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In der Erde

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Titel: In der Erde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 101-103
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch eines Bergwerks bei Freiberg in Sachsen
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[101]

In der Erde.

Herder’s Ruhestätte bei Freiberg.


Gar oft, wenn ich irgend ein Geldstück in der Hand hielt, hatte ich derer gedacht, welche das Metall dazu aus dem Schooße der Erde heraufholen; gar oft hatten die phantastisch gekleideten „Bergleute“ mit ihrem Hute ohne Krempe und mit der Schürze, die sie nicht vorn, sondern hinten tragen, meine Neugierde erregt wie ein fremdartiges Volk mitten unter uns gewöhnlichen Menschen, und diese Neugierde steigerte sich noch mehr, wenn ich von dem Bienenfleiße, von der Frömmigkeit, von dem treuen Zusammenhalten dieses Völkchens, von der Gefährlichkeit der Arbeit in der Erde, von der Armuth der Leute unter allen den Schätzen, die sie zu Tage fördern und ihrer bewundernswerthen Genügsamkeit hörte, bis ich endlich beschloß, ihr Leben und Treiben an Ort und Stelle selbst kennen zu lernen. Wir haben ja in Sachsen ein ganzes Erzgebirge, das seit länger als siebenhundert Jahren emsig durchwühlt wird; wir haben in Freiberg, der Hauptstadt des Bergbaus, in der Academie die hohe Schule der Bergbaukunst für die ganze Welt, jene Schule, die von Russen und Mexicanern, von Brasilianern und Aschantis, von Spaniern und Türken, von Franzosen und Engländern besucht wird, an der ein Werner lehrte, der Vater der neuen Geologie, die Schüler zog wie Humboldt und von Buch und an deren Spitze noch vor wenigen Jahren ein Herder stand.

So wanderte ich denn mit einem Freunde nach Freiberg und hier erhielten wir ohne Schwierigkeit einen „Fahrschein“, die Erlaubniß in die Erde herabzusteigen. Die Grube, die wir besuchen wollten, war der Himmelsfürst bei Brand. Viele Gruben führen solche Namen, die von der Frömmigkeit des Bergvolkes zeugen, „der Segen Gottes“, „die alte Hoffnung Gottes“ u. s. w.

Der Führer, dem uns der Schachtmeister überwies, versah sich mit kleinen Laternen, nahm ein unheimlich aussehendes Bündel auf und ging vor uns her nach einem andern Theile des Gebäudes, in dem wir uns befanden. Da lagen Haufen dunkelgrauer zerschlagener Steine – Silber- und Bleierze, die eben aus der Grube heraufbefördert worden waren, über deren Oeffnung wir standen, ohne daß wir es ahnten. Schon hier beginnt die Zurichtung der in Kübeln durch eine Winde heraufgehobenen Erze. Ueberall unter hölzernen Schuppen bemerkten wir Gruppen von Knaben – Pochjungen –, welche die Erze zerschlagen, sortiren, waschen und sieben, bis sie geeignet sind, in den Schmelzofen gebracht zu werden.

Wir folgten unserm Führer nun über einen staubigen Platz nach einem hölzernen Gebäude mit einem kegelförmigen Dache und in dessen Nähe vernahmen wir einen leisen lieblich-melancholischen Glöckchenklang, der nach regelmäßigen Pausen träumerisch durch die Luft zog. Woher dieser seltsame Ton? In der Mitte des Baues hing ein Glöckchen und dessen Silberstimme hörten wir.

„Welchen Zweck hat diese Glocke?“ fragten wir den Führer.

„Es ist die Sicherheitsglocke.“

„Und ihr Klang zeigt Gefahr an?“

„Nein, umgekehrt; ihr Schweigen bedeutet Gefahr. Die Glocke wird durch ein großes Wasserrad dicht unter der Oberfläche mit in Bewegung gesetzt. Durch dieses [102] Rad und andere in größerer Tiefe bringt man das Wasser aus der Grube. Wenn irgendwie diese Räder zum Stehen kommen, hört auch das Glöckchen auf zu läuten und die Arbeiter eilen zu Tage, weil Niemand sagen könnte, wie bald die Grube in dem Wasser ersaufen würde.“

So läute und klinge weiter, du Sicherheitsbote! Möge deine Stimme nimmer schweigen, möge sie immer und immer denen melden, die tief unten im dunkeln Schooß der Erde sich mühen, daß die Elemente ihnen nicht zürnen!

Der Führer öffnete nun das unheimliche Bündel, das er bis dahin getragen hatte, und forderte uns auf, die darin enthaltenen Anzüge anzulegen, – schwarze weite Beinkleider, eine schwarze Kutte, den Lederschurz, an dessen Gürtel vorn eine kleine Laterne gehakt wird und den schrecklichen schwarzen Filzhut ohne Krempe.

Endlich folgten wir, als dieser Anzug über unsere Kleider gezogen war, dem Führer auf Steinstufen hinab, die durch den festen Granit gehauen sind. Auf den ersten Stufen aber schon blieben wir stehen, denn wir hörten ein unheimliches Knarren und Rauschen – das gewaltige Wasserrad, das sich in seiner Steinkammer langsam umdreht und dessen Speichen wie Riesen-Arme unaufhörlich durch die feuchte Finsterniß greifen, während das Wasser rauscht und Tropfen nach Tropfen in die Tiefe fallen. O und die schauerlichen Stufen – finster, steil, schlüpferig! Wasser tropft von der Decke oben, Wasser sickert aus den Wänden! Und der Gang, in dem sie hinabführen, ist so niedrig, daß der Körper sich nicht vorwärts neigen kann, wie er es bei Abwärtssteigen thut, sondern der Kopf rückwärts gebogen werden muß, damit man mit dem häßlichen Hute nicht an der Decke anstößt. Immer – immer hinunter, auf den schrecklichen Stufen, an den nassen Wänden hintappend, durch die tiefe Finsterniß und die schwere feuchte Luft! Der Weg scheint sich zu drehen und zu wenden, man erkennt nicht recht wie. Bisweilen geht es in ebenen Gängen hin, aber sie führen nur zu andern steilen schlüpferigen Stufen, die, immer in gleichem spitzen Winkel, durch das Gestein gehauen sind. Hinunter, hinunter, sechshundert Fuß! Und der Führer flüstert uns zu, ja vorsichtig zu sein, mit dem Fuße erst zu fühlen, ehe wir ihn festsetzten, denn wir befänden uns an einer gefährlichen Stelle. Er hatte uns zu diesem Theile der Grube geführt, um uns zu zeigen, wie das Wasser sich ansammelt. Die Erzader lohnt an diesem Punkte die Arbeit nicht mehr und sie ist da aufgegeben worden. Athemlos kriechen wir weiter, bis der Führer uns auffordert stehen zu bleiben.

Da hält er seine Laterne so weit vor, als er mit dem Arme reichen kann und zeigt uns – undeutlich nur – in der kohlschwarzen Nacht eine Höhle mit niederer Decke und in dieser einen dintenschwarzen See, dessen Wasser nie ein Lüftchen kräuselt und in dem das Licht der Laterne sich wie in einem Spiegel bricht. Ein grauenhafter Anblick – so schwarz, so bewegungslos! Ein heimtückischer Pfuhl, der uns wahrscheinlich verschlänge, ohne nur eine Blase zu werfen. Und wir stehen nur einen Fuß weit von seinem Ufer! Unwillkürlich treten wir zurück und kriechen auf den steilen Stufen bis zum ersten Absatz wieder hinauf.

Von da geht es in einen schmalen Schacht eine Strecke weit hin, dann – wieder hinunter und immer hinunter auf den endlosen Stufen, bis uns von der ewig gleichförmigen Bewegung die Knie zittern und der Schweiß aus allen Poren dringt. Die Luft ist dabei so dick und schwer, daß wir bisweilen wie keuchend und schnappend einathmen. Aber immer weiter geht es in der Tiefe, bis wir dicht in unserer Nähe einen Klang vernehmen wie von Eisen oder Stahl, die an etwas Hartes geschlagen werden, und auf ebenem Boden stehen. Wir befinden uns in einem schmalen Schacht, der so hoch ist, daß wir darin gehen können, ohne daß wir uns zu bücken brauchen. Am Ende desselben schimmern zwei Lichter wie zwei Johanniswürmchen, – die Grubenlaternen zweier Arbeiter. Von ihnen kam der matte Eisenklang durch die dicke Luft. Sie arbeiten für eine Sprengung. Mit einem langen Stahlstabe oder Meißel treiben sie ein Loch in das harte Gestein (fast immer Gneis und Granit). In diese kleine Kammer wird das Pulver gefüllt, das, entzündet, das feste Gestein in tausend Stücke zerreißt und damit zugleich das so emsig gesuchte Erz befreit.

Auf dem Boden liegend, den Körper in allerlei unnatürliche Lagen krümmend, müssen die Bergleute ihre Arbeit thun. Das Anbohren des festen Gesteins ist mühselig und viel kommt dabei auf die Berechnung und Wahl der Stelle an, an welcher das Bohrloch angesetzt wird, damit die Explosion so viel als möglich von dem Erze, so wenig als möglich von dem tauben Gestein löse. Die beiden Arbeiter dreheten sich nach uns um, als sie uns hörten. Der Fluch des Mammonsuchens lag auf ihnen.

„Sind wir auf dem Grunde der Grube angekommen?“ fragte ich ängstlich.

Der Führer lächelte als er antwortete: „Kaum über die Hälfte sind wir gekommen; aber in dieser Richtung können wir nicht tiefer hinunter.“

Gott weiß es, daß wir auch nicht wünschen noch tiefer zu steigen!

„Wie lange arbeiten die Leute?“

„Bei dieser Tiefe acht Stunden des Tags in fünf Tagen der Woche. Bei größerer Tiefe einige Stunden weniger.“

„Welchen Umfang hat die Grube?“

„Das weiß ich nicht. Kein Bergmann ist überall in ihr gewesen. Der größere Theil wird nicht mehr gebaut und zieht sich wohl Stunden weit unter der Erde hin.“

„Und die Tiefe?“

„Zwölfhundert Fuß, gerade bis zum Meeresspiegel. Die „alte Hoffnung Gottes“ geht noch sechzig Fuß unter den Meeresspiegel.“

„Und solcher Gruben giebt es viele?“

„Wohl mehr als zweihundert und 540 Schachte. Im Ganzen arbeiten etwa 5000 Bergleute. In unserer Grube sind 900 beschäftigt.“

„Was verdienen sie?“

„Ein Thaler ist bei uns ein guter Wochenlohn. – Gott sei Dank, wir erhalten den Lohn aber auch, wenn wir krank sind und haben immer Arbeit. Wenn wir nicht mehr „einfahren“ können, erhalten wir aus der Casse acht gute Groschen wöchentlich.“

Zehn Neugroschen die Woche! Und lebenslänglich Silber zu Tage gefördert!

Wir waren ganz matt von der Anstrengung und sehnten uns hinauf an’s Tageslicht.

[103]

 Es freue sich
Wer da athmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist’s fürchterlich!

Der Weg aufwärts war ein ganz gleicher wie der abwärts, obwohl wir in einem andern Schacht emporstiegen, der sehr bezeichnend „Himmelfahrt“ heißt. Wir stiegen auf gleichen steilen schlüpfrigen Stufen hinauf, fühlten uns an gleichen nassen Wänden hin und stießen uns gelegentlich den Hut an der niedrigen Decke über die Augen herein. Kaum einen trocknen Faden hatten wir an uns, als wir nach zweistündigem Aufenthalte in der Erde wiederum frische Himmelsluft athmeten und das goldne Tageslicht erblickten.

Wir hatten gesehen, wo das Silber wächst und gebrochen wird. Aber welch endlose Arbeit, welche Mühseligkeit, welcher Aufwand von Kunst gehört dazu, ehe das Metall glänzend aus seiner unscheinbaren Hülle heraustritt! Uebergehen wir diese Vorbereitungsarbeiten und treten an den großen kreisrunden Ofen mit wenigstens einem halben Dutzend fest verschlossener Eisenthüren und eben so vielen glühenden Schlünden. Ein rusiger Mann mit einem langen Eisen zieht eine dieser Thüren auf und wir blicken hinein auf einen kleinen See geschmolzenen Silbers, das dampft und raucht und Blasen wirft. Die Eisenstange wird hineingestoßen und scharrt die Kruste obenher ab – das Bleioxyd das sich an der Oberfläche gebildet hat. Das Silber dampft und blitzt und ein weißer Dunst schwebt darüber. Da wirft der rusige Mann die Eisenthüre wieder zu, nimmt uns am Arm und fordert uns auf, in eine dunkele Höhlung hineinzusehen und die weißen Tropfen zu beobachten, die nacheinander wie kleine Sterne von Oben herabfallen. Dies ist das Quecksilber, das von dem schmelzenden Silber in dem Ofen verdunstet und durch den Schornstein in eine Vorrichtung geht, in welcher es in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehren muß, um immer wieder verwendet zu werden, das Silber aus seinen Verbindungen herauszulocken.

Die Gruben um Freiberg geben jährlich etwa 4 bis 500,000 Unzen Silber, und aus hundert Pfund Erz gewinnt man drei bis vier Unzen Silber. Aber bekanntlich giebt das Erzgebirge nicht blos Silber, sondern viele andere Metalle, selbst Edelsteine werden bisweilen gefunden und so lange der Bergbau in Sachsen auch schon betrieben worden ist (es ist bereits für mehr als eine Viertel Milliarde Thaler Silber aus dem Freiberger Revier gewonnen worden), so sind doch die Schätze noch lange nicht erschöpft, die im „Erzgebirge“ liegen und es steht ihm eine noch höhere Blüthe bevor.

Unberechenbare Verdienste um den rationelleren Betrieb des sächsischen Bergbaues hat sich der Oberberghauptmann Freiherr von Herder erworben, von dem z. B. der großartige Plan ausgeht, einen Stollen von Freiberg bis zur Elbe zu treiben, um die sämmtlichen Freiberger Gruben von dem Wasser zu befreien. Dieser Bau, der sehr bedeutende Kosten erfodert, ist in Ausführung begriffen, Herder selbst aber sollte dieselbe nicht erleben. Er starb 1838 und wurde nach seinem Wunsche inmitten des Feldes seiner Thätigkeit begraben, auf der Halde des alten Berggebäudes „Drei König Fundgrube“ (zwischen Freiberg und Tuttendorf), wo ihm der dankbare Bergmannsstand das Denkmal errichtete, das unser Bild zeigt.