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Jagdleben im Hochland (Die Gartenlaube 1887)

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Textdaten
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Autor: Ludwig Ganghofer
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Titel: Jagdleben im Hochland. 1. Auerhahnfalz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 392–395
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Jagdleben im Hochland.

Geschildert von Ludwig Ganghofer.
1. Auerhahnfalz.

Vor manchen Jahren, an einem Sommertage war’s, als ich in Begleitung des Jagdgehilfen, eines stämmigen, schwarzbärtigen Gesellen, das Forsthaus verließ, um zu Berge zu steigen. Unser Ziel war die „Lärchkogelhütte“, ein kleines, hölzernes Jägerhaus, das drei „gute Bauernstunden“ über dem Thale zwischen Wald und kahlen Felsen auf einem mit schütteren Lärchen bewachsenen Hügel stand, inmitten des wildreichsten Jagdgebietes.

Ueber der mit grobem Kiesgeröll beschwemmten Isarau, welche wir durchwandern mußten, ehe der Wald uns aufnahm in seinen kühlen Schatten, brütete die Sonne mit zitternder Gluth; zahllose Fliegen, wilde Bienen und Bremsen sumsten und surrten um die heißen Steine und um unsere Köpfe. Mich aber kümmerte weder die drückende Sonne, noch der schlechte Weg, noch das Geleite der kleinen blutgierigen Teufelchen. Rastlos stolperte ich über das Geröll dahin, die Blicke sehnsuchtsvoll der fernen Höhe zugewendet, von welcher uns die sonnbeschienene Jagdhütte als ein weißglänzender Punkt entgegenblinkte. Brannte mir doch das Jagdfieber in jedem Nerv und in allen Adern! Und wenn der Jagdeifer schon manch einem graubärtigen Waidmann, wie das Sprichwort sagt, noch Feuer unter die Maschine zu legen weiß, wie kocht und brodelt das erst in solch einem blutjungen Bürschlein, das nach den Hasenschlachten des Flachlandes zum ersten Male das Jägerparadies der Berge betrat! Da draußen auf den ebenen Stoppelfeldern und in den sauber gehaltenen Waldgehegen hatt’ ich mich bei meinen zwanzig Jahren für einen großen Nimrod gehalten. Zu welch einem armseligen Nichts aber war mir bei dem ersten Schritt in die Berge mein waidmännisches Selbstbewußtsein zusammengeschrumpft gegenüber dieser in ihrer Schönheit und ihren Schauern so gewaltigen Natur, deren Jagdleben mich fast in jeder Stunde mit Neuem und Ungekanntem überraschte! Wie hatt’ ich es „da draußen“ so wohl verstanden, mit den ergrautesten Hasentödtern um die Wette zu lateinern – wie still aber mußte ich hier im Försterhause hinter dem Eichentische sitzen, wenn diese stahlsehnigen Gesellen mit den verwetterten Gesichtern und den blitzenden Augen um mich her ins Reden kamen! Und wenn ich von Seite des Försters und seiner Gehilfen auch alle Ehre und Bevorzugung eines „Jagdgawliers“ genoß, so war ich eben doch nur der „dappige Jaagerlehrbua“, in welcher demüthigenden Stellung ich mir höchstens durch meinen rastlosen Eifer und meine Eigenschaft als guter Schütze einige Anwartschaft auf zukünftige Achtung zu erwerben wußte. Da eilte denn meine Phantasie gar manchmal der Zeit voraus, und wenn ich nach einem an Jagdgeschichten ergiebigen Plauderabend mein Lager suchte, wurde ich im Traume mit einem Schlag zum fertigen Hochlandsjäger, der „jaagermaßig“ jede Fährte „anzusprechen“ und waidgerecht auf jedes Wild zu pirschen wußte. Was Wunder, daß ich von diesen Träumen häufig ein erkleckliches Theil mit hinübernahm in den wachen Tag.

Auch damals auf meinem Wege zur Lärchkogelhütte kürzten mir solche Träume die heiße Wanderung. Ich sah im Geiste schon den Vierzehnender aus dem Dickicht brechen und sah ihn stürzen unter dem Wiederhall meines Schusses; ich sah den Gemsbock niederflüchten übers Geschröff und hoch aufspringen in die Luft, aufs „Blatt“ getroffen von meiner Kugel, und dann – ich kniee vor dem erlegten Wilde auf der Erde; da plötzlich huscht ein großer Schatten über den Steingrund, aus den Lüften hör’ ich ein fauchendes Rauschen; unwillkürlich nach der Büchse haschend spring’ ich empor und sehe über mir mit zitterndem Schrei den König der Berge kreisen, den schwingenmächtigen Adler. Nicht zu hoch für einen gut gezielten Schuß! So kalkulir’ ich in Eile und bebender Erregung – da lieg’ ich auch schon mit der Büchse im Anschlag, und –

„Zeit lassen! Zeit lassen!“ störte mich recht unerwartet die Stimme meines Begleiters aus meinen hochfliegenden Träumen auf, deren fiebernder Eifer sich auch meinen Füßen mitgetheilt hatte. „Zeit lassen! ’s Laufen kann bei Enkere Hasen gut sein; aber in die Berg’ herin, da heißt’s: derwarten muß man’s können bei der Jaagerei, denn mit’m Derlaufen richt’chst nie nix G’scheidts net aus!“

Eine Weile hielt die Nachwirkung dieser guten Lehre wohl an; als wir jedoch in Wildhöhe kamen, prickelte mir schon wieder die Ungeduld und der Uebereifer in allen Gliedern, so daß ich auf dem schmalen Jagdsteige oft um Büchsenschußweite meinem [393] Begleiter voran war. Wohl rief er mir noch ein paarmal sein mahnendes „Zeit lassen!“ nach; dann aber überließ er mich meiner Ungeduld; vielleicht merkte er auch, welch besonderen Genuß es mir bereitete, mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören zu dürfen und mich so allein zu fühlen inmitten des sonnigen, sacht und geheimnißvoll rauschenden Bergwalds.

Und wie schön war dieser Wald in seinem bunten Wechsel! Da standen schwarze, hochragende Tannen, lichte, kronenrunde Buchen und fahlgrüne, spitzgewipfelte Lärchen traulich durch einander, und zwischen Farren, Moos und grauen Steinen verschlangen sich ihre Wurzeln in einem Grunde, der sich ansah wie ein Teppich, gewirkt aus dunklen, unruhigen Schatten und grellen, zitternden Lichtern. Aus dichteren Beständen führte der Steig über schmale Lichtungen mit niederem Buschwerk, mit üppigen Heidelbeer- und Almrauschbeeren, die in voller Blüthe standen. Dann wieder verlor sich der Pfad im dunkleren Walde, um plötzlich einzubiegen in eine jener schattenkühlen, tief in den Berggrund eingesprengten Felsenrinnen, durch welche der schmelzende Höhenschnee seine krystallklaren Wasser mit Murmeln und Plätschern thalwärts sendet. Emsig ließ ich die Blicke auf und nieder wandern über das Gehänge und lauschte in gespannter Erregung jedem leisesten Geräusche, jedem Vogelruf.

Manchmal stockte mir der Herzschlag, wenn von den höheren Felsen hernieder der zischende Pfiff einer allzu wachsamen Gemse sich vernehmen ließ, wenn aus dem tiefer liegenden Gehege ein kurzes Rascheln und Brechen hörbar wurde, das von flüchtendem Rothwild herzurühren schien.

Jeder dieser Zwischenfälle steigerte meine Erregung, verschärfte aber auch meine Aufmerksamkeit und bezwang die Ungeduld meiner Füße, so daß ich nun von selbst in den richtigen, achtsam und lautlos ziehenden Jägerschritt verfiel.

So gelangte ich wieder einmal aus dem dunkleren Walde auf eine mit dichtem Beerengestrüpp bewachsene Lichtung, als ich plötzlich von unfern unter dem Steige ein sachtes Knappen vernahm, wie das Brechen eines dünnen Zweiges. Hurtig flogen meine Augen der Richtung zu, aus welcher das Geräusch gekommen – und wie ein Schauer rann es mir über die Schultern, als ich des dunkelgefiederten mächtigen Vogels ansichtig wurde, der mit gespreizten Schwingen auf der Erde kauerte und mit dem Hakenschnabel das Gestrüpp durchwühlte.

„Ein Adler!“ fuhr es mir in der halben Blindheit meiner Erregung und in der unwillkürlichen Erinnerung an jene sehnsuchtvollen Träume durch den Kopf – doch riß ich auch im gleichen Augenblick die Büchse von der Schulter. Beim Knacken des Hahnes zuckte der Vogel mit dem schwarzen Kopf in die Höhe; ich sah ein rundes, dunkles Auge unter rothem Lide blitzen; ein Ruck durchfuhr das schöne Thier; mit schwerem, rauschendem Flügelschlage hob es sich von der Erde – schon aber krachte mein Schuß – im Feuer brachen dem Vogel die Schwingen, und prasselnd stürzte er nieder in das blühende Kraut.

Im Forsthause nach der Jagd. Originalzeichnung von Hugo Engl.

Mit einem jubelnden Jauchzer sprang ich vom Steig hinweg und meiner Beute zu. Ein Adler war es nun freilich nicht; aber das that meiner hellen Freude keinen Eintrag; denn was ich da in der hocherhobenen Rechten hielt, es war ja auch ein edles Wild und auch eine Erstlingsgabe meines Jägerglückes – mein erster Auerhahn.

In Stolz und Neugier betrachtete ich des Vogels ausdrucksvollen Kopf mit dem starken, gelblichen Hakenschnabel, mit der grellrothen „Rose“ über dem Auge, den Federbart an der Kehle, die grün und stahlblau schillernde Brust, die kräftigen braunen Schwingen mit dem schneeweißen „Spiegel“ an den Schultern, den langen fächerartigen „Stoß“ mit den weißen Bändern auf schwarzbraunem Grunde, und besonders den weiß und schwarz gesprenkelten Unterstoß mit den schaufelartigen Federn, die nun als stolze Trophäe auf meinem Hute prangen sollten. Jetzt wurden rasche Schritte auf dem Steige hörbar und der Jagdgehilfe erschien mit der hastigen Frage:

„Was is? Han? Auf was haben S’ denn g’schossen?“

Als er aber des Vogels ansichtig wurde, verlängerte sich sein Gesicht so merkwürdig, und gedehnt klangen seine Worte: „Ijeh, jetzt da schau, a Hoh(n)! Und mit der Kugel g’schossen?“ fügte er bei, während er das Thier aus meinen Händen nahm und näher untersuchte.

„A sauberer Schuß! Alle Achtung! – Aber –“ noch länger wurde sein Gesicht, und mit der Linken schob er den Hut in die Stirn, um sich den struppigen Hinterkopf bequemer krauen zu können, „aber – an Haken wird die G’schicht halt dengerst haben!“

„Einen Haken?“

„No – von wegen der Schußzeit halt. Wissen S’, bei uns herin wird a Hoh(n) halt nie net anders g’schossen, als wie am Falz, im Fruhjahr. Das heißt, es is schon a Schußzeit auch im Sommer – aber weil’s g’rad a Wunder is, wann im Sommer amal an Hoh(n) zum sehen kriegst, drum weiß halt Unsereiner so ’was net. Der Förstner drunten könnt’s ei’m schon sagen – aber – an Putzer müssen wir schon riskiren! Denn natürlich – außer der Schußzeit – das wär’ halt so a Sach’!“

Da war nun allerdings meine Freude bedenklich herabgestimmt. Meinen ersten Auerhahn außer der Schußzeit erlegt zu haben – welch eine schmerzliche Wunde für meinen jungen Jägerstolz! Ich wollte und mußte Gewißheit haben, und so entschloß ich mich zur sofortigen Heimkehr, für die ich eine glaubwürdige Ausrede rasch zur Hand hatte.

Es dämmerte schon, als wir vor dem Forsthause anlangten. Der Jagdgehilfe machte sich gleich aus dem Staube, indem er mir allein es überließ, mein von Zweifeln bedrängtes Gewissen zu beruhigen. Der Förster empfing mich im Flur, wo ich meinen Rucksack, darin ich die Beute verwahrt hatte, mit gut gespielter [394] Harmlosigkeit an das Zapfenbrett hängte. Während wir dann bei Tische saßen, wußte ich das Gespräch nach langen Umwegen in möglichst unauffälliger Weise auf die Hahnenjagd zu bringen, so daß sich schließlich von selbst die Frage ergab: „Wann fängt für den Auerhahn die Sommerschußzeit an?“

„Am ersten August.“

„Und welchen Tag haben wir heute?“

Der Förster hob verwundert die Augenbrauen: „Den letzten Juli.“

„Na also! Dann hab’ ich ja morgen schon einen Hahn geschossen – und einen Prachtkerl!“ lachte ich jubelnd auf, rannte aus der Stube und brachte triumphirend meine Beute herbei. –

Seitdem ist nun manches Jahr vergangen, und manch ein stattlicher Hahn ist meiner Jagdlust zum Opfer gefallen. Aber jeden hab’ ich mir in waidgerechter Weise zur Frühlingszeit bei grauendem Morgen vom „Falzbaum“ heruntergeholt. Und wenn das tödliche Blei den seltsamen Liebesgesang des mächtigen Vogels so jählings verstummen macht, wenn das Echo des Schusses grollend dahinrollt über die schneebedeckten Tauern, und wenn das schöne Thier in wuchtigem Falle niederrauscht durch die dunklen, schwankenden Zweige: das gewährt dem Jäger eine Freude, die nicht einmal von dem stolzen Gefühle überboten wird, mit dem er den flüchtigen Hirsch im Feuer stürzen sieht.

Was den rechten und echten Hochlandsjäger der Hahnenjagd vor jeder anderen den Vorzug geben läßt, das liegt zum Theile wohl auch in dem Umstande, daß es gerade der Auerhahn ist, der nach den rauhen, schneereichen Wintermonaten mit seinem Falzgesang das neue Jägerjahr eröffnet; noch mehr aber ist die Ursache dieser Vorliebe in den reichen, herrlichen Reizen zu suchen, mit denen die erwachende Natur, mit denen das geheimnißvolle Dämmerleben des erstehenden Tages diese Jagd umgiebt – mit Reizen, die kein Wort ermißt, die nur Jener voll und ganz zu verstehen und zu würdigen weiß, der sie selbst genossen mit offenem Aug’ und offenem Herzen.

Wenn vor den siegreichen Strahlen der Frühlingssonne sich der Schnee in trotzigem Schneckengange aus den Hochlandsthälern zurückzieht in seine kalten Felsenhöhlen, wenn an den Buchen und Lärchen die Rinden springen und die jungen Knospen zu Tage streben, wenn der erste von Süden kehrende Wandervogel, die langgeschnäbelte Schnepfe, auf ihrem Zuge nach dem Norden den Wall der Berge kreuzt, dann erweist sich die belebende Macht des Frühlings auch an dem einsiedlerischen Anerhahn; sie löst ihm die sonst so stumme Zunge, bringt ihm in ihrer Weise die Meinung bei, „daß es nicht gut wäre, wenn der Hahn allein bliebe“, und treibt ihn aus seinem versteckten „Winterstande“ den lichteren Gehegen zu, in denen die grauen Hennen mit vertraulichem Gackern und mit dem glucksenden Paarungsrufe die Heidelbeersträuche und Farrenbeete durchhuschen.

Da zieht dann der Jäger lang vor dem Ergrauen des Morgens aus, um vorerst den Standort des Hahnes zu erforschen, den Hahn zu „verlusen“, der durch seinen Liebesgesang zum Verräther an seinem eigenen Leben wird. Oder es steigt der Jäger bei sinkendem Nachmittag zu Berge, um aus einem Verstecke den „Einfall“ zu belauschen. Gewöhnlich bei Beginn der Dämmerung kommt der Hahn mit schwerem Flügelschlage dem Falzbaum zu gestrichen, auf dem er schlafend die Nacht verbringt, um beim falben Frühschimmer des Morgens sein Falzlied anzustimmen, das er erst beschließt, wenn er sich vor dem vollen Erwachen des Tages zu den Hennen auf die Erde schwingt. Unruhig rückt er nach dem Einfall auf dem Aste hin und her, stellt sich von einer Seite auf die andere und äugt mit gestrecktem Halse nach allen Richtungen, bis ihn die herrschende Stille vertraut und sorglos macht. Ist er bei guter Laune, so fängt er wohl auch zu falzen an; aber es ist zumeist kein rechter Zug in solch einem Abendsang; die „Gesetzlein“ folgen träge auf einander; nach und nach verliert sein Klippen den hellen Ton und geht allmählich in Laute über, die den leise rasselnden Athemzügen eines müden Menschen gleichen, den wider Willen der Schlaf überkommen hat. Inzwischen sitzt der Jäger regungslos in seinem Verstecke; jede Bewegung, jedes Geräusch würde den Hahn „vergrämen“ und zum Abstreichen veranlassen. Erst wenn die Nacht mit ihren schwarzen Schatten über den Bergwald herniedergesunken ist, erhebt sich der stille Lauscher und schleicht sich mit lautlosen Schritten aus der Hörweite des Hahnes, um dann raschen Ganges das Dorf zu suchen. Solch einem Abend folgt ein kurzer Schlaf; denn ein paar Standen nach Mitternacht heißt es schon wieder munter sein.

Das Jägerherz erfüllt mit guten Hoffnungen, tritt man ins Freie; die kühle Nachtluft erfrischt das Gesicht, und aus der wolkenlosen Finsterniß des Himmels lächeln und winken die flimmernden Sterne. Schon mit der Wanderung durch das dunkle schlummernde Dorf beginnt der eigenartig bestrickende Reiz solch eines Waidmannsganges. Eintönig rauscht der Thalbach in seinem steinernen Bette; ein Hund schlägt an, träg und verschlafen; aus einem einzigen, unter Bäumen versteckten Häuschen schimmert ein Licht – ist es schlummerloses Elend oder stillwachendes Glück, dem hier die Lampe leuchtet? Vorüber! Dort winken die Berge, die sich aufwärts thürmen gleich einer schwarzen Mauer. Ein kurzer Anstieg über thaufeuchtes Wiesengehänge, und der Wald ist erreicht. Wie ein sachtes Flüstern geht es durch die nächtigen Zweige. In mäßiger Steigung zieht sich der Weg der Höhe zu, aus dem dichteren Walde über offene Rodungen lenkend und wieder im Hochholz sich verlierend. Die niederen Büsche, die Steinklötze und Wurzelstöcke, welche den Weg begleiten, zeigen in der Dunkelheit absonderlich gestaltete Kontouren und erregen die Phantasie – und zu den Erinnerungen an die Märchenzeit der Jugend, welche unwillkürlich beim Anblick dieser finsteren Gestalten erwachen, gesellt sich der wimmernde Schrei eines Käuzleins, das durch die Tannenwipfel seinem Felsenhorst entgegenstreicht. Jetzt geht ein leises Brechen und Knacken durch das Jungholz; da flüchtet ein Reh waldeinwärts, das der Schritt des Jägers aus dem Schlaf geschreckt. Allmählich wandelt sich die Finsterniß zu grauer Dämmerung; die weißen, abgetretenen Steine des Weges werden sichtbar, und auf kurze Strecken unterscheidet man schon die einzelnen Stämme des Waldes. Der Falzplatz ist nicht mehr allzu ferne; auf einem moosigen Felsblock hält man kurze Rast, um sich „ein Bißl zu verschnaufen“. Jetzt gewinnt auch die Jägersorge die Oberhand über die Freude an dem stillen Leben der Natur. Wird der Morgen Waidmannsglück oder Mißgeschick bescheren? Vorwärts! Vereinzelte schüchterne Vogelstimmen werden bereits im Walde laut, und am östlichen Himmel erwacht schon das erste fahle Licht, das die Sterne erlöschen macht. Drunten im Thal ermuntert sich das Dorf; Hundegekläff, langsamer Hufschlag und Wagengerassel tönen, durch die Ferne gedämpft, zur Höhe. Vorwärts! Schritt für Schritt geht es den letzten Rest des Hanges empor, geräuschlos, unter stetem Lugen und Lauschen. Da plötzlich schießt dem Jäger das Blut zum Herzen – er hat einen Laut vernommen gleich einem hellklingenden Zungenschlage: das Klippen, das „Schnackeln“ des falzenden Hahnes.

Einige Minuten, und die erste Erregung ist niedergezwungen. Achtsam jeden Stein und jeden dürren Ast vermeidend, schleicht man sich näher von Stamm zu Stamm, bis das Falzlied klar und deutlich zu vernehmen ist: das langsam beginnende Klippen, welches schneller und schneller auf einander folgt, um mit dem stark tönenden „Hauptschlag“ in das „Schleifen“ überzuleiten, das sich anhört wie das Wetzen einer Sense. Wie eine Säule steht der Jäger, und es rührt sich kein Härchen an ihm, so lange der Vogel schweigt und so lange das Klippen währt; der Hauptschlag erst erlöst ihn aus seiner Starrheit – nun zwei oder drei rasche, sicher ausgeführte Schritte – und wieder heißt es stille stehen, bevor das Schleifen noch zu Ende ging. Denn während dieses kaum vier oder fünf Sekunden währenden Schleifens ist der Hahn, der sonst mit Ohr und Auge so scharf „vernimmt“ und „äugt“, für Alles taub und blind, was um ihn vorgeht; da verdreht er in verliebtem, schmachtendem Affekte die Augen nach oben, und der Klang und die Anstrengung seines Gesanges verschließen sein Ohr für jedes andere Geräusch, selbst für den krachenden Hall eines fehlgegangenen Schusses.

So folgt „Gesetzlein“ aus „Gesetzlein“, und jedes bringt den Jäger Schritt um Schritt dem Falzbaum näher. Nun wieder ein Sprung – und da geht es wie ein Ruck durch seine Arme, und fester schließen sich die Hände um seine Büchse. Er hat den Hahn erblickt, auf dem wagrecht stehenden Aste einer kahlen Lärche. Scharf heben sich von dem dämmerigen Morgenhimmel die Kontouren des schwarzen Vogels ab – ein Anblick, der selbst den brennendsten Jagdeifer für eine Weile bannt. Sorglos und unverdrossen falzt der Hahn ein Liedlein um das andere, tanzt dazu in leidenschaftlicher Bewegung auf seinem Aste hin und her, wendet und reckt den Kopf aus dem Halse, an dem der Federbart sich [395] sträubt, und fächert und schließt im Takte den prasselnden Stoß. Heller und heller wird es am Himmel, dessen östliche Ferne sich schon mit farbigen Streifen säumt. Immer rascher und erregter tönt der Falzgesang des Hahnes, und prächtiger mit jedem Augenblicke entwickelt sich das Bild des leidenschaftlichen Thieres. Schon unterscheidet der Jäger die weißen Sprenkeln des Gefieders, feurig leuchtet ihm die „Rose“ entgegen, und schneegleich schimmern die „Spiegel“ der hängenden, zitternden Schwingen.

Da läßt sich von der nahen Lichtung ein leises, mahnendes Glucken vernehmen, der Hahn verstummt inmitten des beginnenden Klippens; eine Weile schweigt er, dann hebt er von neuem sein Falzlied an – sein letztes! Denn auch der Jäger hat jene Mahnung verstanden. Langsam führt er die Büchse zur Wange – eine Sekunde noch – dann bricht der Schuß, und

„Rings der Hall die Vöglein weckt,
Die schlafend in Busch und Baum versteckt,
Und keines von ihnen bekümmert der Tod,
Sie alle frisch grüßen das Morgenroth,“[WS 1]

wie Vater Kobell einst gesungen, der auch seine Herzensfreude daran hatte, wenn der stattliche Vogel niederstürzte durch das brechende Gezweig.

So willkommen glatt und sauber geht die Sache freilich nicht immer ab. Gar oft verdirbt die Bosheit des Wetters dem Jäger nach weitem Weg und langer Mühe die ganze Jagd. Oder es will der Hahn trotz aller Gunst der Witterung nicht falzen, und da läßt er sich nicht einmal fragen, weßhalb er nicht will – er macht sich eben unsichtbar. Häufig auch bringt sich der Jäger durch eigene Schuld um den erhofften Erfolg; ein Schritt zuviel beim „Anspringen“, eine unvorsichtige Bewegung während der Pausen, und der Hahn ist vergrämt; da heißt es dann vor dem mißtrauisch gewordenen Vogel stehen wie eine Mauer, oft durch lange, endlos scheinende Minuten, ob einem auch die Knochen im Leibe zerbrechen möchten; ein vorzeitiges Ermüden, ein einziges Wanken, und der Hahn reitet dem Jäger vor der Nase davon. Manchmal auch gelang das Anspringen trefflich; man steht schon in nächster Nähe des Falzbaumes – aber kein Hahn ist zu sehen. Denn wie in der modernen Lyrik, so giebt es auch unter diesen Liebessängern des Bergwaldes Idealisten und Pessimisten; diese letzteren singen ihr Falzlied in gar melancholischem Tone, halten sich dabei in einem dichten Tannenwipfel verborgen oder drücken sich während des Falzens regungslos an den Stamm der Buche, so daß nicht einmal das schärfste Jägerauge sie im Dämmergrau von den dunklen Knorren des Baumes zu unterscheiden vermag. Hat man endlich den Hahn erblickt, so gilt es immer noch einen guten Schuß zu thun, was bei dem grauen Lichte und bei der gesteigerten Erregung des Jägers auch kein so leichtes Ding ist. Und dann – es ist ja nicht jeder treffende Schuß im Momente tödlich; da streicht der Hahn im Feuer ab; tief unten auf dem Hange hört man ihn zur Erde plumpsen und findet ihn erst, wenn er überhaupt gefunden wird, nach stundenlangem Suchen. Manchmal auch ermuntert sich der angeschossene Hahn beim Anblick des Jägers wieder, flüchtet sich mit Flattern und Laufen, und ist gewöhnlich verloren, wenn ihn der Jäger nicht in der Eile mit einem zweiten Schuß zu erhaschen vermag.

Von solchen kleinen Bitternissen der Hahnenjagd könnte ich zur Genüge erzählen. So passirte es mir vor Jahren in der Forstei Seehaus, daß ich einen alten Pechhahn „flügelte“. Ich wollte das Gefieder des Vogels schonen, gab einen zweiten Schuß nicht ab, sondern verließ mich auf meine jungen Beine. Eine tolle Jagd begann; ein um das andere Mal hatte ich den Hahn unter den Händen, aber immer entwischte er mir wieder, meine Finger mit scharfen Schnabelhieben bedenkend. Schließlich geriethen wir in eine steile, mit tiefem Schnee erfüllte Lawinengasse, und da ging es an ein Stürzen, Kollern und Kugeln im Schnee, daß es für den lachenden Förster gar lustig anzusehen, für mich aber wenig lustig mitzumachen war. Als ich endlich des Hahnes habhaft wurde, war er in einem Zustande, als hätte ihn die des Rupfens kundige Köchin schon ein Stündlein in der Arbeit gehabt.

Kein Ungemach aber vermag dem rechten Waidmann die Hahnenjagd zu verleiden. Geht die Sache einmal schief, so macht sie sich ein andermal um so besser. Dann mag man sich des Erfolges doppelt freuen, mag zur Rast den weichen Wettermantel auf die Erde breiten, mag sich bei Vogelsang den Imbiß und das Pfeiflein schmecken lassen und von der luftigen Warte niederblicken in das graue Thal, aus dem die Morgennebel dampfen, indeß mit Glanz und Leuchten zwischen den weißen Felsenhörnern voll und ganz der schöne Frühlingstag erwacht.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Franz von Kobell: Auerhahnfalz, in: Wildanger, Stuttgart 1859, S. 362–363 Google