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Johann Peter Hebel und der Hebel-Schoppen

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Textdaten
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Autor: Berthold Auerbach
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Titel: Johann Peter Hebel und der Hebel-Schoppen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40–41, S. 629-631 650-652
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[629]
Johann Peter Hebel und der Hebel-Schoppen.
Von Berthold Auerbach.

Beim „Hebel-Schoppen“ in Hausen.
Originalzeichnung von Luc. Reich in Rastatt.

Man erzählt von den beiden Brüdern Schlegel, daß sie einstmals eine gar vortreffliche Anekdote vortragen hörten.

Friedrich,“ sagte Wilhelm zum Bruder, als sie allein waren, „Friedrich, laß mir diese Geschichte! Laß mich sie gelegentlich anbringen.“

„Nein, du kannst sie nicht erzählen wie sich’s gehört.“

„Laß mir sie. Du hast schon lange meine silberne Dose besitzen wollen – gut, hier ist sie; behalte sie und laß mir dafür diese Geschichte als mein Eigenthum.“

Der Handel wurde abgeschlossen.

Nicht lange darauf gab sich Gelegenheit, daß Wilhelm die anmuthige Anekdote in einer Gesellschaft erzählte. Friedrich spielte dabei mit der silbernen Dose in der Hand; aber kaum war Wilhelm in der Hälfte der Geschickte, da rief Friedrich: „Da – da hast Du Deine silberne Dose wieder. Du verdirbst die ganze Geschichte! Ich werde die Sache berichten, wie sich’s gehört.“

So geht die Sage von den beiden Brüdern Schlegel, und in der That, es gehört zu den peinlichsten Empfindungen, eine gute Geschichte schlecht erzählen zu hören. Worin aber besteht die eigentliche Kunst, eine Anekdote gehörig zu erzählen? Wir haben in Deutschland sogar große Geschichtschreiber, sie können sehr schöne, sehr tiefe Betrachtungen anstellen über den grobkörnigen Charakter Blücher’s und über den abgefeimten Napoleon’s, aber den einen und den andern schildern, daß sie vor uns stehen, ja nur eine Thatsache aus ihrem Leben ganz plan und schlicht erzählen, daß wir sie mit erleben – das vermögen sie nicht, und weil sie das nicht im Stande sind, thun sie groß und sagen, es sei unter ihrer Würde, Anekdoten zu erzählen.

Allerdings sind das die besten Anekdoten, die sich mündlich weiter verbreiten; sie werden in der Regel bei Flüssigem, sei es Bier oder Wein, genossen, und bleiben selbst flüssig in der mündlichen Tradition, geschrieben werden sie leicht stockig und abgestanden. Es gibt aber doch auch einen geschriebenen Vortrag, in dem man, [630] so zu sagen den Ton der Stimme hört; die Buchstaben sind die gleichen, und doch hört man bald den leisen geheimnisvollen Klang, bald den vollen Einsatz der Stimme; man merkt die Kunstpausen, die zur nöthigen Spannung gemacht werden, man sieht das schelmisch vergnügliche Auge des Erzählers, seine wechselnden Gebehrden, ohne daß er dabei in schauspielerischen Vortrag kommt.

Der beste Erzähler dieser Art, ja das unerreichte Muster eines solchen ist Johann Peter Hebel, bekannt als „Rheinländischer Hausfreund“ und Verfasser der „Allemannischen Gedichte“.

Da haben wir’s nun sofort: zum richtigen Erzählen einer Anekdote gehört poetischer Sinn und Takt. Die Personen und Verhältnisse müssen leicht und bestimmt gezeichnet, mit einem leisen, nicht zu groben und nicht zu feinen Farbenauftrag versehen und zur schnellsten Uebersicht richtig gruppirt sein; man darf weder zu lange noch zu kurz bei den eigenthümlichen Merkmalen von Personen und Gegenständen verweilen. Man muß es dem Erzähler anmerken, daß er die Dinge kennt und sieht; dadurch kennt und sieht sie auch der Zuhörer vor sich. Am füglichsten ist dabei ein gewisser dramatischer Vortrag. Es geht gar nicht anders, wenn die richtige Wirkung hervorgebracht werden soll; man muß die Personen sprechen lassen und zwar rasch und knapp, ohne dabei in Angst zu sein, daß der Zuhörer gar zu sehr Eile habe. Denn es gibt auch Menschen, die mit ungeduldiger Hast und Genußsucht nur die sogenannte Pointe, den Spargelkopf wollen ohne den Stengel. Aber es wächst kein Spargelkopf ohne Stengel, keine Aehre ohne Strohhalm. Der echte Anekdoten-Erzähler muß sein eigenes Behagen und das seiner Zuhörer kennen und ermessen, dann werden solche kleine Geschichten zu wahren unvergänglichen Kunstwerken, und weil die Kunst ihr ewiges Vorbild in der Natur hat, so zeigt sich auch hier, daß nicht der Umfang dem Werke seine Schönheit und seine Bedeutung gibt, sondern das Ebenmaß, das in jedem herrscht, und das ist im Kleinen oft noch deutlicher und ausdrucksvoller als im Großen.

Es sind Dichter vergangen und werden noch Dichter vergehen, die umfangreiche Werke geschrieben haben, während – so weit sich voraussehen läßt – die kleinen mit künstlerischer Anmuth gebauten Geschichten Hebel’s als Eigenthum der deutschen Nation bestehen werden, so lange die deutsche Sprache besteht. Von keinem deutschen Dichter sind so viele Geschichten in alle Schulbücher übergegangen wie von Hebel. Sie sind nicht nur Muster von Correctheit im Satzbau, in der einfachen unverschnörkelten Ausdrucksweise, im zutreffenden Worte ohne aufgeleimte Verzierungen, ohne Verwahrungen mit „etwa“ und „wohl“ und „oft“ u. dergl.; auch der Ton des Vortrags ist ein so rein schöner und inniger, daß diese Erzählungen nicht gemacht, sondern gewachsen erscheinen, und sie haben darum die Eigenschaft der classischen Schriftsteller, die nicht Noth darunter leiden, wenn sie in Schulen grammatisch zerlegt werden. Die Hebel’schen Geschichten haben aber dabei auch in ihrer Art etwas wie das Volkslied, heiter und sinnig, übermüthig schalkhaft und dabei wieder voll reinster frommer Rührung ohne alle Frömmelei. So sind die Geschichten Hebel’s ein Eigenthum und eine Eigenthümlichkeit des deutschen Volkes, dem keine andere Nation etwas Gleiches zur Seite zu stellen hat; denn die Fabeln Lafontaine’s sind theilweise Aesop und Phädrus nachgeahmt, und die kleinen Gleichniß-Erzählungen Benjamin Franklin’s sind an Zahl viel geringer und auch weit mehr unmittelbar lehrhaft und weniger poetisch. Franklin häuft die Lehren z. B. in der kleinen Geschichte: „die Kunst reich zu werden“ zu sehr aufeinander; sie sind nicht auf dem Boden der eben erzählten Thatsachen gewachsen, sondern darauf zusammengetragen. Franklin läßt seinen Vater Richard viele an sich vortreffliche Sprüchwörter auf einmal vorbringen, theils selbst geschaffene, theils überkommene. Hebel geht äußerst sparsam mit dem Sprüchwort um; er häuft nicht das Korn aufeinander zur Aufbewahrung, er streut das einzelne Korn aus, daß es hinreichenden und lockern Boden finde, um zu wachsen. Franklin arbeitet immer auf einen bestimmten Zweck hin, Hebel will erheitern und dabei lehren und kräftigen. Ja, dieses nicht einmal immer. Er ist wie ein behaglicher Zecher; nicht jeder Schoppen ist für den Durst, es ist auch mancher zur bloßen Erheiterung und zur Geselligkeit. [1]

Mag es Schriftsteller geben, die aus Ehrgeiz, aus Ruhmsucht schreiben, um Aufsehen zu erregen, um sich geltend zu machen – sie mögen zeitweise Manches erreichen, Eines aber wird ihnen nie, ein Ruhm und eine Wirkung, die sie freilich gering anschlagen, und das ist der, daß ihre Worte von Kindeslippen gesprochen werden und daß Jeder noch im Alter sich deren erfreut. Erzählungen wie: der Schneider in Pensa, Kannitverstahn, der Husar in Neiße, Kindesdank und viele andere, kennt jeder deutsch lesende Knabe, und jeder Mann erinnert sich ihrer mit Freude.

Zwei Erzählungen aus dem Leben Friedrichs II. und Kaiser Josephs, „König Friedrich und sein Nachbar“ und „das gute Heilmittel“, wären ohne die schlichte und dabei dramatisch so glückliche Vortragsweise Hebel’s gewiß nicht so wie jetzt in die allgemeine Kenntniß gedrungen als Beispiele unbeugsamen Rechtssinnes und menschenfreundlicher Güte. Man denke sich, daß einer der redseligen heutigen Kinderbücher-Schreiber diese Geschichten vorzutragen hätte! Wir bekämen allerlei hochtrabende und hohle Redensarten in den Kauf, aber vor lauter Entzückungen und Ausrufungen des Autors kämen wir nicht zur einfachen Aufnahme des Gegenstandes. Gewiß, das Streben, die Jugend für alles Rechtschaffene und Edle zu erwecken, ist hoch zu rühmen; aber die Begeisterung der Autoren für die Sache ist noch nicht das Talent zur Darstellung derselben. Daß nur die vollendete Bildung und nicht die noch brausende Halbbildung zum schlichten einfach kernigen Ausdrucke gelangt, zeigt die musterhafte Vortragsweise der Märchen der Gebrüder Grimm. Hier ist die gleiche Tonart wie bei Hebel. – Die Betrachtungen über das Weltgebäude, die Thierschilderungen Hebel’s sollten noch heutigen Tags als Muster dienen, dann würde auch die aufgeputzte, schönthuerische Manier, mit der man heut zu Tage Naturwissenschaftliches populär zu machen sucht, verschwinden müssen.

In allen Schul-Lesebüchern sind die besten Stücke aus Hebel entnommen, und doch sind sie nicht eigentlich für Schul-Lesebücher geschrieben. Das bildet ihren besonderen Vorzug. Das Naturleben wie das Menschenleben macht nicht besondere Toilette für das Kind. Es gilt nur, das Auge des Kindes auf das Wesentliche zu lenken, Uebersichtlichkeit und Klarheit in die Dinge und Vorkommnisse zu bringen. Es wäre gut, wenn man einmal den Inhalt der deutschen Schul-Lesebücher einer genauen Prüfung unterwerfen würde.[2] Dann würde man auch finden, wie man jetzt aller Orten Geschichten für Kinder zusammenbraut, voll süßer Gefühle und reiner Lehren, deren innere Mattigkeit durch einen gewaltsam überschraubten Ton und deren innere Hohlheit durch einen Wortpomp verdeckt werden soll. Diese Producte werden vergehen, wie sie gekommen sind, während die Hebel’s bleiben, weil sie ein im Leben gereifter Mann und dazu ein Dichter schuf.

Erst als Hebel seine Dichterweihe von Gottes Gnaden in den allemannischen Gedichten bewiesen hatte, drängte es ihn dazu und fühlte er sich befähigt, dem Volke und gleichmäßig der Jugend Lehre und Erheiterung zu bieten. Er hatte das Schwabenalter bereits zurückgelegt, hatte sich in verschiedenen Lebenskreisen, wenn auch in engem Bezirk, umgethan, war reicherfüllt an Wissen und Erkenntniß, und nun wurde er der Hausfreund seines Volkes.

Hebel hat in der Sprache seiner Heimath am Oberrhein Gedichte geschaffen, die zu dem Besten gehören, was die deutsche Lyrik hervorbrachte. In ihnen ist ein neuer und eigenthümlicher Gemüthston; und es will viel heißen, auf diesem Gebiete einen neuen Ton anzugeben. Die allemannischen Gedichte sind ein volkgezeitigtes Ergebniß der Stimmung und Natur Hebel’s, wie der Stimmung und Natur seines Volksstammes. Diese Thatsache, daß ein Einzelner zur persönlichen Erscheinung und Ausdrucksweise eines Volksstammes wird, gibt den Gedichten Hebel’s eine mehr als blos literarische Bedeutung, wenn auch diese von großem Belang ist. Hebel hat einen bestimmten Volksstamm zum Träger, eine bestimmte Landschaft zum Schauplatz und eine bestimmte (seit dem 8. Jahrhunderte, seit der St. Gallischen Uebersetzung der ambrosischen Hymnen) nicht mehr schriftgemäße Sprache zum Ausdruck seiner dichterischen Empfindungen und Anschauungen – man kann nicht sagen gewählt, sondern der innersten Natur der Sache gemäß aufnehmen müssen.

[631] Die Dialektdichtung ist, im großen Ganzen betrachtet, der erste Anflug oder das Unterholz des deutschen Dichterwaldes, bis der Hochwald erwuchs. Bevor es eine allgemein gültige deutsche Schriftsprache gab, erschienen die Dichtungen natürlich im Dialekt, von denen jeder souverain war. Im 12. Jahrhundert gelangte der schwäbische Dialekt zu einer Oberherrschaft, bis im 13. Jahrhundert durch den Sachsenspiegel der sächsische Dialekt der allgemein schriftgemäßere wurde und endlich durch Luther sich in der Ausbildung zur hochdeutschen Sprache unwiderruflich feststellte. Wir haben ein Vorbild der deutschen Einheit in dem Verhältniß der Dialekte zur allgemeinen hochdeutschen Sprache. Ehedem war jeder Dialekt für sich souverain, nun aber herrscht in der Literatur, in Gesetzgebung, Kirche und Schule das Hochdeutsche. Das Majestätsrecht der Goldprägung steht der Centralgewalt des Hochdeutschen allein zu. Die Wissenschaften, die Dichtkunst höherer Formen, die Gesetzgebung etc. sind hochdeutsch. Für den Kleinverkehr, für die inneren Angelegenheiten der Provinz, des Hauses, behält der Dialekt seine Besonderheit als eine gewisse sprachliche Scheidemünze.

Im natürlich richtigen Verständniß dessen, was dem Dialekte zusteht, hat Hebel nie die größeren vielgliedrigen Formen der Dichtkunst, wie Epos und Drama, im Dialekte versucht, denn da würde sich nicht nur die Unzulänglichkeit desselben herausstellen, indem die Scheidemünze des Dialektes hierzu nicht ausreicht, es führte auch zu einer Zersetzung der so nothwendigen und geschichtlich festgestellten Einheit. Hebel hat nur die intimen Beziehungen und Vorkommnisse des provinzialen und häuslichen, die Besonderheiten des Gemüthslebens in den Bereich des Dialekts gezogen. Er versuchte nicht eine Restauration der seit Luther überwundenen Sprachzertheilung, er gab nur das in seiner Besonderheit lebendig Bestehende in seiner begrenzten Berechtigung wieder, und darum wurde er dichterisch und sprachlich zu einem Muster der Dialektdichtung.

Bei allem allgemein deutschen und allgemein menschlichen Kern, den diese Dichtungen enthalten, ist hier ein gewisses Reich des Gemüthslebens zum Ausdruck gekommen, das eben nur in dieser Form sich kund geben konnte. Die Sprache ist hier nicht Costüm, etwa eine eigene geistige Volkstracht, sie ist vielmehr die innerste und einzige Heimath, wenn man so sagen darf, der einzige Körper dieser Volksseele; oder – um durch ein anderes Bild zu erklären – bei aller Übertragung dieser allemannisch empfundenen und nicht blos allemannisch ausgedrückten Gedichte wäre es so, wie wenn man ein feines, für die Cither componirtes Musikstück, wobei das Instrument einer eigenthümlichen Vibration und ihm allein gehörigen Ansprache fähig ist, nun auf Violine oder Clavier übertragen wollte. Es bleibt unverkennbar dieselbe Melodie, aber es ist ihr ausschließlich eigenthümlicher Ausdruck nicht mehr.

Die Thatsache ferner, daß in einer uns nahen, uns vor Augen stehenden Landschaft und Einwohnerschaft die ganze Scala dichterischer Empfindungen sich ausdrücken ließ, das war die augenfälligste und unwidersprechlichste Beweisführung, daß es nicht nöthig ist, in romantischer Ausschweifung in ferne Länder und vergangene Zeiten sich zu begeben, um dichterisch Entsprechendes zu finden und zu bilden. Hebel that aus sich den von Goethe geheischten „Griff in’s volle Menschenleben“ und er „fand das Schöne nah.“

Aus den Gedichten Hebel’s stieg Etwas auf, wie der Brodem frischgepflügten Erdreichs. Die Einsichtigen erkannten es und die dumpf dahin Lebenden fühlten es: der Boden deutschen Lebens ist noch überall so reich und zeugungsfrisch, daß Blüthe und Frucht der Schönheit in ihm gedeiht. Nicht nur in verklungenen Sagen aus der alten Zeit, im „schönen Aberglauben“, wie man es nannte, besteht die innere Poesie des deutschen Volkes; sie ist zu allen Zeiten da und überall, an keine äußere Tracht und keine altherkömmlichen Gebräuche gebunden; es gilt nur, daß eines Dichters Auge die Schönheit finde und sie mit seinem Worte erlöse.

Mitten in schweren Kriegesnöthen, mitten in der Auflösung des Reichs entfaltete sich eine Blume heimischer Poesie und erklang die bescheidene und liebliche Dichterstimme Hebel’s, wie die wilde Rose im stillen Thale blüht, wenn auch lärmende Kriegsschaaren die Heerstraße daher ziehen; wie die Lerche sich jubelnd in die Luft erhebt, mögen die Menschen da drunten in allerlei Hader und Zank und Wirrniß sich das Leben verbittern.

Hebel machte aus seinen Allemannen keine arkadischen Schäfer. Wie er ihnen die Sprache ihres Lebens ließ, so behielten sie auch die ganze derbe, lebensgetreue Erscheinungsweise. Nicht nur in der Heimath wurden diese nach Gehalt und Gestalt neuen Dichtungen mit herzlicher Freude aufgenommen, auch das gesammte deutsche Volk, soweit das Verständniß dafür erschlossen werden konnte, erkannte die Stimme eines Bruderstammes aus dem Munde des Dichters. Jean Paul pries den Dichter laut, und Goethe ging, ihm volles Lob spendend, auf das innerste Wesen dieser Dichtungen ein. Auffallend ist, daß Schiller, der als Schwabe dem Verständniß des Allemannischen so nahe stand, und der eben damals sich mit seinem schönsten Helden aus dem allemannischen Volke trug, soweit bisher bekannt, keinerlei Aeußerungen über die Gedichte Hebel’s that.

Einen eigenthümlichen Vergleich böte Hebel mit dem schottischen Dichter Robert Burns, der ein Jahr vor Hebel geboren wurde und vier Jahre vor dem Erscheinen der allemannischen Gedichte starb. Burns, in einer dichterisch viel reicheren Landschaft geboren, weit mehr von alten Liederklängen erfüllt, war und blieb, eine kurze Beamtung ausgenommen, ein Bauer; er verharrte nothgedrungen in der ländlichen Beschränktheit und empfand diese als eine hindernde Schranke, die er durchbrechen wollte, während Hebel aus den erweiterten Kreisen des Staatslebens und der Wissenschaft sich wieder dichterisch in die ländliche Beschränktheit zurückversetzte. Während Burns einen Verfall der Vermögensverhältnisse seiner Eltern in der Kindheit mit erlebte, und sein ganzes Leben auf und ab zwischen materiellem und geistigem Verkommen und Sicherheben zu ringen hatte, ist Hebel in Noth und Armuth aufgewachsen, und hat sich durch die Güte der Menschen und eigene Ausdauer daraus emporgearbeitet. Während es in Burns’ Gemüthe oft ist, wie in den Schrunden und Schluchten des Hochgebirges, wo auf übereinander geworfenen Felstrümmern der stille Vogel sich niederläßt, und manche Blume zu ihrem eigenen Genügen aufblüht und verwelkt, bis ein Gewitter herniederrauscht, schäumende Wasserstürze sich über die Felsen ergießen und hochaufbrausen, um dann wieder dürre Oede zurückzulassen; so ist dagegen das Gemüth Hebel’s wie ein stiller See von Blumen bekränzt, in dem die Bäume ihr Spiegelbild erschauen und die Sterne wiederstrahlen. Burns bringt mit hinreißender Energie die persönliche und momentane Stimmung zum stärksten und ergreifendsten Ausdrucke; Hebel tritt mit seiner Persönlichkeit kaum merklich hervor; er behandelt ein Leben, das ihm in Erinnerung steht und zu dem ihn die Sehnsucht führt, das ihm aber äußerlich fremd geworden. Die Leidenschaft kennt Hebel nicht, mindestens findet sie keinen Ausdruck in seinen Dichtungen. Er ist früh zu einem stillen Sichbescheiden gelangt, und wenn er später im Leben über manche Ungemächlichkeiten klagt, geschieht es in jenem Tone, der das Mißliche erkennt, aber im Ganzen an keinem gegebenen Lebensverhältnisse ernstlich oder gar in Leidenschaft und Trotz rütteln mag. Die geistliche Würde und der geistliche Beruf gab Hebel eine gewisse Sänftigung, eine Einordnung, die scharf absticht gegen das wildbewegte Leben des Schotten, der in seiner dürftigen und abhängigen Stellung die ersten großen Thatsachen der französischen Revolution wie eine persönliche Erlösung und die Erlösung seiner Standesgenossen empfand.

[650] In Hebel’s Dichtungen drängt und treibt die Sehnsucht nach einem bestimmt faßbaren Dasein, das in seiner eigenen Jugend lag; in Burns drängt es gewaltig und klagend nach einem Zustande der Befreiung, der vor ihm liegt und, wie alles Zukünftige, nicht so bestimmt faßbar ist. Burns ließ sich hineinziehen in die Kreise der sogenannten vornehmen Welt, die eine Zeit lang Gefallen finden mochte an dem Wildwuchs eines Naturells, das einen Athem der Berge in die geschlossenen Räume brachte und einen vollen Brustton, wie ihn das Leben unter freiem Himmel erheischt und duldet. Aber Burns verlor dabei das natürliche Selbstgenügen und den innern Halt; er wollte und konnte eine gewisse Geltung in der großen Welt und ihre Genüsse nicht mehr entbehren. Und wie er nun bei längerem Verweilen seine Urnatur in die gewohnte Ordnung einfügen sollte, wie er es erfuhr, daß die geistigen Genießlinge die Schmerzensthräne und das Herzblut des Dichters nur als Schaustücke betrachten – da fühlte er sich verstimmt und erbittert zurückgestoßen, und doch immer wieder angezogen, wo bei einfacher Betrachtnahme nichts als Enttäuschungen ihm werden konnten.

Hebel dagegen ließ sich aus seinem stillen, gelassenen Selbstgenügen nicht herausführen. Selbst die Gunstbezeigungen des Hofes – und war es auch ein kleiner Hof, es war doch der Hof seines Landes – nahm er mit Lächeln hin, mit jener Ruhe, in der man sich morgen, wenn die Gunst ausbleibt, als derselbe weiß, der man gestern war, bevor sie eintraf. Hebel war politisch viel zaghafter und unterwürfiger als Burns, aber menschlich war er freier. Er ließ sich seine Unabhängigkeit in menschlicher Selbstschätzung, seinen innern Halt, nicht rauben, so daß Lob und Huldbezeigungen ihm nicht zum Bedürfniß werden, ja nur etwas zu seiner Geltung vor sich beitragen konnten. In Hebel war auch nicht der entfernteste Hang zur Gefallsucht, und das gibt auch seinen Dichtungen den so reinen und im Gedankenfortgange so rhythmischen Verlauf. Wie in seinen kleinen Erzählungen keine sprichwörtlichen Wahrheiten eingesetzt sind, so sind keine Schönheiten in seinen Dichtungen angebracht, nur die Schönheit, die das Ganze mit sich bringt, kommt zum natürlichen Ausdruck. Für Burns ward seine hohe Dichterkraft Qual und Untergang, für Hebel war sie eine Quelle innersten Segens und stiller Befriedigung. Die Friedsamkeit, die auf den Hebel’schen Dichtungen liegt, ist nicht in den idyllischen Stoffen an sich gegeben; rein in der Seele des Dichters lag diese idyllische Friedsamkeit, und sie ging auf seine Stoffe über. Hebel hat nie nach dem ersten Ausgang seiner staatlichen Lebensbahn seinem Dasein selbstwillig eine neue Wendung und Gestalt gegeben. Er war keine kämpfende Natur, er war ein treuer Vollführer der übernommenen Staatspflichten, aber im eigentlichen Kern seines Wesens war er der wohlwollende und wohlthätige Privatmensch, wie ihn nur Deutschlands Boden trägt.

Hebel glaubt an die Güte der Menschen, trotzdem er Falschheit und Lüge oft vor sich gesehen hat. Er hegt die unverwüstliche Freude des Herzens, trotzdem Elend und Ungemach weit verbreitet in der Welt sind; und weil er an Güte glaubt und die Freude erkennt, erweckt er sie beide, wohin sein Blick dringt und wohin sein Wort tönt. Die vornehmthuerischen Menschenverächter, die ewig Klagenden, die traurige Verkommenheit der Welt Bejammernden, die dann ihre Lässigkeit und Lasterhaftigkeit damit bemänteln, daß die Welt doch ewig nichts nutz bleibe, und es sich nicht der Mühe verlohne, irgend Etwas zu thun und zu hoffen – alle diese sind in der Regel in geschützten, sorglosen und wohlbehüteten Verhältnissen erwachsen. Wer aber in seiner Jugend barfuß den rauhen Boden betrat, wer die Güte und Wohlthätigkeit der Mitmenschen in Armuth und Bedrängniß erfahren hat, der kennt das hülfreiche und wohlwollende Herz der Menschen – der sogenannten Niederen wie der Höheren – und vergißt es nie. Hebel hat eine Jugend voll Armuth und Verlassenheit durchgelebt, und er blieb ein Menschenfreund bis an sein Lebensende.

[651] Hebel’s Lebensgeschichte ist kurz und einfach. Von arbeitsamen Eltern geboren, früh verwaist, von der Wohlthätigkeit der Menschen gefördert, blieb er während seines ganzen Daseins im engen Kreise seines Heimathlandes, fand darin die ganze Welt, alle Tiefen und Höhen des Erdendaseins und wußte sein inneres Leben und das seiner Heimath zu reinen, edeln und unvergänglichen Bildern auszuprägen. Johann Peter Hebel wurde geboren zu Basel am 10. Mai 1760. Obgleich er in einem Briefe vom 16. Januar 1825 an seine Freundin Gustave das Haus genau bezeichnete und es sich einst zum ruhigen Leben ankaufen oder wenigstens miethen wollte, hat man es doch bei der hundertjährigen Geburtsfeier nicht ausfindig machen können. Die Eltern Hebel’s wohnten in dem Dorfe Hausen im badischen Oberland, der Vater arbeitete im Winter an seinem Webstuhl, im Sommer arbeiteten die beiden Eheleute wiederum in Basel im Iselin’schen Hause, wo sie vordem treue Dienstboten gewesen waren. Schon ein Jahr nach der Geburt Peters starb der Vater, und der kleine Knabe machte schon früh das Leben armer Verwaisten durch, sammelte Holz im Walde und half die Steine zum Schmelzofen in Hausen zerschellen.

Dabei war er allezeit ein aufgeweckter, zu Schalkstreichen aufgelegter Knabe. In dieser Kindheit aber drang der frische Thau des Naturlebens in seine Seele, um später zu Blüthen und Früchten zu reifen. Bald auch verlor er die Mutter, und nun wurde er, da er schon früh besondere Begabung zeigte, von Wohlthätern gefördert. Er bezog die Universität Erlangen, und nach seiner Rückkehr in die Heimath wurde er zuerst Lehrer in Hertingen, einem Dorfe zwischen Basel und Schopfheim. Er wurde hier „umgeäzt“, d. h. er aß wechselweise an dem Tisch der Familien, deren Kinder er unterrichtete. Er bekam hier aber noch eine Nahrung, an die Niemand dachte; denn in seine Seele drang immer mehr die tiefe Kenntniß des Menschenlebens, besonders des Volkes seiner Heimath, und dies, in Verbindung mit den Kindheits-Erinnerungen, sollte später zum dichterisch so lieblichen Bilde werden. Nachdem er die Ordination erlangt und eine Zeit lang Pfarrgehülfe gewesen, wurde er Präceptoratsvicarius am Pädagogium zu Lörrach und blieb daselbst 11 Jahre lang. Das kümmerliche äußere Leben wurde erhöht durch herzliche Pflege der Freundschaft, in der man eine Art Tafelrunde bildete und sich alterthümliche und phantastische Namen gab. Auch die Liebe zog bei ihm ein: Gustave Fecht, eine feinsinnige und wohlgebildete Pfarrerstochter, gewann und erwiderte die Neigung des Dichters. Hebel wurde 1791 als Subdiaconus an das Gymnasium nach Karlsruhe berufen, wo er die alten Sprachen und die Naturwissenschaften lehrte und zugleich auch in der Kirche zu predigen hatte. Seine Schüler bewahren ihm noch ein freudiges Angedenken, und besonders hat Friedrich Giehne ein schönes Erinnerungsbild mit mancherlei anmuthigen Charakterzügen in der deutschen Vierteljahrsschrift (Jahrgang 1858) aufgestellt.

Hebel stieg von Stufe zu Stufe bis zu den höchsten kirchlichen Ehrenstellen und starb am 22. September 1826. Inmitten seiner ihn oft sehr belastenden Lehr- und Kanzleigeschäfte bewegte ihn stets eine Sehnsucht nach seiner Heimath, dem Oberlande, und aus dieser Sehnsucht, verbunden mit einem tiefpoetischen Sinne und einem durch die classischen Muster erfüllten Geiste, entstanden die allemannischen Gedichte (zuerst anonym erschienen 1802), die eine ganz neue Wendung in Auffassung und Erkenntniß des Volkslebens bezeichnen. Er war nicht so schlimm daran, wie Burns, für den (nach Macaulay’s Ausdruck) „die Welt kein schicklicheres Geschäft zu finden wußte, als daß er sich mit Schmugglern und Gaunern herumzanken, Accise berechnen und Bierfässer visitiren mußte, und ein solcher Geist in solchem Geschäft vergeudet wurde.“ Hebel war durch Wissenschaft so reich ausgestattet, daß er in Kirche und Schule große Dienste leisten konnte, aber das hätten auch Andere gekonnt, und er mußte die Feder führen zu Acten, die in Kanzleien vermodern.

Aus einem innern Drange schuf sich daher Hebel einen außerhalb des Staatsmechanismus stehenden Beruf, dem er freilich nur die Abfälle seiner Zeit widmen konnte. Es war eine naturgemäße Folge seiner Erkenntniß des Volks und seiner Liebe zu ihm, daß Hebel sich auch unmittelbar lehrend und unterweisend an das Volk selbst wendete. So gab er schon vom Jahre 1803 an einzelne Geschichten in den badischen Landeskalender. Vom Jahre 1807–1814 erschien er ganz allein von ihm. In diesem Jahre zog er sich zurück, da die geistliche Censur die bekannte Geschichte „Der fromme Rath“ gestrichen hatte.

Es ist nicht nöthig, Hebel’s unübertroffene, ja unerreichte Eigenthümlichkeit hier nochmals zu schildern, auch nicht den einzigen dunklen Fleck hervorzuheben, wie er sich in einer gefügigen Weise dazu verleiten ließ, die opfermuthige That Andreas Hofer’s zu verspotten. Hebel war der Hausfreund des Volks, ein wohlwollender, treuer, heiterer und schlichter Freund des Hauses; zur Durchdringung des großen Weltlebens, zur richtigen Erkenntniß einer Alles einsetzenden Volkskraft war er bei seinem fügsamen Naturell und noch mehr bei seiner Stellung im Staate nicht geeignet.

In der katholischen Kirche ist es Gesetz, daß erst nach hundert Jahren eine Heiligsprechung vorgenommen werden darf. Bei den heilbringenden Geistern der sogenannten profanen Welt zeigt sich an ihrem hundertjährigem Geburtstage, wie weit ihr Leben und ihr Wirken aufgegangen und gewahrt ist im Leben ihrer Nation, im Leben der Menschheit. Die Jahrhundertfeier Schiller’s hat dies in glänzendster Weise auf der ganzen bewohnten Erde gezeigt. Der hundertjährige Geburtstag Hebel’s wurde seiner bescheidenen, begrenzten Stellung gemäß in bescheidenen und begrenzten Bezirken gefeiert, aber hier nicht minder mit inniger Wärme.

Dabei sind aus dem inneren Leben Hebel’s viele Zeugnisse zu Tage gebracht worden, die das Bild des herzlich Verehrten neu kennen lehren. Es sind dies besonders zwei Schiften:

„Aus Hebel’s Briefwechsel zur Erinnerung an den 10. Mai 1860“ (Freiburg im Breisgau) und „J. P. Hebel, Festgabe zu seinem Geburtstage. Briefe Hebel’s an Freunde und Freundinnen etc., herausgegeben von Friedrich Becker.“ (Basel 1860.) Bisher waren nur dürftige Auszüge aus Hebel’s Briefen bekannt gewesen, nun haben wir gewissermaßen eine actenmäßige Einsicht in sein inneres Leben.

In dem erstgenannten Buche sind besonders die Briefe an die Familie Hausse in Straßburg anziehend. Das innere Leben der Allemannen und seines besten Vertreters hat Straßburg nicht vom deutschen Reiche getrennt. Hebel ist darin heimisch als in einer grunddeutschen Stadt, und die Briefe gehen damals noch durch die Bötin. In diesen Briefen ist ein jean-paulisirender Ton. Es wird nämlich in ein Gefühl noch eine Unterart von Gefühl hineingepfropft oder davon abgezweigt, während Hebel doch sonst so einfach und gradaus ist. Hebel spottet selbst darüber, daß er in diese Manier verfalle, „aber es geht mir auch so, wenn ich Hexameter gelesen oder selbst gemacht habe. Gewöhnlich denke ich noch eine Zeit lang sechsfüßig fort.“ Indem er auf die politischen Verhältnisse zu sprechen kommt, schreibt er den Straßburgern: „Was braucht ihr zu wissen, wo uns arme Barfüßige der Schuh drückt?“ Aus seinem innern Frieden heraus schreibt er doch, daß seine Vorstellung über theologische Dinge „dahinauslaufe, daß wir nicht viel von der Sache wissen und das Ende abwarten müssen. Wie wenn wir zum ersten Male ein Haus bauen, oder einem Schuhmacher ein Paar Stiefel zuschneiden sehen, zumal wenn wir vorher noch keinen Fuß gesehen hätten.“

„Mein Leben stiehlt sich mir unter unangenehmen Geschäften, unwillkommenen Zerstreuungen,“ schreibt er noch ein Jahr vor seinem Tode.

Von umfassenderer Bedeutung ist das zweitgenannte Buch, aber der Herausgeber hätte nicht so ängstlich sein sollen in Ausmerzung des charakteristisch Persönlichen, denn dies gehört zur vollen Farbe eines Zeitbildes. Im Jahre 1791 schreibt Hebel an Gustave: „Am Sonntag habe ich meine erste Predigt gehalten. Hören und Sehen verging mir, als ich mich so von einem Meer von Hauben und Frisuren umfluthet sah. Die Leute sehen alle so kennerisch aus unter den Hauben und Frisuren.“

Er versetzt sich in diesen Briefen immer ganz leibhaftig in’s Oberland, und mitten in einem Gewitter schreibt er an die Freundin: „Während ich mich mit einer so lieben frommen Seele beschäftige, wird doch der Himmel hoffentlich keinen Unwillen an mir ausüben.“ „Wo es Etwas zu arbeiten gibt, muß ich dazu und ärgere mich darüber,“ schreibt er ein ander Mal; dann erzählt er wieder ganz einfach, wie er dem Markgrafen und den Hofleuten die allemannischen Gedichte vorlesen mußte. Er will immer auf eine Pfarrstelle im Oberlande, und als man ihn in Karlsruhe zurückhält, schreibt er: „Es ist mir sehr lieb, daß mich der Großherzog nicht fortlassen wollte, damit es mich nicht reuen kann, daß ich nicht ging.“

[652] Ueber Jean Paul schreibt er: „Seine Schriften sind wie Ananas, auswendig lauter Dornen und Disteln, bis man in das süße innere Leben hineingedrungen ist.“ Höchst charakteristisch ist: „Ich fühle noch immer ein einziges Uebel, das recht liebenswürdig wäre, wenn ich nur eine eigene Rente von zweitausend Gulden dazu hätte, nämlich die beständige Lust zu schlafen. Ich habe mir ein bescheidenes Einkommen gewünscht, denn zum Schlafen braucht man nicht viel.“

Obgleich er noch im Todesjahre unterzeichnet „mit Liebe unwandelbar Ihr Freund Hebel“, hat er sich auch bei auskömmlichem Gehalt doch nicht dazu entschlossen, die Jugendgeliebte zu heirathen, und das gehört zu den unerklärlichen Räthseln seines Lebens. Bei seinem ausschließlich häuslichen Sinne blieb er doch einer der wenigen unverheiratheten deutschen Dichter.

Noch bedeutsamer ist der Briefwechsel mit Pfarrer Hitzig, gen. Zenoides, während Hebel sich Parmenides nannte; es kommen darin mancherlei tiefere Einblicke in das eigene Leben, wie in das Leben der Zeit vor.

Einen Vorsatz, ganz seinem Charakter und seiner heiter wohlthätigen Weise gemäß, wollte Hebel ausführen. Er wollte in seinem letzten Willen bestimmen, daß von seiner Hinterlassenschaft den Greisen in Hausen, seinem Heimathsdorfe, an jedem Sonntag ein Schoppen Wein verabreicht werden sollte. Heiterkeit, Freude, Wohlbehagen zu verbreiten, das war sein innerster Herzenswunsch noch über das Leben hinaus.

Er starb, ohne ein Testament zu hinterlassen.

Nun aber haben Basler Freunde an seinem hundertjährigen Geburtstage eine Summe zusammengebracht, aus deren Ertrag, wie die Zeitungen im Allgemeinen berichten, alljährlich an Hebel’s Geburtstag der Hebel-Schoppen verabreicht werden soll. Das ist gewiß eine Art, das Andenken Hebel’s zu feiern und zu erneuern, die seinem ganzen Wesen am meisten entspricht. Wir sehen es vor uns, wie die alten Heimathsgenossen Hebel’s beisammen sitzen, sich von seinen Geschichten erzählen und die Erinnerung an ihn auffrischen. Das Anne Meili und Vreneli hören auch gern zu; sie haben nicht mehr die volle Tracht, wie sie Hebel in der „Wiese“ schildert, es gibt immer mehr Fabriken im Wiesenthal, aber noch ist hier ein kernhafter Volksstamm, der sich von keinen Kirchengemeinderäthen sein Lied wird rauben lassen; sie halten’s mit Hebel und singen dazwischen das Lied:

Ne G’sang in Ehre,
wer will’s verwehre?
Singt ’s Thierli nit in Hurst und Nast,
der Engel nit im Sterne-Glast?
E freie frohe Mueth,
e g’sund und fröhlich Bluet
goht über Geld und Guet.

Ne Trunk in Ehre,
wer will’s verwehre?
Trinkt ’s Blüemli nit si Morgenthau?
Trinkt nit der Vogt si Schöppli au?
Und wer am Werchtig schafft,
dem bringt der Rebesaft
am Suntig neui Chraft.

Und wenn sich das Herz erfreut und erfrischt hat, dann ziehen sie wohl heim und singen wiederum Hebel’s Wort und Gedanken:

Jetzt schwingen wir den Hut.
Der Wein, der Wein war gut.
Der Kaiser trinkt Burgunder Wein,
Sein schönster Junker schenkt ihm ein,
Und schmeckt ihm doch nicht besser,
  Nicht besser.

Der Wirth, der ist bezahlt,
Und keine Kreide malt
Den Namen an die Kammerthür
Und hintendran die Schuldgebühr.
Der Gast darf wiederkommen,
  Ja kommen.

Und wer sein Gläslein trinkt,
Ein lustig Liedlein singt
Im Frieden und mit Sittsamkeit,
Und geht nach Haus zu rechter Zeit,
Der Gast darf wiederkehren,
  Mit Ehren.

Des Wirths fein Töchterlein
Ist züchtig, schlank und fein,
Die Mutter hält’s in treuer Hut,
Und hat sie keins, das ist nicht gut,
Muß eins in Straßburg kaufen,
  Ja kaufen.

Jetzt, Brüder, gute Nacht!
Der Mond am Himmel wacht;
Und wacht er nicht, so schläft er noch.
Wir finden Weg und Hausthür doch
Und schlafen aus in Frieden,
  Ja Frieden.

Der Hebel-Schoppen ist eins der schönsten Denkmäler im ganzen Vaterlande, und es ist nur zu wünschen, daß sich noch viele Geschlechter bis in undenkbare Zeiten hinaus daran in Freude und Freiheit erquicken.



  1. Darum ist der Hebel-Schoppen, der am hundertsten Geburtstage Hebel’s gestiftet wurde, schon in diesem Sinne ein entsprechendes Abbild seines Strebens. Nicht eine wohlthätige Stiftung, eine Armenspeisung allein ist im Geiste Hebel’s, sondern eine Stiftung zur Heiterkeit, zur Freude.
  2. In dem sächsischen Schul-Lesebuch, genannt „Lebensbilder I“, heißt es Seite 40 der zwanzigsten Auflage:

    „Ihr Dütennäscher, laßt euch sagen,
    Viel Zuckerzeug verdirbt den Magen.“

    Kann es nach Form und Inhalt etwas Abgeschmackteres geben, als solche Verse?