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James Harrod

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Titel: James Harrod. Ein Ansiedlerleben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 473–476
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[473]

James Harrod.

Ein Ansiedlerleben.

Harrod, der Gründer von Harrodsburg in Kentucky, war einer von jenen Menschen, die in die Welt eintreten, wie ungefähr ein Eichenbaum eintritt; niemand sieht ober hört ihn wachsen oder weiß etwas Besonderes von seinem Dasein, bis die Leute plötzlich aufschauen und sich von seinen Zweigen beschattet und von den Nüssen genährt sehen, die er freigebig auf ihre Köpfe regnen läßt.

Er war groß, kräftig, bescheiden und einfach; er hatte kein anderes Buch gelesen, als das der Natur, kannte keine Kunst als die Waidmannskunst, haßte nichts auf Erden, außer den Indianer und den Iltis und sagte immer nur: „Vorwärts, Jungen!“ Seine Rifle war die längste, die schwerste und zuverlässigste; sein ruhiges, offenes Auge versäumte nie, das ferne Wild zu erspähen, den Blicken des Todfeindes zu begegnen oder dem Freunde Wahrheit zuzulächeln. Sein Arm war eben so unwiderstehlich wie seine Zunge langsam und bedächtig war. Wie kann man einen Helden aus einem so rohen Block wie diesen machen? Die Entstehung ging uns nichts an – Gott machte ihn zum Helden, wenn er einer war.

Damals mußte jeder Zoll Erde den Indianern abgekämpft werden, die listig und schlau oft ein furchtbares Blutbad unter den jungen Ansiedlern anrichteten. Harrod war einer ihrer furchtbarsten Gegner.

Die ungeschriebene Chronik jener Zeit erzählt manche rührende Geschichte von den Thaten dieses jungen Jägers; seine Geschicklichkeit und Gewandtheit auf dem Kriegspfade, seine Wachsamkeit, seine wunderbare Kraft der Ausdauer machten ihn bald zur Hauptstütze der schwachen und zerstreuten Ansiedelungen, die damals im Namen Gottes und der Civilisation den Besitz dieses weiten Landes zu behaupten wagten, das seiner Ueppigkeit und Schönheit wegen viele Jahrhunderte lang der goldene Streitapfel zwischen mächtigen wilden Stämmen auf der Nord- und Südseite gewesen war. Sein Muth und seine einfachen, schlichten Gewohnheiten, seine frische, kräftige Leibesbeschaffenheit, sein stattlicher, mit ungewöhnlicher, natürlicher Kraft ausgestatteter Körper gaben ihm überall ein gewisses Uebergewicht.

Seine Thätigkeit war so unermüdlich, sein Selbstvertrauen so kaltblütig, daß er selbst für seine längsten und gefährlichsten Unternehmungen nie auf Gefährten wartete. Er war oft Wochen und selbst Monate lang verschwunden, ohne daß irgend Jemand wußte, wohin oder zu welchem Zwecke er sich entfernt hatte, und man hörte erst wieder von ihm, wenn er dann plötzlich wieder zum Vorschein kam, um die Ansiedelungen vor der Annäherung einer Kriegsschaar der Indianer zu warnen. Während dieser langen Ausflüge war seine Betriebsamkeit unermüdlich; alles Wild, das er erbeuten konnte, wurde gedörrt und nach dem Brauche der Indianer [474] verwahrt, so daß es der Nachforschung der wilden Thiere, oder wohl selbst auch der Schlauheit der Indianer verborgen blieb. Zu diesen Vorräthen konnte er jederzeit, wenn Mangel eintrat, seine Zuflucht nehmen, um die Blockhäuser mit Lebensmitteln zu versorgen.

Seine Kenntniß von dem Indianerleben und sein Selbstvertrauen waren von der Art, daß er häufig allein jagte, selbst wenn er auch aus den Spuren, die ihn umgaben, recht gut erkennen konnte, daß Indianer auf demselben Gebiete jagten. Der stolze Jäger wollte nicht weichen, sondern es mit seinem rothen Feinde kühn aufnehmen.

Einst traf er bei einer solchen Gelegenheit eine Anzahl schöner Hirsche, die in der Nähe des Kentuckyflusses auf einer kleinen Waldblöße weideten. Er hatte sich schon mit großer Vorsicht genähert, um zum Schusse zu kommen, und nachdem er den erwünschten Punkt erreicht hatte, kniete er hinter einen Baum und war im Begriff, seine Rifle anzulegen und das Wild auf’s Korn zu nehmen, als der Bock des Rudels plötzlich seinen Kopf erhob und jenes eigenthümliche, gellende Pfeifen hören ließ, welches andeutet, daß Gefahr gewittert wird.

Harrod war ein zu erfahrener Jäger, als daß er nicht aus der Richtung, nach welcher der Hirsch seinen Kopf wendete, augenblicklich erkannt hätte, daß außer ihm selber noch ein anderer Feind in der Nähe war. Er lauschte unbeweglich und mit angehaltenem Athem, bis im nächsten Augenblicke beim Krachen einer Büchse von der entgegengesetzten Seite der Waldblöße der Bock in die Höhe sprang und dann todt zu Boden fiel.

Harrod’s Büchse entlud sich so unmittelbar darauf, daß ihr Knall nur eine Verlängerung des ersten zu sein schien; es sank eine edlere Beute in den Staub; die Kugel des Jägers hatte das stolze Herz eines Shawanee-Häuptlings getroffen, der sich aus seinem Verstecke vorgebeugt hatte, um zu feuern. Harrod wußte es schon seit mehreren Tagen, daß eine Jagdschaar der Shawanee in der Nähe war.

Ein andermal war er ziemlich daran, seiner auserwählten Beute zu unterliegen. Er befand sich auf einer großen Büffelfährte, die nach Blau-Licks führte, und hatte schon seit mehreren Tagen mit großem Erfolge gejagt, ohne irgend eine Spur von Indianern bemerkt zu haben. Ein Stier, den er verwundet hatte, war einige Meilen weit von seinem Rudel hinweggeeilt, und stand jetzt zum Kampfe auf Leben und Tod bereit in einem dichten Walde; Harrod war genöthigt, sich ihm mit der größten Vorsicht zu nähern, denn das Thier war jetzt, wie dies bei einer schweren Verwundung immer der Fall ist, äußerst gefährlich.

Harrod hatte kaum seine Stelle eingenommen, und war im Begriff zu schießen, als er einen Krieger erblickte, der, hinter einen Baum stehend, auf ihn selber angelegt hatte. Er schoß, denn es war zu spät, dies zu unterlassen, fiel aber in demselben Augenblicke wie von einer Kugel getroffen zu Boden. Der Krieger schoß natürlicher Weise, und seine Kugel fuhr durch Harrod’s Wolfsfell-Mütze, indem er fiel. Er blieb ganz still liegen, während der Indianer, nachdem er seine Flinte wieder geladen hatte, denn dies thut der Indianer stets, ehe er seinen Versteck verläßt, jetzt auf ihn zukam, um des erlegten Feindes Schädelhaut zu gewinnen. Aber er näherte sich mit charakteristischer Vorsicht, und als er endlich, von Baum zu Baum springend, seine Beute erreicht hatte und sah, daß der Körper völlig still und regungslos dalag, sprang er mit dem Skalpirmesser in der Hand auf ihn zu; kaum aber hatte er sich gebückt, um die Skalplocke zu erfassen, als er blitzschnell von Harrod’s langen und mächtigen Armen umschlungen und in dieser herkulischen Umarmung ohnmächtig zu Boden geschleudert, so daß er im nächsten Augenblicke unter seinem Feinde lag.

Man erzählt sich von seiner persönlichen Tapferkeit noch eine andere ziemlich ähnliche Anekdote, die in Kentucky zu den allgemeiner verbreiteten Geschichten gehört, anderwärts aber noch nicht bekannt sein dürfte.

Die Shawanees hatten nämlich mehrere Angriffe auf Boone’s Station unternommen, gegen welche Ansiedlung sie überhaupt stets die bitterste Feindseligkeit bewiesen hatten, ohne Zweifel, weil sie die erste weiße Niederlassung in diesem Lande gewesen war. Boone war mit dem größten Theile der Männer der Station eben abwesend, und befand sich bei den Salzquellen, um Salz zu gewinnen. Die Indianer hatten das Vieh der Ansiedlung getödtet, ihre Jäger hineingetrieben und die Vorräthe der Station so sehr geschmälert, daß die kleine Besatzung sich in der größten Verlegenheit befand.

In dieser Bedrängniß erschien plötzlich und ganz unerwartet James Harrod, von einem seiner längeren Ausflüge zurückkehrend. Als er sah, wie die Dinge standen, machte er zunächst einigen der zurückgebliebenen Männer den Vorschlag, ihn nach einer seiner nächsten Fleischniederlagen zu begleiten. Das Unternehmen war höchst gewagt und gefährlich, und Harrod erkannte aus dem unschlüssigen Zögern der Leute, daß sie eben keine sonderliche Lust hatten. Er verließ daher die Station in derselben Nacht allein und sagte den Frauen beim Abschied, daß sie guten Muthes sein möchten, da er ihnen Fleisch bringen würde.

Er fand, daß das Wild am Morgen sehr scheu und schüchtern war, und da es rings umher nicht an Indianerspuren fehlte, so beschloß er, das erste Fleisch, das er erlangen konnte, zu erbeuten und damit so schnell als möglich nach dem bedrängten Fort zurückzukehren. Bald erreichte er ein Rudel Hirsche, die sich ganz so bewegten, als wären sie eben erst gestört worden, und sich noch immer umsahen. Dies war für Harrod eine Mahnung zur Vorsicht. Bald nachher führte ihn sein Weg über eine Spur, aus welcher er schließen zu können glaubte, daß mehrere Indianer ganz in der Nähe wären. Der verwegene Jäger fragte nicht nach der Ueberlegenheit des Feindes, sondern beschloß kaltblütig, einen jener Hirsche zu gewinnen oder seine Schädelhaut zu verlieren, und hinsichtlich des Letzteren war ziemlich große Wahrscheinlichkeit vorhanden.

Für jeden anderen wäre dies thörichte Verwegenheit gewesen, für Harrod war es seine Sache, die sich von selbst verstand. Noch nie hatte er sich durch die Rothhäute von seinem Pfade ablenken lassen und hatte nicht die Absicht, hierin jemals eine Ausnahme zu machen. Auch er machte Anspruch auf diese Jagdgebiete, jenes Rothwild war auch das seinige, wenn er es erbeuten konnte, und erbeuten wollte er es.

Seine Vorsicht wurde nicht wenig vermehrt, als er auf der Spur des Hirsches Fußtritte von Moccassins bemerkte. Die Indianer waren demnach vor ihm und er konnte jeden Augenblick auf sie stoßen. Dies schreckte ihn nicht ab, denn er erkannte auf den ersten Blick seinen Vortheil, da er den Indianern, diese aber dem Hirsch auf der Spur waren, und wie aus der Sorglosigkeit ihrer Fährte sich schließen ließ, die Nähe des weißen Feindes keineswegs ahneten. Er hatte sie auf diese Weise mehrere Meilen weit verfolgt und war dabei vorsichtig wie bei einem Waldkampfe von Baum zu Baum geschlüpft.

Das plötzliche Pfeifen eines Hirsches und zwei augenblicklich darauf folgende Büchsenschüsse ganz dicht zu Harrod’s linker Seite waren für ihn eine Mahnung, daß der Augenblick der That gekommen war. Die Indianer hielten sich zurückgezogen, und als Harrod vorsichtig hinter einem Baume hervor zu schauen wagte, um sich nach ihnen umzusehen, zischte von seiner rechten Seite her eine Büchsenkugel durch das dicke schwarze Haar, das über seine Schultern fiel und streifte scharf und stechend seinen Hals. Er bückte sich augenblicklich nieder, und es war lange Zeit wieder todtenstill, denn die Indianer zur Rechten hatten den Wink beachtet und blieben im Hinterhalte, während der Indianer zur Rechten dasselbe that, seine Büchse wieder lud und eine neue günstige Gelegenheit erwartete.

Auf zwei Seiten, vielleicht auf allen Seiten belagert zu sein, wäre für jeden gewöhnlichen Menschen jedenfalls eine bedeutende Klemme gewesen. Aber nach dem, was man von Harrod’s Charakter weiß, möchte ich fast vermuthen, daß ihm diese Verlegenheit Vergnügen machte; es war ganz eine jener bösen Lagen, in welche er sich gerne verwickelte, blos weil es ihm Vergnügen machte, sich wieder heraus zu winden.

Der Fuß des Baumes, an welchem er kauerte, war von ungefähr drei Fuß hohem Gebüsch und Strauchwerk umgeben, und Harrod mußte seinen Kopf erheben, ehe er feuern konnte. Er trug wie gewöhnlich seine berühmte Wolfsfell-Mütze, und nachdem er sich nach hinlänglichem Warten überzeugt hatte, daß keine Aussicht vorhanden war, daß der vorsichtige Feind sich blicken lassen würde, steckte er sie auf die Mündung seiner Büchse und schob sie, nachdem er durch einige Bewegung in dem Busche den Indianern angedeutet hatte, daß er unruhig wurde, langsam und vorsichtig empor.

Fast gleichzeitig entluden sich drei Büchsen, als die Mütze sich über den Busch erhob, und ehe das Echo verhallt war, folgte ihm [475] das Todesgeschrei des Kriegers zur Rechten in den Schatten des Waldes. Harrod verhielt sich lange Zeit still, ehe er beschloß, das Manöver zu wiederholen; die Mütze wurde auf’s Neue emporgestreckt, aber diesmal erfolgte nur ein Schuß, denn die Indianer hatten sich warnen lassen. Harrod hatte jedoch seinen Zweck erreicht, denn er wußte jetzt genau, wo die beiden Indianer standen. Er hatte vorher nur ungefähr die Richtung, aber nicht die eigentliche Stellung seiner Feinde gekannt, da sein Auge vorzugsweise damit beschäftigt gewesen war, den Indianer zur Rechten zu beobachten – in weniger als einer halben Minute trat der Indianer, welcher geschossen hatte, mit einem Theile seines Körpers hinter seinem Schutze hervor, und Harrod schoß ihn durch’s Herz.

Der andere Indianer zog sich eilig zurück; er entkam, aber Harrod war der Meinung, daß seine dritte Kugel auch ihn getroffen haben müßte. Die Indianer hatten sich durch das Manöver mit der Mütze vollkommen täuschen lassen, und der letzte, der die Flucht ergriffen hatte, war offenbar der Meinung, daß mehrere weiße Männer vorhanden sein müßten, da sie bereits zwei getödtet hätten. Harrod ging nun gemächlich an’s Werk, die beiden Hirsche, welche von den Indianern erlegt worden waren, auszuweiden, und erreichte am Abend, zur Freude aller, reichlich mit Fleisch beladen die Station.

Harrod’s Gutmüthigkeit scheint eben so außerordentlich gewesen zu sein wie sein Muth und seine Thatkraft. Seine Hütte, eine der ersten im Lande, wurde alsbald der Kern einer Station; es versammelten sich hier, um Schutz und Beistand zu suchen, die Vermesser des Landes, die Speculanten, die Jäger und Auswanderer, und die Namen Harrodsburg und Boonesborough waren die ersten, die sich in der Seele müder, in diesem gefährlichen Lande herumziehender Abenteurer aller Art mit der Hoffnung auf Ruhe und Sicherheit verbanden. Schnell wuchsen rings um diese Hütte andere Hütten empor, bis endlich sichere Vertheidigungsmaßregeln nöthig geworden waren und ein Fort gebaut wurde.

So wurde unter dem Schutze der beiden Namen Boone und Harrod die dauernde Besitznahme von Kentucky durch die Weißen begonnen.

Diese beiden Männer, obgleich verhältnißmäßig noch jung, schienen in sich vollständig das urthümliche Musterbild des alten patriarchalischen Charakters wieder erzeugt zu haben, der in dem Elementarzustande der Gesellschaft, in welcher sie lebten, so überaus nöthig war. Alle Neuankommenden waren ihre Kinder – sie wurden als solche mit offenen Armen empfangen, sie wurden bewacht, beschützt und geleitet, bis sie gelernt hatten, allein zu stehen und für sich selber zu sorgen, und was noch merkwürdiger war, man gestattete ihnen sogar, ohne das geringste Murren, sich der außerordentlichen Mühen und Leiden ihrer edlen und uneigennützigen Beschützer zu ihrem Vortheil zu bedienen.

Wenn ein Ansiedler anlangte, erkundigte er sich nach einem Platz zur Niederlassung; Harrod’s Kenntniß von der Umgegend stand ihm zu Diensten; er nahm seine Axt, half dem Neuling eine Hütte bauen, und war der Familie das Fleisch ausgegangen, so wußte Harrod durch eine ihm eigene Zauberei es auszukundschaften. Er ging in den Wald, und bald wurden den Darbenden ein schöner Hirsch, ein fetter Bär oder einige Büffelviertel zur Verfügung gestellt. Die Pferde hatten sich in der Umgegend verlaufen, mit welcher der Ansiedler noch nicht bekannt war, und man konnte keine Feldarbeit vornehmen. Harrod’s unermüdliche Thätigkeit hat im Vorbeigehen die Entdeckung gemacht, daß auf der neuen Besitzung etwas nicht in gehöriger Ordnung ist, und man hört seine offene männliche Stimme über den Zaun rufen: „Heda, Jones – woran liegt es? Noch nicht gepflügt, wie ich sehe! Doch nichts passirt?“

„O doch, das alte Pferd ist seit fünf Tagen verschwunden – kann es in jenem Rohrdickiggebirge nicht wieder finden – habe mich selbst zwei Tage lang dort verirrt, um nach ihm zu suchen, und habe es nun aufgegeben.“

„Seid unbesorgt, Jones, Ihr werdet Euch in Kurzem an dieses Gebirge gewöhnen. Euer Pferd ist ein Rothbrauner, nicht wahr?“

„Ja, eine Schneppe auf der Nase und weiß am linken Hinterfuße.“

„Guten Morgen, Jones.“

Einige Stunden später wird das rothbraune Pferd mit der Schneppe auf der Nase gemächlich nach der Einfriedigung des Ansiedlers Jones getrieben, und Harrod geht weiter.

Die Bewohner der Station erhalten Nachricht, daß die Indianer das fünf Meilen entfernte Haus eines Ansiedlers angegriffen, die ganze Familie bis auf zwei Töchter gemordet und diese in eine unglückliche und gefährliche Gefangenschaft geführt haben – augenblicklich hört man Harrod’s Kriegsgeschrei.

„Auf, Jungen – auf, wir müssen diese Schufte fangen – wir können unsere Mädchen nicht entbehren!“

Sein gebräuntes Gesicht röthet sich vor Begeisterung und Eifer und sein dunkles Auge leuchtet; die Leute kennen ihren Anführer, sie wissen, daß er augenblicklich auch ohne sie hinweggeeilt, und sind schnell bereit.

Die schnelle, unermüdliche Verfolgung, die vorsichtige Beschleichung des Lagers, der nächtliche Ueberfall mit seinem kurzen wüthenden Kampfe, die Befreiung und die Rückkehr, dies waren alles nicht ungewöhnliche Ereignisse des wilden Lebens dieser Ansiedler.

In der Eigenschaft als Spion, Führer oder Streifschaaren-Häuptling unternahm Harrod häufige und verwegene Züge in das Land der Indianer. Kein Unternehmen war für seine Begeisterung und seinen Eifer zu kühn, keines erforderte zu viel Geduld, zu viel Gewandtheit und zu viel Ausdauer in Hunger, in Durst und Beschwerden, daß er in seinem kaltblütigen Selbstvertrauen sich gescheut hätte, es zu wagen, was er am Häufigsten allein that. Er vermied so viel als möglich die Gesellschaft anderer Leute, denn er sagte, sie pflegten gewöhnlich schon über Beschwerden und Gefahren zu klagen, ehe bei ihm der eigentliche Spaß noch begonnen habe, und daß es ihm daher mehr Mühe koste, sich ihrer anzunehmen, als alles, was zu thun sei, zweimal zu vollbringen. Diese außerordentliche Liebe zu einsamen Unternehmungen und Abenteuern war eine der am Meisten hervortretenden Charaktereigenthümlichkeiten dieses James Harrod. Die Indianer nannten ihn deshalb auch „das einsame Langmesser,“ und fürchteten nicht wenig seine geheimnißvolle Tapferkeit.

Er wagte sich bei verschiedenen Gelegenheiten Nachts in die Dörfer der Indianer, um ihre Plane zu erforschen, und als er einst hierbei von einem jungen Krieger ertappt wurde, schlug er diesen mit seiner mächtigen Faust zu Boden und flüchtete sich in den benachbarten Wald, aber nicht ohne gesehen und verfolgt zu werden. Zwanzig bis dreißig Krieger setzten ihm nach und waren ihm im ersten Anlauf so dicht auf den Fersen, daß ihre Flintenkugeln ihn wie Hagel umschwirrten.

Die Schnelligkeit indianischer Läufer ist fast sprüchwörtlich geworden, aber sie hatten hier einen Mann vor sich, der noch schnellfüßiger und unermüdlicher war, als sie. Er übertraf sie so weit, daß in dem Augenblicke, wo sie den ungefähr zehn Meilen entfernten Miami erreichten, nur noch drei Krieger übrig waren, welche die Verfolgung fortsetzen zu wollen schienen.

Harrod sprang ohne Bedenken in den Fluß, und als er das jenseitige Ufer erreichte, kamen auch seine Verfolger an den Fluß und feuerten nach ihm, indem er an dem Ufer hinankletterte; der Fluß war hier ziemlich breit und die Kugeln verfehlten ihr Ziel. – Der Verfolgte suchte jetzt einen Baum am Saume des Waldes zu gewinnen, nahm die wasserdichte Hülle von Hirschblase von dem Schlosse seiner Büchse und bereitete sich vor, seine Feinde zu empfangen, wenn sie es versuchen sollten, über den Fluß zu setzen. Die Indianer zögerten einen Augenblick, denn es war jetzt seit einiger Zeit Tageslicht eingetreten, und schienen fast zu befürchten, daß ihr Feind einen festen Stand genommen haben möchte, als sie aber in diesem Augenblicke den nahenden Ruf derjenigen hörten, die zurückgeblieben waren, antworteten sie und stürzten sich in das Wasser.

Harrod wartete, bis sie ungefähr die Mitte des Flusses erreicht hatten, worauf seine Büchse knallte und der vorderste der Schwimmenden untersank; die zwei anderen hielten inne und kehrten dann um, aber ehe sie aus dem Bereich der Büchse kommen konnten, verwundete Harrod einen Zweiten, der sich dem Strome überließ und hinabgetrieben wurde. Der Dritte entkam mit geschicktem Untertauchen, die Manöver einer verwundeten Ente nachahmend, glücklich selbst Harrod’s sicherem Ziele.

Harrod hörte das wüthende Geschrei der Hauptschaar seiner überlisteten Verfolger, die das Ufer des Flusses erreicht hatten, als er bereits durch den Wald floh; die Verfolgung wurde nicht weiter fortgesetzt.

[476] Das dramatische Interesse dieses Abenteuers wird erhöht werden, wenn wir hinzufügen, daß Harrod, als er zwei Stunden später wieder an das Ufer des Miami kam, auf einem Haufen von Treibholz, das sich an der Mündung eines der kleinen in den Hauptstrom sich ergießenden Bäche angesammelt hatte, einen lebendigen Gegenstand bemerkte, den er für eine in der Sonne glänzende große Schildkröte hielt, die sich bemühte, ihren unlenksamen Körper auf den Holzhaufen zu schleppen, um sich dort zu sonnen.

Harrod blieb stehen, um die Sache genauer in Augenschein zu nehmen, und man denke sich sein Erstaunen, als er einen großen Indianer langsam aus dem Wasser hervorkriechen und endlich auf dem Treibholze Platz nehmen sah. Der Indianer hatte seine Büchse verloren und begann das aus einer in seiner Schulter befindlichen Kugelwunde strömende Blut zu stillen. Harrod wußte, daß es der zweite von ihm verwundete Indianer war, der höchst wahrscheinlich ein Stück jenes Treibholzes, womit der angeschwellte Fluß jetzt angefüllt war, erreicht und auf diese Weise, trotz seiner bedeutenden Verwundung, sich schwimmend erhalten hatte.

Hier gab es eine Prüfung für einen Mann wie Harrod; sein Feind war verwundet und hülflos in seiner Gewalt; ihn gefangen zu nehmen, würde unmöglich gewesen sein, und ihn entschlüpfen zu lassen, hielt Harrod mit der seinem Volke schuldigen Pflicht nicht vereinbar. Er überlegte eine Weile, was hier zu thun war, denn erschießen konnte er den armen Teufel nicht.

Nachdem er seinen Entschluß gefaßt hatte, machte er einen weiten Umweg und näherte sich dem verwundeten Krieger heimlich und vorsichtig von hinten. Dicht an dem Treibholzhaufen stand ein großer Baum; hier legte Harrod, nachdem er ihn erreicht hatte, seine Büchse ab, trat dann plötzlich hinter dem Baume hervor und erhob seine Hände, zum Zeichen, daß er unbewaffnet sei.

„Uguh!“ stöhnte der verwundete Krieger und machte eine plötzliche Bewegung, als hätte er sich wieder in das Wasser stürzen wollen. Harrod legte seine Hand auf’s Herz und sprach zwei Worte in der Shawanee-Sprache, worauf der Indianer sich faßte, ihn einen Augenblick ernsthaft ansah und dann zum Zeichen der Unterwerfung sein Haupt neigte. Harrod half ihm das Ufer erklimmen, zerriß sein eignes Hemd und verband die Wunde mit kühlenden Kräutern, und dann, als er sah, daß der Indianer außer Stande war zu gehen, setzte er ihn auf seine breiten Schultern und trug ihn nicht nach der Station, sondern zu einer Höhle, die er als einen seiner Vorrathsplätze zu benutzen pflegte. Außer ihm wußte Niemand etwas von diesem Verstecke, und er hatte ihn zufällig entdeckt, indem er einen verwundeten Bären hineingetrieben hatte.

Der Eingang war sehr enge und mit Dorngebüsch verwachsen; wenn man dieses beseitigte, glaubte man vor einem tiefen Brunnen zu stehen, hatte sich aber das Auge an die Finsterniß gewöhnt, so konnte man allmälig einen trockenen weißen Boden entdecken. Harrod war mit Hülfe einer Baumleiter hinabgelangt. Diese Leiter, die vorzugsweise eine Gränzerrungenschaft ist, besteht einzig und allein aus einem kräftigen jungen Bäumchen, das dicht mit Zweigen besetzt ist. Nachdem man das Bäumchen gefällt hat, werden die Aeste ungefähr sechs Zoll vom Stamme abgestutzt und auf diese Weise zum Emporsteigen trefflich geeignete Sprossen gebildet.

Wenn man den Boden erreichte, der ungefähr zwölf Fuß unter der Oberfläche lag, befand man sich in einem kleinen, aber unregelmäßig gestalteten Gemache, dessen Decke mit zahlreichen schönen und phantastisch gestalteten Stalactiten behangen war, unter welchen am entfernteren Ende des Gemaches ein klares, helles Wasser ruhig in ein weißes rundes Becken sich ergoß, das es sich allmälig in den festen Kalkstein ausgegraben hatte.

Nachdem der kleine Bach in der Länge des Gemaches sich hingezogen, fand er endlich einen Ausgang in einer dunklen Höhlung der Wand, die ungefähr so groß war, daß ein Mann, der auf Händen und Knien kroch, hindurch gekommen wäre. Hier verschwand es, den weißesten Sand bespülend, in unerforschte Tiefen. Von der Spitze jedes der an der Decke befindlichen Stalactiten fielen Wassertropfen langsam auf andere Stalactiten, die sich erhoben, um jenen zu begegnen und die zum Theil die wunderlichsten Gestalten angenommen hatten. Ein ungefähr zwölf Fuß im Geviert haltender Raum der Decke und des Bodens dieses seltsamen unterirdischen Gemaches war trocken wie Zunder.

Ich bin in der Beschreibung dieser Höhle nur deshalb so genau und umständlich, weil ich sie einst besucht habe, und von den wunderbaren Eigenthümlichkeiten dieses Ortes seltsam überrascht wurde. Unter anderen Dingen bildet das beständige Tröpfeln des Wassers auf die weißen, klingenden Stalactiten eine Art leisen Harmonicons, dessen Lieblichkeit ich nimmer vergessen werde.

In diesem eigentlichen Verstecke verbarg Harrod, wie man sich erzählt, seinen verwundeten Feind, denn nachdem der edelmüthige Jäger einmal beschlossen hatte, ihm Beistand zu leisten, duldete es seine Großmuth nicht, dem stolzen Krieger eine Demüthigung zu bereiten, die für ihn schlimmer war, als der Tod, und ihn seinen weißen Feinden als Gefangenen zuzuführen. Harrod nahm sich seiner an, bis er wieder hergestellt war und besuchte ihn regelmäßig auf seinen Jagdausflügen. Als der Krieger wieder kräftig geworden war, versah ihn Harrod mit einem Vorrathe von Lebensmitteln und bat ihn, nach Norden deutend, zu seinem Volke zurückzukehren und diesem zu erzählen, wie das „Langmesser“ seinen verwundeten Feind behandelte.

Harrod wurde allenthalben sehr beliebt, denn seine vielen außerordentlichen Thaten und gütigen und menschenfreundlichen Handlungen waren nicht seine einzigen Ansprüche auf die Achtung und Dankbarkeit der jetzt schnell zunehmenden Bevölkerung von Kentucky. Seine männliche Weisheit und sein trefflicher Rath waren seiner Thätigkeit und Wirksamkeit im Felde vollkommen entsprechend; denn obgleich er bis zum Lebensende kaum seinen Namen schreiben konnte und fortwährend ein Mann von wenigen Worten blieb, so war doch eine kurze Aeußerung aus seinem Munde in jener stets von weit größerem Werthe, als alle glänzenden Reden, die ein schreiender Demagog in einem Jahre halten konnte.

Er war erwählter Oberst, sehr glücklich mit einer ächten Kentuckierin verheirathet und allgemein geachtet und verehrt, obgleich er kaum über sein Jugendalter hinaus war. Seine Bescheidenheit war unüberwindlich, und er ging scheu allen Ehrenbezeigungen aus dem Wege, die er irgendwie vermeiden konnte.

Merkwürdig ist es, daß ihn nicht einmal die Reize seines häuslichen Glückes, nicht die Liebe seiner Mitbürger oder die Anziehungskraft einer täglich sich mehr verfeinernden Gesellschaft jener eigenthümlichen Neigung zur Jagd entfremden konnten, durch welche sich Harrod vorzugsweise auszeichnete und die dem Jäger-Naturforscher, in welcher Gestalt er auch auftreten mag, so eigenthümlich zu sein scheint. Noch immer vergrub er sich, mit seiner Büchse ausgerüstet, Wochen und selbst Monate lang in irgend eine noch unentweihte endlose Wildniß, aus welcher er, mit den Trophäen seiner Jagd beladen, eben so unerwartet wieder hervor kam, als er verschwunden war.

So verschwand er auch einmal, um nicht wieder zurückzukehren. Welcher Zufall seiner Jagd oder welcher tödtliche Kampf mit seinen indianischen Feinden seinem Leben ein Ziel gesetzt hatte, war nie zu erforschen.

So starb ein ächter Held – einen Tod, den er sich wahrscheinlich freiwillig erwählt haben würde – in jener wilden, ernsten Einsamkeit, die er so zärtlich liebte und im ehrlichen Kampfe mit jenen Zufälligkeiten, welchen die Stirne zu bieten sein Stolz und sein Ruhm war. Angesicht gegen Angesicht vor Gott, der uralten Natur und seinem Feinde hörte das edle Herz zu schlagen auf, erschlaffte der starke, kräftige Arm.

Die winterlichen Winde haben fürwahr manches stattliche Mausoleum umweht, aber nie klagten sie ein großartigeres Requiem über einem edleren Grabe, als an jener wilden Stätte von Gestein und Waldung, wo James Harrod ruht. Er hinterließ, wie ich glaube, eine einzige Tochter, und in Harrodsburg und dessen Nachbarschaft lebt noch immer eine von ihr abstammende große Familie.