Zum Inhalt springen

Johann Georg Fischer (Die Gartenlaube 1896)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Johann Georg Fischer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 731–732
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[731]

Johann Georg Fischer.

Zum achtzigsten Geburtstag des Dichters.

Am 25. Oktober d. J. feiert der schwäbische Dichter Johann Georg Fischer in Stuttgart seinen achtzigsten Geburtstag, ein Lebensziel, das zu erreichen von den jetzt noch lebenden Dichtern keinem vergönnt war, wenngleich einige derselben, wie Wilhelm Jordan, Heinrich Kruse, Hermann Lingg, Theodor Fontane, demselben rüstig zuschreiten. Nicht bloß das engere Vaterland des Dichters, in welchem die starken Wurzeln seiner Kraft ruhen, nicht bloß das Schwabenland wird an diesem Gedenktag sich dankbar seines Besitzes bewußt werden, sondern das ganze deutsche Volk, soweit es noch im Kampfe der Parteien sich den Sinn bewahrt hat für die Gaben der Musen und die Unbefangenheit, sie zu würdigen, auch wenn sie nicht von einem begünstigten Liebling der Mode, wohl aber von einem echten Dichter herrühren.

J. G. Fischer ist am 25. Oktober 1816 zu Groß-Süßen in Württemberg geboren. Er war anfangs Volksschullehrer, doch sein Wissensdrang trieb ihn nach Tübingen, wo er an der Universität mit großem Fleiß sowohl Naturwissenschaften als Philosophie und Geschichte studierte; er bekleidete dann mehrere Lehrerstellen, bis er 1860 Professor an der Oberrealschule in Stuttgart wurde. Im Jahre 1885 trat er in den Ruhestand. Wenn er aber auch seine Lehrerthätigkeit aufgab, so blieb seine Muse doch noch immer regsam, ein Beweis, daß sie aus einem frischen unversieglichcu Quell der Empfindung und Begeisterung schöpft. Als er vor etwa sieben Jahren den Schmerz erlitt, durch den Tod seine geliebte Gattin zu verlieren, feierte er deren Gedächtnis in Liedern von hinreißendem Gefühlsschwung („Auf dem Heimweg“), und erst ganz neuerdings hat eine neue Sammlung Gedichte, auf welche wir unten zu sprechen kommen, den Beweis geliefert, daß er wie Anakreon noch als Greis über die Empfindungsfrische eines Jünglings verfügt.

Die Zeit, in welcher die schwäbische Dichterschule im Vordergrund der poetischen Entwicklung unseres Volkes stand, ist freilich vorüber; wie aber so vieles, was ihre Meister geschaffen, noch im Volke lebt, wie Uhlands Poesie vor allem noch im Singen und Sagen des deutschen Volkes lebendig wiederklingt, so ist ihre Nachwirkung auf die Mehrzahl der heutigen schwäbischen Dichter noch eine unmittelbare. Das innige Versenken in die Stimmungswelt der anmutigen Natur ihrer Heimat, die Begeisterung für die große historische Vergangenheit des schwäbischen Bodens, auf dessen burggekrönten Bergen drei deutsche Kaisergeschlechter ihre Wiege hatten, kräftiger Sinn für Freiheit und Mannesstolz ist mit Ludwig Uhland der unter seinem Vorbild herangereiften schwäbischen Dichtergeneration gemeinsam. Doch nicht äußere Nachahmung hat dieses Verhältnis bewirkt: es sind tiefbegründete Eigenschaften des schwäbischen Volkscharakters, es sind die Quellen poetischer Anregung, welche die schwäbische Heimat all ihren Kindern darbietet, die diese Nachfolge, bei freiester Offenbarung scharfkantiger Besonderheit, bedingen. An J. G. Fischer zeigt sich dies vor allem. Auch auf ihn haben die großen Schwabendichter, die ihm vorausgingen, von Schiller und Hölderlin bis auf Mörike, der persönlich sein Freund ward, vorbildlich gewirkt, aber ihre Richtung empfingen sein Geist und sein Talent direkt von der schwäbischen Natur, die ihn umgab und die in ihm war.

Die Vögel im Wald seines weltabgelegenen Heimatthals weckten in ihm, wie er selbst gesagt hat, die Freude am Lied; gern hat er diese „Lehrzeit“, da er, der Dorfjunge, sich „barfuß, nur in Hemd und Hose“ in den Wäldern des bergumhegten Filsthals umhertrieb und die gefiederten Sänger belauschte, in späteren Gedichten heraufbeschworen. Auf ländlichen Festen – ein frischer Bursch unter andern Dorfkindern – lernte er ferner die schwäbischen Volkslieder singen, deren innigen und doch kernigen Ton später seine Kunstpoesie so glücklich zu treffen verstand. Zwei Stunden von seinem Heimatsort Süßen erhebt der Hohenstaufen seine majestätische Kuppel, von Sage und Geschichte verklärt; auf anderen Höhen der Gegend ragen Rinnen empor, die noch unmittelbarer anf eine Vorzeit voll Glanz und Herrlichkeit zurückdeuten. In solcher Umgebung gewann sein Geist ganz selbständig jenen Sinn für das Heldenhafte, welcher später in seinen Balladen und politischen Zeitgedichten, wie in seinen Dramen, zu so kraftvoller Aussprache gelangte. Für all diese poetischen Antriebe fand er gewiß in Uhlands Dichtung wegweisende Muster, aber er schloß sich seinem Vorbild auf eigene Weise an. Was diese dichterische Eigenart betrifft, so trägt die Fischersche Muse gewisse Charakterzüge des schwäbischen Naturells noch schärfer ausgeprägt an sich als die jenes älteren Meisters: das bisweilen schwerfällig Tiefsinnige, das volkstümlich Derbe seines Humors, jene „Knuppen und Knorren“, von denen er selbst einmal spricht. Das Leichte, das sich graziös einschmeichelt, aber auch gehaltlos ist, liegt ihr fern. Seine Muse bietet mehr Früchte als Blüten, und manche dieser Früchte haben einen harten Kern; aber sie schüttet dieselben aus einem reichen Füllhorn von Gedanken aus und der ausgegorene Wein, den er spendet, ist oft von jener Art, deren Wohlgeschmack mit dem Alter zunimmt.

Seine erste Gedichtsammlung erschien 1854; ihr folgten „Neue Gedichte“ 1865. Naturbilder und Liebesgedichte lösen sich darin ab; sie sind alle nicht nach herkömmlicher Schablone gedichtet; sie haben einen originell kräftigen Zug. Bisweilen freilich wird die einheitliche Stimmung unterbrochen, wenn irgend eine volkstümlich naive Wendung sich in den schwunghaften Erguß mischt. In den Gedichten „Für unsere Zeit“ spricht sich eine warme patriotische Gesinnung aus, die ihre besondere Farbe von der Ueberzeugung erhält, daß große befreiende Thaten im Völkerleben große thatenkühne Persönlichkeiten zu ihrer Ausführung erheischen. Da, wo die Sänger der Freiheit, die, wie Freiligrath, der Bewegnng von 1848 ihre Heroldsrufe hatten voraustönen lassen, mit ihren Hoffnungen an der rauhen Wirklichkeit gescheitert waren, knüpfte er an. Den Männern des Ideals hatten die Männer der ausführenden That gefehlt. In den Tagen des Zusammensturzes jener stolzen Freiheits- und Einheitsträume – schon 1849 – entrang sich Fischers Brust jener gewaltige Sehnsuchtsruf: „Nur einen Mann aus Millionen“, der für seine politische Zeitdichtung so bezeichnend ist und zuerst durch die „Gartenlaube“ den Weg zum Herzen des Volks fand, jenes Gedicht, das sich heute wie eine Prophetie der Einigung liest, welcher später Bismarcks thatenstarke Persönlichkeit das deutsche Volk entgegenführte. In anderen Gedichten, wie „Das Lied der Zukunft“, „Der Protektor“, gelangte derselbe Gedanke im Bunde mit warmer Begeisterung für die Rechte des Volks und seinen Anspruch auf Freiheit zum Ausdruck.

Als schwäbischer Frauenlob erscheint Fischer in seiner Sammlung „Den deutschen Frauen“ (1869), in welcher sich Liebeslieder von einer gewissen geistigen Tiefe befinden und außerdem eine geschichtliche Frauengalerie, welche Porträts von lebendigstem Kolorit enthält. Schwunghafte Gedichte, welche die Schönheit der Natur feiern, Hymnen im Goetheschen Stil finden sich in der Sammlung „Aus frischer Luft“ (1872). Im Liedercyklus „Merlin“ (1877) hat der Dichter aus dem Stoff nicht eine dämonische Gedankendichtung wie Immermann und neuerdings Kurt von Rohrscheidt geschaffen, sondern ein Werk in der Art von Rückerts „Weisheit des Brahmanen“, vieles darin Gesagte ist schön und tiefsinnig, manches in einer etwas knorrigen Form.

Fischers Trauerspiele haben alle zur Grundlage den Kampf mit den weltlichen Machtansprüchen der Geistlichkeit, aus welchen Jahrhunderten er auch seine Stoffe wählen mochte. Auch hieran erkennt man den im Weichbild des Hohenstaufenberges und in der Wiege des Ghibellinentums zur Welt gekommenen Dichter. In [732] „Saul“ (1862) ist diese Grundlage eine biblische, in „Friedrich der Zweite von Hohenstaufen“ (1863) eine mittelalterliche, in „Florian Geyer“ (1866) ist sie der Zeit des Banernkriegs, in „Kaiser Maximilian von Mexiko“ (1868) der neuesten Zeitgeschichte entnommen. In allen Dramen herrscht ein kräftiger, dem Ideal der Aufklärung zugewandter Geist. Das letztgenannte ist in Bezug auf dramatische Technik das gelungenste, reifste. Wenn auch in ihm manches Historienhafte mit hereinspielt, so hat doch die Charakterzeichnung, besonders diejenige des einfachen Republikaners Juarez und der interessanten Prinzessin Salm, Kraft und Mark, auch der Wahnsinn der Kaiserin ist in ergreifender Weise dargestellt. Das Wagnis, einen Stoff aus so naher Vergangenheit, aus der Zeitgeschichte zu wählen, erscheint uns durchaus gerechtfertigt; die Vorbilder der griechischen und englischen Tragiker sprechen für solche Berechtigung. Leider aber erschweren die Rücksichten, welche unsere besseren Theater meist nehmen müssen, ihre Aufführbarkeit.

Sehr überrascht hat der Nestor der schwäbischen Poeten durch seine neueste, wie die früheren im Cottaschen Klassikerverlag erschienene Gedichtsammlung, welcher er den Titel: „Mit achtzig Jahren“ gab, indem er den Mut besaß, alle die Gemeinplätze herauszufordern, mit denen man die Poesie der Hochbejahrten abzufertigen liebt. Geistig verkrustet und versteinert soll das hohe Alter sein und das Saitenspiel der Dichtung nur matt unter seiner welken Hand erklingen. Und doch weiß die Geschichte in allen Zeiten von betagten Sängern zu melden, welche nicht geringeren Dichterruhm erworben haben als die aufstrebende feurige Jugend. Man wird dem greisen schwäbischen Dichter nicht nachsagen können, daß er eine lahme Hand hat, welche nur noch altersmüde Verse auf das Papier kritzelt. Mag hier und dort auch in der Form eine kleine Versteifung eingetreten sein: bei weitem stärker ist der Eindruck, daß Fischers Lyrik noch immer aus einem Empfindungsquell von seltener Frische schöpft. Diese Sammlung ist reich an Versen von melodischem Fluß bei tiefsinnigem Gedankeninhalt, an Liedern von jenem feurigen Guß, wie er sonst nur der Jugend eigen zu sein pflegt. Wie schön besingt er „seine Muse, seine Liebe“:

J. G. Fischer.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph H. Brandseph
in Stuttgart.

„All meine Sinne sind bei dir,
Ich geh’ mit dir, du gehst mit mir,
Du Glück an meiner Seite;
Und fühlst du, wie das Herz mir bebt
Und wie mich von der Erde hebt
Dein unsichtbar Geleite?

So bleibe mein! Und unverwandt,
Du Tröstung, die mir Gott gesandt,
Laß mich dein Bild umfassen;
Du hast mich reich und froh gemacht
Und neues Leben mir gebracht,
Sonst wär’ ich ganz verlassen.

Sprach’ alle Welt: Es ist ein Spiel,
Und ob die Welt in Trümmer fiel’,
Du wärst es, was mir bliebe,
Das Ein und Alles lebte doch,
Dich, meine Muse, säng’ ich noch,
Dich, ewig meine Liebe!“


Die Mehrzahl der Liebesgedichte trägt den Stempel des Selbsterlebten; meist sind es Erinnerungsblätter, die ein einst besessenes Glück wieder aufleben lassen. Doch der Schwerpunkt ruht auf den Gedichten, in denen die Weisheit des Alters, das Gedankenvolle, überwiegt. Sehr gehaltvoll sind die Epigramme, in denen weniger der scharfe als der milde Ton vorherrscht, und manches Gedicht in Distichen zeugt von tiefer Weltanschauung und ist bezeichnend im Ausdruck, von großer Treffsicherheit, ohne mit besonderer Künstlichkeit zugespitzte Pfeile zu wählen; andere wie „Im Fiebertraum“ haben wieder in freier rhythmischer Bewegung hinreißenden Odenschwung. Wie der Dichter aber auch noch immer den schlichten Volkston zu treffen und ihn mit innigstem Empfindungshauch zu beseelen vermag, das beweist das Gedicht „Selige Nacht“.

„O wie linde kommt die Nacht:
Ncbelglanz und Mondenstrahl
Hüllt dich ein, du liebes Thal,
Das uns heut’ so froh gemacht;
O wie linde kommt die Nacht!

O wie leise haucht die Nacht,
Die in Duft und Lichtgewand,
Bestes Herz und liebste Hand,
Ueber deinem Schlummer wacht;
O wie leise haucht die Nacht!

O wie süß verschwebt die Nacht:
Selig träumen ich und du
Schon dem neuen Tage zu,
Der uns morgen zugedacht;
O wie selig ist die Nacht!“

„Mit achtzig Jahren“ und noch in Reih’ und Glied mit den jungen Sängern – da kann man wohl dem Veteranen seinen Glückwunsch darbringen – und das wollen wir und das wird das deutsche Volk nicht versäumen! †