit der Wärme sprach, welche der eigenthümlichste Zug seines Wesens war. Gleichgültig konnte ihn kaum Etwas lassen: er nahm sofort Stellung zu jeder Frage in Neigung oder Abneigung, und in Aeußerung der letzteren konnte er leidenschaftlich genug werden. Was ihm künstlerisch oder moralisch verwerflich schien, das verneinte er mit einer Rücksichtslosigkeit, vor welcher alle Diskussion sofort verstummte. Aber in dieser inneren Sicherheit lag seine Macht, da sie bei ihm mit großer Herzensgüte, wahrhaft idealem Sinn und hinreißender Liebenswürdigkeit gepaart war. Er konnte begeistern, weil er begeistert war; objektiv nüchternes Urtheil durfte man bei ihm nicht suchen, aber Alles, was der bedeutende subjektive Mensch einzusetzen hat: die Gewalt und Gluth der Ueberzeugung, die starke Wirkung auf Andere, das war ihm in seltenem Maße eigen. Er würde in Zeiten der Gefahr freudig sein Leben für das von ihm heißgeliebte Reich und seinen Kaiser hingegeben haben, denn der Patriot in ihm war eben so stark wie der Künstler.
Das Schicksal aber theilt seine Lose ohne Rücksicht auf Anlagen aus – dem kühnen kampffreudigen Manne fiel das Los des Dulders zu, und er konnte heroische Seelenstärke nur im Ertragen von Leiden bewähren, die Andere zur Verzweiflung getrieben hätten. Und dabei arbeitete er unablässig; wenn die Nacht in Schmerzen verwacht war, sah ihn der Morgen im Atelier. Die Bilder wuchsen rasch, trotz aller nothgedrungenen Pausen; er hat im letzten Halbjahr einen „sterbenden Alexander“ begonnen und das große Bild so erstaunlich weit gebracht, daß es in kurzer Frist vollendet gewesen wäre.
Da sank die unermüdliche Hand plötzlich im Tode herab. Am Vorabend des Tages, wo er mit seiner Frau, den jungverheiratheten Töchtern und ihren kleinen Kindern in das reizende Haus am Starnberger See übersiedeln wollte, in dem er seit Jahren seine besten Zeiten zubrachte, trat eine plötzliche schlimme Wendung ein, und am 21. Juli Abends endete ein sanftes Einschlafen den harten Kampf.
In dem schönen Saal, wo er so oft fröhlich unter den Freunden saß, lag er dann unter Palmen und Rosen gebettet. Das Gesicht trug den Ausdruck tiefen Friedens, der beinahe Sechzigjährige sah unbegreiflich jung aus mit den dichten braunen Haaren, die noch kein weißer Schimmer durchzog. Ueber dem stillen Todten aber erhob sich in voller Kraft und Energie mit flammenden Augen sein von Lenbach gemaltes Bildniß[1], wie ein Protest gegen die Macht des Todes und wie eine Verheißung, daß das beste Theil eines großen und guten Menschen nicht mit seinem irdischen Leben untergeht.
München. Carl Robert.
- ↑ Eine Holzschnittnachbildung desselben haben wir in Nummer 40 des Jahrgangs 1880 der „Gartenlaube“ gebracht. D. Red.