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Jagd auf einen Sklavenhändler

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Textdaten
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Titel: Jagd auf einen Sklavenhändler
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 123-124
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[123]

Jagd auf einen Sklavenhändler.

Niemand kann die guten Absichten Englands verkennen, wenn es auf der Unterdrückung des Sklavenhandels beharrt. Aber wenn man auch die gewaltigen Summen, welche dem ohnedies schon hinreichend belasteten Volke die afrikanische Küstenblokade kostet, nicht in Anschlag bringt, so bleibt doch die Frage, ob auch das gesteckte Ziel erreicht wird. Es ist allbekannt, daß die Furcht vor den englischen Kreuzern die Gräuel der Ueberfahrt von Afrika nach Amerika noch vermehrt hat, da die Menschenfleischhändler jetzt nur kleine, aber raschsegelnde Klipper bauen, um die Fahrt so schnell als möglich zurückzulegen, und so viele Sklaven hineinpacken, als nur irgend hineingehen. Die brittischen Kreuzer sind Ursache gewesen, daß die Neger auf den Märkten Brasiliens im Preise gestiegen sind. Der Sklavenhändler weiß, daß er, wenn er von drei Reisen nur eine glücklich vollendet und seine Ladung lebend an’s Land bringt, immer noch bei den drei Spekulationen einen erklecklichen Profit macht.

Was der Sklavenhändler wagt, um der Wegnahme zu entgehen, und wie leicht er zu Unheil kommt, das wird die folgende Skizze zeigen, welche einen in allen Punkten wahren Vorfall schildert.

An einem herrlichen, von einer strahlenden Sonne beleuchteten Tage steuerte vor leichter Brise die englische Kriegsbrig Semiramis in nordwestlicher Richtung den Kanal von Mozambique hinauf. Außer dem Mann am Rade und den Wachen oben in den Masten schien Jeder es sich bequem zu machen. Der Himmel war wolkenlos und die Luft so balsamisch und warm, daß schon sie zu athmen ein Genuß hieß. Die Männer lungerten, in kleinen Gruppen plaudernd, auf dem Verdeck umher; die Kadetten sannen neuen Unfug aus oder plagten den Koch; der Wundarzt beobachtete die fliegenden Fische und las zugleich in einer neuen Schrift über Anatomie, obgleich er kein Blatt umwendete. Der wachthabende Lieutenant baute inzwischen Luftschlösser und betrachtete gelegentlich die blauen, in der Ferne sichtbaren Berge Madagaskars durch sein Fernrohr.

„Segel ho!“ rief plötzlich die Wache im Vortopp.

„Wohinaus?“ schrie der Lieutenant aufspringend. In demselben Augenblick war die träge Sorglosigkeit der Mannschaft vorüber; ein jeder war bereit zu jedweder Thätigkeit.

„Ueber Steuerbord, hält Südwest!“

Der Kapitain eilte auf’s Verdeck, während der zweite Lieutenant in’s Takelwerk stieg, um das fremde Fahrzeug zu rekognosciren.

„Was ist es für ein Schiff, Herr Saunders?“ fragte der Kapitain.

„Schoonertakelage, Sir, Rumpf noch nicht zu sehen!“

„Schiff gewendet!“ kommandirte der Kapitain. Im Nu war ein Jeder auf seinem Posten.

Kommando folgte auf Kommando und wurde rasch ausgeführt. In fünf Minuten war die Semiramis in voller Verfolgung des fremden Schiffes begriffen.

Was ist es, das die Jagden aller Art so aufregend macht? Die unbeschreibliche Begierde des Menschen, Alles zu jagen, was irgend jagbar ist, ist im „Vathek“ nicht übertrieben, wo die Einwohnerschaft einer ganzen Stadt einen bösen Geist verfolgt, der sich in eine Kugel verwandelt hat und vor ihnen herrollt, selbst die Lahmen und Blinden zur Verfolgung herbeiziehend. Aber wer möchte die mit einer Jagd zur See verbundene Aufregung schildern? Wie begierig sind alle Augen auf das fliehende Segel gerichtet! Wie eifrig lauscht jeder, wenn das Log geworfen wird! Wie viele Vermuthungen werden aufgestellt, was das fremde Schiff sein möge, und wie heiß ist der Wunsch, daß es eine nehmenswerthe Prise sei! Denn die Habgier kommt zu der Aufregung. Jedem, vom Kapitain bis zum Schiffsjungen, schweben die Prisengelder vor.

Da die Semiramis auf dem Strich, welchen sie jetzt einhielt, weit windwärts des Schooners war, so war alle Aussicht da, daß sie ihn bald einholte, wenn er bei seinem Cours blieb. Aber wer durfte das hoffen? Jedermann an Bord der Brig war darauf gefaßt, im nächsten Augenblick zu hören, daß der Schooner umlege und fliehe. That er das nicht, so war es ein Beweis, daß er in gesetzlichem Handel begriffen und nicht das sei, was sie voraussetzten und in der That wünschten.

Eine Stunde war vergangen, und die Brig war sichtlich dem Schooner näher gekommen. Vom Topp aus konnte man schon den langen, niedrigen, schwarzen verdächtigen Rumpf sehen.

„Sie müssen uns nun doch sehen!“ sagte der Kapitain.

[124] „Es ist just so ein Schiff, wie der Dom Pedro, den wir an dieser Küste aufbrachten,“ rief der zweite Lieutenant im Mastkorb.

„Ich hoffe, es wird eine bessere Prise sein,“ antwortete der Kapitain.

Jenen Dom Pedro nämlich hatten sie aufgebracht und für gute Prise erklärt; aber Kapitain und Rheder hatten appellirt und bewiesen, daß das Schiff nicht im Sklavenhandel begriffen gewesen sei. Demnach hatte jeder Mann an Bord, der bei der Wegnahme geholfen, statt Prisengeld zu bekommen, aus eigner Tasche seinen Theil zu den Entschädigungsgeldern beitragen müssen. Deshalb war der Dom Pedro eine schmerzliche Erinnerung an Bord der Semiramis.

Noch eine Stunde verging. Man konnte jetzt den Rumpf des Schooners schon vom Verdeck des Kreuzers wahrnehmen. Es war ein Fahrzeug von verdächtigem Aussehen. Jack strich die Taschen im Vorgenuß der Thaler, die bald hineingleiten mußten.

„Es ist doch wunderlich, daß er den Cours nicht ändert,“ sagte der Bootsmann auf dem Vorderkastell. „Er will uns wohl von der Spur bringen, indem er thut, als wenn Alles in Ordnung wäre und ihm gar nicht einfiele, daß wir es auf ihn abgesehen hätten.“

„Hißt die Flagge auf!“ rief der Kapitain auf dem Quarterdeck. „Wir wollen doch sehn, was er für Farben führt.“

Die brittische Flagge wehte alsbald über der Semiramis, aber der Schooner beeilte sich nicht, seine Farben zu zeigen.

Jetzt rief der erste Lieutenant, welcher mit dem Fernrohr hinschaute: „Ein Brasilianer, wahrhaftig!“

Eine kurze Pause entstand. Alle Ferngläser an Bord waren in Thätigkeit; jedes Auge strengte seine Sehkraft auf’s Aeußerste an. Der Kapitain unterbrach das Schweigen: „Holla, er viert ab! Endlich macht er sich auf die Flucht!“

„Es ist nun bereits zu spät,“ sagte der erste Lieutenant. „Vor dem Winde sind diese Schooner Backtröge, beim Winde sind sie Klipper.“

Es war klar, daß der Schooner endlich auf seine Rettung bedacht war. Indem er mit dem Winde abhielt, kam er der Brig ziemlich voraus. Obgleich er vor dem Winde am schlechtesten segelte, war doch die Brise so schwach, daß sie, während sie ihm noch überweghalf, doch nicht genügte, auch der schwereren Brig hinreichenden Gang zu geben.

Noch drei Stunden dauerte die Jagd, und kein Schiff schien dem anderen Raum abzugewinnen. Aber nun gewann der Wind an Stärke, und die Semiramis fing an, dem Brasilianer bedeutend näher zu kommen. Gerade zur Rechten lag in dem Strich, den sie einhielten, eine weit in die See vorspringende Landspitze, und auf der Karte stand ein gefährliches Felsenriff verzeichnet, das von da aus noch drei Meilen weit sich hinauserstreckte. Beide Schiffe mußten auf das Riff laufen, wenn sie in ihrem Cours beharrten.

„Luv auf!“ kommandirte der Kapitain. „Wir kriegen ihn! In einer Stunde muß er auch in den Wind holen und kann nicht entkommen, wenn wir in Luv sind.“

Die Stunde verstrich, und noch kein Zeichen deutete an, daß der Schooner den Cours ändern wolle. Der Kapitain sah noch einmal auf die Karte; das Riff stand deutlich verzeichnet, und es schien ganz unmöglich, daß der Schooner vorbeikommen könne, wenn er so fortsteuerte. Aber sei es, daß er die Gefahr nicht kannte, oder daß er ihr Trotz bot: er versuchte es. Passirte er das Riff, ohne zu scheitern, so hatte er vor seinem Verfolger einen unermeßlichen Vorsprung gewonnen.

Es wäre nicht möglich, die Spannung zu beschreiben, mit welcher die Männer auf der Semiramis den kleinen Brasilianer beobachteten. Er stürmte wörtlich in den Rachen der Vernichtung. So wie er von den vorübergleitenden Wellen gehoben wurde, schien es jedesmal, als müsse er beim Herabgleiten auf die verrätherischen Klippen stoßen. Noch hielt er tapfer aus, und mochten auch in peinlicher Spannung jedem Mann an Bord die Lippen beben; das kleine Fahrzeug sah so schmuck und segelte so lustig vorwärts, seine weißen Segel und schlanken Spieren hoben sich im Sonnenlicht so zierlich hervor, daß selbst seine Verfolger, auch abgesehen von dem im Falle seines Unterganges verlorenen Prisengelde, innerlich für seine Rettung beteten. Denn Jack sieht nicht gern ein hübsches Schiff in Trümmer gehen.

Schon glaubten sie fast, der Schooner sei verzaubert. Er schien über das Riff selbst hinzugleiten; er war bereits mitten in dem Schaume der Brandung.

„Gott helfe mir, wenn ich nicht meine, es ist der fliegende Holländer!“ sprach eine Blaujacke zur andern.

„Dummes Zeug, Bill! Wir sind ostwärts vom Kap und der fliegende Holländer kann nicht herumkommen,“ entgegnete der Backsmaat.

Der kleine Schooner schießt lustig vorwärts; plötzlich stockt er, jede Spiere erzittert.

„Er hat gestoßen!“ rufen zwanzig Stimmen zugleich.

Nun wird er von einer herankommenden Welle gehoben; nun fährt er mit einer Gewalt nieder, daß die Stengen brechen und auf das Verdeck stürzen.

„Böte ausgesetzt!“ befiehlt der Kapitain der Brig. Alle Mannen beeilen sich, den Befehl auszuführen.

Eine neue Welle hebt den Schooner, er stößt noch einmal heftig und rollt über. Die Planken reißen auseinander, die Mannschaft kämpft in den Wellen, und – Schauder ergreift die Zuschauer – Hunderte von Negern, aneinander gefesselt und im Schiffsraum eingeschlossen, werden in der schäumenden Brandung sichtbar.

Die Seeleute in den Böten der Semiramis ruderten tapfer, aber sie retteten nur zwei gewaltige Schwimmer, die sich aus dem brausenden Gischt hervorgearbeitet hatten. Der Schooner war so leicht gebaut gewesen, daß er gleich beim ersten Aufstoßen zertrümmert worden war. Sechshundertunddreißig menschliche Wesen, mit schwerem Eisen zusammengeschlossen, hatten in den brausenden Wogen vor den Augen der Mannschaft der Brig ihren Tod gefunden; sie hatte das herzzerreißende Geschrei der Umkommenden mit ihren leiblichen Ohren gehört. Nur zwei der Kerkermeister waren übrig geblieben, um über die Zahl derer zu berichten, die im Meere versunken waren.