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In der Künstlerwerkstatt

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Textdaten
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Autor: Ernst Ziel
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Titel: In der Künstlerwerkstatt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 329–330
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[329]

In der Künstlerwerkstatt.
Nach dem Oelgemälde von A. de Courten.

[330]
In der Künstlerwerkstatt.

Wo im Pinienhain durch kühle Schatten
Silbern gleiten des Ilissos Wellen,
Ragt im Abendschimmer säulenprächtig
Eine Künstlerwerkstatt durch die Wipfel.
– In die Halle tritt mein Fuß. Aus Nischen
Schau’n der Kunst erhabene Gestalten
Groß und hoheitsvoll auf mich hernieder.
Alles schweigt. Wie Nähe einer Gottheit
Hör’ ich’s durch die menschenleeren Räume
Heimlich wehen – da – am Marmorsockel
Rauscht es weich wie wallende Gewänder,
Und als ob vom tragenden Gerüste
Sacht des Künstlers herrlichstes Gebilde,
Lebenathmend, sei herabgestiegen,
Wandelt – holdes Maß in Gang und Gliedern! –
Durch den Porticus ein Mädchenpaar hin,
Ernst und mild in jungfräulicher Schönheit,
Hehr wie eine Königin die Eine,
Doch vom Kuß des Lebens unberührt noch,
Schelmisch und libellenhaft die Andre.

Leicht, im flüsternden Gespräch, durchschreiten,
Arm in Arm geschmiegt, sie die Arcaden,
Und beim kleinen Gott mit Pfeil und Bogen
Hemmen sie den Schritt. „O, sag’ Evadne,“
Spricht die Schelmische mit list’gem Lächeln,
„Sag’ mir, ewig Ernste, wie thut Liebe,
Wenn sie leise – singen’s nicht die Dichter? –
Fällt in’s Mädchenherz, wie Thau des Maien?“
Und in sanfter Wehmuth spricht die Andre:
„Bist Du in der Lenznacht je, Melissa,
Auf der Uferhöh’ am Meer gestanden?
Dir zu Häupten leuchten rings die Sterne
Still und ruhig aus den Aethertiefen,
Und, ein schwimmend Spiegelbild, zu Füßen
Grüßt des Himmels Abgrund Dich noch einmal.
Nach dem Höchsten dürstet Dir die Seele,
Doch wer faßt es je? Wer greift die Sterne?

Ach, ihr zitternd Bild, so menschlich nah Dir,
Heute lockt’s aus Wellen Dich vertraulich,
‚Komm’ hernieder!‘ ruft es machtvoll schmeichelnd;
‚Komm’, o komm’ doch!‘ ruft es süß bestrickend,
Und es jauchzt das Herz Dir – doch Du zögerst;
Denn das Unermess’ne schreckt die Seele,
Und im höchsten Glücke schläft das Grauen.
Sieh, nun aus den Wassern blinkt und winkt es,
Näher, stürmischer, dämonenmächtig.
Siehst den Stern Du, heller als die andern,
Schmerzlich bittend, wie ein Menschenauge?
Deiner ist es, Deiner – da erfaßt Dich
Süßen Selbstverlorenseins Entzücken,
Und ein zärtlich Wort auf heißen Lippen
Stürzest Du, wie vom Leukad’schen Felsen
Sappho einst – und jauchzend in den Fluthen
Sinkst Du unter – Welt und Zeit versinkt Dir.
– So in’s Mädchenherz o traute Unschuld,
Fällt die Liebe – Schrecken halb, halb Wonne.“

Und Evadne schweigt; es schweigt Melissa.

Nun den stillen Säulengang hernieder
Wandeln sie bis wo sich wölbt die Pforte,
Wo herein in’s Dämmerlicht der Halle
Um’s Getäfel spielt des Himmels Bläue.
Flüsternd hör’ ich fragen hier Evadne:
„O, warum nur, heitere Gespielin,
Senkst Du, plötzlich ernst, die seid’ne Wimper?“
Doch Melissa schweigt; es schweigt Evadne.

Draußen athmet lind der Abend. Sinnend
Schreiten durch die Pinien die Beiden,
Und im grünen Zwielichtschein verschwinden
Endlich ihre wallenden Gewänder,
Schimmernd, schwanenweiß. – Ich bin allein nun – –

Heimlich, wie der Sehnsucht süße Stimme,
Tönt von fern die Flöte eines Hirten.

Ernst Ziel.

Anmerkungen (Wikisource)