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König Bubu

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Textdaten
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Autor: Johann Heinrich Lehnert
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Titel: König Bubu
Untertitel:
aus: Mährchenkranz für Kinder, der erheiternden Unterhaltung besonders im Familienkreise, S. 104–115
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1829]
Verlag: J. G. Hasselberg
Drucker: Gebrüder Unger
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg = Commons
Kurzbeschreibung:
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[104]
18.
König Bubu.

Es war einmal eine Frau, die hatte zwei Söhne, und bekam, als eben ihr Mann gestorben war, noch ein drittes Söhnchen, das war aber, als es geboren wurde, nicht größer, als eine Spanne lang. Darüber war die Frau sehr betrübt, denn sie fürchtete, das zarte Kind möchte nicht am Leben bleiben; es war aber gar schön, und der Mutter so lieb, wie ihr eigenes Leben.

Da kam die Fee Selma zu der Mutter, und tröstete sie, und sprach: „Seyd unbesorgt um das Leben Eures Kindes, es wird nicht sterben. Wenn ich wiederkomme, werde ich Euch über sein Schicksal noch nähere Auskunft ertheilen.“ Sie erkundigte sich dann genau nach dem Tage und der [105] Stunde, in welcher das Knäbchen geboren sey, und entfernte sich.

Schon am andern Morgen war die Fee wieder da, und erzählte der Mutter, daß das Kind bestimmt sey, lange zu leben, und glücklicher zu seyn, als seine beiden älteren Brüder. „Doch,“ setzte sie hinzu, „es wird klein bleiben, wie es ist, bis zum Ende seines achtzehnten Jahres; mit dem ersten Tage des neunzehnten wird es aber anfangen zu wachsen, und ehe das Jahr zu Ende ist, so groß werden, als jeder andere Mann, und was aus seinen Händen hervorgegangen ist, wird eben so wachsen, wie er.“

Die Mutter dankte der guten Fee für die schönen Hoffnungen, die sie ihr wegen ihres Söhnchens gemacht hatte, und bat sie zugleich, eine Pathenstelle bei ihm anzunehmen, und für das Kind zu sorgen und es zu beschützen.

Als nun das Kind getauft werden sollte, erschien die Fee, prächtig angekleidet und geschmückt, und beschenkte, nach der Taufe, ihr liebes Pathchen mit einer himmelblauen, zugebundenen und versiegelten Schachtel, verbot aber zugleich, daß jemand diese Schachtel öffnen, und dem Knaben vor seinem achtzehnten Jahre sagen sollte, daß sie von ihr wäre; was sie enthalte, werde sich schon zu seiner Zeit finden.

Die Mutter nahm die Schachtel, und da sie überzeugt war, daß dieselbe nichts als Gutes enthalten könne, dankte sie der Fee dafür, und versprach, solche sorgfältig zu verwahren. Dann legte sie ihr Söhnchen, das den Namen Bubu erhalten hatte, in ihren Pelzschuh, weil es recht warm gehalten werden mußte.

Der kleine Bubu machte seiner Mutter von Tage zu Tage immer mehr Freude. Er war gar zu possierlich, und gedieh recht kräftig. Nach dem fünften Monat konnte er schon aufrecht sitzen, mit dem zehnten lief er allein davon, [106] und im zweiten Jahre schwatzte er die Mutter fast taub. Man kann eben nicht sagen, daß er stark schrie, denn er hatte eine schwache, feine Stimme: er war aber außerordentlich redselig, und sprang immer auf dem Tische herum, wenn er mit der Mutter ein Gespräch führte.

Auch seinen Brüdern machte er anfangs vielen Spaß, und es kam ihnen gar komisch vor, wenn er über Tische an der Schüssel auf seiner Mutter Schnupftabacksdose saß, und mit einem Puppenlöffelchen aß. Nach und nach aber wurden sie ihm gram, weil er sie verrieth, wenn sie genascht, oder sonst etwas Unrechtes und Böses gethan hatten, und sie plagten den armen kleinen Schelm nicht wenig. Bald steckten sie ihn in ihre Rocktaschen, aus denen er kaum mit dem Kopfe heraussehen konnte, bald sperrten sie ihn in eine Schachtel, und ließen Mücken zu ihm hinein, die sie fingen, und vor denen er sich ganz entsetzlich fürchtete. Einst, als ihn die Mutter im ganzen Hause lange vergeblich gesucht hatte, fand sie ihn endlich in der Küche in dem Mehlkübel, in den ihn seine schelmischen Brüder gesteckt hatten. Die arme Frau war sehr aufgebracht über die bösen Buben, doch dankte sie Gott, daß sie ihren lieben Bubu nur wieder hatte, denn sie glaubte schon, er sey von der Katze gefressen worden.

So wurde der Kleine zwölf Jahre alt, ohne auch nur eines Fingers breit gewachsen zu seyn. Doch hatte er sich immer wohl befunden, nur ein Paar Mal hätte er recht unglücklich seyn können. Er fiel nämlich einmal von einem Laib Brot herab, und war in Gefahr, den Arm zu brechen; auch stürzte er eines Tages in eine Schüssel voll Milchsuppe, woraus er naschen wollte, und wäre gewiß ertrunken, wenn ihn die Mutter nicht schnell herausgezogen hätte.

Jetzt starb aber die Mutter, und nun ging es dem armen [107] Schelm gar schlimm bei seinen bösen Brüdern, obgleich die Mutter vor ihrem Tode diese recht herzlich ermahnt hatte, den lieben kleinen Bubu ja in Acht zu nehmen, und ihn brüderlich zu behandeln.

Die beiden ältesten Brüder theilten unter sich Alles, was die Mutter hinterlassen hatte; aber dem kleinen Bubu gaben sie auch nicht einen Heller. Sie thaten gar nicht, als ob es ihr Bruder wäre, und ließen sich von ihm aufwarten, wie von einem Bedienten; auch mußte er ihnen die Stiefel wichsen, und ihre Kleider ausbürsten. Das machte dem kleinen Burschen viele Mühe, aber er verrichtete sein Geschäft doch ganz zur Zufriedenheit der Brüder, denn mit seinen kleinen scharfen Taubenaugen sah er jedes Sandkörnchen auf den Stiefeln, jedes Stäubchen an den Kleidern.

Bubu hatte schon gelernt, daß Jeder, der essen und trinken wolle, auch arbeiten müsse, darum beklagte er sich nicht, wenn es ihm auch bei seiner Arbeit oft recht sauer wurde; nur das schmerzte ihn, daß er von seinen Brüdern so hart und unbrüderlich behandelt wurde. Er durfte nicht mehr mit ihnen, wie bei den Lebzeiten seiner Mutter, an dem Tische, oder vielmehr auf dem Tische sitzen, sondern sie stellten ihm sein Essen, wie einem Hunde, in einem kleinen Schüsselchen auf den Boden, und wenn er etwas versehen hatte, so wurde er halbe Tage lang in den Bierkrug eingesperrt, oder bekam die Ruthe, wie ein kleines Kind, ob er gleich schon sechszehn bis siebzehn Jahre alt war.

Dies Alles schmerzte ihn nicht wenig, und er nahm sich mehr als ein Mal vor, davon zu laufen, wenn er nur gewußt hätte – wohin.

Eines Tages, da die Brüder ihre Wohnung verändern wollten, und eben aufräumten, fanden sie in einem Winkel die blaue, versiegelte Schachtel. Es war ein Zettel darauf [108] geklebt, auf welchem von der Mutter folgende Worte geschrieben standen: „Diese Schachtel gehört meinem jüngsten Sohne Bubu, und keine andere Hand, als die seinige, soll sie öffnen.

„Ja,“ sagte der Eine, „das mag wohl die Mutter gewollt haben, aber ich werde mir die Freiheit nehmen, die Schachtel mit meinen Händen aufzumachen.“

Indem er so sprach, wollte er auch schon die Schnur aufreißen. In demselben Augenblick aber fuhren zwei Stecken aus dem Boden, die ihm die Finger so jämmerlich zerschlugen, daß er die Schachtel fallen ließ. Sogleich verschwanden die Stecken wieder in die Erde. Als aber der andere Bruder die Schachtel wieder aufhob, und ebenfalls sie zu öffnen versuchte, da kamen sie plötzlich wieder hervor, und schlugen ihm beinahe die Finger lahm.

Hierüber wurden sie sehr ärgerlich und erbittert, und sagten: „Da wir selbst die Schachtel nicht öffnen sollen, so soll es Bubu in unserer Gegenwart thun. Geh’, Bruder, und hole den Knirps.“

Kaum war der eine Bruder zum Zimmer hinaus, so wurde auch der andere von den Stocken hinausgeprügelt, und als sie beide mit Bubu wiederkamen, war die blaue Schachtel nicht mehr da, und konnte auch nirgends gefunden werden.

Die beiden Brüder wurden nun noch mehr gegen den kleinen Bubu aufgebracht, und schlugen und stießen ihn bei jeder Gelegenheit. Bubu ertrug dies Alles geduldig, und verrichtete seine Geschäfte willig und ohne Murren. Als aber die Brüder ihn eines Tages, da er gerade achtzehn Jahre alt war, unbarmherzig gepeitscht hatten, so konnte er es nicht länger mehr bei ihnen aushalten, und lief davon.

Indem er aus der Thür trat, stieß er an etwas, das [109] ihm im Wege stand. Er faßte es mit seinen kleinen Händen an, und fand, daß es die Gestalt einer Schachtel hatte, und zugebunden und versiegelt war. „Das mag wohl gar die blaue Schachtel seyn!“ dachte er, hob sie in die Höhe, und setzte sie sich auf den Kopf. Sie war fast so groß, als er selbst, dabei aber so federleicht, daß er ohne große Mühe damit fortlief.

Die Brüder vermißten ihn nicht eher, als am Morgen, da sie ihre Stiefel brauchten. Sie gingen hinaus in die Küche, sie zu holen, und da sie noch ungeputzt waren, fluchten und schalten sie ganz abscheulich auf Bubu, und nahmen sich vor, ihn bis auf den Tod zu peitschen für seine Nachlässigkeit, sobald er wiederkommen würde.

Allein er kam nicht wieder. Da that es den Brüdern leid, einen Bedienten an ihm verloren zu haben, sonst aber grämten sie sich nicht weiter um ihn, und sagten: „Laß ihn laufen, er mag sehen, wie er fortkommt in der Welt!“

Bubu war die ganze Nacht hindurch gelaufen, und endlich auf eine schöne große Wiese gekommen, wo er sich ganz ermattet niedersetzte, um etwas auszuruhen. Dann ging er weiter und immer weiter, bis er an eine große Eiche kam, in deren Schatten er sich lagerte. Jetzt fing ihn an zu hungern; da er aber nichts zu essen mitgenommen hatte, und auch in der ganzen Gegend nichts zu finden war, so überlegte er, was er in dieser Noth zu thun habe.

Als er nun so traurig da saß, fiel ihm seine blaue Schachtel in die Augen. Er las die Aufschrift, und dachte: Vielleicht hilft dir die aus aller Verlegenheit. Schnell fuhr er mit der Hand in die Tasche, und zog ein kleines Messerchen heraus, um den Bindfaden damit zu zerschneiden, doch sah er sich erst um, ob auch nicht die bösen Stecken wieder aus der Erde hervorsprängen. Er sah aber nichts, und öffnete ganz ruhig die Schachtel.

[110] Kaum hatte er aber den Deckel mit vieler Mühe heruntergeschoben, als zu seinem großen Erstaunen eine unzählige Menge Menschen, kleiner als er, aus der Schachtel heraussprang, die sogleich zu arbeiten anfingen. Es waren dabei Maurer, Zimmerleute, Tischler, Schmiede, Schlosser, Glaser, Kupferschmiede, Faßbinder, Schuster, Schneider, Bäcker, Fleischer, Bierbrauer, Köche, Seiler, kurz, alle ersinnliche Arbeitsleute, sämmtlich mit ihren Handwerkszeugen versehen; dann kommen auch Pfarrer, Schulmeister, Aerzte, Richter und allerlei Arten von Gelehrten, auch Buchdrucker und Buchbinder, endlich ein ganzer königlicher Hofstaat, nebst einem zahlreichen Heere Soldaten zu Fuß und zu Pferde: Grenadiere, Füsiliere, Jäger, Kürassiere, Dragoner, Husaren und Artilleristen, alle gut bewaffnet, und mit einer Menge Kanonen, angeführt von Generalen, Obersten, Majoren, Hauptleuten, und einer großen Anzahl geringerer Offiziere, sämmtlich mit ihrem Gepäcke versehen. Zuletzt kam auch eine Menge Schlachtvieh: Ochsen, Kühe, Kälber, Schaafe, Ziegen u. s. w., und das Alles aus – der Schachtel, die der kleine Bubu so lange auf dem Kopfe getragen hatte.

Dieser war ganz außer sich über Alles, was sich hier vor seinen Augen zutrug. Wie erstaunte er aber, als er bemerkte, wie schon die Köche beschäftigt waren, ein großes Feuer anzuzünden, und Kapaunen, Enten, kalekutische Hähne und Rehzimmer zu braten, und die Bäcker herbeikamen, um Kuchen zu backen!

Unterdessen wurde von den Hofbedienten ein großes prächtiges Zelt aufgeschlagen, und von dem Tafeldecker eine lange Tafel mit dem feinsten Tafeltuch gedeckt. Darauf kam der Hofmarschall, und erkundigte sich bei Bubu, wer zur Tafel gebeten werden sollte? „Zuerst ich,“ sagte der [111] Kleine, „denn ich bin gewiß unter Allen der Hungrigste; die Andern werden sich schon finden.“

Als der Hofmarschall sich entfernt hatte, meldete ein Kammerherr die Minister und Generale. „Was wollen denn die Minister und Generale von mir?“ sagte Bubu; „ich bin ja nichts als ein armer, kleiner, hungriger Stiefelwichser!“

„Ew. Majestät belieben zu scherzen!“ erwiederte lächelnd der Kammerherr; „wir wissen Alle sehr wohl, daß Sie unser allergnädigster König und Herr sind.“

„Ist nicht möglich!“ schrie Bubu. „Ich – ein allergnädigster König und Herr? Leutchen, es träumt euch! gnädig mag ich wohl seyn, aber König und Herr bin ich mein Tage nicht gewesen. Ich habe meinen Brüdern ihre Stiefel gewichst, und – ich weiß nicht, wie viele Jahre, ich aus dem Hundeschüsselchen gegessen, und im Bierkrug Pönitenz gethan: wie sollte ich jetzt auf ein Mal König geworden seyn? Es wäre doch ein Spaß, wenn ich es wirklich wäre! – Er sagt, es seyen die Minister und Generale draußen; rufe Er sie mir doch herein, ich bin begierig, was sie mir sagen werden.“

Sogleich traten die Herren herein, und nannten den kleinen Bubu ebenfalls ihren allergnädigsten König und Herrn. Da konnte er fast nicht länger mehr zweifeln, daß er es sey.

Während er noch mit ihnen sprach, und sich nicht genug wundern konnte, über Nacht ein regierender König geworden zu seyn, fühlte er ein kleines Drücken auf dem Kopfe. Er langte hinauf, und zog – eine goldene Krone herunter, und sah sich zugleich mit einem königlichen Kleide angethan.

Nun konnte Bubu nicht mehr zweifeln, und sagte zu den Ministern und Generalen: „Ja, ja! ich bin Euer allergnädigster [112] König und Herr; haltet Euch Alle brav, und seyd mir gehorsam, dann sollt Ihr es gut bei mir haben! – Der Tisch ist gedeckt, und Ihr seyd sämmtlich zur Tafel geladen.“

Darauf setzten sich Alle, die geladen waren, an die Tafel, und aßen mit dem größten Appetite.

„Aber mein Himmel!“ sagte Bubu, als er kaum angefangen hatte zu essen, „habe ich denn keinen Mundschenken, wenn ich König bin? Warum läßt man mich denn dürsten?“

Sogleich wurde ein ganzer großer Korb voll Weinflaschen gebracht, und dem Könige Bubu, nebst den übrigen Gästen, die Gläser gefüllt. Kaum hatte aber Bubu das erste Glas ausgeleert, als es mit einem Male ganz hell und klar in seinem Kopfe wurde; beim zweiten Glase fühlte er, daß seine Muskeln sich dehnten; er mußte sich strecken, und eben so, wie er, streckten sich zugleich alle seine Minister und Generale, und da Bubu zum Zelte hinaus sah, streckte sich das ganze Volk, und das ganze Heer. Es war gerade der Tag, an dem Bubu anfangen sollte, zu wachsen, und mit ihm wuchs Alles, was aus der Schachtel, folglich aus seinen Händen, hervorgegangen war.

Nach der Tafel wurde Befehl ertheilt, daß eine große Stadt erbaut werden sollte. Die Baumeister entwarfen sogleich den Plan dazu; die Bauern und Holzhauer gingen in den Wald, und fällten Holz; die Steinbrecher brachen Steine, Alles, was Hände hatte, mußte Hand an’s Werk legen. Mitten in der Stadt erhob sich ein prächtiger königlicher Palast, der von einem großen, kunstvoll eingerichteten Garten umgeben war; es wurden Kirchen, Spitäler, Kasernen, ein Rathhaus, ein Waisenhaus, und noch viele andere schöne Gebäude angelegt, die zu einer großen Königsstadt [113] gehören. In weniger als einem Jahre wurden die Arbeitsleute damit fertig, denn sie waren ungemein fleißig.

Während dieser Zeit war auch König Bubu mit seinen Ministern und Generalen und Hofleuten und seinen sämmtlichen Unterthanen so schnell gewachsen, daß sie nun völlig so groß waren, als andere Menschen. Und wunderbar genug! mit den Leuten wuchsen auch ihre Häuser, ihre Kleider, ihre Gefäße, kurz Alles wuchs, was ihnen angehörte.

Da sich nun die Menschen in der schönen Königsstadt so schnell vermehrten, daß sie diese gar nicht mehr fassen konnte, so wurden neue Städte, Dörfer und Flecken angelegt, und es entstand auf solche Art nach und nach ein großes und mächtiges Reich, über welches der ehemalige Stiefelwichser Bubu als König herrschte.

Zehn Jahre hatte er schon regiert, als man eines Tages zwei fremde Landstreicher und Diebe ergriff, welche der König Bubu vor sich führen ließ. Er entsetzte sich nicht wenig, als er in ihnen seine beiden Brüder erkannte, denen er entlaufen war; sie aber erkannten ihn nicht, und hätten eher des Himmels Einfall vermuthet, als daß der große König, vor dessen Füßen sie sich niederwarfen, und um Gnade flehten, ihr kleiner Bruder Bubu sey.

„Was?“ sagte er zu ihnen mit einem zornigen Blicke, „ihr Schelme untersteht euch, mich um Gnade zu bitten? Ich habe euch nicht kommen lassen, um euch zu begnadigen, sondern euch zum Tode zu verurtheilen; denn könnt ihr leugnen, daß ihr euern jüngsten Bruder Bubu ermordet habt?“

„Ach nein!“ erwiederten sie zitternd; „wir haben ihn nicht ermordet, er ist uns entlaufen, und wir wissen nicht, wohin er gekommen ist.“

[114] „Und warum ist er euch entlaufen, und warum habt ihr ihn nicht aufgesucht? sprecht, warum nicht?“

Da wußten sie vor Angst nicht, was sie antworten sollten, und meinten, es hätte ihm nicht länger bei ihnen gefallen.

„Ich weiß Alles!“ sagte Bubu. „Er entlief euch, weil er durch eure unbrüderliche Härte dazu gezwungen ward, und daher habt ihr euch seines Todes schuldig gemacht.“

Jetzt konnten sie nicht weiter leugnen, und gestanden ihr Unrecht ein, und flehten nochmals um Gnade.

„Nun hört,“ sagte der König; „ich will Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich bin euer Bruder Bubu. Ihr habt immer schlecht an mir gehandelt, doch hat der Himmel Alles zu meinem Besten gewendet. In der blauen Schachtel, die ihr mit Gewalt öffnen wolltet, stak meine Stadt, mein Volk und mein ganzes Königreich; in einem einzigen Jahre bin ich zu meiner jetzigen Größe herangewachsen. Ich stehe vor euch als König, und ihr vor mir als verurtheilte Landstreicher und Diebe. Wäret ihr als arme, ehrliche Leute zu mir gekommen, so würde ich euch nicht nur Alles, was ihr an mir Böses verübt habt, gern verzeihen, sondern euch auch dem ganzen Hofe als meine Brüder vorstellen, und euch zu hohen Würden erheben; so aber muß ich mich eurer schämen, und kann euch keine andere Gnade erweisen, als euch eure Freiheit zu schenken. Damit ihr aber nicht mehr nöthig habt zu stehlen, will ich euch Jedem funfzig tausend Thaler mitgeben, jedoch müßt ihr sogleich mein Königreich verlassen, und niemand sagen, daß ich euer Bruder bin.“

Die beiden Brüder konnten sich nicht genug verwundern über Bubu’s Größe und seine gute Gesinnung. Sie fühlten wohl, daß er mehr an ihnen that, als sie verdient hatten. Hätte er ein böses Herz gehabt, so hätte er sie [115] Beide können hinrichten lassen; er vergalt ihnen aber Böses mit Gutem. Da gingen sie in sich, und bereueten ihre Fehler, und baten ihn um Vergebung für Alles, was sie unrecht an ihm gethan hätten. Bubu söhnte sich wieder mit ihnen aus, und bot ihnen brüderlich die Hand, und sagte: „Ich habe Alles vergeben, nur bessert euch, und führt euch brav und rechtschaffen auf, und ihr werdet immer einen guten Bruder an mir finden.“ Darauf entließ er sie mit reichen Geschenken.

Bald, nachdem dies vorgefallen war, erhielt der König Bubu einen Besuch von seiner Pathe, der Fee Selma, welcher er sein ganzes Königreich zu verdanken hatte. Sie kam in der Nacht, mitten durch die Luft, auf einem leichten und prächtigen, mit vier fliegenden Löwen bespannten Wagen gefahren. Vor ihr her, über ihr und hinter ihr, flogen große leuchtende Kugeln, die wie Sonnen die ganze Stadt erleuchteten. Als sie sich auf dem Schloßplatz niederließ und ausstieg, konnte man nicht genug die Pracht ihres Gewandes und die Juwelen bewundern, die auf ihrem Kopfputz, an ihrem Halse, an ihrer Brust und an ihren Armen und Fingern blitzten. Der König eilte ihr entgegen, und führte sie mit einer andern jungen und schönen Dame, die sie bei sich hatte, die Schloßtreppe hinauf. Nach einigen Tagen heirathete Bubu die schöne fremde Dame, da sie sich Beide sehr lieb gewonnen hatten, und sie feierten ihre Vermählung mit großer königlicher Pracht.

So war nun Bubu nicht nur ein glücklicher König, sondern auch ein glücklicher Ehegemahl, und all dies Glück hatte er seiner gütigen Beschützerin, der Fee Selma, seiner guten Gesinnung und seiner braven Aufführung zu verdanken.