In den Gärten Wiens
In den Gärten Wiens.
Wo heute das Häusermeer der westlichen Vorstädte und Vororte Wiens sich bis hart an die Rebenhügel und Berge des Wienerwaldes ausdehnt, da waren vor nicht gar langer Zeit ebenfalls Felder und Weingärten, die mit dem zunehmenden Wachsthum der Stadt allmählich verschwanden, nur hie und da eine grüne Oase, einen zwischen Mauerwänden eingeschlossenen Hausgarten oder einen öffentlichen, mit Bäumen bepflanzten Erholungsplatz zurücklassend.
Die heutigen Vorstädte und Vororte waren in früheren Zeiten im Besitz von adligen Familien oder von Klöstern, die ihre „Gründe“ theilweise selbst bewirthschafteten oder an Pächter vergaben. Die Herren von Gumpendorf zogen an den Hügeln, die sich längs der Wien bis hinauf zu den Vorstädten Mariahilf und Windmühle ausbreiteten, einen vortrefflichen Wein, der im Mittelalter zu den geschätztesten Tropfen des weingesegneten Wiener Beckens gezählt wurde. Aeltere Leute erinnern sich wohl noch heute daran, die Ueberbleibsel dieser einst so berühmten Weingärten gesehen zu haben, auf deren Boden heute die Häusergruppen zwischen dem sogenannten „Ratzenstadtl“ und der Eßterhazygasse stehen.
Die „Gründe“ wurden von ihren adligen und geistlichen Besitzern allmählich für gutes Geld stückweise verkauft, und als nach den Türkenkriegen Wien sich neuerdings zu dehnen und zu recken begann, entstanden rings um die eigentliche Stadt zahlreiche Dörfer, Meierhöfe, Einkehrgasthäuser, die sich im Laufe der Zeit immer enger aneinander schlossen und zu den heutigen Vorstädten verwuchsen. Das freundliche Grau der Felder und Gärten innerhalb der Linienwälle verschwand, und wenn der Wiener „über Land“ gehen wollte, so mußte er vor die „Linie“ hinausgehen. Auch heute noch hält der Wiener diese beiden Begriffe für gleichbedeutend, obwohl auch außerhalb der Linienwälle in den Vororten die wogenden Aehrenfelder längst den endlosen Straßenzügen haben weichen müssen.
Das ehemalige Gartenland, das jetzt mit volkreichen Stadttheilen verbaut ist, ließ aber in der Stadt manch reizvolle Erinnerung zurück, erquickende Oasen mit schattigen Baumgruppen, saftiggrünen Wiesenflächen und farbenbunten Blumenteppichen. Die Mehrzahl dieser Gärten, die zum größten Theile dem Publikum freigegeben sind, verdankt Wien der Freigebigkeit des Hofes und adliger Familien. Als jedoch nach der Stadterweiterung die sogenannten Glacis, der breite Wiesengürtel, der sich rings um die Festungswälle bis zu den Vorstädten ausdehnte, verbaut
[453][454] wurden, wodurch der Bevölkerung ein mächtiges Reservoir von Luft und Licht, der Jugend ein unersetzlicher Tummelplatz entzogen wurde, da mußte die Gemeindeverwaltung darauf bedacht sein, durch Gartenanlagen, durch Baumpflanzungen und Spielplätze für den Verlust Ersatz zu schaffen. Solchem Bedürfniß verdankt der herrliche Stadtpark seine Entstehung. Dieses grüne Juwel im Diadem Vindobonas wurde bei seinem Entstehen von den Wienern viel bespöttelt. Die jungen Anlagen konnten selbstverständlich in den ersten Jahren den anspruchsvollen Vorstellungen der Wiener von einem Stadtpark nicht genügen. Die zarten Baumpflanzungen, die schattenlosen Bosketts gaben den Witzblättern willkommenen Stoff zu boshaften Ausfällen. Der alte Wiener, der noch mit treuer Liebe an seinem Wasserglacis, seinem Paradeisgartl und seinen Basteien hing, hielt sich für verpflichtet, dem Neuling gegenüber eine kühle Haltung einzunehmen. Als aber ein nenes Geschlecht heranwuchs, dem Wasserglacis und Paradeisgartl nicht mehr als ein verlorenes Eden schöner Kindheitserinnerung erschien, da fing man an, die künstlerisch angelegten Parktheile mit ihren malerischen Baumgruppen, schattigen Bosketts und duftenden Blumenterrassen lieb zu gewinnen. Der vielverlästerte Teich, von dem man bisher nur wissen wollte, daß es nachts darin spuke von Fröschen und Unken und anderem Gethier, fand allmählich Gnade vor den Augen des Wieners. Die lieben Kleinen begannen sich mit den protzenhaft sich gebärdenden Schwänen auf vertrauten Fuß zu stellen, und als sie merkten, daß der stolze Vogel Lohengrins den irdischen Genüssen von Kipfeln, Kaisersemmeln und Baunzerln nicht abhold war, da bildete sich bald ein sehr gemüthliches Verhältniß heraus.
Der übelbeleumundete Wienfluß trennt den Stadtpark in zwei ungleiche Theile; man muß jedoch jenem das Zeugniß ausstellen, daß er sich sogar in den heißen Sommermonaten an dieser Stelle ziemlich anständig benimmt. Die Uferböschungen, mit theilweise uralten Linden, Pappeln und Akazien besetzt, gewähren sogar einen malerischen Anblick. Am rechten Ufer, gegen die Vorstadt Landstraße gekehrt, dehnt sich der Kinderpark aus, ein Ersatzmittel für das einst vielbeliebte Wasserglacis. Der Spielplatz ist rasenfrei, mit alten schattigen Kastanienbäumen bepflanzt und mit zahlreichen Ruhebänken versehen; gegen das Ufer hin ist eine Milchwirthschaft errichtet, das gelobte Land der Vegetarianer, die unter dem kühlen Laubdach die ausschweifendsten Gelage in saurer Milch, Butter und Rahm halten. Auf dem Spielplatz tummelt sich vom Morgen bis zum Abend eine frohe Kinderschar und spielt hier die uralten Kinderspiele, die schon unsere Urahnen ergötzt haben, mit leuchtenden Augen und frohem hellen Kinderlachen. Die kleinen Mädchen singen, im Kreise geschart, das „Ringel, Ringel Reihe“, die Buben spielen „Vaterl“ oder „Vater, Vater, leih’ mir d’ Scheer’“, und die dienstbaren Geister, denen das kostbare Völkchen anvertraut ist, bewachen von der nächsten Ruhebank aus das Treiben ihrer Schützlinge, sofern sie nicht durch einen schmucken Vertreter des Wehrstandes darin behindert werden. In solchem Falle muß der vielgeplagte „Schutzengel der Kleinen“ die fernere Ueberwachung übernehmen. Statistische Beobachtungen sollen aber festgestellt haben, daß sich die Kinder um diese Zeit die meisten Löcher in den Kopf zu schlagen pflegen.
Ganz anders verläuft das Tagewerk im eigentlichen Stadtpark. Schon in den frühen Morgenstunden sieht man um den prächtigen, von Garben erbauten Kursalon eine Anzahl von Männern und Frauen lustwandeln, die ihrer Gesundheit zuliebe Mineralwässer trinken und die vorgeschriebene Bewegung in frischer Luft und anmuthigem Grün gewissenhaft abthun. Der sauertöpfische Bureauchef, der sich keine Zeit zu einer regelrechten Kur in Karlsbad gönnt, trinkt hier seine verordneten Becher und trabt, mit Zahlen und Aktennummern im Kopfe, durch die herrlichen Anlagen, guckt beim Wetterhäuschen auf den Barometerstand, umkreist den Teich, brummt über die unnützen Schwäne, die sich in behaglichem Müßiggang auf dem Wasserspiegel wiegen, und verzehrt dann hastig an einem der Tische, die unter den schattigen Bäumen aufgestellt sind, sein Frühstück. Die alte Jungfer trippelt vergnügt in das dämmerige Boskett, in dem das entzückend schöne Marmorbild des Donauweibchens von Hans Gasser als Brunnenfigur aufgestellt ist, und füttert mit gleicher mütterlicher Liebe die kecken schnatternden Spatzen wie die zutrauliche Amsel und deren stimmbegabte Sangesbrüder. Das kühle Plätzchen wird auch gern von fleißigen Studenten aufgesucht, die ihr Pensum in frischer Luft durchnehmen und in den Erholungspausen das heitere Treiben um sich beobachten. Um die Mittagsstunde sieht man wohl auch manch müdegehetzten Stellenlosen hier zu kurzer Rast weilen, der die Speisestunde verträumt und sich die Sonne warm in den Mund scheinen läßt.
In den Nachmittagsstunden entwickelt sich ein buntbewegtes Leben. Geputzte Menschen wandeln plaudernd und lachend durch die schattigen Laubgänge, erfreuen sich an dem schönen Kundmannschen Schubertdenkmal, umkreisen die Bronzebüste des verdienstvollen Bürgermeisters Zelinka oder sitzen in eifrigem Klatsche auf den eisernen Stühlen, die längs der Rasenparzellen aufgestellt sind und gegen ein kleines Entgelt vermiethet werden. Die mit Tischen bestellte Terrasse vor dem Kursalon ist von einer eleganten, Kaffee trinkenden und Eis schlürfenden Menge besetzt. Die Böschung dieser Terrasse bildet ein kleines Rosenboskett, an dessen Rand ein Blumenflor von mehr oder minder reizenden Damen sitzt, welcher die Vorüberwandelnden einer scharfen Musterung unterzieht und ihre Toiletten mit nicht immer wohlwollendem Kennerblick prüft. Die Jugend und Anmuth findet auch hier schmeichelhafte Bewunderung. Manche zärtliche Mutter führt hierher mit staunenswerther Ausdauer ihre Töchter, um sie in vortheilhafter Beleuchtung und idyllischer Umrahmung den Blicken der „heirathspflichtigen“ Männerwelt auszusetzen.
In den späten Nachtstunden hat das Gartenbild ein ganz anderes Gepräge. Einzelne Eilige, welche den kürzeren Weg durch den Park von der Vorstadt Landstraße in die innere Stadt wählen, huschen hastig durch die einsamen Wege. Hie und da sucht ein Passagier der „grünen Bettfrau“ ein Ruhelager auf einer der versteckten Bänke, wird jedoch bald vom „Auge des Gesetzes“ erspäht und aufgescheucht. Zuweilen auch tönt ein Schuß durch die stille Nacht und die Gartenwächter finden dann auf eine Bank hingestreckt, ein blasses Menschenkind, das auf die Bilanz eines stürmischen oder mühseligen Lebens einen bleiernen Schlußpunkt aus dem Laufe eines Revolvers gesetzt hat.
Doch mit dem Morgengewölk verschwindet das unheimliche Bild; das Vogelvolk singt in den Zweigen seine tausendstimmige Symphonie, die Morgensonne streut blitzende Juwelen auf Gras und Blumen, die Arbeiter säubern die Kieswege, die Gärtner bespritzen Blumenbeete und Rasen mit mächtigen Wasserstrahlen, und allmählich finden sich auch die ersten Gäste ein, die mit sichtlichem Behagen die würzige Luft einathmen und den Zauber des jungen Tages genießen.
Das Bild des Gartenlebens, das wir hier entworfen, wiederholt sich mit mehr oder weniger veränderten Zügen auch in den übrigen öffentlichen Gärten Wiens. Die Lage des Stadttheils, der Grad der Beliebtheit und die Art der Gartenanlage haben freilich einen wesentlichen Antheil an der Gestaltung. Und da giebt es wohl keinen größeren Gegensatz zu dem eben geschilderten Bilde als den Augarten in der Leopoldstadt. Einst ein Lieblingsaufenthalt der vornehmen Wiener Gesellschaft, ist dieser stattliche Park mit seinen uralten Alleen und Baumgruppen heute öd und einsam. Vereinzelte Kindergruppen mit ihren Bonnen und Kindermädchen, hie und da ein ruheliebender Besucher, der in den weitläufigen Anlagen ungestört lesen will, ein hypochondrischer Luftkneiper, der durch die ernsten ehrwürdigen Kastanienalleen trabt, sie bilden heute die einzige Staffage dieses großen Gartens, der nur zur Sommerszeit belebter wird, wenn hie und da an Nachmittagen ein Konzert stattfindet. Wie so ganz anders war es im vorigen Jahrhundert um den Garten bestellt, als Josef II., der „Schätzer der Menschheit“, seinen zeitweiligen Sommersitz dort aufgeschlagen hatte. Noch heute sieht man über dem Portal die von Kaiser Josef eigenhändig verfaßten Widmungsworte: „Allen Menschen gewidmeter Belustigungsort von ihrem Schätzer.“ Unter dem Schatten der mächtigen Bäume wandelte der edle Menschenfreund fast täglich und verkehrte leutselig mit dem Volke, das in hellen Scharen herbeiströmte, um seinen geliebten Monarchen zu sehen. Noch heute erzählt man sich zahlreiche Anekdoten über den menschenfreundlichen Sinn dieses Fürsten, den er im Umgang mit dem Volke bethätigte. Zu seiner Freundin, der Fürstin Windischgrätz, welche einstmals ihre Verwunderung ob seines herablassenden Wesens ausdrückte, sagte er die denkwürdigen Worte: „Wollte ich immer nur mit Meinesgleichen verkehren, so müßte ich zu den Kapuzinern in die Kaisergruft hinabsteigen.“
[455] Damals hatte aber auch der Adel und das elegante Wien den Augarten zu seinem Lieblingsaufenthalt erkoren und dem Bedürfniß nach angenehmer Zerstreuung entsprangen die denkwürdigen Morgenkonzerte, die kein Geringerer als Mozart veranstaltete. Der Glanz und Luxus, der bei diesen Zusammenkünften entfaltet wurde, die geputzte Menge in farbenprächtigen Kostümen und Uniformen, dazu die liebliche Musik des unsterblichen Tonmeisters mögen in diesem Rahmen Eindrücke von überwältigender Wirkung geboten haben.
Heute ist der schöne Park vergessen und verlassen, und nur das liebliche Sängervolk in den Zweigen, die Nachtigallen und Amseln, die einst der edle Kaiser hierher verpflanzte, zwitschert das ewige Lied von Lebensdrang und Daseinsfreude, mit dem der große Tonkünstler Mozart die Herzen seiner Zeitgenossen so mächtig zu ergreifen wußte. –
Der Bezirk Wieden, sowie der angrenzende Bezirk Landstraße haben die meiste Auswahl in großen Gartenanlagen. Außer dem Stadtpark befinden sich hier zwischen der Heugasse und dem Rennweg der Botanische Garten und zwei geschichtlich denkwürdige, großartige Anlagen, die dem Besuch des Publikums geöffnet sind: der Schwarzenberggarten und der Belvederegarten. Der Botanische Garten, eine für die Wissenschaft höchst werthvolle Schöpfung voll seltener Pflanzenarten, soll demnächst der Bauwuth theilweise zum Opfer fallen. Er ist trotz seiner Schönheit und seines lehrreichen Zweckes sehr wenig besucht. In der Mitte des Gartens steht ein botanisches Museum mit reichhaltigen und werthvollen Sammlungen, wie man sie sonst in der Welt nur selten in gleichem Umfang antrifft. Das Herbarium zählt über 40 000 Arten; eine Sammlung von getrockneten Früchten 8- bis 9000 Arten. Der Garten, für den Wissensdurstigen ein aufgeschlagenes Buch voll tiefer Weisheit, ist auch für den Laien ein erquickender Aufenthalt. Man findet keine mathematischen Linien, keine Blumenarabesken, keine steifaufmarschierenden Baumgrenadiere, die den Besucher empfangen wie die aufwartenden Kellner im Frack und weißer Krawatte; dafür aber einen Farbenzauber und einen Formenreichthum, der dem Auge herrlich wohlthut.
Nicht weit davon ist der im italienischen Zopfstil gehaltene Belvederegarten mit seinen abgezirkelten Beeten, seinen zugestutzten Buchsbaumhecken und seinen glattrasierten Baumreihen gelegen. Zwei Paläste, das untere und das obere Belvedere, einst der stolze Sommersitz des großen Generalfeldmarschalls Prinz Eugen, begrenzen den terrassenförmig ansteigenden Garten. Vor kurzem noch waren diese Paläste mit zwei reichhaltigen, weltberühmten Sammlungen belegt, der Ambraser Sammlung und der kaiserlichen Gemäldegalerie, die beide jetzt in den prunkvollen Räumen des kunsthistorischen Museums untergebracht sind. Der Belvederegarten, schon vordem zumeist nur von Studenten und Liebespärchen besucht, ist seit der Uebersiedlung der kostbaren Schätze noch mehr vereinsamt und gemahnt mit seiner steifen Pracht und den absonderlichen eckigen Linien, dem Werke des Hofgartenkünstlers Anton Zimmer, an das Vergängliche aller irdischen Herrlichkeit. Wenn der Mond sein magisches Licht über die lebenden, aber stummen Zeugen eines großen Zeitalters ergießt, dann mag die angeregte Phantasie die schneeig blinkenden Kieswege mit den Spukgestalten jener farbenfrohen Zeit bevölkern . . .
Von der zweiten Terrasse, zu welcher von beiden Seiten breite, mit Allegorien der Monate von Hans Gasser geschmückte Steintreppen führen, genießt man die berühmte Fernsicht auf Wien und das sanft ansteigende Hügelgelände. Schon die Römer hatten die beherrschende Lage dieses Ortes erkannt; denn hier stand ihr Castrum, und auch der berühmte Feldherr verrieth seinen taktischen Spürsinn, als er zur Zeit des kunstfreundlichen Karl VI. 1724 an dieser Stelle den herrlichen Bau von Hildebrand aufführen ließ.
Der schattige, im englischen Stil angelegte Schwarzenberggarten erfreut sich eines weit zahlreicheren Besuches. Dazu mag außer seinem erquickenden Schatten wohl hauptsächlich die vortheilhafte Lage zwischen den volkreichen Bezirken Wieden und Landstraße, sowie die Nähe der Stadt beitragen. Der Hochstrahlbrunnen, seit dem Bestand der Hochquellenleitung eine Wiener Sehenswürdigkeit, die aber wegen des chronischen Wassermangels nur selten zeigt, was sie kann, ziert den großen freien Raum vor dem Schwarzenbergpalais, einer Schöpfung des genialen Fischer von Erlach. Das malerische Schloß bildet einen überaus wirksamen Abschluß des Schwarzenbergplatzes, einer der schönsten Veduten Wiens.
An schönen Sommertagen wimmelt es hier von Besuchern. Die Kinderwelt ergötzt sich unter der großen Kastanienallee oder umschwärmt den großen Teich auf der zweiten Terrasse mit seiner malerischen grünen Umrahmung, betrachtet von der bizarren Tuffsteingrotte aus das geschäftige Treiben der Enten und Schwäne und findet in den vielverzweigten schattigen Wegen einen willkommenen Tummelplatz für ihre heiteren Spiele. Der Rasengrund ist durch seinen Blumenflor berühmt, der in großen Glashäusern gezogen wird. Geräumige Wasserbecken mit Springbrunnen, Goldfischen und Wasservögeln bringen an passenden Orten Lust und Leben in die Landschaft. Der Charakter des Parkes zeugt in seiner Würde und seinem maßvollen Prunke von dem erlesenen Geschmack des Geschlechtes, das diese herrliche Oase geschaffen hat. Ehrwürdige Baumriesen blicken gleich stolzen Ahnen auf die zu ihren Füßen wimmelnden Epigonen herab und flüstern sich Geschichten zu von glanzvollen Festen und rauschenden Vergnügungen, die auch in unseren Tagen zeitweilig Nachfolge fanden. Der Schwarzenberggarten ist unstreitig der beliebteste und besuchteste unter den Privatgärten Wiens, und es giebt wohl kaum einen Wiener der östlichen Bezirke, dem die Nennung dieses Namens nicht unvergeßliche, frohe Erinnerungen wachrufen würde.
Von weniger ehrwürdigem Alter ist der erst anfangs dieses Jahrhunderts (1824) von Kaiser Franz I. an Stelle der alten Befestigungswerke angelegte Volksgarten. Er ist stets gut besucht; denn seine günstige Lage am äußeren Burgplatz, die täglichen Konzerte im Pavillon des Restaurationsgartens, die prachtvolle monumentale Umrahmung machen ihn zu einem beliebten Aufenthalt von alt und jung. Die Gartenanlage bietet nichts Bemerkenswerthes; auch hier findet man schöne Alleen, farbige Blumenbeete und saftiggrüne Rasenplätze, in deren Mitte sich kleine Wasserbecken mit kunstvollendeten Marmorgruppen Tilgners u. a. befinden. Fast im Mittelpunkt des Gartens erhebt sich der prächtige Theseustempel, eine getreue Nachahmung des athenischen Vorbildes; noch vor kurzem beherbergte er das herrliche Meisterwerk Canovas „Sieg des Theseus über den Minotaurus“, aber dieses wurde vor einiger Zeit in das kunsthistorische Museum [456] übergeführt, wo es die Stirnseite des Stiegenhauses ziert. In der Nähe des Restaurationsraumes befindet sich das schöne Grillparzerdenkmal von K. Kundmann mit Reliefs von Rud. Weyr.
An Dienstagen und Freitagen finden im Restaurationsgarten, der an diesen Tagen durch ein Gitternetz von dem übrigen getrennt ist, die beliebten Gartenfeste mit der Kapelle Strauß und einer Militärkapelle statt, mit prächtiger Beleuchtung, starkem Besuch und erhöhtem Eintrittspreis. Draußen vor dem Netze sammelt sich dann eine dichte Schar, welche sich den Genuß ihrer Lieblingsmusik auf billigere Weise verschafft und sich dabei noch das Vergnügen machen kann, die elegante Welt der drinnen Lustwandelnden neugierig anzustaunen.
Manche Sitze der alten Adelsgeschlechter liegen heute noch inmitten von ausgedehnten Parkanlagen, die zum größten Theile, dank dem schönen Gemeinsinn lhrer Besitzer, dem Besuch des Publikums zugänglich sind. In erster Linie muß hier der Liechtensteinsche Hofgarten im neunten Bezirk genannt werden, in dessen vorderem Theile sich das einstmalige Sommerpalais mit der berühmten Liechtensteinschen Bildergalerie befindet. Viele von den adeligen Gartenpalästen sind aber im Laufe der Zeit in fremden Besitz übergegangen. So das Eßterhazypalais mit dem von ungezählten Kinderscharen wimmelnden Garten in den Besitz der Gemeinde. Beide bildeten im vorigen Jahrhundert den stolzen Sommersitz des allmächtigen Ministers Fürsten Kaunitz. Der einstmalige Fürst Rasumofskysche Garten auf der Landstraße ist vollständig in Bauplätze verwandelt, der Graf Schönbornsche Garten im achten Bezirk eine öffentliche städtische Anlage geworden.
Die grünen Oasen alle aufzuzählen, welche sich noch hier und da zwischen den neu erstehenden Häusergevierten erhalten haben und die oft mit rührender Liebe gepflegt werden, würde zu weit führen. Von bemerkenswerthen Anlagen seien nur noch erwähnt die Rothschildschen Gärten auf der hohen Warte und in der Theresianumgasse, der Springersche Garten in der Alleegasse, der Clam Gallas’sche, ehemals Dietrichsteinsche Garten in der Währingerstraße, der Garten des Allgemeinen Krankenhauses, der ausgedehnte prachtvolle Park der Landesirrenanstalt; ferner die öffentlichen Anlagen vor den k. k. Hofmuseen, dem neuen Rathhaus, auf dem Börsen-, Schiller-, Beethoven-, Maximilianplatz und endlich die Parkanlage auf der Türkenschanze, eine Schöpfung der jüngsten Zeit. Die Eröffnung dieses Parkes wurde zu einem denkwürdigen Merktag in der Geschichte der Stadt Wien, da der Kaiser bei dieser Gelegenheit die baldige Beseitigung der Linienwälle und die Schaffung Groß-Wiens verkündete.
Die Gärten und Anlagen, von denen wir bis jetzt gesprochen haben, genügen dem örtlichen Erholungsbedürfnisse der einzelnen Bezirke und Vorstädte und sind ein sehr werthvoller Ersatz für die Sommerfrische, welche die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung einer Großstadt entbehren muß. Aber außer dem Wienerwald, der füglich als ein Naturpark im großartigsten Stile gelten kann, besitzt Wien noch zwei große, herrliche Lustquellen, die zu gleicher Zeit Hunderttausenden Erquickung und mannigfache Zerstreuung bieten: den k. k. Lustpark zu Schönbrunn und den Prater.
Unmittelbar angrenzend an die südwestlichen Vororte Meidling, Gaudenzdorf, Sechshaus breitet sich der herrliche, in großartiger Vereinigung von Kunst und Natur prangende Park von Schönbrunn über ein sanft ansteigendes Hügelgelände aus. Das weithinschimmernde Schloß, nach den Plänen Fischers von Erlach unter Maria Theresia und Kaiser Josef II. erbaut, nimmt den untersten Theil des weitläufigen Geländes ein, an den sich ein großartiges Gartenparterre, mit Blumenbeeten, Bassins, Marmorgruppen geschmückt, anschließt.
Mächtige Baumwände, aus deren Nischen kostbare Marmorstatuen hervorblinken, begrenzen das Parterre zu beiden Seiten. Den Abschluß nach rückwärts bildet eine Anhöhe, an deren Fuß sich ein großes Bassin mit einer gewaltigen Marmorgruppe befindet: „Thetis, den Schutz Neptuns für die Fahrt des Achilles erbittend.“ Dahinter führt eine sanfte Anhöhe bis zur „Gloriette“, einem herrlichen, hellschimmernden Bau, von luftigen Säulenhallen flankiert und gekrönt mit einer barocken, aus Kriegstrophäen gebildeten Giebelgruppe. Von hier aus genießt man eine entzückende Fernsicht über Wien, das Wienthal und die südlichen Höhen des Wienerwaldes.
Rechts und links von dem genannten Parterre sind die eigentlichen Gartenanlagen mit großen schnurgeraden Alleen und anmuthiger Abwechslung von Baumgruppen, Hecken und freien springbrunnengeschmückten Plätzen. Die Nachahmung einer römischen Ruine in einem romantischen Walddickicht, ein auf vier großen, vergoldeten Schildkröten ruhender Obelisk, Springbrunnen mit Marmorgruppen bilden wirksame Abschlüsse der im Zopfstil gehaltenen, wie grüne Mauern stehenden Alleen. Ein sogenannter Irrgarten mit mäandrisch verlaufenden Wegen ist ein beliebtes Ziel der Sonntagsbesucher. An schönen Sommertagen fluthet [457] eine nach vielen Tausenden zählende Volksmenge durch die stattlichen Laubgänge, hinan zur Gloriette oder in die schattigen waldähnlichen Theile des Gartens. Das größte Gewoge jedoch herrscht in dem großen zoologischen und botanischen Garten, und insbesondere bilden in der sogenannten „Menagerie“ der Bärenzwinger, die Käfige der Löwen und Tiger, sowie das Affenhaus das Entzücken der Kinderwelt.
Die prunkvollen Räume des Schönbrunner Schlosses haben große geschichtliche Ereignisse gesehen. Als der korsische Eroberer Wien im Jahre 1809 eingenommen hatte, schlug er in Schönbrunn sein Hauptquartier auf. Der idyllische Ort mochte ihm sicherer erscheinen als die feindliche Hauptstadt; dennoch wäre er beinahe das Opfer eines Attentates geworden, das der thüringische Pastorssohn Friedrich Raps an der Freitreppe des Schlosses auf ihn unternommen hatte. Raps wurde, da er sich standhaft weigerte, eine feierliche Erklärung abzugeben, daß er in Zukunft jede Feindseligkeit gegen die Person des Kaisers unterlassen wolle, in dem nahen Gatterhölzel erschossen. Als dann die Zeit des Wiener Kongresses im Jahre 1815 kam, da war Schönbrunn der Schauplatz rauschender Feste von märchenhafter Pracht. –
Der Prater! Wo immer man Wien und seine Bewohner zeichnen will, da darf das Bild des Praters mit seinem bunten Leben und seiner tausendfältigen Bethätigung voll Frohsinn und Daseinsfreude nicht fehlen.
Wenn der müde Leib der Riesenstadt an schwülen Sommertagen wie in einem quälenden Traume befangen ruht, wenn eine mißfarbige, aus dem Qualm und
Brodeln der tausend Essen gebildete Wolke gleich einem schweren Alp über ihr liegt, da scheint es zuweilen, als ob die Seele sich geflüchtet hätte in die heiteren Gefilde eines seligen
Traumlandes, in welchem die Menschen gut und frohgestimmt wandeln, Hand in Hand, wie Brüder einer besseren Welt, die von des Lebens Qual und Sorge, von Kampf und Zwietracht nichts wissen.
Zu Tausenden geht dann der Zug nach den thaufrischen Auen, wo Milch und Honig fließt, wo es singt und klingt wie im verzauberten Walde, wo allen Sinnen muntere Quellen springen –
in Miethwagen und Karossen, zu Fuß in ungezählten Scharen wandeln sie hinab in den kühlen Schatten der hundertjährigen Bäume, an den erquickenden Born einer beliebten Bierquelle.
Von der Ringstraße bis zum Lusthaus – fast zwei Wegstunden – eine ununterbrochene vierfache Wagenkolonne, die in der „Nobel-Allee“ ab und zu rollt, voll schöngeputzter, fröhlich plaudernder
Insassen, zwischen lebendigen Mauern von schwatzenden und lachenden, spottenden und bewundernden Zuschauern. Wenn der Korso vorüber ist, verliert sich die tausendköpfige Menge in die
zahlreichen Bierwirthschaften des „Volkspraters“ („Wurstelpraters“) oder staut sich vor den Buden mit ihren Jahrmarktswundern, den Riesen und Zwergen, den Panoramen und Panoptiken,
den Kraftmessern und Schießstätten, Ringelspielen, Schaukeln und Haspeln. Die Ausrufer locken die Gaffer mit betäubendem Wortschwall in ihre Buden, deren schönste Stücke, Affen, Papageien
und gemalte Reklamen, außen als Lockspeise ausgestellt sind. Aus der Ferne, von den Kaffeehäufern der „Nobel-Allee“ klingen die Walzer der Militärkapellen
herüber, dazwischen die ohrenzerreißenden Töne einer verstimmten Drehorgel und der kühne temperamentvolle Rhythmus einer Zigeunerkapelle – dazu das Tosen der frohbewegten Menge –
Der Kleinbürger und der Handwerksmann, der Arbeiter und die Magd, die arme Handarbeiterin und der gemeine Soldat – sie finden hier – ihren bescheidenen Theil an des Lebens Freuden und genießen ihn mit vollen Zügen. Was die Woche auch dem kleinen Manne an Mühsal und Beschwerden bringt: ein Sonntagnachmittag, mit Kind und Kegel im Prater verjubelt, söhnt ihn mit seinem harten Schicksal aus. Man freut sich der Stunde und hat auch für die Freude des anderen ein wohlwollendes Gemüth, das sich äußert in einem fröhlichen patriarchalischen Verkehr, in dem Bemühen, durch eigene Beiträge von Witz und Laune die allgemeine Stimmung zu erhöhen.
Zunächst spiegelt sich diese Stimmung in der Theilnahme an den Freuden der Kinderwelt. Das ist ein wahres Labsal für die Großen, in den leuchtenden Augen ihrer Kinder zu lesen, wie schön und glücklich ihnen der Augenblick erscheint. Da reitet der kleine Pepi nun auf dem Holzschimmel, von dem er solange phantasiert hat. Wie der kühnste Reiter sitzt er im Sattel und die Bewegung des Karussells ist für seinen Wagemuth viel zu behaglich – er peitscht und spornt das Thier und jauchzt und seine Wangen glühen – und dann wieder sitzt er mit andächtiger Miene vor dem Wursteltheater und verfolgt die bösen Thaten [458] und den Uebermuth des Kasperl mit athemloser Spannung und jubelt und lacht und klatscht in die Hände, wenn diesem ein toller Streich gelungen ist.
Aber auch die großen Kinder finden hier Befriedigung ihrer Schau- und Lachlust. Dort oben auf der „Bawlatschen“ (Podium) steht ein buntbemalter Hanswurst und ein breitmauliger Pierrot, welche allerlei Schabernack treiben; der Haupteffekt ist eine Prügelei, die niemals ihre Wirkung auf die anspruchslosen Zuschauer verfehlt. Auf dem Tanzboden nebenan stehen sie dicht gedrängt, daß keine Stecknadel zur Erde fallen könnte, und dennoch tanzen sie, die Marianka und der István, die Resi und der Ferdl, mit wunderbarer Ausdauer, obwohl sie nicht vom Platze rücken und der Schweiß in Strömen über ihr Antlitz rieselt.
Wenn die Vergnügungen des Wurstelpraters durchgekostet sind, dann mahnt das Familienhaupt an die leiblichen Bedürfnisse. Ein jeder sucht nun mit den Seinen das Lokal auf, wo es ihm am behaglichsten dünkt. Unter den schattigen Kastanien und Linden des Schweizerhauses, des Hirschen, bei Kaubek oder Hauswirth, beim Eisvogel oder beim Prochaska mit seiner Damenkapelle wird dem Gambrinus fleißig zugesprochen; der frugale Imbiß, bestehend aus Wurst, schwarzem Rettich oder kaltem Aufschnitt, wird ungeniert aus den Taschen geholt oder von dem „Salamucci“ (italienischen Käsehändler) gekauft, der geschäftig zwischen den Tischen herumläuft und seine Ware mit lauter Stimme: „Duri, duri, Salamucci Käso!“ ausruft.
Der frische Trunk, die kühle Abendluft, die heiteren Gespräche verbreiten die behaglichste Stimmung.
„Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“
Beim Kaiserfest am 18. August und bei anderen außergewöhnlichen Anlässen gestaltet sich der Rückzug in die Stadt besonders großartig. In den Alleen und zwischen den Baumgruppen zucken farbige Lichter auf, die wie die Irrwische im Märchen kommen und verschwinden. Sie stammen von Tausenden von Lampions, die den nach Hause ziehenden Gruppen als Leuchte dienen. Bis in die späte Nacht sieht man die gaukelnden Lichtfunken durch die Gebüsche schimmern. Unter Gesang und frohen Scherzen ziehen die angeheiterten Scharen ab, und fast nie vernimmt man einen störenden Mißton.
Um das Praterbild erschöpfend abzuschildern, bedürfte es noch mancher ergänzender Züge. Der großartige Naturpark mit seinen weitläufigen Auen, saftigen Wiesengründen und uralten Baumgruppen, die den Landschaftern unerschöpfliches Material für ihre Studien liefern, war ehedem von Hirschen und Rehen bevölkert, die sich so sehr an die Menschen gewöhnt hatten, daß sie den Wagen in der Hauptallee nachliefen und aus der Hand der Insassen Brot nahmen.
Auch an Vormittagen hat der Prater sein treues Stammpublicum. Genesende und Bewegungsbedürftige machen in den schöngepflegten Alleen ihren Morgenspaziergang, Marienbader Kandidaten ihren Dauerlauf.
Für die liebe, schulfreie Jugend aber ist der Prater in den Vormittagsstunden Prairie und Urwald. Hier können die Jungen den Eingebungen ihrer kindlichen Phantasie folgen und in ungebundener, von keinem Gartenwächter und keiner Warnungstafel eingeschränkter Freiheit die romantischen Träume von Lederstrumpf und Indianerkämpfen auf ihre Art verwirklichen. Und so bildet der Prater den einzigen Ersatz für die Prairiegründe, welche unseren jugendlichen Naturmenschen durch die fortschreitende Stadterweiterung entrissen worden sind.