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Interview (Tucholsky)

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Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Interview
Untertitel:
aus: Mit 5 PS Seite 220-222
Herausgeber:
Auflage: 10. – 14. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Ernst Rowohlt
Drucker: Herrosé & Ziemsen
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Aus dem Zyklus: REISELEKTÜRE
Erstdruck in: Weltbühne, 27. April 1926
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
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[220]
Interview

Ich sage: „Sagen Sie mal,“ sage ich, „was schreiben Sie denn jetzt so –?“

„I,“ sagt er, „wir schreiben doch heute nicht mehr“, sagt er.

„So?“ sage ich, „Sie schreiben nicht mehr? Wie kommt denn das?“

[221] „Sehn Sie mal,“ sagt er, „das ist so:

Wo die andern schon alles geschrieben haben – wozu sollen wir nochmal? Was Neues erfinden wollen wir nicht, weil wir nicht wollen – und da arbeiten wir um, ja. Da haben sie ‚L’Aiglon‘ geschrieben – das machen wir nochmal; da ist der ‚Kean‘ – den schreiben wir auch – einrichten nennt man diß. Nächstens werden wir einen Faust und einen Hamlet und einen Fuhrmann Henschel schreiben … ja.“

„Aha“, sagte ich.

„Ja!“ sagt er. „Wir sind die Reclam-Dichter“, sagt er. „Und denn,“ sagt er, „das enthebt uns sozusagen von aller Erfindung.“

„So –“, sage ich.

„Allemal“, sagt er. „Wollen Sie mir vielleicht sagen,“ sagt er, „wozu die gute Königin Luise gelebt hat? Die hat gelebt, damit Herr Berger aus Frankfurt ihr Schicksal gestalten kann“, sagt er. „Wenn die gute Königin Luise auch aus Frankfurt wäre, hätt er das valleicht nicht getan,“ sagt er, „aber so –. Und dann haben wir den großen Preußenkönig – von dem schneiden wir die Romäne man bloß immer so runter“, sagt er. „Der Mann war ja so interessant! Der Mann hatte ja solch ein Herz für sein Volk! Und für seine Leiden! Und für die Blasenleiden seiner Kammerdiener –! Ja. Na, und denn Joethe! Kenn Sie Joethen? Sie, da kommt keiner mit – so’n Stoff ist der Mann! Und Schiller? Kenn Sie Schillern? Das arme Luder hat Walter von Molon nicht mehr erlebt – sonst hätt er einen dreibändigen Roman aus ihm gemacht. Eine Tirolojieh nennt man diß. Ich sage Ihnen das eine“, sagt er. „Wenn Sie schlau sind, dann stellen Sie man immer eine markige Gestalt aus dem Konservationslexikon auf die Beine, das sind schon zwei Akte, [222] jedes Bein einer. Und dann stellen Sie noch eine Gestalt auf die Beine – das sind wieder zwei Akte, macht vier Akte. Und denn lassen Sie die beiden Persönlichkeiten miteinander reden, das sind schon fünf Akte, und wenn Sie eenen vajessen ham, denn sahrn Sie: dichterische Freiheit. So macht diß Robert Neumann und Alfred Neumann und Hansjörg Neumann – so machen das alle unsre Neuleute. Ja.“

„Aha!“ sage ich.

„Ja“, sagt er. „So macht man diß, wenn man Grips hat. Das Publikum“, sagt er, „hat Respekt vor seiner eignen Bildung“, sagt er. „Da kann Ihnen gar nichts passieren. Sehen Se mal, früher: Pippa, Ophelia, der olle Moor, der junge Carlos – wat denn? wat denn?“ sagt er. „Man muß die Leute mit seine Phantasmajohrjen nich irre machen. Künstlerische Wirklichkeit, Herr!“ sagt er.

„Hindenburg?“ sage ich.

„Zu nah“, sagt er. „Es steht uns nicht an, die lebende Größe zu beleuchten“, sagt er. „Nee: Wolfjang von Gneisenau! Hermann der Cherusker! Michel Anschelow“, sagt er. „Nappolium, das pathetische Aast. Zeppedäus von Ziethen; Rinnesanx; der olle Pappenheimer – Geschichte, Herr! Historie! Bildung! Bildung!“

„So is diß!“ sage ich.

„Ja“, sagt er. „Es bringt die Bedeutung der verflossenen Vergangenheit dem deutschen Volke nahe“, sagt er. „Was meinen Sie, wie viele Judenjungs heute in fremde Reiterstiebeln rumjehn! Die Geschichte ist die Mutter aller Dinge. Und denn,“ sagt er, „es ist auch leichter. Dies ist die Wiedergeburt des deutschen Dramas.“

„Na, denn hatchö!“ sage ich.

„Einen deutschen guten Tag“, sagt er.

„Sie mir auch!“ sage ich. Aber da war ich schon draußen.