Kampf mit einem Tiger
[123] Kampf mit einem Tiger. (Nach brieflichen Mittheilungen eines afrikanischen Missionärs.) Der folgende Tag war zu einer Tigerjagd im Hochwalde bestimmt. Die Missionäre zogen frisch und munter mit einer großen Schaar Hottentotten aus. Noch waren sie nicht sehr weit in den Hochwald gedrungen, als sie die Spuren von der Nähe ihres Wildes fanden, denen sie muthig nachgingen, während die Hottentotten sich ängstlich scheu aneinander drängten. Die Spuren führten sie bald in den tiefen Wald. Sie zogen eine Zeit lang unter hochstämmigen Palmen und Bananen hin, bis sie an ein niedriges Dickicht kamen, in welchem sie der vielen, auslaufenden Spuren wegen den Tiger vermuthen mußten. Da das Gebüsch aber zu dicht war, um in dasselbe eindringen zu können, so wurden einige Schüsse abgefeuert, um den Tiger mobil zu machen, und wirklich, – gleich darauf ließ sich ein Rauschen und Rasseln vernehmen, ein Knicken der Zweige und das dumpfe Geräusch mächtiger Sprünge. Ihre Augen blickten durchdringend nach der Gegend, aus welcher sich dieses verdächtige Anzeichen hören ließ, und an einer Stelle, wo das Gebüsch besonders niedrig war, sahen sie in der That das bunte Fell des Tigers einige Mal über den grünen Büschen erscheinen, wie er in mächtigen Sätzen nach der rechten Seite hin entfloh. Da sich das Gebüsch bin an den Fluß hinzog, und nicht zu erwarten war, daß der Tiger dasselbe verlassen werde, so beschlossen sie, das Dickicht rings zu besetzen, und durch wiederholte Schüsse den Tiger aufzuregen, bis er sich in den freieren Hochwald herauswagen würde. So zog denn der ganze Jagdtroß nach der Seite hin, nach welcher man soeben den Tiger hatte entweichen [124] sehen. Nur Herr Shmidt, der eine Missionär, blieb mit einem Hottentotten, welcher ihm gewöhnlich als Dolmetscher diente, zurück, um erst abzuwarten, ob der Tiger wieder zurückkommen werde, ehe er sich noch den Blicken der übrigen Jagdgesellschaft gezeigt; denn es ist selten, daß der Tiger flieht. Wenn er durch Schüsse aufgeschreckt wird, läuft er gewöhnlich eine Strecke, bis er in ein sicheres Versteck kommt, von dem aus er bequem seinen Sprung gegen den Verfolger ausführen kann. Nach und nach verhallte der Lärm der Jagd. Die letzten fernen Töne wurden überrauscht durch die sich sanft bewegenden Wipfel der mächtigen Bäume und überschrien durch die aus ihrer Morgenruhe aufgeschreckten Vögel, die Afrika’s Wälder in so reicher Anzahl beleben. Shmidt und sein Hottentotte bogen endlich in eine Schlucht, die vom wüthenden Wasser im Frühjahr gerissen war und selten von einem menschlichen Fuße betreten ward.
Plötzlich schienen sich die starren Augen des Hottentotten zu vergrößern, seine Lippen bebten, und kaum vermochten sie den ängstlichen Ausruf: „Kaïffau! Kaïffau!“ (Tiger, Tiger!) auszusprechen. In demselben Momente wurde der Gegenstand seines Schreckens sichtbar; sprang mit zwei Sätzen auf den Hottentotten zu und zerriß ihm mit einem Schlage seiner mächtigen Tatze das ganze Gesicht. Shmidt legte kaltblütig seine Flinte an, um den gefährlichen Schuß gegen die Engumschlungenen zu wagen; aber der Tiger, welcher wohl ahnen mußte, welcher von Beiden sein gefährlicherer Feind sei, verließ den Hottentotten und sprang auf Herrn Shmidt los. Dieser drückte zwar sein Gewehr ab, aber fruchtlos, und stand nun unbewehrt dem gräßlichen Feinde entgegen, nur seiner natürlichen Kraft, die allerdings eine fast übermenschliche war, und dem Beistande Gottes vertrauend. Schon war der Tiger auf ihn losgesprungen. Herr Shmidt parirte den mächtigen Biß, welchen der Tiger ihm zudachte, mit dem Ellenbogen seines linken Armes, den er so tief als möglich in des Tigers Rachen drückte; mit dem rechten Arm umschlang er den Tiger und drückte ihn krampfhaft fest an sich. Dieser dagegen zerfleischte mit den scharfen, über seine Schultern geschlagenen Tatzen ihm den Rücken, während er mit seinen Hinterfüßen ihm die Beine so heftig zerkrallte, daß Shmidt die Kraft einen Augenblick vor Schmerz verlor und rücklings fiel. In dieser bedrängten Lage wollte er seine Kraft nicht durch unnützes Hülferufen verschwenden, doch schrie er dem Hottentotten zu, diesen Augenblick zu benutzen, um den Tiger, den er von unten festhielte, von oben anzugreifen. Der Hottentott aber stand mit schrecklich zerfleischtem Gesichte blutend da, und konnte wegen des überströmenden Blutes von dem furchtbaren Kampfe nichts sehen. Als Herr Shmidt merkte, daß von da aus keine Hülfe zu erwarten, sondern er ganz allein auf sich angewiesen sei, versuchte er zuerst den Tiger unter sich zu bekommen, weil er fühlte, daß er nicht mehr lange mit der einen Hand festzuhalten im Stande sein würde. Einige mächtige Anstrengungen wollten nicht gelingen; die Kraft der Verzweiflung, die Gewißheit des Unterganges, wenn er noch kurze Zeit zu unterst bliebe, veranlaßten Shmidt zu einer letzten, krampfhaften Wendung. Der Tiger widerstand mit aller Gewalt, aber Shmidt bohrte seinen zerfleischten Fuß in die Erde, ließ den umschlungenen Tiger los, faßte ihn blitzesschnell an die Kehle und drehte ihn mit kraftvollem Drucke herum, daß im nächsten Augenblicke der Tiger rücklings auf der Erde lag. Shmidt fühlte sich sehr erleichtert. Durch die Kraft, mit welcher er dem Unthiere die Kehle zudrückte, verhinderte er dasselbe am Beißen und zog ihm nun seinen linken Arm aus dem Rachen. Dieser war leider kampfesunfähig geworden, denn der Tiger hatte ihm die Ellenbogenknochen vollständig zermalmt. So viel besser auch seine jetzige Lage war, so fühlte er doch, daß er den übermächtigen Anstrengungen des Tigers nicht mehr lange widerstehen können werde, um so mehr, als derselbe ihm Rücken und Seiten auf die schmerzhafteste Weise zerkratzte.
Als er seine Kräfte schwinden fühle, versuchte er einen letzten Angriff auf den Tiger. Er zog langsam das rechte Knie in die Höhe und setzte es dem Tiger in die Bauchhöhle. Als diese Manipulation bewerkstelligt war, ohne daß die Bestie diesen Augenblick benutzte, um ihn abzuwerfen, erhob er sich zu einem mächtigen Drucke. Der Tiger kreischte laut auf und schlug wüthend mit seinen Vordertatzen. Herr Shmidt verdoppelte nun seine Anstrengung: mit der Hand preßte er die Kehle, mit dem Kniee die Bauchhöhle so gewaltig, daß der Tiger sein lautes, die Wälder erschütterndes Gebrüll ausstieß. Dies hörte die Jagdgesellschaft, die sich nach den verschiedensten Richtungen zerstreut hatte, um den unsichtbar gewordenen Feind aufzusuchen. Alle eilten jetzt dem Gebrülle zu. Wenige Augenblicke später sprang der Missionär Eberstein über die nächsten Busche und sah mit Entsetzen den grauenvollen Kampf. Doch es keine Sekunde zu verlieren, Shmidt’s Augen traten aus ihren Höhlen hervor – es war augenscheinlich, daß er die letzten Fibern anstrengte, daß er in der nächsten Minute loslassen mußte und dann von der grimmigen Bestie in tausend Stücke zerfleischt worden wäre. In diesem entscheidenden Momente krachte ein Schuß – der Tiger, durch das Gehirn getroffen, streckte sich. Missionär Eberstein war herangesprungen, hatte die Büchse über seines Freundes Schulter gelegt und den gräßlichen Kämpfer mitten durch’s Auge getroffen. Shmidt lag ohnmächtig auf der Leiche des furchtbaren Tigers, mit welchem er über eine halbe Stunde gerungen hatte. Unterdessen waren die Uebrigen alle herzugekommen und standen staunend um den kühnen Sieger, der jetzt mit Blut übergossen auf seinem Feinde schlummerte. Eine Laubbahre wurde geflochten, auf welcher Shmidt neben dem erlegten prachtvollen Tiger im Triumphe hereingetragen wurde. Doch währte es lange, bis er sich wieder erholte; sein linker Arm konnte nicht geheilt werden. Das Fieber ergriff ihn so stark, daß er Afrika verlassen, und seine Genesung auf vaterländischem Boden, in seinem theuren Deutschland, abwarten mußte. Da lebt er denn noch jetzt, und sieht mit tiefer Rührung auf einige Ueberreste jenes Tigers, den er ausgestopft mitbrachte, welcher aber jetzt sehr von den Motten zerfressen ist. Er ist wieder frisch und munter geworden, und zur Erinnerung an jenen denkwürdigen Kampf nennt man ihn „Tiger-Shmidt.“