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Instinct?

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: L–e.
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Titel: Instinct?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 414–416
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[416] Instinct? Das Gut des mir durch seine Söhne befreundeten Rathsherrn S. liegt in unmittelbarer Nähe der Stadt Burg. Die weitläufigen Wirthschaftsgebäude ziehen sich theils längs der Landstraße, einer belebten Promenade, theils an einem erlenbesäumten Flüßchen hin, welches gleichzeitig das Rad der zum Gute gehörigen Mühle treibt. Das Flüßchen erweitert sich hinter dem Mühlrad zu einem kleinen Teiche, welcher den Saum des großen Amthofes einfaßt. Dieser Teich bildet natürlich den Tummelplatz der die Hofräume mit Geschnatter und weithin hörbaren Rufen durchziehenden Schaaren von Enten und Gänsen, und einen wahrhaft komischen Anblick gewähren zur Mittagszeit die von dem muthwilligen Enten in dem nassen Element ausgeführten Capriolen, auf welche die vornehmeren Gänse mit nicht zu verkennender Geringschätzung herabblicken.

Ein Prachtexemplar von einem Gänserich, ein wilder, kriegerischer Gesell, befindet sich unter diesem Geflügel und seine tollen Streiche, wie Zweikampf, weites Entfernen vom Hofe, wobei ihm eine seltene Flügelstärke vortreffliche Dienste leistet, haben ihm schon derbe Züchtigungen, selbst tagelangen Kerker eingetragen, ohne daß sein Temperament, welches ihn zu solchen Extravaganzen hinreißt, dadurch abgekühlt wurde. Nicht genug, daß er allein durch solch’ strafbares Operiren gegen die bestehenden Ordnungen verstößt, versucht unser Gänseheld auch noch die übrigen Mitglieder der Fraction zum Umsturz der Gesetze zu verführen, was ihm, bei einer wahrscheinlich angeborenen Beredsamkeit, nur zu gut gelingt; denn das übrige Gänsevolk unternimmt nun, unter seiner Anführung, ebenfalls weite Züge und nicht selten wird ein nachbarliches Gebiet heimgesucht, was für den Gutsherrn bereits Unannehmlichkeiten mancher Art herbeiführte.

Vor wenigen Tagen kehrte die Rotte von einer größeren Streiferei zurück und eine exemplarische Bestrafung für den Helden und Anführer wurde ersonnen. Tags darauf fesselte man den Gänserich derartig am Fuße, daß er bequem den Teich erreichen und das tägliche Bad, „herkömmlicher Sitte getreu“, nehmen konnte. Einem zweiten Prometheus gleich steht er am Ufer und sieht trüben Blickes seine Commilitonen, in lustigen Schwärmen, auf den spiegelnden Fluthen dahingleiten. Da packt ihn Verzweiflung. Unter Geschrei, mit erhobenen Flügeln, stürzt er sich in’s Wasser, doch die hemmende Fessel gebietet ihm unerbittlich „Halt!“ Ein zweiter, ein dritter, von demselben Erfolg gekrönter Versuch wird gewagt; vergeblich! Plötzlich, wie von einer augenblicklichen Eingebung beseelt, stürzt sich der Gefangene nochmals in die Wellen, doch nicht um zu fliehen, nein, um zu – sterben. Besser der Tod, als schmachvolle Knechtschaft! Tief im Wasser liegen Kopf und Hals, mit den schlaff hängenden Schwingen spielen die krausen Wellen, kein Zucken verräth, daß noch Leben in dem schönen Thiere ist.

So, in diesem Zustande völliger Erstarrung wird der Gänserich von einem herbeigerufenen Diener dem Fluthengrab enthoben und am Ufersrand trocken gebettet. Scheinbar vom Tod umfangen, liegt das Thier lange Zeit, von dem Gutsherrn nebst Familie und einigen Dienern umgeben. Die Fessel, welche sich immer noch am Fuße befindet, wird gelöst und der todte Freund von Dieners Hand emporgehoben. Plötzlich kehrt das anscheinend entschwundene Leben zurück und mit lauten Rufen folgt der Sieger seinen enteilenden Gefährten.
L–e.