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Jenner Tucholsky im Geschlechtskampf

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hugo Ball
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Titel: Jenner Tucholsky im Geschlechtskampf
Untertitel:
aus: Die Aktion. Jg. 4, Nr. 9, 28. Februar 1914, Sp. 185–186
Herausgeber: Franz Pfemfert
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Verlag die Aktion
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Erscheinungsort: Berlin-Wilmersdorf
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Glosse von Hugo Ball. Replik auf den Text Tilla Durieux von Kurt Tucholsky
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[185] In Numer 7 der „Schaubühne“ verübt jenner Tucholsky masochistische Notzucht an Tilla Durieux. Da die in Geschlechtshaß motivierte skribifaxische Vergewaltigung mitten auf der Straße (will sagen mit den schlechtesten literarischen Mitteln) und an beinahe öffentlicher Stelle vor sich geht, fordert der unter zivilisierten Menschen labile Anstandskodex: Stockprügel.

Was hätte eine mit Fleiß, Geduld und Spucke geführte Zeitschrift, die sich mit der subalternen Kunst des Theaters befaßt, was hätte sie besseres zu tun, als auf „die Tragik“ der Künstlerin Tilla Durieux hinzuweisen, die zu Experimenten verdammt ist, weil sie dem momentanen Theater um ein halbes Jahrhundert vorausläuft; für die ein Dichter wie Heinrich Mann seine Domäne verläßt, um ihr Rollen zu ersinnen? Haben wir’s, zum Donnerwetter, mit der Kunst zu tun oder mit der Schweinerei? Aber nein. Die Schauspielerin Durieux „interessiert ihn nicht“. Was hat sie gespielt? „Judith. Die Dame in Heinrich Manns ,Großer Liebe‘. Hedda Gabler.“ Einige andere Rollen noch (etwa Wedekinds „Lulu“ und Hatvanys „Berühmte“), die es aber nicht aufzuzählen lohnt. Sie hat diese Rollen „nie variiert, sondern brüsk und unbedenklich stets sich an die Rampe geschoben. Eine Duse dritten Ranges, eine dramatische Primadonna nicht ohne Gänsefüße“. Sie macht „Haß“, sie macht „Hingebung“, sie macht „Müdigkeit“. Aber es fehlt ihr die Lübe. „Nur Liebe, Liebe gab es hier nicht. Als Schauspielerin also kaum allzu ertragreich.“ (Es fehlt ihr die Lübe, sagt der Tuch.)

Was ihn interessiert, ist die Dame. Die Schauspielerin „schiebt er zur Seite“. Er erblickt hinter ihr „die unendliche Schar derer, die es ihr gleichtun oder gleichtun wollen: kleine bürgerliche Katherinen die Zweiten, Salonschlangen, dämonische Dummchen, Kleopatras ohne einen Antonius, nach dem sie sich so sehnen.“ Und er kriegt einen Schreck bei diesen Kleopatras mit ohne dem Antonius, „nach dem sie sich so sehnen“. Denn: „haben sie ihn aber (den An[186] tonius), und haben sie den richtigen, dann Gnade ihm Gott“ (dem Antonius; es ist gut, daß man keiner ist). „Wir haben diesen Typus (flötet dieser Nashornvogel weiter), den die Durieux am reinsten darstellt, vielleicht aus dem Slawischen übernommen.“ Diese teuflischen Friseurcircen. „Wir werden uns unerhört lieben“, sagen sie. Aber Kuchen.

Und der Tuch hat eine Idee. „Wenn eine decadence vorliegt, dann ist’s die des Mannes.“ (Ja, waren Sie denn selbst in der Lage, Tuch?) „Es verlohnt nicht einmal der Knute, unter der diese Frauen allenfalls erträglich sind.“ (Er wird Sadist.) „Sie sind das andere Ende einer wahnsinnig gewordenen Frauenkette, (!) die regieren will.“ Lyzeumslehrerinnen sind Pfarrerstöchter dagegen. „Sie brauchen verschwimmende Nebelschwaden. Es ist stickig in ihrer Nähe, heiß und drückend. Sie jonglieren mit Gefühlen, die jederzeit abschnappen können, und ihr Haus hat tausend Zimmer, eins an dem andern, und in dem letzten ist nichts.“ (Tausend Zimmer.) „In diesem Stadium (meint unser Ichthyosaurier) mag das Wörtchen ,Geschlechtsakt‘ abkühlen. Es wirkt so, wie wenn man die Hostie ein Stückchen Teig nennt.“ (Ja, ja, das Wörtchen „Geschlechtsakt“!) Und „es erscheint angebracht, diesem Typus von Jüdinnen und Polinnen (meint Nebbich-Tucholsky) das zu nehmen, was ihn mächtig macht“. (Je nun, angenehmster Herr Tuch, das wird seine Schwierigkeit haben. Was muß man ihnen da nehmen?) Aber er meint: „Den Glauben der andern.“ Also nimmt er ihnen „den Glauben der andern“. Mitten auf der Straße. Und an beinahe öffentlicher Stelle (in der „Schaubühne“). In, auf und um die „Schaubühne“ herum. Von allen Seiten. Mit allen Mitteln. Mit männlichster Betätigung, und so, daß nichts übrig bleibt, als ein Bündel Kleider, ein Stern und eine kleine Pause.

Dann aber knöpft er sich zu (er knöpft sich für allemal zu gegen diesen Typus), schüttelt sich und geht davon, nicht ohne die pantagruelische Gebärde:

„Ein Kriegsruf? Eine Warnung? Nur ein Stück Naturgeschichte der Oberart, der Bühneninkarnation des sehnsuchtsvoll angestarrten und hitzig kopierten Musterexemplars jener femme incomprise up to date.“