In der Gefängniszelle 108
Erschien die langvergessne Sehnsucht wieder.
Vom hohen Fenster stieg sie mild und sacht
An einem schmalen Sonnenstrahl hernieder.
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Sie grüßte einen müden, kranken Mann
Und sang ein Lied in seine wachen Träume,
Bis eine Träne auf sein Lager rann.
Da wuchsen aus der Träne grüne Bäume.
Und Wiesen, blütenbunt und sonnenhell,
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Entstanden rings und hauchten zarte Düfte.
Durch frisches Grün sprang lustig wild ein Quell.
Ein Vogelschlag durchjubelte die Lüfte.
Und sieh, der Kranke war nicht mehr allein,
Denn eine Schar von Dienern stand im Garten.
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Die riefen: „Herr, viel Gold und Glanz ist dein
Sieh uns als Diener deinen Wunsch erwarten.“
Der aber sprach und lächelte dabei:
„Nehmt Gold und Glanz und lebt damit zufrieden!
Ich habe keinen Wunsch, ich – – bin ja frei.
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Geht hin! Euch sei dasselbe Los beschieden.“
Aus der Gefängniszelle 108
Ward selben Tags in später Dämmerstunde
Ein toter, alter Mann herausgebracht.
Ein Lächeln lag auf seinem bleichen Munde.